Handbuch Häusliche Gewalt (eBook)
480 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-12063-9 (ISBN)
Dr. med. Melanie Büttner ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sexualtherapeutin/-medizinerin (DGfS), Supervisorin für das Thema Sexualität (DGfS) und Traumatherapeutin. Nach vielen Jahren am Münchener Universitätsklinikum rechts der Isar ist sie heute Inhaberin des Instituts und der Praxis für Sexual-, Psycho- und Traumatherapie und als freie Wissenschaftlerin tätig. Melanie Büttner ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Bücher und Expertin im ZEIT-ONLINE-Podcast »Ist das normal?«, für den sie für den Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus nominiert wurde. Literatur: »Sexualität und Trauma«, »Handbuch Häusliche Gewalt« und »Ist das normal? Lass uns über Sex sprechen, wie du ihn willst«. Weitere Informationen: www.melanie-buettner.de
Dr. med. Melanie Büttner ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sexualtherapeutin/-medizinerin (DGfS), Supervisorin für das Thema Sexualität (DGfS) und Traumatherapeutin. Nach vielen Jahren am Münchener Universitätsklinikum rechts der Isar ist sie heute Inhaberin des Instituts und der Praxis für Sexual-, Psycho- und Traumatherapie und als freie Wissenschaftlerin tätig. Melanie Büttner ist Autorin und Herausgeberin mehrerer Bücher und Expertin im ZEIT-ONLINE-Podcast »Ist das normal?«, für den sie für den Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus nominiert wurde. Literatur: »Sexualität und Trauma«, »Handbuch Häusliche Gewalt« und »Ist das normal? Lass uns über Sex sprechen, wie du ihn willst«. Weitere Informationen: www.melanie-buettner.de
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
es gab Zeiten, da war es legitim, die Menschen zu schlagen, die einem am nächsten stehen. Es war vielleicht nicht schön, galt aber als »normal« und gehörte in vielen Familien dazu. Vor allem dem Vater als »Oberhaupt der Familie« wurde dieses Recht zugestanden. Er sollte es zwar »nicht übertreiben«, aber eine »gewisse Züchtigung« wurde vielerorts als sinnvoll und notwendig angesehen. Dass sich dieses Verständnis in unserer Gesellschaft verändert hat und zuvor still geduldete Gewalt inzwischen als Unrecht angesehen und zumindest teilweise auch rechtlich geahndet wird, ist vor allem der Frauen- und Kinderschutzbewegung zu verdanken.
Heute gilt häusliche Gewalt als eine schwere Menschenrechtsverletzung (Europarat 2011). Wir haben verstanden, dass Gewalt nicht einfach nur wehtut, sondern traumatisiert und Körper und Seele schwer schädigt. Selbst wenn die Gewalt eines Tages vorüber sein sollte, leiden Betroffene oft noch Jahre oder sogar ein Leben lang an den Folgen. Viel zu oft kommt jemand durch die Hand seines Partners oder seiner Partnerin zu Tode. Und auch wer Gewalt »nur« miterlebt, ist mit den Auswirkungen konfrontiert – selbst wenn er nicht direktes Ziel von Übergriffen ist. Kinder etwa, die dabei sind, wenn ein Elternteil von dem anderen misshandelt wird. Gewalt wird von einer Generation an die nächste weitergegeben und im Falle von Gewalt gegen Frauen durch strukturelle soziale Mechanismen aufrechterhalten, die Frauen gegenüber Männern eine untergeordnete Position zuweisen. Neben all dem verursacht häusliche Gewalt enorme Kosten für unsere Gesellschaft und das Gesundheitswesen (Homberg et al. 2008).
Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich schon einiges getan. Steter Tropfen höhlt den Stein. Es gibt Schutz- und Hilfeangebote. Der Rechtsstaat besitzt Mittel, Betroffene zu schützen und gewalttätige Personen falls nötig der Wohnung zu verweisen (»Wer schlägt, geht«). Besser als früher wird über Gewalt aufgeklärt. Dennoch stehen wir bis heute vor zahlreichen Entwicklungsaufgaben. Längst nicht für alle Betroffene gibt es geeignete Hilfsangebote. Zuverlässigen Schutz zu gewährleisten und Rechtsansprüche durchzusetzen, ist oft nicht leicht. Hilfseinrichtungen kommen an ihre Grenzen. Und viele Berufsgruppen, die an Schlüsselpositionen stehen, sind noch nicht genügend für das Thema Gewalt sensibilisiert.
In besonderer Weise betrifft dies die medizinischen und therapeutischen Berufe: Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte etwa. Oder Fachpersonen in Psychotherapie, Familien- und Paartherapie, Kinder- und Jugendlichentherapie, Physiotherapie und Körpertherapie. Mit ihnen kommen gewaltbetroffene Personen oft zuerst in Kontakt. Wird die Gewalt jedoch nicht erkannt, kann Betroffenen nicht die Unterstützung zuteilwerden, die sie brauchen: Hilfe, um Gewalt zu beenden und sich und die Kinder zu schützen. Eine Behandlung, die Entlastung schafft, körperliche und psychische Gewaltfolgen lindert und Betroffenen hilft, ein lebenswertes und gewaltfreies Leben zu leben. Es ist heute möglich, konkret und wirkungsvoll zu helfen. Doch wie kann man Menschen in medizinischen und therapeutischen Berufen erreichen und für das Thema Gewalt sensibilisieren? Wie kann man sie dafür gewinnen, sich das Know-how anzueignen, das ihnen erlaubt, auf die Behandlungsbedürfnisse ihrer gewaltbetroffenen Patientinnen und Patienten einzugehen?
2011 verabschiedete der Europarat das »Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«. Darin verpflichten sich die Mitgliedsstaaten des Europarats unter anderem dazu, »einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu entwerfen«. Dies sei unerlässlich, »um nicht nur ihre künftige Sicherheit zu gewährleisten und ihre körperliche und seelische Gesundheit wiederherzustellen, sondern auch, um es ihnen zu ermöglichen, ihr Leben neu aufzubauen«. 2013 veröffentlichte die WHO Leitlinien zum »Umgang mit Gewalt in Paarbeziehungen und mit sexueller Gewalt gegen Frauen« für die Gesundheitsversorgung und -politik. »Aus den Leitlinien der WHO ergibt sich für Deutschland der Bedarf, bundesweite fachliche Standards für die gesundheitliche Versorgung bei häuslicher und sexueller Gewalt zu entwickeln, einen (gesetzlichen) Versorgungsauftrag für die Gesundheitsversorgung zu formulieren und eine systematische curriculare Verankerung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsberufe voranzubringen«, formulierten Wieners und Winterholler 2016 im Bundesgesundheitsblatt (S. 1). Wie nah sind wir diesen Zielen bisher gekommen? Es scheint, es fehlt noch vieles.
Doch auch wenn sich die Strukturen nur langsam verändern, kann jede und jeder Einzelne, der oder die in einem helfenden Beruf tätig ist, viel tun, um zukünftige Gewalt zu verhindern und Betroffene mit ihren Belastungen und Gesundheitsproblemen nicht allein zu lassen. Wie das geht, beschreiben die Autorinnen und Autoren dieses Buchs. Hinschauen und mit den richtigen Mitteln aktiv werden, das ist es, was es braucht, um diese Aufgabe gemeinsam zu bewerkstelligen. Sie ist machbar, für jede und jeden von uns.
Zur Begriffswahl in diesem Buch
Bis heute existiert keine einheitliche und für alle verbindliche Definition von »häuslicher Gewalt«. Das wurde auch im Erstellungsprozess dieses Buchs deutlich, wo wir vor der Aufgabe standen zu verstehen, was genau die Autorin oder der Autor meint, wenn er oder sie von »häuslicher Gewalt« schreibt. Es gab Beitragende, die argumentierten, der Begriff »häusliche Gewalt« werde im deutschen Gewaltschutzgesetz analog Partnerschaftsgewalt definiert. Andere erklärten, »häusliche Gewalt« sei ein Fachbegriff, der sich vor allem auf Gewalt zwischen Partnern und deren Auswirkungen auf Kinder beziehe und deshalb synonym zu verwenden sei. Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder sei nicht als Teil »häuslicher Gewalt« zu verstehen, vertraten andere. Es handele sich dabei vielmehr um »Kindesmissbrauch«. Wieder andere wiesen auf Definitionen von »häuslicher Gewalt« hin, die in bestimmten Bundesländern festgelegt und deshalb für ihre spezielle Tätigkeit verbindlich seien. Auch verwandte Begriffe spielten eine Rolle und wurden zum Teil synonym verwendet: innerfamiliäre Gewalt, Gewalt in der Familie, Gewalt in engen sozialen Beziehungen oder im sozialen Nahraum etwa. Andere Autorinnen und Autoren verwendeten Begriffe wie Partnergewalt, Partnerschaftsgewalt oder Gewalt in Paarbeziehungen, wo entsprechendes gemeint war, auch weil die Studien, auf die sie sich bezogen, präzise diese Gewaltform untersucht hatten.
In einer solchen Uneinheitlichkeit durchzublicken, ist nicht leicht. Um unseren Leserinnen und Lesern eine klare Orientierung zu ermöglichen, richten wir uns deshalb an der Definition des Europarats aus (▶ Kap. 1, Einstiegszitat). Für das Anliegen, das dieses Handbuch verfolgt, erscheint diese Begriffsfassung als die am besten geeignete. Wir sprechen also dort von »häuslicher Gewalt«, wo alle Personen gemeint sind, die einer Familie oder einem Haushalt angehören. Betrifft die Gewalt Personen in einer aktuellen oder früheren Paarbeziehung, verwenden wir den Begriff »Partnerschaftsgewalt«. Auch dieser steht in der Kritik, etwa weil Gewalt nicht partnerschaftlich sei. Der Begriff »Partnergewalt« erwies sich jedoch nicht als gute Alternative, weil damit Gewalt durch weibliche und trans* Personen unberücksichtigt bleibt. Außerdem: Wäre die Verwendung des Begriffs »Partner« legitim, wenn »Partnerschaft« es nicht ist? Mit dem wohl neutralsten Begriff »Gewalt in Paarbeziehungen« wurden die Texte wiederum sehr schwer lesbar. Deshalb fiel die Entscheidung mit »Partnerschaftsgewalt« letztlich auf einen vielleicht nicht ganz perfekten Begriff, der aber vielerorts bereits etabliert ist und von fast allen Autorinnen und Autoren akzeptiert werden konnte. Die zwei Beiträge zu Gewalt in cis-gleichgeschlechtlichen und trans* Partner*innenschaften gehen mit dem Sternchen einen eigenen Weg, der im übrigen Buch jedoch nicht umgesetzt werden konnte – möglicherweise zum Bedauern der einen und zur Erleichterung der anderen. Sind Kinder betroffen, sprechen wir übrigens zumeist von »Gewalt gegen Kinder« oder »Kindesmisshandlung«.
Wie auch immer wir Gewalt durch die Menschen, die uns am nächsten sind, begrifflich fassen möchten: Ich denke, das wichtigste ist, dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass Gewalt weniger wird. Weil sie wehtut und krank macht. Weil sie nicht mit unserem gesellschaftlichen Verständnis von Freiheit und Gleichheit vereinbar ist. Und da sind ...
Erscheint lt. Verlag | 7.11.2020 |
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Zusatzinfo | mit zahlreichen Abbildungen und Tabellen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Arbeitskreis Frauengesundheit • Frauengesundheit • Frauenhass • Frauenhaus • Gewaltbetroffene Frauen • Gewalt daheim • Gewalt Eltern • Gewalt gegen Ehefrau • Gewalt gegen Kinder • Gewalt zuhause • Partnergewalt • Partnerschaftliche Gewalt • Psychiatrie • Psychologie • Psychosomatik • Psychotherapie • Sozialarbeit • soziale Verhältnisse und Gewalt • Trauma • Traumatisierung • Vergewaltigung |
ISBN-10 | 3-608-12063-7 / 3608120637 |
ISBN-13 | 978-3-608-12063-9 / 9783608120639 |
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