Tiere wie wir (eBook)
346 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76546-9 (ISBN)
Hat das Leben eines Tieres einen anderen Wert als das eines Menschen? Nein, sagt die Harvard-Professorin Christine M. Korsgaard und begründet in ihrem Buch 'Tiere wie wir', warum Tiere nicht getötet oder benutzt werden dürfen. Sie belässt es aber nicht bei der abstrakten Analyse, sondern erörtert an konkreten Beispielen, warum die handelsüblichen Rechtfertigungen von Massentierhaltung und Tierversuchen moralisch unhaltbar sind. Ihr radikales Buch setzt einen neuen Maßstab in der Debatte und gilt als wichtigster Beitrag zur Tierethik seit Peter Singer.
Christine Korsgaard setzt bei der Grundfrage an, was der Wert eines Lebens ist. In einer klar vorgetragenen, von Kants Moralphilosophie und einer Theorie des Guten nach Aristoteles ausgehenden Argumentation gelangt sie zu weitreichenden Schlussfolgerungen: Menschen sind nicht wichtiger als Tiere, und unsere moralische Natur macht uns Tieren auch nicht überlegen. Stattdessen ist es unsere Empathie, die uns erkennen lässt, dass Tieren als bewussten Wesen ebenso wie Menschen ein 'Zweck an sich selbst' im Sinne Kants inne sind. Damit erweitert sie Kants Ideen einer moralischen Gemeinschaft grundlegend: Menschen haben nicht nur gegenüber Mitmenschen, sondern auch gegenüber Tieren moralische Pflichten. Anhand praktischer ethischer Fragen veranschaulicht die Philosophin schließlich, warum das Erniedrigen oder Töten von Tieren in keinem Fall moralisch gerechtfertigt ist.
'Korsgaards vertritt unbestreitbar eine starke und wenn sie sich durchsetzt, dann wird sie eine der größten moralischen Transformationen in der Geschichte der Menschheit zur Folge haben.'
Thomas Nagel, The New York Review of Books
- Dürfen wir das Wohl der Tiere unseren Bedürfnissen unterordnen?
- Die Achtung des Tierwohls als ethische Grundfrage unserer Gesellschaft
- Ist die Würde der Tiere unantastbar oder heiligt der Zweck die Mittel?
- Das bedeutendste Werk zur Tierethik seit Peter Singer
- Die Autorin setzt neue Maßstäbe in der Debatte um den Tierschutz
Christine M. Korsgaard ist seit 1991 Professorin für Philosophie an der Harvard University. Zuvor hat sie unter anderem an der Yale University, der University of California at Santa Barbara und der University of Chicago gelehrt. Sie ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und arbeitet zu Moralphilosophie, praktischer Vernunft, Handlungsfähigkeit und Tierethik.
1 Sind Menschen wichtiger als andere Tiere?
Wir alle sind in moralischer Ahnungslosigkeit geboren und halten die Welt für ein Euter, das unser großartiges Ich zu stillen hat. Dorothea war früh aus dieser Ahnungslosigkeit erwacht, doch es war ihr leichter gefallen sich auszumalen, wie sie sich Mr. Casaubon widmen würde, um durch seine Stärke und Weisheit stark und weise zu werden, als mit jener Klarheit, die nicht dem Nachdenken, sondern dem Fühlen entspringt – einer Vorstellung so unmittelbar wie ein Sinneseindruck, so greifbar wie ein Gegenstand –, zu erkennen, dass auch er ein Zentrum seiner selbst hatte, von dem aus Licht und Schatten sich stets etwas anders verteilten.
George Eliot, Middlemarch[1]
1.1 Einleitung
1.1.1 Wir teilen die Welt mit Mitgeschöpfen. Aber das kann ich nicht einfach sagen, oder? Denn das Wort «wir» ist überladen mit Vorannahmen darüber, wer wir sind und wer die anderen, mit allem, was diese Unterscheidung mit sich bringt. Mit «wir» meine ich hier, wie unter Philosophen üblich, «wir Menschen». Aber wenn ich auf diese Weise «wir» sage, geht es mir weniger darum, für wen ich spreche, als vielmehr darum, zu wem ich spreche, zu uns menschlichen Wesen, die wir Pflichten haben und Bücher lesen können, in denen gefragt wird, worin diese Pflichten bestehen mögen. Denn vielleicht gibt es ein anderes «Wir», das ich hätte gebrauchen können, ein «Wir», das alle Tiere einschließt, das zur Sprache bringt und anerkennt, dass wir ein Schicksal miteinander teilen. Und auch das Verb share, «miteinander teilen», ist voraussetzungsvoll. Wenn jemand Sie abhört, teilen Sie nicht eigentlich ein Geheimnis mit ihm. Sie teilen auch nicht Ihr Haus mit einem Eindringling, oder Ihr Land mit einem Kolonialherren, mag auch in jedem dieser Fälle gelten, dass er hat, was auch Sie haben. To share, «miteinander teilen», meint mehr als das. Es meint, dass Sie etwas gemeinsam haben, dass Sie es beide zu Recht besitzen, dass sie ein gemeinsames Recht darauf haben. Creatures, «Geschöpfe» oder «Wesen», ist das Wort, das ich verwende, wenn ich sowohl über Menschen als auch über andere Tiere sprechen will. Ich könnte einfach «Tiere» sagen, da wir Menschen ebenfalls Tiere sind, aber das würde vielleicht Verwirrung stiften, so oft wie «Mensch» und «Tier» einander gegenübergestellt werden. Etymologisch lässt «Geschöpf» an ein Geschaffenes denken, und das wiederum legt den Gedanken an ein Wesen nahe, das von jemandem, zum Beispiel einem Gott, erschaffen wurde. Aber es ist nicht diese Bedeutung, auf die es mir ankommt, sondern eine, die traditionell mit ihr verknüpft ist, vor allem dann, wenn «Geschöpf» in Verbindung mit «Mit-» verwendet wird. Dass wir «Mitgeschöpfe» sind, heißt, dass wir etwa so miteinander verbunden sind wie Kinder derselben Familie, so, als wären wir alle Kinder desselben elterlichen Gottes. So ist fast alles, wovon ich Sie überzeugen möchte, bereits in diesem Eingangssatz enthalten. Wenn Sie sich gegen diesen Satz nicht schon gesperrt haben, bevor ich mit meinen Ausführungen begonnen habe, dann habe ich vielleicht eine Chance.
1.1.2 Wir teilen die Welt mit Mitgeschöpfen. Das heißt, wir teilen die Welt mit anderen Lebewesen, die in unterschiedlichem Maße gefühlsbegabt, intelligent und ihrer selbst bewusst sind. Wie wir selbst sind diese anderen Geschöpfe in die Welt geworfen und müssen elementare Lebensaufgaben bewältigen. Sie müssen sich ernähren, Kinder aufziehen und mit all den Schwierigkeiten und Gefahren zurechtkommen, die es mit sich bringt, all das in einer Welt zu tun, in der andere mit konkurrierenden Interessen dasselbe zu tun versuchen. Wir essen diese Mitgeschöpfe, ziehen sie zu diesem Zweck in industriellen Tierzuchtbetrieben auf, zwingen sie, für uns zu arbeiten und mit uns zu leben, führen Versuche an ihnen durch, stellen Produkte aus ihnen her, entscheiden, wo sie leben dürfen, und töten sie, wenn sie unseren Plänen in die Quere kommen. Und wir töten oder verletzen oder beherrschen sie auch allen Arten des Sports und der Unterhaltung zuliebe. Diese Praktiken werfen ganz offenbar moralische Fragen auf. Auf diese Fragen werde ich in diesem Buch eingehen: Ob wir moralische Pflichten gegenüber den anderen Tieren haben, worin sie bestehen und wodurch sie begründet sind.
1.1.3 Zu diesen Fragen hatten die Philosophen, und diese Tatsache ist selber von philosophischem Interesse, über die Jahrhunderte erstaunlich wenig zu sagen. Bevor 1975 Peter Singers Animal Liberation erschien, gab es kaum philosophische Abhandlungen darüber, was wir anderen Tieren schulden. Das verwundert umso mehr, als sich die Frage, wie wir mit anderen Tieren umgehen sollen, in einer entscheidenden Hinsicht von anderen praktischen Fragen unterscheidet, die Philosophen heutzutage gerne diskutieren. Die meisten moralischen Fragen, über die wir in der Philosophie sprechen, stellen sich im Alltagsleben kaum und werden aufgeworfen, um Grundzüge ethischer Theorien zu illustrieren. Andere sind dringlicher, aber es sind in erster Linie Regierungsmitglieder oder Ärzte mit ihnen konfrontiert. Gewiss, in kritischen Augenblicken Ihres Lebens mögen Sie vor der Frage stehen, ob Sie eine Abtreibung vornehmen oder die medizinische Versorgung eines Angehörigen beenden lassen sollen. Aber die wenigsten von uns werden als Individuen je die Entscheidung treffen müssen, ob sie einen Terroristen foltern sollen, der weiß, wo die tickende Bombe liegt, auch wenn wir über Gesetze abstimmen, die diese Frage betreffen. Und ich mache jede Wette, dass kein Leser dieses Buchs je zu entscheiden haben wird, ob er einen dicken Mann vor eine Straßenbahn stoßen soll, die andernfalls ungebremst auf fünf ans Gleis gefesselte Unschuldige zurollt.[2] Dagegen treffen wir alle jeden Tag eine ganze Reihe von Entscheidungen darüber, wie wir andere Tiere behandeln: Wenn wir beschließen, was wir essen, welche Kleider wir tragen, welche Medikamente wir nehmen und welche Produkte wir auf unseren Körpern, in unseren Wohnungen, in unseren Gärten benutzen. Die Entscheidungen, die davon abhängen, was Sie über die in diesem Buch behandelten Fragen denken, sind Entscheidungen, die Sie heute treffen.
1.1.4 Dass Philosophen zu diesen Fragen so wenig zu sagen wussten, ist rätselhaft nicht bloß wegen ihrer moralischen Dringlichkeit, sondern auch, weil das Nachdenken über die anderen Tiere und darüber, in welchem Verhältnis wir zu ihnen stehen, ob wir sie töten, essen, Versuche an ihnen durchführen sollen, uns mitten ins existenzielle Zentrum der Philosophie versetzt. Sie können diese Fragen nicht aufwerfen, ohne sich zugleich Fragen wie die folgenden zu stellen: Warum und in welcher Weise ist der Tod von Bedeutung? Warum und in welcher Weise sind wir, das heißt wir Menschen, von Bedeutung? Sind Menschen tatsächlich nur ungewöhnlich intelligente Tiere, oder ist etwas an uns prinzipiell anders? Und wenn ja, wie sollte sich das darauf auswirken, wie wir mit den anderen Tieren umgehen? Was heißt es, menschlich zu sein? Kann es wirklich sein, dass Menschen einfach irgendwie wichtiger als andere Tiere sind? Ist dies überhaupt eine sinnvolle Behauptung? Darüber nachzudenken, wie wir zu unseren Mitgeschöpfen stehen, ist eine Weise des Nachdenkens über Fragen, die bei den meisten von uns das Interesse an Philosophie allererst geweckt haben und die Philosophie zu einem so wesentlichen Teil des Menschseins machen.
1.2 Gründe dafür, Menschen und Tiere unterschiedlich
zu behandeln
1.2.1 In diesem Kapitel möchte ich zunächst auf eine Ansicht eingehen, von der ich glaube, dass sie von vielen geteilt wird: Menschen sind einfach wichtiger als andere Tiere.
Die meisten Menschen sind sich darüber einig, dass wir den anderen Tieren gegenüber eine Reihe von Pflichten haben, dass wir sie, wie es heißt, möglichst «human» behandeln sollten. Eine Katze zu häuten oder aus jugendlichem Übermut anzuzünden, ist denn auch in der philosophischen Literatur eines der Standardbeispiele offenkundigen...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2021 |
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Übersetzer | Stefan Lorenzer |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Artensterben • Empathie • Ethik • Massentierhaltung • Moralische Pflichten • Moralphilosophie • Philosophie • Rechtfertigung • Tiere • Tierethik • Tierversuche • Töten von Tieren • Wert des Lebens |
ISBN-10 | 3-406-76546-7 / 3406765467 |
ISBN-13 | 978-3-406-76546-9 / 9783406765469 |
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Größe: 3,2 MB
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