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Über den Trost (eBook)

in dunklen Zeiten
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
352 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2618-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über den Trost -  Michael Ignatieff
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Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, Verluste oder Schicksalsschläge erleiden, suchen wir nach Trost. Gesucht wird Trost heute immer weniger in religiösen Institutionen und politischen Traditionen. Stattdessen wird das Bedürfnis nach Trost zunehmend ins individuell Zwischenmenschliche und in private Netzwerke verlagert. Michael Ignatieff geht der Frage nach, wie es uns über Jahrtausende gelungen ist, Traditionen des Trosts zu erschaffen. Das Buch Hiob, die Psalmen und die Werke von Künstlern so verschieden wie Albert Camus, Anna Achmatowa und Primo Levi sind zeitlose Botschaften der Hoffnung. Diese verbindende Sprache des Trosts hat Generationen von Menschen dazu inspiriert, ihr Schicksal mit Würde zu anzunehmen. Ignatieff erweckt sie zu neuem Leben und zeigt, wie sie uns auch im 21. Jahrhundert helfen können, dem Leid und der Ungewissheit in der Welt hoffnungsvoll zu begegnen.

Michael Ignatieff ist ein kanadischer Autor, Historiker und Publizist. Als Vorsitzender der Liberalen Partei Kanada war er von 2008 bis 2011 Oppositionsführer. Er ist Professor an der Kennedy School of Government in Harvard und Präsident und Rektor der Central European University in Budapest und Wien.

Michael Ignatieff ist ein kanadischer Autor, Historiker und Publizist. Als Vorsitzender der Liberalen Partei Kanada war er von 2008 bis 2011 Oppositionsführer. Er ist Professor an der Kennedy School of Government in Harvard und Präsident und Rektor der Central European University in Budapest und Wien.

VORWORT

Dieses Buch entsprang einer ungewöhnlichen Einladung. Im Jahr 2017 wurde ich gebeten, bei einem Chorfestival in Utrecht, bei dem vier Chöre vertonte Fassungen aller 140 Psalmen singen würden, einen Vortrag zum Thema »Gerechtigkeit und Politik im Buch der Psalmen« zu halten. Ich sollte meinen Vortrag in einer Pause zwischen den Auftritten halten. Abgesehen von den Worten, die fast jeder kennt – »Der Herr ist mein Hirte« und »Muss ich auch wandern im finsteren Tal« –, wusste ich wenig über die Psalmen. Ich nahm die Einladung trotzdem an, weil ich glaubte, genug Zeit zu haben, um mehr über diese Texte zu lernen. Ich studierte die Psalmen über den Sommer in der King-James-Bibel, las Robert Alters Übersetzungen aus dem Hebräischen und hielt schließlich den Vortrag. Anschließend hörte ich mir gemeinsam mit meiner Frau Zsuzsanna im Publikum die über das Wochenende verteilten Auftritte der Chöre an. Der Text der Psalmen wurde in Niederländisch und Englisch über der Bühne angezeigt. Die Musik war wunderschön, die Worte hallten nach, und die Erfahrung hatte eine läuternde Wirkung, die ich seitdem zu verstehen versuche. Ich war gekommen, um einen Vortrag über Gerechtigkeit und Politik zu halten, aber ich entdeckte den Trost – in den Worten, in der Musik und in den Tränen des Wiedererkennens im Publikum.

So begann also dieses Buchprojekt: mit dem Versuch, die Wirkung der Psalmen auf mich und andere Menschen in jenem Konzertsaal in Utrecht zu verstehen. Wie war es möglich, dass diese uralte religiöse Sprache uns so verzaubert hatte, vor allem mich, einen Nichtgläubigen? Und was bedeutete es eigentlich, getröstet zu werden?

In den folgenden vier Jahren schlug mich dieses Projekt zusehends in seinen Bann, wurde zugleich aber auch komplexer. Ich hatte das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen. Mein Thema befremdete Freunde und Kollegen, die mich oft fragten: Warum Trost? Warum jetzt?

Dann stürzte uns die Covid-19-Pandemie im März 2020 alle für ein Jahr oder mehr in wiederkehrende Isolation.

Überall in der Online-Welt, die sich in unseren globalen Ort der Begegnung verwandelte, wurden Versuche unternommen, Trost zu spenden und unseren gemeinsamen Gefühlen von Desorientierung, Furcht, Einsamkeit und Trauer einen Sinn zu geben, während die Zahl der Toten von kaum glaubhaften auf stumm hingenommene Werte stieg. Maler, Schriftsteller, Sänger, Musiker und Philosophen versuchten, Zeugnis über den Moment abzulegen und die Menschen in ihrer Umgebung zu trösten. Zsuzsanna und ich schlossen uns Tausenden an, die sich im Internet ein Konzert eines Rotterdamer Orchesters anhörten, dessen Musiker, da sie nicht gemeinsam musizieren konnten, Beethovens »Ode an die Freude« via Zoom von zu Hause aus spielten und ihre Einsätze über Kopfhörer koordinierten. Der Pianist Igor Levit spielte jeden Abend in seiner Wohnung in Berlin Sonaten von Beethoven; Simon Rattle begleitete Magdalena Kožená, die Lieder von Brahms sang; Dichter trugen von ihren Schlafzimmern aus zur Aufmunterung Gedichte vor; Menschen lasen aus Camus’ Die Pest oder aus Defoes Die Pest zu London vor; Rapper rappten; Sänger sangen; Intellektuelle deklamierten.

Diese Welle von Tröstungsbemühungen bestätigte mich in dem Wunsch, große Männer und Frauen zu befragen, die in dunkleren Zeiten als unserer eigenen gelebt und Trost in Kunst, Philosophie und Religion gefunden hatten. Diese Werke können uns auch heute in Stunden der Not helfen und erneut ihre alte Aufgabe erfüllen.

Der Zweck dieses Buchs ist nicht, persönliche Trauer zu bewältigen, aber es ist ein zutiefst persönliches Vorhaben. Die Form, die es angenommen hat – Porträts einzelner Männer und Frauen, die im Lauf der Geschichte Trost suchten –, veranschaulicht, wie Ideen und Sinndeutungen in der Feuerprobe von Erfahrungen geschmiedet werden, deren Bedeutung zugleich einzigartig und universell ist.

Mit Über den Trost kehre ich zu der ideengeschichtlichen Arbeit zurück, die ich im Jahr 1984 in The Needs of Strangers veröffentlichte (deutsch als: Wovon lebt der Mensch?, 1993). Mein Verständnis von Hume, Condorcet und Marx, die in diesem Buch vorkommen, ist am King’s College der Universität Cambridge geprägt worden, wo ich von 1978 bis 1984 an der Leitung eines Projekts über die Geschichte der klassischen politischen Ökonomie beteiligt war. Zu jener Zeit wurde das College von dem Philosophen Bernard Williams geleitet; Gareth Stedman Jones und John Dunn haben das Projekt inspiriert; und mein Mitdirektor war der unvergleichliche Gelehrte István Hont, dessen Tod im Jahr 2013 im Alter von nur 65 Jahren ein schwerer Verlust für alle war, die ihn kannten.

In den zwölf Jahren, in denen ich an Isaiah Berlins Biografie arbeitete, habe ich nie über die Frage des Trosts mit ihm gesprochen, denn er war einer jener Menschen, deren Lebensfreude so unerschütterlich ist, dass sie anscheinend nie Trost brauchen. Aber mein Verständnis von Anna Achmatowa, die sich mit der Hoffnung tröstete, ihre Dichtkunst werde eine unvergängliche Erinnerung an den stalinistischen Terror sein, ist durch Berlins Erinnerung an seine Begegnung mit ihr in Leningrad im Jahr 1945 geprägt worden.

Im Lauf der Arbeit an diesem Buch wuchs meine Dankbarkeit für die Tradition der Wissensvermittlung, die diese Arbeit möglich gemacht hat. Die Tatsache, dass einige der Texte überhaupt erhalten sind – das Buch Hiob, das Buch der Psalmen, die Briefe des Paulus, Marc Aurels Selbstbetrachtungen, Ciceros Briefe –, belegt, mit welcher Redlichkeit anonyme Gelehrte, Schreiber und Übersetzer diese Werke über viele Jahrhunderte hinweg vor den Mäusen, dem Feuer, vor Epidemien und menschlicher Gleichgültigkeit bewahrt haben. Meine Zeitgenossen sind verlässliche Erben dieser Tradition. Ich möchte einigen Personen danken, die mir geholfen haben, diesem Projekt Gestalt zu geben. Yoeri Albrecht lud mich ein, jenen Vortrag bei dem Festival in Utrecht zu halten. Ich danke Robert Alter für seine wunderbare Übersetzung der hebräischen Bibel und dafür, dass er Hiob und die Psalmen als literarische Werke las. Nicholas Wright danke ich für seine Interpretation von Paulus und seine scharfe Kritik an meinem Verständnis dieses Apostels. Christian Brouwer bin ich dankbar für seine Arbeit über Boethius. Arthur Applbaum schulde ich Dank dafür, dass er seine Kenntnis des Hebräischen mit mir teilte, sowie für seine Schriften über Montaigne. Bei Moshe Halbertal möchte ich mich dafür bedanken, dass er sein Verständnis von Hiob mit mir teilte, sowie für seinen Essay »Job, the Mourner«. Leon Wieseltier danke ich für seine scharfsinnigen redaktionellen Anregungen. Ich danke Sarah Schroth für ihre vor mehr als vierzig Jahren veröffentlichte Studie über El Greco, Emma Rothschild für ihre wissenschaftliche Arbeit über Condorcet, Gareth Stedman Jones für seine Marx-Biografie und Adam Gopnik für seine Schriften über Lincoln. Dem Musikwissenschaftler und Dirigenten Leon Botstein danke ich für sein Wissen über Mahler. Karol Berger bin ich dankbar dafür, dass er seine Kenntnis Wagners und Nietzsches mit mir geteilt hat. Lisa Appignanesi danke ich für das jahrelange Gespräch über Freud und andere teils gewichtige und teils nebensächliche Fragen. Ich danke Tim Crane dafür, dass er gemeinsam mit mir über die Frage nachgedacht hat, ob wir ein Recht auf religiösen Trost haben, wenn wir den religiösen Glauben nicht teilen. Mein Dank geht an János Kis für seine Anregungen zur Beziehung zwischen Trost und der Aussöhnung mit dem Schicksal, an Maria Kronfeldner für ihre Kritik meiner Behandlung der »Hoffnung« bei Primo Levi, an Carlo Ginzburg für seine gewissenhafte und kritische Lektüre meiner Auseinandersetzung mit Levi, an Mark Lilla für seine Deutung von Camus, an Michael Zantovsky, Jacques Rupnik und Havels beispielgebenden Übersetzer Paul Wilson für die Schilderungen ihrer Freundschaft zu Václav Havel und ihres Verständnisses seines Werks, an Győző Ferencz für seine Korrekturen an dem Abschnitt über den ungarischen Dichter Miklós Radnóti, an die Kuratoren von Anna Achmatowas Museum in Sankt Petersburg, die ihre Liebe zu der Dichterin und ihre Kenntnis ihrer Wohnung im Scheremetjew-Palais mit mir geteilt haben, an David Clark, der mein Bild von Cicely Saunders bereichert hat, und an Tom Laqueur für seine brillante Forschung in The Work of the Dead. All diese Wissenschaftler und Freunde haben ihr Wissen mit mir geteilt, tragen jedoch keine Verantwortung für das, was ich damit gemacht habe.

Ich möchte auch meinem Bruder Andrew danken, der sich um die familiären Wurzeln kümmert, aus denen sich dieses Buch ebenfalls speist.

Einen besonderen Dank schulde ich der leitenden Bibliothekarin der Central European University, Diane Geraci, und ihrem Team für ihre anhaltende Unterstützung.

Ich danke dem Lektorenteam, das mein Manuskript so fürsorglich betreut hat: Jane Haxby für die Korrekturen, Brian Lax dafür, dass er die Entstehung des Buchs vorantrieb, sowie Sara Bershtel und Anne Collins für ihre Anregungen, die mir geholfen haben, die Argumentation zu verdeutlichen und Wiederholungen zu verringern. So wie Ravi Mirchandani und mein Agent und alter Freund Michael Levine bekannten sich Sara und Anne zu diesem Buch, bevor sie wussten, was daraus werden würde, und dieses Vertrauen hat mir geholfen, mein eigenes aufrechtzuerhalten. Und wenn wir schon beim Vertrauen sind, möchte ich Zsuzsanna Zsohar...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2021
Übersetzer Stephan Gebauer
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie
Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Afghanistan • Aufklärung • Bibel • Covid-19 • Flut • Glaube • Hilfe • Hoffnung • Humanismus • Klima • Krankheit • Krieg • Krise • Kulturgeschichte • Philosophiegeschichte • Säkularismus • Sinn • Sorgen • Tod • Trost • Unwetter • Verlust
ISBN-10 3-8437-2618-3 / 3843726183
ISBN-13 978-3-8437-2618-4 / 9783843726184
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