Die Depressions-Falle (eBook)
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491363-6 (ISBN)
Thorsten Padberg, Jahrgang 1969, arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Verhaltenstherapeut in Berlin und ist Dozent für Verhaltenstherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin. Er ist bekannt durch den Podcast »Therapieland« im Deutschlandfunk Kultur, der von »Zeit Online«, dem Bayrischen Rundfunk und Deezer zu den besten Podcasts 2019 gezählt wurde. 2020 erhielt »Therapieland« den Deutschen Sozialpreis und den Medienpreis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Thorsten Padberg hat außerdem u.a. im »Zeit-Magazin«, in »Psychologie Heute« und im »Psychotherapeutenjournal« publiziert.
Thorsten Padberg, Jahrgang 1969, arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Verhaltenstherapeut in Berlin und ist Dozent für Verhaltenstherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin. Er ist bekannt durch den Podcast »Therapieland« im Deutschlandfunk Kultur, der von »Zeit Online«, dem Bayrischen Rundfunk und Deezer zu den besten Podcasts 2019 gezählt wurde. 2020 erhielt »Therapieland« den Deutschen Sozialpreis und den Medienpreis der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Thorsten Padberg hat außerdem u.a. im »Zeit-Magazin«, in »Psychologie Heute« und im »Psychotherapeutenjournal« publiziert.
Padbergs mutiges Buch ist für Behandelnde sowie für Betroffene gleichermaßen lesenswert.
Er will, dass wir Menschen nicht pathologisieren, sie nicht einfach als krank abstempeln.
gut lesbar, gut verständlich und mit vielen Beispielen, auch aus der eigenen Praxis, angereichert
Auch wenn man nicht von der Thematik betroffen ist, sollte man dieses Buch lesen, denn der Lerneffekt ist groß (...). Eine echte Empfehlung!
Ein wichtiges Buch, ein ungewöhnliches Buch. Eines, das den Rahmen sprengt, in dem Depressionen üblicherweise abgehandelt werden. Man möge seine Botschaft hören!
Dieses Unterfangen gelingt beeindruckend.
Ein sehr gut recherchiertes Buch. Leseempfehlung!
nimmt die Leserinnen und Leser mit in eine spannende Erkundungsreise in seine Überlegungen, die sich aus neuen Forschungsergebnissen ableiten lassen
Mein Fazit: lesenswert, anregend, nachdenklich stimmend – oder: einfach gut und empfehlenswert.
Das ist aufschlussreich und macht Betroffenen und Angehörigen Mut.
Irving Kirsch
Was ich in diesem Moment, als ich mich am Schreibtisch auf den neuesten Stand der Forschung bringen will, noch nicht weiß: Auch Irving Kirsch ist prominent – zumindest in Fachkreisen. Bejubelt von den einen, bekämpft von den anderen. Kirsch hat mit der Arbeit, die ich gerade lese, im Jahr 2008 das Vertrauen in die Wirksamkeit von Antidepressiva erschüttert und in den USA eine große Debatte ausgelöst.
Kirsch hat über Jahre die Studien ausgewertet, mit denen sich Pharmafirmen um die Zulassung für ihre Antidepressiva beworben haben. Das Besondere war: Er schaute sich nicht nur die Studien an, die die Pharmafirmen freiwillig veröffentlichten, sondern auch jene, die sie geheim hielten – unter Berufung auf den Freedom of Information Act, ein amerikanisches Recht auf Transparenz, hatte er sich Einblick verschafft. Am Ende verglich er die Patienten, die ein Medikament erhalten hatten, mit denen, die ein Placebo bekommen hatten. Sein Ergebnis: Vielen Patienten ging es nach der Behandlung besser. Allerdings war es in den meisten Fällen egal, ob sie ein echtes Mittel oder eine Zuckertablette geschluckt hatten. Nur bei einer kleinen Gruppe sehr schwer Betroffener übertraf die Wirkung der Medikamente die der Placebos. Über die vielen anderen aber sagt Kirsch seitdem: Es sind nicht die Wirkstoffe in den Antidepressiva, die helfen. Der Erfolg der Pillen ist ein Scheinerfolg.[6]
Fast immer, wenn seither kritisch über Antidepressiva berichtet wird, fällt dabei Kirschs Name. Die Studie war nicht nur deswegen so beeindruckend, weil sie dem überkommenen Wissen widersprochen hatte, dass Antidepressiva ein sehr wirksames Medikament seien. Kirsch traf diese Aussage auch auf Grundlage von bis dahin ungekannten Datenmassen. Erst in seiner Gesamtschau zeigte sich, was vorher verborgen war, weil regelmäßig nur die Erfolgsmeldungen zu Antidepressiva veröffentlicht wurden. Nach einer Auswertung aus dem Jahr 2008 waren von den Studien, die ein positives Ergebnis für Antidepressiva hervorbrachten, 91 Prozent veröffentlicht worden. Von den Studien, in denen die Medikamente nicht überzeugen konnten, wurden dagegen nicht einmal 10 Prozent publiziert. Ein Drittel dieser publizierten Studien waren zudem so formuliert, dass es klang, als hätten die Medikamente sich als wirksam erwiesen, obwohl dies nicht der Fall war.[7] Dass es jetzt durch Kirsch eine Studie gab, die das gesamte den Zulassungsbehörden vorliegende Datenmaterial mittels einer sogenannten Meta-Analyse auswertete, machte seine Arbeit so bedeutsam. Und demnach konnte man mit Zuckerpillen fast genauso viel Licht in das Leben eines Menschen bringen wie mit Antidepressiva.
Wie so viele meiner Kolleginnen und Kollegen verlasse ich mich auf das, was ich in Lehrbüchern gelesen und in Vorlesungen gehört habe. Wieso, frage ich mich an meinem Schreibtisch, weiß niemand von dieser Arbeit, der zu diesem Zeitpunkt größten, die jemals zum Thema Antidepressiva durchgeführt worden ist? Die sollte doch jeder kennen. Und ich beschließe, dafür in den nächsten Wochen zu sorgen.
Für Psychotherapeuten besteht die Möglichkeit, sich über Fachzeitschriften an ihre Kollegen zu wenden. Also verfasse ich einen Text mit dem Titel »Placebo – Neue Erkenntnisse zur Wirkung von Antidepressiva«, in dem ich darlege, dass in den meisten Fällen die Wirkung von Antidepressiva kaum über die einer Zuckerpille hinausgeht. Prominent darin: Kirschs Studie. Ein Abschnitt lautet: »Depressionen gibt es in drei Formen, leicht, mittelschwer und schwer. Die American Psychiatric Association kennt sogar vier Formen, die sich von den Werten der Hamilton Depression Rating Scale (HDRS) ableiten. Ab einem Score größer oder gleich 23 benennt sie zusätzlich die ›sehr schwere Depression‹, eine tiefschwarze Form also.« Nur für diese allerschwersten Depressionsformen ist nach Kirschs Studie belegbar, dass Antidepressiva besser als Placebos gegen Depressionen helfen.
Den Text gebe ich an eine Zeitschrift, die in Deutschland nur einem Fachpublikum bekannt ist, aber von vielen Psychotherapeuten gelesen wird. Da ich in dieser Zeitschrift schon mehrfach veröffentlicht habe, gehe ich davon aus, dass man meinen Text wohlwollend beurteilt und bald publizieren wird. Acht Wochen später weiß ich: Dem ist nicht so.
Die Rückmeldung, die ich erhalte, wird von einer Mitarbeiterin eines Lehrstuhls für Klinische Psychologie verfasst. Man merkt dem Schreiben an, wie sehr sie darum ringt, höflich zu bleiben. Der Text sei gut und flüssig geschrieben, beginnt sie. Leider werde die Forschungslage einseitig und falsch dargestellt. Auch mein Bild von Depressionen sei falsch. Die behandelten Studien hätte ich nicht verstanden. Auch was ein Placebo sei, hätte ich nicht richtig verstanden. Die Behandlungsleitlinien für Depression würden nicht beachtet. Trotzdem macht sie mir ein Angebot. Gerne dürfe ich als langjähriger Autor meine »Meinung« im Journal sagen. Jedoch müsse ich meinen acht Seiten langen Text dafür auf eine einzige kürzen, am besten unter Verzicht auf die – leider falsch dargestellten – Forschungsergebnisse. Man werde meinen Text dann als »Polemik« veröffentlichen. Das Angebot ist vergiftet. Ich lehne dankend ab.
Im Nachhinein komme ich mir naiv vor. Die Behandlungsleitlinien für Depressionen werden von hochrangigen Wissenschaftlern geschrieben, die meisten sind Professoren, ausgewiesene Fachleute auf ihrem Gebiet. Herausgegeben werden sie von 31 Fachverbänden, Arbeitsgemeinschaften, psychiatrischen und psychologischen Berufsverbänden usw. Das ist geballte Fachkompetenz. Und da kommt Thorsten Padberg, Psychotherapeut aus Berlin-Treptow, und will dieses Bollwerk der Wissenschaft mit ein paar Seiten Text erschüttern. Ich stelle mir vor, wie die Redaktion mir einen Aluhut auf mein Autorenbild gemalt hat und mich in einem Ordner zusammen mit Impfgegnern und Chemtrail-Aktivisten abgeheftet hat. Akte geschlossen.[8]
Gleichzeitig habe ich etwas gelernt. Wer neue Informationen in ein seit langem bestehendes Lehrgebäude einbringt, der wird nicht unbedingt freudig begrüßt. Das ganze Gebäude könnte ja in sich zusammenstürzen. Und das wäre in diesem Fall möglicherweise fatal. Denn in Deutschland gibt es, wie überall auf der Welt, eine Menge Menschen, die diese Medikamente mit einem positiven Effekt einnehmen.
Depressionen sind ein sehr häufiges Leiden. Fast 10 Prozent aller Deutschen leiden im Laufe eines Jahres an Depressionen. Bei Frauen ist der Anteil besonders hoch, genauso wie bei den Jüngeren zwischen 15 und 29 Jahren.[9] Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von 350 Millionen Menschen weltweit. Einige Experten gehen davon aus, dass Depressionen schon 2030 den Spitzenplatz unter den Massenleiden einnehmen werden. Viele Betroffene bitten um Behandlung. Und die einzige schnell verfügbare Therapie sind oftmals Antidepressiva. Sie sind deshalb ein sehr wichtiges Medikament.
Während ich anfange, mich mit dem Thema zu beschäftigen, explodieren die Verordnungszahlen. Im Jahr 1990 wurden in Deutschland noch weniger als 200 Millionen Tagesdosen Antidepressiva verschrieben (eine Tagesdosis ist die durchschnittliche Menge, die von einem Medikament pro Patient pro Tag normalerweise eingenommen wird). Zehn Jahre später waren es schon fast doppelt so viele. Doch dann geht die Verordnungsrallye erst richtig los. 2008, als Kirsch seinen Artikel schreibt, sind es allein in Deutschland ca. 750 Millionen Tagesdosen. 2014, als ich die Studie entdecke, 1,3 Milliarden. Die letzten Zahlen aus dem Jahr 2018 nennen fast 1,5 Milliarden Tagesdosen. Damit könnte man 3,8 Millionen Menschen in Deutschland das ganze Jahr über Tabletten schlucken lassen. Tag für Tag, ohne Unterbrechung.[10] Wollten alle Deutschen ein paar von den verschriebenen Tabletten abhaben, dann würde es bei achtzig Millionen Einwohnern für jede und jeden Einzelnen immerhin für achtzehn Tage ausreichen. In Großbritannien nehmen inzwischen fast 17 Prozent der Bevölkerung im Laufe eines Jahres ein Antidepressivum ein; über ein Fünftel der Frauen schluckt die Tabletten, genauso hoch ist der Anteil bei Menschen über 80 Jahren.[11] 2,5 Milliarden Pfund haben die Briten allein von 2011 bis 2020 für Antidepressiva ausgegeben.[12]
In mir wird ein innerer Kritiker wach, der mich in den nächsten Monaten hartnäckig und unablässig begleiten wird und immer wieder dieselbe Frage stellt: Was ist wichtiger? Das Wohlbefinden, das viele durch Antidepressiva finden? Oder das Wissen um den Stand der Forschung über ein bei Depressionen in Wahrheit chemisch fast wirkungsloses Medikament? »Offensichtlich gibt es großes Leid in der Bevölkerung«, meint der Kritiker. »Groß genug, dass ihre Therapeuten und Ärzte sich veranlasst sehen, dieses Leid mit einem Medikament zu behandeln. Und diese Behandlungsoption ist für viele so überzeugend, dass sie sie dankbar annehmen und diese Medikamente über Wochen, Monate oder Jahre einnehmen. Die werden gute Gründe dafür haben, diese Medikamente zu wollen. Mit welchem Recht willst Du Dich da...
Erscheint lt. Verlag | 27.10.2021 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Antidepressiva • Behandlung von Depression • Bewusst leben • Burn-out • Corona-Pandemie • Depression überwinden • Depression Verhaltenstherapie • Einsamkeit • Gesundheit • Halt geben • Hilfe aus der Einsamkeit • Hoffnung • Lebenshilfe • Lebenskrise • Leistungsgesellschaft • lockdown • Melancholie • Optimismus • Placeboeffekt • Podcast • Psychische Erkrankung • Psychische Gesundheit • Psychopharmaka • Psychotherapie • Sinn des Lebens • Suizid • Suizid-Gedanken • Therapieland • Trauer • Verhaltenstherapie |
ISBN-10 | 3-10-491363-3 / 3104913633 |
ISBN-13 | 978-3-10-491363-6 / 9783104913636 |
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