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Virtuose Niedertracht (eBook)

Die Kunst der Beleidigung in der Antike

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
223 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76624-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Virtuose Niedertracht - Dennis Pausch
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«Das Gesicht wie die Miene: Tod, Gelbsucht, Gift!» - «Du bist ein Lüstling, ein Vielfraß, ein Glücksspieler!» - Für die Antike waren dies noch sehr maßvolle Beschimpfungen. Selbst ein Virtuose des geschliffenen Wortes wie Cicero führte den schweren Säbel der verbalen Auseinandersetzung mindestens ebenso gern wie das elegante Florett. In diesem Band bieten die besten Lehrmeister Roms anhand zahlreicher Beispiele und ihrer Geschichten eine unterhaltsame Fortbildung in der Kunst der Beleidigung.
Dass ausgerechnet Cicero eines Tages klagte, in einer so schmähsüchtigen Stadt wie Rom zu leben (in tam maledica civitate), ist nicht frei von Komik. War doch der unumstrittene Meister der antiken Rhetorik zugleich ein Großmeister der Beleidigung. So bedachte er eines Tages einen politischen Gegner mit den Worten: «Du schwarzes Nichts, du Stück Kot, du Schandfleck»- und das war nur der Auftakt seiner Unfreundlichkeiten, die er für ihn parat hatte. Gleichgültig ob Politiker, Dichter oder Philosophen - sie alle wussten kräftig auszuteilen, wenn ihnen jemand in die Quere kam. Nicht einmal Verstorbene waren vor Beleidigungen sicher, wie etwa der verblichene Kaiser Claudius, dem Seneca nicht standesgemäß die Vergöttlichung, sondern stattdessen die Verkürbissung zuteilwerden ließ. Selbst der große Julius Caesar war nicht davor gefeit, Ziel wüstester Beleidigungen zu werden, wobei ihn gelegentlich sogar die eigenen Soldaten aufs Korn nahmen: «Städter, passt auf eure Frauen auf! Wir bringen den kahlen Buhlen. Dein Gold hast du in Gallien verhurt, hier hast du es geliehen. Dennis Pausch hat jedoch nicht nur ein «Best of» antiker Beleidigungen geschaffen, sondern erzählt stets auch die dazugehörigen Geschichten, wann und warum einst die verbale Keule kreiste. Entstanden ist ein ebenso informatives wie unterhaltsames und für Freunde der gepflegten (und auch weniger gepflegten) Beschimpfung inspirierendes Lesevergnügen.

Dennis Pausch ist Professor für Klassische Philologie/Latein an der Technischen Universität Dresden. Er forscht zu antiker Geschichtsschreibung und (auto-)biographischen Texten. Die Kunst der Beleidigung bildet seine Lieblingsbeschäftigung im Rahmen eines Forschungsprojekts zu sprachlichen Herabsetzungen im 1. Jahrhundert v. Chr.

III.

Ars invectiva oder: Die ‹Schule der Schmähung› in der antiken Rhetorik


Was konnte nun derjenige tun, dem das Talent zur Schmähung nicht bereits in die Wiege gelegt worden war, der in einer tam maledica civitate aber auch nicht darauf verzichten konnte oder wollte? Wenn er das Glück hatte, den gesellschaftlichen Kreisen anzugehören, die sich nicht nur den Besuch einer Schule leisten konnten, in der Lesen und Schreiben gelehrt wurde, sondern ihre Kinder danach auch noch zum Grammaticus und zum Rhetor schickten, so lernte er vor allem auf der höchsten Stufe des antiken Bildungssystems die einschlägigen Techniken intensiv kennen. Gehörte doch die Fertigkeit, sein Gegenüber mit sprachlichen Mitteln zu verspotten und herabzusetzen, durchaus zu den zentralen Inhalten und Kompetenzen, die im Rahmen der rhetorischen Ausbildung vermittelt wurden. Man könnte also innerhalb des großangelegten Bildungsprogramms der Redekunst, der ars rhetorica, tatsächlich von einer ars invectica sprechen und sie sich als eine Art ‹Schulfach Schmähung› oder – wie man heute eher sagen würde – ein ‹Modul Mobbing› vorstellen.

Paradoxerweise sind es zum Teil dieselben Denker und Philosophen, die in ihren Gesellschaftsentwürfen jede Art von Beleidigung scharf ablehnten und doch zugleich bereit waren, die einschlägigen Techniken ganz praktisch als Teil der Redekunst zu lehren. Letztlich handelt es sich hierbei jedoch nur um einen Sonderfall der moralischen Neutralität der Rhetorik, also der stets gegebenen Möglichkeit, sie auch zum Schlechten zu verwenden, und damit um ein Problem, für das damals wie heute noch keine überzeugende Lösung gefunden wurde. Dass sich die Autoren aber doch unwohl damit fühlten, Ratschläge zur sprachlichen Herabsetzung zu erteilen, sieht man daran, dass sie die Tadel- oder Scheltrede (ψόγος/psógos bzw. vituperatio) zumeist als ein scheinbar weniger wichtiges Gegenstück zur Lobrede (ἔπαινος/épainos bzw. laus) behandelten und sie auf diese Weise hinter ihrer ‹freundlicheren Schwester› versteckten.

Dies zeigt sich besonders deutlich in der Rhetorik des Aristoteles aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. und damit in einer der ersten für uns noch greifbaren Schriften, die sich diesem Thema widmen. So sind es diese beiden Formen, die er in seinem einflussreichen Schema der drei rhetorischen Gattungen – der beratenden, der juristischen und der Festrede – als epideiktisch zusammenfasst und darunter vor allem solche Reden versteht, die zu feierlichen Anlässen vor der ganzen Bürgerschaft und mit der Absicht gehalten werden, Tugenden und Laster Einzelner allen vor Augen zu führen (der lateinische Begriff wird dann genus demonstrativum lauten).[1] Sowohl an dieser Stelle als auch später in der Schrift, wenn er konkrete Ratschläge dafür gibt, wie solche Reden aufzubauen sind, spricht er zwar nur von der lobenden Variante, hält am Ende aber fest, dass er auch die Schmährede bereits behandelt habe, da man hierfür einfach nur alle Empfehlungen umgekehrt befolgen müsse, schließlich ergebe sich der Tadel ja aus dem Gegenteil des Lobes.[2]

Etwa zur selben Zeit ist die Rhetorica ad Alexandrum entstanden, die als frühestes Beispiel für ein anwendungsorientiertes Lehrbuch gilt, das vor allem die praktische Umsetzung im Blick hat.[3] Auch hier erscheint der Tadel als Sonderform des Lobes, wird aber ausführlicher behandelt und mit konkreten Empfehlungen verbunden.[4] So wird dem Redner nahegelegt, auf direkte Angriffe zu verzichten und sich stattdessen entweder der Anspielung und Ironie zu bedienen oder aber eine konkrete – wenn auch nicht unbedingt wahre – Begebenheit zu schildern:[5]

Denn Geschichten sind überzeugender für die Zuhörer als Beleidigungen und kränkender für die Geschmähten: Zielen Beleidigungen doch auf ihre äußere Erscheinung und auf ihren Besitz, Geschichten aber spiegeln ihr Verhalten und ihren Charakter wider.

Wenn wir uns mit diesen Ratschlägen im Hinterkopf nun nach Rom begeben und nach den ältesten Werken Ausschau halten, die dort im Zusammenhang mit der rhetorischen Ausbildung entstanden sind und sich erhalten haben, so landen wir in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. und bei einer Jugendschrift Ciceros. Sie hört heute auf den Namen De inventione und behandelt mit dem Finden von Ideen für den jeweiligen Anlass nur den ersten Arbeitsschritt des Redners, weil Cicero sich später dagegen entschieden hat, weiter im Format eines systematischen Lehrbuches über die Rhetorik zu schreiben, und elaborierteren Formen wie in seinem berühmten Dialog De oratore den Vorzug gegeben hat.[6] Gerade die stärker praktisch geprägte Behandlung der Vorbereitung für eine vituperatio in diesem Lehrwerk kann aber einen guten Einblick in den zeitgenössischen Wissensstand geben, auch wenn in Rechnung zu stellen ist, dass die Vermittlung rhetorischer Kompetenzen die ganze Antike hindurch und ganz besonders in der face to face society der römischen Republik – in der jeder jeden sozusagen von Angesicht kannte – in erster Linie auf der Grundlage eines Meister-Schüler-Verhältnisses oder durch den Unterricht bei einem professionellen Redelehrer erfolgte.

Cicero kommt auf unser Thema im Zusammenhang mit den Argumenten zu sprechen, die sich für den Redner aus den beteiligten Personen gewinnen lassen (ex personis). Wie schon die griechischen Theoretiker verweist er dabei für die positive und für die negative Charakterisierung auf dieselben Gegenstandsbereiche als Stichwortgeber: nomen (Name), natura (körperliche Beschaffenheit), victus (Lebensführung), fortuna (gesellschaftliche Stellung), habitus (mentale Haltung), affectio (emotionale Verfasstheit), studia (geistige Interessen), consilia (Absichten), facta (Taten), casus (Schicksal), orationes (Reden).[7] Diese werden danach weiter ausdifferenziert und mit Beispielen für eine Darstellung zum Guten wie zum Schlechten veranschaulicht.[8]

Ganz ähnlich geht die zur selben Zeit entstandene und früher ebenfalls Cicero, heute aber einem anonymen Verfasser zugeschriebene Rhetorica ad Herennium vor, die noch stärker den Charakter eines Lehrbuchs aufweist.[9] Auch in diesem Werk werden zunächst weitgehend dieselben Themenbereiche genannt, denen der Redner inhaltliche Anregungen für die lobende oder die tadelnde Darstellung entnehmen kann. Darüber hinaus werden aber auch die weiteren Arbeitsschritte berücksichtigt und konkrete Empfehlungen dafür gegeben, wie man das Publikum von Anfang an richtig einstimmen kann und wie eine solche Rede im Einzelnen zweckdienlich aufzubauen ist.[10] Am Ende dieses Abschnittes findet sich noch der bezeichnende Hinweis, dass der angehende Redner diesen Punkt in seiner Ausbildung keinesfalls vernachlässigen soll: Zwar gebe es nur selten Gelegenheit zu Lob- oder Tadelreden in Reinform, dennoch sei die Fertigkeit, Personen gut oder schlecht aussehen zu lassen, auch bei vielen anderen Anlässen und Auftritten von großem Nutzen.[11]

Daran hat sich trotz des Übergangs von der Republik zur Monarchie in Rom offenbar nicht viel geändert, wenn Quintilian gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. auf seine Tätigkeit als Rhetoriklehrer zurückblickt und mit seiner Institutio oratoria ein weit über die Antike hinaus einflussreiches Lehrwerk vorlegt.[12] Das zeigt sich nicht nur, wenn er Aristoteles’ Annahme eines eigenen genus demonstrativum in Frage stellt und dafür auf die Allgegenwart positiver wie negativer Bewertungen in seiner Zeit verweist,[13] sondern auch, wenn er eher nebenbei festhält, dass Redner oft dann besonderen Anklang finden, wenn sie ins Schimpfen verfallen, «da die Menschen das am liebsten hören, was sie selbst nicht hätten sagen wollen».[14] Er selbst empfiehlt seinen Schülern aber, auf dieses Mittel so weit wie möglich zu verzichten, weil es unter ihrer Würde und für die vertretene Sache letztlich kontraproduktiv sei,[15] obwohl es ihre Mandanten oft erwarteten[16] und bestimmte Situationen ein gewisses Maß an Schlagfertigkeit erforderten, wie die altercatio, der Schlagabtausch, der sich an den...

Erscheint lt. Verlag 13.5.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte Aggression • Altertum • Antike • Battle-Rap • Beleidigung • Beleidigungskultur • Diffamierung • Geschichte • Ironie • Literatur • Römer • Schmähung • Spott • Sprache
ISBN-10 3-406-76624-2 / 3406766242
ISBN-13 978-3-406-76624-4 / 9783406766244
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