Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie - PITT (Leben Lernen, Bd. 320) (eBook)
304 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12122-3 (ISBN)
Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Von 1985 bis 2003 war sie Leiterin der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und entwickelte dort ein Konzept zur Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, die »Psychodynamisch imaginative Traumatherapie« (PITT). Luise Reddemann führt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur an der Universität Klagenfurt für medizinische Psychologie und Psychotraumatologie widmet sie sich den Arbeitsschwerpunkten Resilienz sowie Folgen von kollektiven Traumatisierungen. Luise Reddemann war Mitglied im Weiterbildungsausschuss der Deutschen Akademie für Psychotraumatologie, im Wissenschaftlichen Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen und in der wissenschaftlichen Leitung der Psychotherapietage NRW. Luise Reddemanns Bücher und CDs im Verlag Klett-Cotta haben auch bei Betroffenen weite Verbreitung gefunden und vielen Menschen geholfen, mit einer traumatischen Erfahrung besser fertig zu werden. Weitere Informationen zu Luise Reddemann finden Sie unter: www.luise-reddemann.de
Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Von 1985 bis 2003 war sie Leiterin der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und entwickelte dort ein Konzept zur Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, die »Psychodynamisch imaginative Traumatherapie« (PITT). Luise Reddemann führt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur an der Universität Klagenfurt für medizinische Psychologie und Psychotraumatologie widmet sie sich den Arbeitsschwerpunkten Resilienz sowie Folgen von kollektiven Traumatisierungen. Luise Reddemann war Mitglied im Weiterbildungsausschuss der Deutschen Akademie für Psychotraumatologie, im Wissenschaftlichen Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen und in der wissenschaftlichen Leitung der Psychotherapietage NRW. Luise Reddemanns Bücher und CDs im Verlag Klett-Cotta haben auch bei Betroffenen weite Verbreitung gefunden und vielen Menschen geholfen, mit einer traumatischen Erfahrung besser fertig zu werden. Weitere Informationen zu Luise Reddemann finden Sie unter: www.luise-reddemann.de Prof. Dr. phil. Peter Fürstenau ist Leiter des Instituts für angewandte Psychonanalyse in Düsseldorf, Honorarprofessor im Fachbereich Humanmedizin der Universität Gießen. Silke Birgitta Gahleitner, Prof. Dr., lehrt »Klinische Psychologie und Sozialarbeit« an der Alice Salomon Hochschule in Berlin und leitet die Arbeitsgruppe »Psychosoziale Traumaarbeit, Traumaberatung und Traumapädagogik« der DeGPT.
Kapitel 2
Resilienz, Positive Psychologie und PITT
2.1 Zauberwort Resilienz: eine kritische Betrachtung
Unter dem Begriff Resilienz verstehen wir Widerstandskraft, in unserem Fall seelische. Das Wort stammt von dem lateinischen Begriff »resilio«: Ich springe zurück, oder auch zu neu zu Entdeckendem. Pauline Boss (2006/2008) verwendet das Bild einer Hängebrücke, die sich flexibel einem Sturm anpasst, ohne zusammenzubrechen. Die Widerstandskraft eines Menschen gegenüber Belastungen bestimmt sich aus dem Verhältnis zwischen Risiko- und Schutzfaktoren, das heißt, wenn die Belastungsfaktoren zu hoch sind, hat jemand möglicherweise keine Kraft mehr für Veränderungen, und seine resilienten Kräfte reichen nicht aus bzw. erschöpfen sich. Verwandte Begriffe für Widerstandskraft sind: Salutogenese, also die Lehre von den Bedingungen, wie Gesundheit entsteht – und möglicherweise sogar Flow. Die Grundlagen dazu finden sich in der Forschung zu Resilienz, Salutogenese und Flow, gelegentlich auch in seriöser Glücksforschung (Cabanas & Illouz 2018/2019).
Während früher fast ausschließlich die Entstehung von Krankheit interessierte, fragen wir heute auch: Wie schaffen Menschen es, trotz Belastungen gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden? Was tun seelisch gesunde Individuen, das weniger Gesunde von ihnen lernen könnten?
Einige Pioniere auf den Gebieten dieser Forschung waren oder sind: Aaron Antonowsky (1987/1997) mit seiner Forschung zur Salutogenese, Emmy E. Werner und Ruth S. Smith (1982), deren »Kauai-Studie« den Beginn der Resilienzforschung markiert, Oscar Carl Simonton (Simonton et al. 1978/2013) mit seiner Forschung zur heilsamen Kraft der Visualisierung bei Krebskranken sowie Martin Seligman (1975/2016) und seine Gruppe mit den Untersuchungen von der »erlernten Hilflosigkeit« und vom erlernbaren Optimimus. Früher habe ich die Beschäftigung mit den Befunden zur »Positiven Psychologie« empfohlen, inzwischen stellt sich leider heraus, dass es sich hier häufig nur noch um ein »Geschäftsmodell« handelt. Genaue Prüfung ist daher wichtig (vgl. Cabanas & Illouz 2018/2019).
Bekannte Resilienzforscher, wie z. B. George A. Bonanno (2012, 2014), sagen inzwischen, dass der Resilienzbegriff ungenau sei, man wisse gar nicht genau, was damit gemeint sei, außerdem sei Resilienz kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern habe eine Reihe von vor allem auch externer Bedingungen. Diese Aussagen stehen klar im Widerspruch zu entsprechen Ratgeberbüchern und Behauptungen. Selbstverständlich kann es sinnvoll sein, PatientInnen nach Resilienzfaktoren zu befragen und sie einzuladen, diese so gut es geht auch zu nutzen.
Bender und Lösel (2015) konnten in der sogenannten Bielefelder Studie zeigen, dass vor allem stabile emotionale Beziehungen (zu mindestens einem Elternteil oder einer außerfamiliären Bezugsperson) sowie Modelle positiver Bewältigung entscheidende Resilienzfaktoren darstellten. Das liest sich wie eine Anleitung zu einer ressourcenorientierten Psychotherapie und wie eine Aufforderung, alles für die Entwicklung sicherer Bindungserfahrungen zu tun. Nur bringen komplex interpersonell traumatisierte Menschen das selten mit, sodass die therapeutische Beziehung Erfahrungen vermitteln sollte, die zuvor nicht oder zu wenig gemacht werden konnten.
Ein weiterer Pionier, wie erwähnt, war Aaron Antonovsky (1987/1997). Sein salutogenetisches Konzept des »Sense of Coherence«, abgekürzt SoC, wird häufig zitiert und gilt Gerald Hüther als ein zentraler Faktor seelischer Ausgeglichenheit: SoC wird verstanden als ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens, der inneren Stimmigkeit (Antonovsky 1979, S. 10), und wird folgendermaßen definiert:
Die Anforderungen aus der inneren und äußeren Welt werden als strukturiert, vorhersagbar und erklärbar erlebt, es herrscht die Gewissheit, dass Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Herausforderungen gerecht zu werden und sie zu handhaben, und schließlich das, was ich für das Wichtigste halte: Auch schwere Anforderungen werden als Herausforderungen definiert, die Investition und Engagement verdienen, und sie erscheinen sinnhaft. Dies alles sind subjektive Faktoren, die damit zusammenhängen, wie wir Situationen für uns selbst bewerten. Das heißt, wir haben es zu einem gewissen Teil mit unseren Bewertungen und unserer Vorstellungskraft in der Hand, ob wir diesen Sense of Coherence erreichen oder nicht. Das ist aber keinesfalls eine Rechtfertigung für ausbeuterischen und schädigenden Umgang mit Menschen, wie er heute immer mehr für selbstverständlich gehalten wird.
Vom Sense of Coherence ist es kein weiter Weg zum »beidäugigen Sehen in Diagnostik und Therapie«, den mein verehrter Lehrer, der Psychoanalytiker Peter Fürstenau (2007/2017c), empfiehlt. Er bezieht sich damit auf ein uraltes ärztliches Wissen, dass nämlich der ganze Mensch mit seinen kranken Seiten zuerst und seinem Leiden und dann auch mit seinen gesunden Seiten gesehen wird, beidäugig eben.
Wenn Krisen akzeptiert werden können, wird dadurch möglicherweise Energie freigesetzt, die sonst für innere Kämpfe gebraucht wird. Es erscheint mir wichtig anzuerkennen, dass die Fähigkeit zur Akzeptanz sich erst im Laufe der Zeit einstellen kann und dass es wenig Sinn hat, jemandem diesbezüglich Druck zu machen. Mir scheint, dass das eine Leidabwehr derer, die traumatisierte PatientInnen begleiten, sein kann.
Nach Lösungen aktiv suchen und sich helfen lassen können, ist bedeutsam; aber auch hier gilt, dass es manchmal viel Zeit braucht, bis jemand so weit ist.
Wenn als Heilmittel für jede Art von Problem heute Resilienzförderung empfohlen wird, dürfen wir zweifeln. Denn niemand weiß ganz genau, selbst wenn es einige Hypothesen gibt, wie die einen es schaffen, z. B. keine Viruserkrankung zu entwickeln und warum andere doch (das macht uns die Corona-Krise schmerzhaft deutlich). Sogar, wie bekannt, trotz Impfung, Vitaminpillen und was auch immer.
Ähnliches scheint auch für seelische Prozesse zu gelten. Wir haben Vermutungen, was Menschen stärkt, aber ganz genau in jedem Einzelfall wissen wir dies nicht. Vermutlich deshalb, weil die Dinge komplexer sind, als wir das gerne hätten. Auf der Ebene individuellen Lebens lässt sich das natürlich erkunden, aber daraus lassen sich nicht allgemeine Regeln für Resilienz ableiten. Für Psychotherapien könnte gelten, dass wir das, was wir für resilient halten, benennen und die PatientInnen einladen, uns gemeinsam mit dem, was da an resilientem Verhalten beobachtet werden kann, zu befassen. Es ist sicher auch wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie PatientInnen ihre Fähigkeit zur Resilienz nutzen und fördern können, vorausgesetzt, PatientInnen sind mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden.
Anstelle von Resilienzorientierung wurde früher eher von Ressourcenorientierung gesprochen. In den letzten 20 Jahren scheint hinsichtlich Ressourcenorientierung ein gewisser Wandel eingetreten zu sein (vgl. Schemmel & Schaller 2003; Schaller & Schemmel 2013), sich möglicherweise teilweise geradezu ins Gegenteil verwandelt zu haben. Denn jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass alles schnell gehen soll. So sollen nun also KollegInnen mehr Geld pro Sitzung erhalten, wenn sie mit 20 Stunden Psychotherapie auskommen. Ein Highlight neoliberalen Denkens!
Das schnelle Fertigwerden mit allem Schweren wird gerne als Widerstandsfähigkeit interpretiert. So kommen Resilienzprogramme ins Spiel, die nahelegen, dass man auf die eine oder andere manualisierte Art Resilienz fördern könne. »Resilienz ist erlernbar« (Eberle 2019), heißt z. B. ein Amazon-Bestseller. Oder ein anderer Bestseller: »Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out« (Berndt 2008/2016b). Und in der Verlagsmitteilung heißt es zu diesem Buch »Krisen in Chancen verwandeln. Das Leben ist hart geworden im 21. Jahrhundert. Der Leistungsdruck ist groß, nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch im Beziehungsleben. Wie gut wäre es also, so etwas wie Hornhaut auf der Seele zu haben! Eine Lebenseinstellung, die den Blick zuversichtlich nach vorn lenkt. Eine Haltung, die auf Gelassenheit und Selbstsicherheit beruht. Es gibt Menschen, die all diese Eigenschaften haben. ›Resilienz‹ heißt ihre geheimnisvolle Kraft.« Für mich ist die Überlegung zur Notwendigkeit der »Hornhaut auf der Seele« zynisch. Und die häufig...
Erscheint lt. Verlag | 18.1.2021 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Vorwort | Peter Fürstenau, Silke Birgitta Gahleitner, Dorothea Zimmermann |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Traumatherapie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Imaginationen • Komplextrauma • Mitgefühl • Positive Psychologie • Posttraumatische Belastungsstörung • Resilienz • Ressourcen |
ISBN-10 | 3-608-12122-6 / 3608121226 |
ISBN-13 | 978-3-608-12122-3 / 9783608121223 |
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