Blick zurück auf 70 Jahre (eBook)
208 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-8392-4 (ISBN)
Blick zurück auf 70 Jahre
Teil 1: Die Zeit bis 1961 in der DDR
Der Gedanke, aus meinem Leben zu erzählen und dieses gegebenenfalls auch anderen zukommen zu lassen, bewirkte bei mir zunächst ein Unbehagen, eine Unsicherheit. Meine Biografie enthält keine persönlichen Abenteuer, Skandale oder Tragödien. Aber als Zeitzeuge kann ich eine Lebensgeschichte anbieten, welche die Probleme der Menschen in Deutschland am Ende des Krieges, während der Nachkriegszeit bis nahezu in die Gegenwart erzählt. Es ist eine spannende Zeit.
Meine Tante Hilde in Dunedin, Florida, hat es vorgemacht: sie erlebte in Berlin die Hitlerzeit, die alliierten Bombennächte, Berlins Einnahme durch die Russen und die folgende Besatzungszeit. Als eine der ersten ,Deutschen Mädels' ging sie 1947 in die USA. Ihre Biographie liest sich wie ein Vorläufer zu diesem Buch.
Wie und wo alles begann
Calbe an der Saale, 6. Oktober 1942. Es ist ein Dienstag. Früh morgens startet Wilhelm Ebel, mein (zukünftiger) Opa, mit dem Fahrrad und informiert Hebamme und Taxi. Günther Kiewat, mein Vater, hatte mit meiner Mutter Martha ausgemacht, dass die Geburt unbedingt im Krankenhaus erfolgen soll. So geschah es und bald war ich da. Mein Name: Rainer Günther Wilhelm Kiewat. Günther nach dem Vater, Wilhelm nach den beiden Großvätern.
Calbe Saale, Fährweg 29 a lautete meine erste Adresse.
Am 25. April 1943 wurde ich in der St.- Laurentii- Kirche in Calbe getauft, wie auch ein kleines Mädchen namens Karin....wir werden ihr (viel) später wieder begegnen.
Mit meiner Mutter wohnte ich in den folgenden Jahren bei Oma und Opa im Fährweg und war hier, mitten in der Kriegszeit, bestens aufgehoben. Drei Menschen, die mich innigst liebten, umsorgten mich.
Opa Wilhelm war ein richtiger Calbenser (geb. 25.8.1896). Den Namen Ebel brachte Generationen früher ein Flussschiffer oder Flößer aus Böhmen mit nach Calbe. In jenen Zeiten trugen die Familien zu ihren regulären Familiennamen häufig noch einen Spitznamen. Ebels nannte man damals die ,Pumpels', Pumpel- Ebel. - Oma Martha (geb. 5.7.1895) kam aus dem nahen Bernburg. - Meine Mutter war das einzige Kind der beiden, wenn da nicht noch der Hans gewesen wäre, den der Opa in ganz jungen Jahren (deutlich unter zwanzig - mit 16?) mit einer Frau, die ich nie kennen gelernt habe, in die Welt gesetzt hatte. Hans diente 1942 irgendwo in Europa als Soldat.
Meine Mutter (geb. 4.6.1920 in Bernburg), von ihren Eltern die ,Kale' genannt (calbens. für die ,Kleine'), bekam nach der Schule eine Anstellung bei der Landratsfamilie Parisius als Kindermädchen. Mini- Bezahlung, aber ordentliche Verhältnisse. Ging die Familie in Urlaub, z.B. nach Sylt, nahmen sie Marth'chen mit. Meine Mutter erzählte mir viel über das Leben in diesem Hause in der Poststraße, von den Empfängen und Personen, die dort ein- und ausgingen. - Gewohnt hat sie aber immer bei ihren Eltern im Fährweg. Erst mit meiner Geburt endete die Verbindung zur Familie Parisius.
Die Familie meines Vaters lebte in Berlin. Hier, in Berlin- Neukölln, wurde Günther geboren (17.3.1916). Eigentlich stammen seine Eltern, also der Berliner Opa Wilhelm (geb. 3.10. 1877) und die Berliner Oma Martha (geb. 28.1.1889), aus Pommern. Er aus Czersk/Schönwalde, sie aus Bromberg. Durch seinen Beruf kamen sie nach Berlin. Hier war er als Oberzollsekretär beschäftigt. Ihre Kinder, nach dem Alter sortiert: Ruth, Gerda, Günther, Heinz, Horst, Klaus. Von allen lebt 2012 nur noch Horst. Ich habe keine Kontakte zur Kiewat- Familie. Wir sind uns fremd, ich kenne nicht mal alle Cousinen und Cousins. Das ist auch erklärbar: alle Kinder der Kiewat's wurden durch den Krieg und die Deutsche Teilung frühzeitig auseinander gebracht. Ich, wir, lebten in Sachsen- Anhalt, in der sogen. SBZ, andere im Schwäbischen und in Berlin. Ein tiefes Interesse, die Familie wieder ,richtig' zusammen zu bringen, konnte ich bei meinem Vater nie feststellen, bei seinen Geschwistern aber auch nicht. Ausnahme: mit seiner Mutter und den beiden Schwestern Ruth und Gerda hatten wir immer ein herzliches Verhältnis.
Nach Schule und Maler- Lehre kam mein Vater sofort zum Arbeitsdienst, daran schloss sich direkt der Wehrdienst an und danach marschierte er mit der ,Heeres- Flak- Artillerie' nach Polen ein....
Nach dem Polen- Feldzug war mein Vater eine Zeit lang in der Calbenser Kaserne stationiert.
Freizeit gab es damals natürlich auch und so lernte er beim Tanzen im Cafe Eisenhart Marthchen kennen. Es war die große Liebe für Beide, bald stellte er seinen ,langhaarigen Kameraden' den Eltern in Berlin vor und 1942 wurde in Berlin, Prenzlauer Berg, geheiratet.
Mein Vater diente als Unteroffizier und hatte die Funktion eines Oberschirrmeisters inne. In dieser Funktion war er für die Einsatzfähigkeit der Fahrzeuge zuständig. Seinen Sold bekam meine Mutter und sparte ihn für die Zukunft..
Das Hochzeitsfoto meiner Eltern vom 7.03.1942.
Die preußische Kreisstadt Calbe, mit Landratsamt und Amtsgericht, bewohnten zu dieser Zeit etwa 14000 Einwohner. Auch das Schloss existierte noch. Die Stadt zieht sich längs der Saale hin. Ältere, kleine Häuser wechseln mit mehrstöckigen, dazwischen zeigten sich immer wieder die schmucken Höfe der Gemüsebauern. Die historischen Häuser auf dem Markt, allen voran das Rathaus im neo- Renaissance- Stil sowie der nebenstehende mittelalterliche Hexenturm, bilden zusammen ein herrschaftliches Gebäudeensemble. Die mächtige St.- Stephanikirche mit ihren Zwillingstürmen überragt das alles und ist der Mittelpunkt der Stadt. Von der Saale zweigt ein Flussarm ab, der Mühlgraben. Der Name sagt es schon: hier nutzen seit Jahrhunderten Mühlen die Kraft des Wassers. Mühlgraben und Saale vereinigen sich nach wenigen Kilometern wieder und schließen eine Insel ein, den Heger. 1936 konnte die 1000-jährige Erstnennung der Stadt gefeiert werden.
Eine Papierfabrik (die ,Papiermühle'), eine Mahlmühle, Tuchmachereien, Rohkonservenfabriken, die Chemische Fabrik (im Dialekt die ,Jemische'), Apparatebau, Metallverarbeitung, ein Braunkohleschacht, die Zuckerfabrik, eine Ziegelei sowie weitere Mittelständler und Handwerksbetriebe boten genügend Arbeitsplätze. - Das Bördeland mit seinen fruchtbaren Böden war die Basis für viele gut situierte Bauernfamilien. Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln, Zwiebeln und Gemüse gediehen hervorragend auf den bestens gepflegten Feldern. Besonders die Zwiebel liebt den Börde- Boden. Und so bekam Calbe den Beinamen ,Bollen'- Calbe. Calbensisch für Zwiebel = Bolle.
Sportplätze standen zur Verfügung, im (Fluss-)Schwimmbad konnte man Badefreuden genießen, zudem standen ausreichend Kneipen, Restaurants, Ballhäuser und Cafes zur Verfügung, wie auch zwei Kinos. Am Marktplatz, am Anfang der Schlossstraße, in der Querstraße und in der Bernburger Straße befanden sich viele gut sortierte Geschäfte. - Das städtische Krankenhaus habe ich bereits erwähnt. Die Bahnhöfe Calbe-Ost und -West führten in die Ferne.
Calbe war damals nicht schlecht aufgestellt. Es wird sich aber bald sehr viel ändern....
Bei Kiewat's in Berlin, 1941: Opa Wilhelm K. , Marthchen, Ruth, Klaus, Oma Martha K.
Der Fährweg zweigt von der Nienburger Straße ab, führt hinunter zur Saale und in jener Zeit auf die Wilhelmsbrücke. Der Verkehr von und nach Dessau lief über diese Straße. Der Fährweg liegt im Süden von Calbe. Für den Weg zum Marktplatz, d.h. in's Zentrum, benötigte man etwa 25 Minuten (natürlich zu Fuß).
Unsere sonnige Wohnung im 2.OG bestand aus Stube, Kammer und Küche, wie man in Calbe damals sagte. Die Küche diente als allgemeiner Aufenthaltsraum, u.a. mit Küchenschrank, natürlich mit Tisch und Stühle, Wasserbank, Grude, Kanonenofen und Sofa. Was ist eine Grude? Diese findet man in älteren Häusern in der Region um Magdeburg. Ich würde es mit Garkiste übersetzen: ein gemauertes, tischhohes Rechteck mit Blechdeckel. Innen befand sich ein Rost, auf dem die Töpfe standen. Darunter glimmte ein Koksfeuer stundenlang vor sich hin, auch die ganze Nacht über und erzeugte eine mittlere Wärme. In größeren Abständen legte die Hausfrau eine Schaufel voll Koks nach. Ganz besonders gut gelingen da drinnen Kohlrouladen. - In der Stube schliefen meine Mutter und ich. Die Kammer blieb das Schlafgemach der Großeltern. Vom Küchenfenster und der Stube aus blickte man über die Feldmark fast bis nach Bartelshof. Es ist die Zeit, in der Badezimmer und komfortable Wasserversorgung nur in ,besseren‘ Häusern anzutreffen waren. D.h., das Trinkwasser musste bei uns mit Eimern von der zentralen Wasserstelle, unten im Hausflur, geholt und einige Treppen hinauf geschleppt werden. Das war Aufgabe der Frauen. Tägliche Körperpflege? In der Küche. Allergien? was ist denn das? Auf die Toilette? bitte noch ein wenig Geduld.
Das Abwasser, welches im Laufe eines Tages entstand, wurde ebenfalls in einem Eimer gesammelt, runter getragen und an der Schüttstelle, unten im Hausflur, entsorgt. Damals gab es noch an manchen...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte |
ISBN-10 | 3-7534-8392-3 / 3753483923 |
ISBN-13 | 978-3-7534-8392-4 / 9783753483924 |
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