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Das Patriarchat der Dinge (eBook)

Warum die Welt Frauen nicht passt
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7091-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Patriarchat der Dinge -  Rebekka Endler
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Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet. In >Das Patriarchat der Dinge< öffnet Rebekka Endler uns die Augen für das am Mann ausgerichtete Design, das uns überall umgibt. Und sie zeigt, welche mitunter lebensgefährlichen Folgen es für Frauen hat. Unsere westliche Medizin ist beispielsweise - mit Ausnahme der Gynäkologie - auf den Mann geeicht: von Diagnoseverfahren und medizinischen Geräten bis hin zur Dosierung von Medikamenten. Aber auch die Dummys für Crashtests haben den männlichen Körper zum Vorbild - und damit das ganze Auto samt Airbags und Sicherheitsgurten. Der öffentliche Raum ist ebenso für Männer gemacht: Architektur, Infrastruktur und Transport, sogar die Anzahl öffentlicher Toiletten oder die Einstellung der Temperatur in Gebäuden. Wer überlebt einen Herzinfarkt? Wer friert am Arbeitsplatz und für wen ist dieser gestaltet? Für wen sind technische Geräte leichter zu bedienen? Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt. Wenn wir uns das bewusst machen, erscheinen diese Fragen plötzlich in einem neuen Licht. »Rebekka Endler zeigt die Ungerechtigkeiten unserer materiellen Welt.« DIE ZEIT, SACHBUCHBESTENLISTE

Rebekka Endler arbeitet als freie Autorin, Journalistin und Podcasterin. >Das Patriarchat der Dinge< ist ihr erstes Buch.

 

INKLUSIVES VORWORT

Es gibt diese Geschichte, wie eine alte Frau in Pompei mich einmal mit einem Wischmopp verdroschen und als »puttana« beschimpft hat, weil ich auf dem Männerklo pinkeln war und mich nicht in die lange Schlange vor der Frauentoilette eingereiht hatte. Ich habe sie in den letzten fünfzehn Jahren häufig erzählt, sie ist meine kleine Anekdote darüber, welchen Preis meine Unangepasstheit einmal gehabt hat. Das Fazit der Geschichte lautete bisher in etwa so: Wie antiquiert und reaktionär ist doch das Weltbild dieser Frau, und ja, auch länder- und generationenspezifische Kulturunterschiede spielen bestimmt eine Rolle. Hin und wieder diente die Geschichte auch als Beispiel dafür, wie Frauen sich gegenseitig in den Rücken fallen, statt Verständnis für den alltäglichen Struggle des Frauseins aufzubringen. Von alleine bin ich nicht darauf gekommen, dass der Kern des Problems allerdings ganz woanders liegen könnte.

Dann habe ich vor zwei Jahren einen fünfminütigen Radiobeitrag über »Potty Parity« gemacht, was noch nicht einmal meine Idee gewesen war, sondern ein Auftrag. Im Internet fand ich die Dissertation einer Frau, die über Toiletten-Designs promoviert und eigene Urinale für Frauen entwickelt hatte. Bettina Möllring, Professorin für Industriedesign in Kiel, erzählte mir so viel über die Geschichte der Toiletten und all die patriarchalen Ungerechtigkeiten, die unseren Alltag prägen, dass ich das unmöglich alles in fünf Minuten unterbringen konnte. Also machte ich das, was ich immer mache, wenn ich das Gefühl habe, auf journalistisches Gold gestoßen zu sein: Ich recherchierte weiter, und als die Sache rund war, schlug ich meine Geschichte über den Zusammenhang von öffentlichen Toiletten und Patriarchat einigen Redaktionen vor, die längere Formate betreuen (Radio und Print), und erhielt – Absagen. Da es ums Pinkeln ging, mangelte es nicht an Wortspielen: Das Thema habe keine große Dringlichkeit (höhö), Geschichten über Urinale hätten in der Redaktion ein schweres Standing (höhö) … Aber meine Lieblingsabsage lautete schlicht: Das Thema habe weder politische noch gesamtgesellschaftliche Relevanz. Wie grottig muss ich meinen Pitch angepriesen haben, wenn das dabei herauskommt!

Oder bin ich da versehentlich auf etwas anderes gestoßen? Bettina Möllring hat mir von dem Widerstand erzählt, mit dem sie seit Jahrzehnten zu kämpfen hat, wenn männliche Entscheidungsträger die Wichtigkeit von gleichberechtigtem Pinkeln mit einem beschwichtigenden Lächeln abtun – die Politik hat Wichtigeres zu tun, als sich mit so einem Pipifax zu beschäftigen. Es fühle sich an wie ein Kampf gegen Windmühlen, so Möllring. Kämpfte ich jetzt etwa auch gegen Windmühlen? Bloß dass meine männlichen Entscheidungsträger Redakteure und keine Politiker waren?

Bingo.

Dieses Buch ist also meine Recherchereise quer durch die tief verwurzelten patriarchalen Ideen, die unsere Gesellschaft prägen, und über ihren Einfluss auf das ganz alltägliche Design in unserer Umwelt und in unserem Leben. Es ist auch ein Buch über die Wut, die all jene verspüren, die damit begonnen haben, an den bestehenden Strukturen, Ideen und Designs zu rütteln – und darüber, wie sie lernen, mit dem Backlash der patriarchalen Übermacht umzugehen.

Die Geschichte des patriarchalen Designs geht so: Der Mann ist das Maß aller Dinge. Wortwörtlich. Was reale UnannehmlichkeitenI für mindestens 50 Prozent der Bevölkerung bedeutet. Und nicht nur in der Kloschlange. Wer überlebt einen Autounfall? Wer eine Krankheit? Was ist überhaupt eine Krankheit und was nicht? Warum ist Sprache so, wie sie ist? Warum ist Sport so anders, je nachdem, ob Frauen oder Männer ihn betreiben? Für wen ist eine Stadt gebaut? Wieso sind alle großen Straßen männlich? Warum haben meine Jeans unbrauchbare Taschen? Warum ist das Internet so, wie es ist?

Bei der Recherche ist mir schnell klar geworden, dass ich kein Buch über das Patriarchat schreiben kann, ohne auch gleichzeitig über Kapitalismus und Diskriminierung zu schreiben. Denn viele der Geschichten zeigen: Im Zentrum steht immer der Machterhalt. Und wer hat die Macht? Reiche Menschen. Weiße Menschen. Männer. Die meiste Macht entfällt auf den reichen, weißen cis Mann.

Ich habe mit vielen unterschiedlichen Frauen aus unterschiedlichen Generationen für dieses Buch gesprochen. Nur Frauen, das hat sich so ergeben und war nicht von Anfang an geplant, allerdings habe ich schnell gemerkt, dass meine Interviewanfragen bei Männern sonderbare Reaktionen auslösten, auf die ich kurz gesagt schlicht keine Lust hatte.II Lieber Spaß bei der Arbeit haben und mit Wissenschaftlerinnen, Expertinnen, Pionierinnen, Aktivistinnen, Frauen sprechen, die im Laufe ihres Lebens auf Hindernisse gestoßen sind und beschlossen haben, daran zu arbeiten, sie aus dem Weg zu räumen – für sich und für die Personen, die folgen werden. Denn, so viel steht auch fest, aus ihren Geschichten und Erfahrungen sind abseits der betonierten Wege neue Trampelpfade entstanden, die hoffentlich für die kommenden Generationen leichter zu beschreiten sind. Ein Spaziergang durchs Leben für jede und jeden lautet das Versprechen am Ende des feministischen Regenbogens. Ist doch klar!

Aber im Ernst: Ich glaube, wenn wir es schaffen, auch jenseits von akademischen Diskursen und der eigenen progressiven Blase Gespräche über diese Mechanismen in Gang zu setzen, also Aufmerksamkeit auf diese Dinge zu lenken, gewinnen wir alle etwas. Dafür können die Beispiele in diesem Buch ein Anfang sein, es ist kein umfassendes Inventar oder gar eine Enzyklopädie des patriarchalen Designs, denn viel größer als die Menge der Dinge, die hier vorkommen, ist die Menge der Dinge, auf die ich nicht gestoßen bin oder die ich platzbedingt weglassen musste.

Irgendwann im Laufe der Schreiberei fragte mich mein Steuerberater, warum ich denn gerade so wenig Radio mache, und als ich ihm erklärte, dass ich gerade ein Buch über patriarchales Design schreiben würde, war seine Reaktion: »O Gott, muss ich jetzt Angst haben«III

Diese Angst, die Männer heimsucht, sobald Frauen Missstände offenlegen, ist in meiner Recherche allgegenwärtig gewesen. Anfang Mai 2020 veröffentlichte das Funk-Kollektiv STRG_F auf Youtube eine Doku über ein verwandtes Thema, den #GenderDataGap. Impulsgeber ist ein Buch von Caroline Criado-Perez mit dem Titel Unsichtbare Frauen, in dem es darum geht, dass wissenschaftliche Erhebungen, die oft am Anfang von Forschung und Entwicklung stehen, größtenteils von männlichen Daten ausgehen.1 Aus diesem Datenungleichgewicht, das historisch gewachsen ist und sich bis heute hartnäckig hält, ist eine Welt auf männlicher Datenbasis, also aus männlich normierten Berechnungen geworden. Die Doku von STRG_F erhielt innerhalb der ersten Tage auf Youtube mehr als doppelt so viele schlechte Bewertungen wie positive. Und mehrere Tausend wütende Kommentare, hauptsächlich von Typen, die den Eindruck erwecken, die Macher:innen des Films wollten ihnen persönlich etwas wegnehmen.

Männliche Privilegien, so hartnäckig sie sich in unserer patriarchalen Welt halten, so fragil scheinen sie auch zu sein. Der Beweis findet sich in jeder Kommentarspalte unter jeder beliebigen feministischen Veröffentlichung.

Ein langjähriger Freund und älterer Kollege, mit dem ich in unregelmäßigen Abständen über den Recherche- und Schreibprozess gesprochen habe, meinte, ich müsse aufpassen, dass dies kein »biestiges« Buch werde. Abgesehen davon, dass »biestig« gleich neben »zickig« in den Giftschrank der sexistischen Adjektive gehört und mit Sicherheit noch nie als Ratschlag für die Tonalität eines Buches von einem männlichen Autor bemüht wurde, zeigt sich daran noch etwas anderes: Ungerechtigkeit zu bemerken und aufzuschreiben ist in Ordnung, doch wenn daran eine Emotion geknüpft ist, dann bitte nicht so etwas Negatives und unweibliches wie Wut – denn das macht es dann »schwerer, ernst genommen zu werden«. »Da werden Weiber zu Hyänen«, schrieb Friedrich Schiller 1799 in Das Lied von der Glocke – gefährliche Anarchie, wo kämen wir denn hin, wenn wir Frauen uns von Gefühlen leiten ließen. Schlicht unweiblich, nein unmenschlich, ja animalisch.

Soraya Chemaly schreibt in ihrem Buch Speak out!: Die Kraft weiblicher Wut, dass wir in einer Gesellschaft leben, die ganz großartig darin ist, die weibliche Wut zu pathologisieren, anstatt sie ernst zu nehmen und in ihr das Potenzial für den Wandel zu sehen, den wir erleben möchten.2

Wir lernen von klein auf, dass Wut hässlich ist und dass wir Frauen, wenn uns Ungerechtigkeit widerfährt, zwar um Hilfe bitten oder traurig sein dürfen, aber bitte nicht wütend. Logisch: Traurigkeit ist passiv. Eine traurige Frau leidet als Opfer, von ihr geht keine Gefahr für die bestehende Ordnung aus. Wut hingegen hat Aktivierungspotenzial. Wut kann Motivation für ein Buch sein. Oder, wie die amerikanische Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Audre Lorde schrieb: »Wut kann zu etwas wachsen, das sich auf die Gesellschaft wie ›corrective surgery‹ auswirkt.«3 Wenn die Nasenscheidewand so schief ist, dass der Mensch nicht mehr atmen kann, muss die Nase erst gebrochen werden, bevor es besser wird …

Die Wut, die zu diesem Buch geführt hat, habe ich also nicht zensiert, sondern vor meinen Karren gespannt. Aber gleichzeitig habe ich versucht, das fragile männliche Ego mitzudenken und Nasen mit Vorsicht zu brechen – denn wie David Graeber in seinem Buch Bürokratie. Die Utopie der Regeln bemerkt hat,...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Geisteswissenschaften Philosophie Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Benachteiligung von Frauen • Debatte • Design • Diskriminierung • Diskriminierung von Frauen • Emanzipation • ENDLER • Feminismus • feminist • Frau • Frauenbewegung • frau tv beitrag • Gender • Gender Data Gap • Gender Studies • Geschlecht • Gesellschaft • Gleichberechtigung • Homosexualität • its a mans world • katja lewina • Lebensgefahr • Machtstrukturen • männergemacht • Margarete Stokowski • Maß aller dinge • moma buchtipps • Morgenmagazin • patriarchat der dinge • Sexismus • sexistisch • Sexualität • Sophie Passmann • Starke Frau • Umwelt • unfair • Ungerechtigkeit • Ungleichheit • Unsichtbare Frauen • Unterdrückung der Frau • Unterschied frauen und männer
ISBN-10 3-8321-7091-X / 383217091X
ISBN-13 978-3-8321-7091-2 / 9783832170912
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