Hume. Eine Einführung (eBook)
166 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961830-2 (ISBN)
Frank Brosow, geb. 1977, ist akademischer Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Frank Brosow, geb. 1977, ist akademischer Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Einleitung:
Was macht einen philosophischen Klassiker aus?
Die Wissenschaft vom Menschen
Grundbegriffe und Methodik
Die Vernunft und ihre Grenzen
Was ist Kausalität?
Freiheit und Determinismus
Der Mechanismus der Affekte
Das Scheingefecht zwischen Vernunft und Gefühl
Lässt sich über Geschmack streiten?
Sein und Sollen
Das moralische Gefühl
Natürliche und künstliche Tugenden
Recht und Gesellschaft
Die Irrtümer der Religion
Wie man philosophieren soll
Hume heute: Was bleibt?
Anmerkungen
Kommentierte Auswahlbibliografie
Schlüsselbegriffe
Zeittafel
[21]Grundbegriffe und Methodik
Der Schlüssel zum Verständnis einer philosophischen Theorie liegt in der Klärung ihrer zentralen Begriffe.11 Nach der groben Einbettung der Hume’schen Philosophie in ihren geistesgeschichtlichen Kontext gilt es daher als Nächstes, sich Klarheit über die von Hume verwendete Sprache zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielen anderen philosophischen Autoren bedient er sich keiner komplizierten Fachsprache, sondern greift überwiegend auf Begriffe der Alltagssprache zurück. Gerade das macht es jedoch oftmals schwer, zu erkennen, welche der von ihm verwendeten Ausdrücke austauschbar sind und welche er als Termini technici verwendet, also als Fachausdrücke, denen er innerhalb seiner Theorie eine ganz bestimmte, vom Alltagsgebrauch mehr oder weniger stark abweichende Bedeutung zuweist.
Den Ausgangspunkt für Humes gesamte Philosophie bilden die sogenannten Perzeptionen (perceptions).12 Darunter versteht er alle Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, Wünsche und sonstigen Bewusstseinsinhalte. Der Begriff des Perzipierens umfasst damit all das, was bei Descartes unter den Begriff des Denkens (cogitare) gefasst wird. Wie Descartes geht auch Hume davon aus, dass wir an der Existenz dieser Bewusstseinsinhalte, mithin an der Tatsache, dass es so etwas wie Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen gibt, nicht sinnvoll zweifeln können. Der Rationalist Descartes meint jedoch, die Unbezweifelbarkeit der Existenz von Bewusstseinsinhalten, zum Beispiel des geistigen Aktes des Zweifelns selbst, versichere uns der Existenz eines Ichs, also einer denkenden Substanz als Träger dieser Bewusstseinsinhalte. Daher der berühmte Satz: Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.13 Diesen Schritt geht Hume nicht mit. Unmittelbar einsehbar ist für ihn nur die Existenz konkreter Perzeptionen, [22]nicht jedoch die Existenz von etwas so Allgemeinem wie einer Substanz.
Die Perzeptionen unterteilt Hume in Eindrücke (impressions) und Vorstellungen bzw. Ideen (ideas). (Vgl. T 1.1.1.1; SBN 1; EHU 2.3; SBN 18.) Unter Eindrücken versteht er Perzeptionen, die unmittelbar und mit großer Lebhaftigkeit erfahren werden. Sie repräsentieren nichts, sondern sind ursprüngliche Entitäten.14 Zu ihnen gehören Gefühle, Wünsche und Sinneswahrnehmungen. Vorstellungen sind hingegen die schwächeren und weniger lebhaften Abbilder von Eindrücken. Von Vorstellungen spricht Hume, wenn wir uns etwa an ein Gefühl erinnern, das nicht mehr gegenwärtig ist, oder uns lediglich vorstellen, einen bestimmten Gegenstand zu sehen.
Eindrücke und Vorstellungen lassen sich jeweils weiter in einfache (simple) und zusammengesetzte (complex) unterteilen. Während Sie dieses Buch in Händen halten und diese Zeilen lesen, haben Sie nach Hume den komplexen Eindruck eines Buches, der sich aus verschiedenen haptischen und visuellen (einfachen) Eindrücken zusammensetzt. Wenn Sie das Buch weglegen, die Augen schließen und an das Buch denken, ist es Ihrem Geist als eine zusammengesetzte Vorstellung präsent. Aus dieser können Sie einfache Vorstellungen isolieren, indem Sie beispielsweise gezielt daran denken, wie sich das Buch angefühlt hat.
Humes weitere Unterteilung der Perzeptionen ist einigermaßen komplex, für ein angemessenes Verständnis seiner Philosophie jedoch unverzichtbar. Das folgende Schema mag dabei als grobe Orientierungshilfe dienen:
[23]Gemäß der von Hume gewählten Reihenfolge gehe ich zunächst auf den Bereich der Vorstellungen ein. Ein zentraler Streitpunkt zwischen Rationalisten und Empiristen ist die Frage, ob es angeborene Ideen gibt. Descartes hält das für erwiesen, der Empirist Locke hingegen bestreitet es.15 Hume gibt im Wesentlichen Locke recht, kritisiert jedoch, dass der Begriff der Idee (idea) bei Locke auch diejenigen Perzeptionen einschließt, die Hume selbst als Eindrücke bezeichnet. Bestimmte Eindrücke, zum Beispiel Emotionen oder das Hungergefühl eines Säuglings, können nach Hume durchaus als angeboren bezeichnet werden. Für Vorstellungen gilt genau das jedoch nicht. Nach Hume muss zumindest jeder einfachen Vorstellung ein ihr zeitlich vorangehender, einfacher Eindruck entsprechen.16 Man bezeichnet das auch als Copy-These.17 Ein von Geburt an Blinder kann keine Vorstellung von etwas Rotem haben, weil er noch nie eine Farbwahrnehmung hatte.
Mithilfe unserer Einbildungskraft (imagination) können wir allerdings verschiedene einfache Vorstellungen zu immer komplexeren Vorstellungen kombinieren. Um mir ein goldenes Einhorn vorstellen zu können, muss ich also nicht unbedingt schon einmal eines gesehen haben; es reicht aus, wenn ich schon einmal etwas Goldenes, ein Pferd und ein Horn gesehen habe. Ein mindestens ebenso wichtiges Vermögen ist [24]für Hume das Erinnerungsvermögen (memory), das im Vergleich zur Einbildungskraft deutlich lebhaftere Vorstellungen hervorbringt.18 Auf diese Weise ist es uns möglich, zwischen der Erinnerung an reale Erlebnisse und bloßen Fiktionen zu unterscheiden. So erkennen wir die Vorstellung eines Einhorns nach Hume als Fantasieprodukt, weil wir sie ganz anders (weniger lebhaft) perzipieren als etwa die Vorstellung eines Nashorns (sofern wir schon einmal eines gesehen haben).
Durch diesen Ansatz meint Hume die Entstehung all unserer Vorstellungen erklären zu können. Doch was ist mit allgemeinen Vorstellungen wie denen von Obst, Werkzeug oder Säugetieren? Liegen derartigen Vorstellungen ebenfalls Eindrücke zugrunde? In gewisser Weise ist das so. Hume folgt hier im Wesentlichen der Theorie von George Berkeley.19 Er vertritt die Auffassung, dass uns allgemeine oder abstrakte Vorstellungen (abstract or general ideas) stets in Form von konkreten Vorstellungen präsent sind. (Vgl. T 1.1.7.1–18; SBN 17–25.) Wenn ich Sie jetzt zum Beispiel auffordere, an ein Werkzeug zu denken, so wird der allgemeine Begriff »Werkzeug« bei Ihnen die Vorstellung an ein bestimmtes Werkzeug hervorrufen, möglicherweise an den Hammer, den Sie unlängst verwendet haben. Stelle ich den Begriff »Werkzeug« dann allerdings in einen bestimmten Kontext, etwa in den der Elektroinstallation, so wird jene konkrete Vorstellung in Ihrem Geist vielleicht durch eine andere, passendere Vorstellung ersetzt, zum Beispiel durch die eines kleinen, roten Schraubenziehers. Ihr Begriff und Ihre allgemeine Vorstellung von Werkzeug ändern sich nicht, doch die konkrete Vorstellung, durch die Ihnen die abstrakte Vorstellung mental präsent ist, passt sich dem jeweiligen Kontext an.
Nach Hume gibt es noch eine zweite Art, wie wir zu abstrakten Vorstellungen kommen können. Woher stammt beispielsweise Ihre Vorstellung von »rund«? Haben Sie jemals einen [25]einfachen Eindruck von Rundheit gehabt? Hume bestreitet das. Sie haben jedoch die Erinnerung an Einzeldinge, die rund sind. Die Vorstellung des Runden ist Ihnen stets durch eines dieser konkreten Einzeldinge präsent, durch die Vorstellung eines gezeichneten Kreises oder einer weißen Marmorkugel etc. Wir alle haben gelernt, dass Begriffe wie »rund« bestimmte Gemeinsamkeiten dieser Einzeldinge bezeichnen. Rund ist für uns nach Hume das, was der Fußball im Garten, der Teller auf dem Tisch und der Buchstabe O gemeinsam haben. Wann immer wir den Begriff hören, tritt die Vorstellung einzelner runder Dinge in unser Bewusstsein, und wir abstrahieren von allen Eigenschaften, die diese Dinge nicht miteinander gemeinsam haben.
Doch wie kommt es überhaupt, dass die Erwähnung eines bestimmten Wortes die Vorstellung eines bestimmten Einzeldings hervorruft? Und wie gelangen wir in unserem Denken von einer Vorstellung zu einer anderen? Nach Hume vollzieht sich der Übergang zwischen zwei Vorstellungen nach drei Assoziationsprinzipien (principles of association). (Vgl. T 1.1.4.1; SBN 10 f.; EHU 3.2; SBN 24.) Bei diesen handelt es sich um Ähnlichkeit (resemblance), raum-zeitliche Nähe (contiguity) und das Prinzip von Ursache und Wirkung (cause and effect). Wenn Sie an einen Ort zurückkehren, an dem Sie lange nicht waren, wird Ihr Denken in der Regel auf Dinge gelenkt, die Sie während Ihres letzten Aufenthalts dort oder in der unmittelbaren Umgebung gesehen oder getan haben. Als Kleinkinder lernen wir die Bedeutung vieler Wörter, indem Erwachsene das Wort aussprechen, während wir einen Eindruck des Gegenstandes haben, den es bezeichnet. Durch das zeitliche Nebeneinander von Wort und Gegenstand werden die Vorstellungen von beidem so eng miteinander verknüpft, dass die Vorstellung des Wortes unser Denken unwillkürlich auf die Vorstellung des Gegenstandes lenkt. (Die Stärke dieser Verknüpfung lässt sich [26]leicht an einem Beispiel demonstrieren: Versuchen Sie einmal, jetzt nicht an einen Fußball zu denken!) Ähnlich liegt der Fall, wenn man Kindern Wörter mithilfe eines Bilderbuchs beibringt. Hier kommt das Prinzip der Ähnlichkeit zwischen dem Bild und dem Abgebildeten hinzu. Die Ähnlichkeit ist es auch, die Kindern die Erkenntnis erlaubt, dass nicht jedem Einzelding ein eigener Begriff entspricht, sondern dass verschiedene Einzeldinge oft durch denselben Begriff bezeichnet werden oder dass zwei nahezu identische, zeitlich auseinanderliegende Eindrücke oft Perzeptionen...
Erscheint lt. Verlag | 12.2.2021 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
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ISBN-10 | 3-15-961830-7 / 3159618307 |
ISBN-13 | 978-3-15-961830-2 / 9783159618302 |
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