Die Borgia (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75368-8 (ISBN)
Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte an der Universität Fribourg. Er gilt als einer der besten Kenner der italienischen Renaissance.
Einleitung: Legenden und Fakten
Der Name Borgia weckt unheimliche Assoziationen: Gift, das in funkelnde Wein-Pokale geschüttet und bei glänzenden Banketten ältlichen Kardinälen lächelnd verabreicht wird; Leichen, die aus dem Tiber gezogen werden; Orgien im Vatikan, bei denen die römischen Luxus-Prostituierten Hauptrollen übernehmen; Treibjagd auf unliebsame Konkurrenten, die erbarmungslos in ihren letzten Verstecken aufgespürt und zu Tode gehetzt werden; Inzest zwischen einem Papst und seiner Tochter. Sex and crime in allen nur denkbaren Spielarten zieht sich wie ein blutroter Faden durch das Bild dieser Familie. Ein heidnischer Genießer auf dem Thron Petri: Wer wollte, konnte das auch positiv sehen. Für Friedrich Nietzsche, den Umwerter aller Werte, war Cesare Borgia der Triumph des Lebens in all seiner ruchlosen Herrlichkeit über die Sklavenmoral des Christentums. Doch überwiegend diente der «Erinnerungsort» namens Borgia dazu, die Angstvorstellungen der verschiedenen Epochen zu bündeln: Alexander VI., der Antichrist als Papst; sein Sohn Cesare Borgia, der Brecher aller Verträge und Verderber der Politik; seine Tochter Lucrezia, die männermordende Femme fatale, schön, doch tödlich wie eine Schlange, das ewig ins Verderben lockende Weib. Auf diese Weise wurden die Borgia schnell zum Mythos.
Aus diesem Fundus der Klischees kann man sich bis heute bedienen. Dabei kommt es immer wieder zu überraschenden Kombinationen: Alexander VI. wird als der Papst dargestellt, der ein Dutzend Nachkommen zeugte, als gemütvoller Familienmensch, der das widernatürliche Zölibat aufbrach und die Kirche im trauten Kreise der Seinen lenkte. Lucrezia Borgia, die dreimal zwangsverheiratete dynastische Handelsware, wird zur ersten emanzipierten Frau erhoben. In Sachen Borgia-Bilder gibt es nichts, was es nicht gibt.
Schon zu Lebzeiten der Hauptpersonen rief der Name Borgia Angst und Schrecken hervor. Und das sollte auch so sein. Die Borgia, vor allem Papst Alexander VI. und sein Sohn Cesare, hatten dieses Image planvoll aufgebaut. Ihre Feinde sollten sie so sehr fürchten, dass sie jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen mussten, und auf diese Weise gefügig wurden. Ein solcher Ruf musste nicht nur gepflegt, sondern auch täglich inszeniert werden. Wie das geschah, lässt sich aus den Berichten zeitgenössischer Gesandter entnehmen. Die zwei klügsten dieser Diplomaten, der Venezianer Girolamo Donato und der Florentiner Niccolò Machiavelli, haben scharfsinnige Charakterstudien von Vater und Sohn Borgia vorgelegt.
Donato hatte es als Vertreter der Lagunen-Republik mit Papst Alexander VI. zu tun. Sein Fazit: Dieser ewig lächelnde Pontifex maximus ist von seltener Verschlagenheit. Er lügt, wenn es ihm und seiner Familie nützt, denn die Größe der Seinen geht ihm über alles. Machiavelli traf Cesare, den Sohn, auf dem Höhepunkt seiner kriegerischen Eroberungen als Herzog der Romagna. Aus dieser starken Position heraus drohte er der Republik Florenz mit massiver militärischer Intervention, wenn sie ihm bei seinen Plänen nicht zu Willen sein würde. Machiavelli sollte herausfinden, wie stark dieser Fürst wirklich war, und mehr noch: wie er wirklich war. Machiavellis Diagnose fiel differenziert aus: Cesare Borgia war mutig bis zur Tollkühnheit, willensstark, zu allem entschlossen, schnell in seinen Aktionen, bei seinen Soldaten geachtet, bei seinen Untertanen so gefürchtet, dass sie ihm gehorsam waren – und zugleich ein Aufschneider und Aufsteiger mit dem dazugehörigen Imponiergehabe. Doch was würde aus diesem Glücksritter werden, wenn ihn das Glück einmal verließ?
Beide Diplomaten standen vor derselben Aufgabe, die sich der Geschichtswissenschaft bei der Beschäftigung mit den Borgia stets aufs Neue stellt: Sie mussten hinter die kunstvoll erzeugten Fassaden der Propaganda blicken, um nicht nur die Absichten, sondern auch das wahre Gesicht der Borgia zu erkennen. Dabei wurden sie durchaus fündig: Die Macht der Familie rechtfertigte alles, auch Heimtücke und Mord. Sie war das alles beherrschende Ziel Alexanders VI. Sein Pontifikat von 1492 bis 1503 stand ganz und gar im Zeichen der Familienerhöhung, dieser Zweck heiligte alle Mittel. Das galt sogar für die große Politik. Als der Borgia-Papst 1493 die von Kolumbus neu entdeckte Welt zwischen Spanien und Portugal aufteilte, ließ er sich diese Grenzziehung von den spanischen Monarchen durch reiche Geschenke für seine Familie honorieren. Auch was Vater und Sohn im Vatikan konkret planten und strategisch umsetzen wollten, steht im Großen fest: Ziel war ein erbliches Familienfürstentum im Norden des Kirchenstaats, von wo aus sich dauerhafter Einfluss auf die Besetzung des Heiligen Stuhls ausüben und damit eine dauerhafte Oberhoheit über das Papsttum durchsetzen ließ.
Andere Fragen können nur mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit beantwortet werden: Wie haben die Borgia Mord und Vertreibung ihrer Gegner vor ihrem Gewissen und damit vor Gott gerechtfertigt? Denn dass sie fromm waren, an Christus und die Fürsprache der Heiligen glaubten, ist ebenfalls gesichert. Kann man als gläubiger Christ solche Verbrechen begehen und zugleich auf das Paradies hoffen? Die Borgia konnten es offenbar.
Wo die Fakten enden und die Legenden einsetzen, ist gleichwohl nicht immer mit letzter Gewissheit zu bestimmen. Weil sie den Borgia so gut wie alles, auch das Ungeheuerliche, zutrauten, haben nicht wenige zeitgenössische Chronisten vieles dazu erfunden. Wenn diese Familie die eine Grenze überschritten hatte, war zu vermuten, dass sie auch ein anderes Tabu gebrochen hat. Auch in dieser Grauzone zwischen Fakten und Legenden kann die Quellenkritik vieles erhellen. Wenn zum Beispiel ein Prälat über Orgien im Vatikan schreibt, von denen er nach eigenem Eingeständnis zu seinem Bedauern ausgeschlossen war, so liegt der Verdacht nahe, dass seine lüsterne Phantasie mit ihm durchgeht und zudem ein gleichgestimmtes Publikum mit den neuesten Sensationsnachrichten aus dem römischen Sündenpfuhl versorgt werden sollte. Oft lassen sich solche Vermutungen dann durch weitere Unstimmigkeiten der Berichterstattung erhärten.
Skepsis ist auch dann angebracht, wenn solche Nachrichten von den zahlreichen Feinden der Borgia stammen. Da sie alle Macht, allen Reichtum und allen Genuss für sich wollten, blieb für ihre wechselnden Alliierten von der gemeinsam gewonnenen Beute so gut wie nichts übrig; und wenn doch, dann mussten diese Kurzzeit-Verbündeten stets damit rechnen, die nächsten Opfer zu sein. Die Folge war, dass kein Zeitgenosse mit der leidenschaftslosen Objektivität, wie sie dem Historiker zukommt, über die Borgia schrieb. Jeder Text über sie ist von starken, fast immer hasserfüllten Emotionen erfüllt.
Kaum weniger problematisch ist die Quellen-Hinterlassenschaft der Borgia selbst. Liest man ausschließlich die vielen tausend Seiten diplomatischer Korrespondenz, die Alexander VI. als Haupt der Kirche geführt hat, so wäre man geneigt, daraus auf einen ganz normalen Pontifikat zu schließen. Denn auch unter diesem Ausnahmepapst liefen die Geschäfte der Kurie, der obersten päpstlichen Verwaltung, weiter. So wurden kirchliche Streitfälle kompetent geschlichtet, die Interessen der Bischöfe gegenüber der weltlichen Macht gewahrt, Güter verwaltet und Gnaden erteilt – kirchliches business as usual, geleitet und gelenkt von einem scharfsinnigen Juristen und gewieften Politiker, der die Interessen der Kirche geschickt zu wahren wusste. So kann, wer seine Blickrichtung bewusst auf diese Aktivitäten beschränkt, den Papst, seine Herrschaft und seine Familie «freisprechen». Alexander VI. erscheint dann als frommer, um Witwen und Waisen besorgter Muster-Pontifex, dem böswillige Feinde die abscheulichsten Missbräuche und Unsittlichkeiten andichten. Dass Alexander VI. unbestreitbar auch Gutes im Sinne der Kirche getan hat, heißt jedoch nicht, dass er «unschuldig» ist – dieser Denkfehler wird in Sachen der Borgia allzu oft begangen, so wie umgekehrt irrt, wer alle Anschuldigungen für bare Münze nimmt.
Doch Alexander VI., der umsichtige Herr des Klerus, ist nur die eine Seite der Medaille. Wer ihn «reinwaschen» will, muss die Echtheit weiterer Dokumente leugnen, die nach dem Urteil der seriösen Geschichtswissenschaft unzweifelhaft authentisch sind; damit wäre die Grenze zur Geschichtsklitterung definitiv überschritten. Diese Dokumente stammen von Notaren, die bezeugen, dass Kardinal Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., seine Lieblingskinder als seine leiblichen Nachkommen anerkannte. Darüber hinaus lässt sich anhand von unbestreitbar echten Verleihungen von Titeln, Herrschaftsrechten und Vollmachten an Familienmitglieder minutiös nachvollziehen, mit welcher Intensität die Borgia den...
Erscheint lt. Verlag | 8.4.2021 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Neuzeit (bis 1918) | |
Schlagworte | 15. Jahrhundert • 16. Jahrhundert • Aufstieg • Biografie • Biographie • Borgia • Familie • Gerücht • Geschichte • Italien • Macht • Mord • Orgie • Papsttum • Politik • Renaissance • Spanien • Vatikan • Zeitalter |
ISBN-10 | 3-406-75368-X / 340675368X |
ISBN-13 | 978-3-406-75368-8 / 9783406753688 |
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