Die geheimnisvolle Macht der Farben (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45509-8 (ISBN)
Prof. Dr. Axel Buether, 1967 geboren, studierte Architektur und promovierte im Grenzbereich von Neuropsychologie und Umweltgestaltung. 2006 wurde er Vorsitzender des Deutschen Farbenzentrum e.V. - Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung, von 2006 bis 2012 lehrte er an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Seit 2012 ist Buether Professor für Didaktik der Visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität Wuppertal.
Prof. Dr. Axel Buether, 1967 geboren, studierte Architektur und promovierte im Grenzbereich von Neuropsychologie und Umweltgestaltung. 2006 wurde er Vorsitzender des Deutschen Farbenzentrum e.V. – Zentralinstitut für Farbe in Wissenschaft und Gestaltung, von 2006 bis 2012 lehrte er an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Seit 2012 ist Buether Professor für Didaktik der Visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität Wuppertal.
I
DIE NATUR DER FARBEN
Die sieben biologischen Funktionen der Farben.
Warum wir Farben sehen
Was verstehen Sie unter dem Begriff der Farbe?« Diese Frage stellte ich zum Auftakt einer internationalen Fachkonferenz etwa einem Dutzend Expertinnen und Experten aus Wissenschaften, Kultur und Industrie, als ich vor gut zehn Jahren zum Vorsitzenden des Deutschen Farbenzentrums gewählt wurde. Das Ergebnis erstaunte alle Beteiligten, denn jede der befragten Disziplinen definiert Farbe anders. Ob Naturphänomen, Sinnesempfindung, Wellenlänge, Farbladung, Farbvalenz, Farbwiedergabe, Pigment, Farbstoff, Atmosphäre, Ausdrucksmittel oder Kulturprodukt, wir brauchen viele Blickwinkel, um das Wesen der Farbe zu begreifen.
Um herauszufinden, warum es Farben überhaupt gibt, oder anders gesagt, warum das Farbensehen für unsere Spezies so bedeutend ist, dass es den größten Teil der Gehirnkapazität beansprucht, ist eine nähere Betrachtung ihrer biologischen Funktionen nötig. Ich habe mir dafür unterschiedliche Forschungsfelder der Biologie angeschaut und zum ersten Mal alle überlebenswichtigen Funktionen der Farbe nach signifikanten Merkmalen geordnet. Die sieben Kategorien, auf die ich so gekommen bin, ergeben die sieben biologischen Grundfunktionen der Farben. Diese sind: Orientierung, Gesundheit, Warnung, Tarnung, Werbung, Status und Verständigung. Im ersten Teil dieses Buches werde ich die Wirkung dieser Grundfunktionen an Beispielen aus der Tier- und Pflanzenwelt exemplarisch aufzeigen. Bevor es im zweiten Teil des Buches um die von uns Menschen produzierte Farbkultur geht, ist es wichtig, die Natur der Farben zu verstehen. Denn nur so lässt sich erkennen, warum, wie und in welchem Umfang Farben unser Leben steuern. Innerhalb der sieben biologischen Grundfunktionen, auf denen die Wirkmacht der Farben gründet, lässt sich keine Rangfolge festmachen, da die Funktionen oft gemeinsam auftreten und allesamt von großer Bedeutung für die Entfaltung und den Erhalt des Lebens sind.
Orientierung. Farbleitsysteme der Natur
Farbe ist das größte und vor allem leistungsfähigste Orientierungssystem der Natur. An der Buntheit der Natur zeigt sich das Maß an Biodiversität, von der Buntheit lässt sich auf die Vielfalt der Flora und Fauna schließen. Die Lebensräume mit dem größten Artenreichtum und der größten Farbenvielfalt der Erde sind die tropischen Regenwaldgebiete und die Korallenriffe.
Die größten Bauwerke der Welt werden von lebenden Korallenpolypen geschaffen, die Fotosynthese betreiben und dafür von vielfarbigen Mikroorganismen mit Glukose und anderen Nährstoffen versorgt werden. Wo Hunderttausende Arten auf engstem Raum in Freundschaft und Feindschaft zusammenleben, sind eindeutige und leistungsfähige Orientierungs- und Leitsysteme wichtig.3 Nahsinne wie Tasten, Riechen und Schmecken reichen hier nicht aus, denn sie vermitteln Lebewesen in komplexen Umgebungen keine Übersicht. Auch das Hören verliert an Wert, wo wichtige Ereignisse wie Bedrohungen, Nahrung, Partner oder soziale Kontakte entweder keine identifizierbaren Geräuschmuster entwickeln oder von anderen Schallquellen überlagert werden. Stellen Sie sich einfach eine große Bahnhofshalle vor, in der Sie jemanden oder etwas suchen. Obwohl es dort meist sehr bunt zugeht, sorgen prägnante Farben wie ein roter Mantel, ein gelbes Taxischild oder eine blaue Anzeigentafel einfach, schnell und effizient für Orientierung.
Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, was die schöpferische Kraft der Evolution mit den expressiven Farbmustern bezweckt, etwa bei vielen Bewohnern der Korallenriffe. Wer würde sich Lebewesen ausdenken, deren goldenes Schuppenkleid mit cyanblauen Pünktchen übersät ist? Warum gibt es einen geleeartigen zitronengelben Fisch, dessen Augenränder und Schwanzflossen neongrün leuchten? Oder weshalb befindet sich auf einem ganz gewöhnlichen silbrig geschuppten Fisch ein großer neonoranger Fleck, der wie aufgesprüht wirkt?
In tropisch warmen Gewässern leben mehr als 1700 Buntbarscharten.4 Die großen schwarzen Augen hat der Buntbarsch mit vielen Meeresbewohnern gemein. Die weit geöffneten Pupillen sorgen dafür, dass unter Wasser genügend Licht auf die Netzhaut fällt. Doch die hierdurch entstehende große Brennweite der Linse würde die Lichtstrahlen bei Tag auf verschiedenen Bereichen der Netzhaut fokussieren. Dieses Problem löst die Natur durch eine optische Meisterleistung. Die Linse des Buntbarschs weist gleich mehrere konzentrische Zonen auf, die durch Anpassung der Brennweiten das einfallende Licht verschiedener Wellenlängen optimal auf der Netzhaut bündeln. Buntbarsche haben noch einen weiteren Farbrezeptortyp für ultraviolettes Licht. Mit einer UV-Kamera erhalten wir eine Ahnung von den geheimnisvollen Mustern, die für seine Artgenossen auf dem Schuppenkleid zu sehen sind. Das kurzwellige Farbspektrum erleichtert Buntbarschen die Nahrungssuche, da sich kleinste Meeresbewohner wie Wasserflöhe viel deutlicher vor der hellen Wasseroberfläche abzeichnen. Das exklusive Farbspektrum hilft den Buntbarschen bei der Orientierung in sozialen Systemen, da sie ihre Artgenossen hierdurch schneller und sicherer identifizieren können.
Woran sich Buntbarschweibchen bei der Partnersuche orientieren, wurde kürzlich bei Forschungsexperimenten im Victoriasee entdeckt.5 Reagieren die Augen der Weibchen sensibler auf kurzwelliges Licht, bevorzugen sie Männchen im blauen Schuppenkleid. Sind ihre Augen hingegen sensibler für das langwellige Spektrum, geben sie Männchen mit orangeroten Zeichnungen den Vorzug. Die Auswahl des »Richtigen«, der nicht unbedingt der Schönste sein muss, liegt hier im wahrsten Sinne des Wortes im Auge der Betrachterin. Selbstverstärkungsprozesse, bei denen die Präferenzen des Weibchens die entscheidende Rolle spielen, bezeichnet man in der Biologie als »Fisher’s Runaway Selection«.6 Die Farbpräferenz der Weibchen sorgt für die Selektion der männlichen Gene, die darüber hinaus keine weiteren Vorteile bieten müssen. Dass Männchen nicht nur auf Basis eines allgemeinen Schönheitsideals, sondern auch aufgrund ihrer persönlichen Eigenarten geliebt werden können, ist nicht nur eine wunderbare Vorstellung, sondern ein Selektionsprinzip der Evolution. Buntbarschweibchen sorgen mit ihrer Farbpräferenz für die Selektion höchst individueller Farbkombinationen. Die exzentrischen Farbpräferenzen der Weibchen wie auch die fantasievollen Muster der Männchen werden gleichermaßen an die Nachkommen vererbt.
In komplexen Lebensumwelten sorgt der Ausdruck individueller Farbpräferenzen sehr effizient für Orientierung. Daran ändert sich auch nichts, wenn Korallenriffe für Außenstehende wie uns lediglich bunt und verwirrend wirken. Für den Arterhalt reicht es völlig aus, wenn sich die richtigen Adressaten von den Farbcodes angesprochen fühlen und hierüber die für sie wichtigen Informationen erhalten.
Gesundheit. Wohltuende Farben
Unsere nächsten biologischen Verwandten, die Schimpansen, bauen zwar keine Häuser, doch sie errichten sich Schlafnester aus Zweigen und Blättern in Baumkronen, die sowohl ausreichend Licht als auch genügend Schatten und Schutz bieten. Der Lebensraum der Schimpansen ist auch unsere angestammte Farbheimat. Wir brauchen Licht, Luft und Farben für unser Wohlbefinden. Am gesündesten lebt es sich im Grünen, was aktuelle Studien eindrucksvoll belegt haben.7 Mit dem Grünraum steigt die Lebensqualität. Am wohlsten fühlen wir uns, wenn wir uns in der freien Natur bewegen, doch selbst der Sichtkontakt zu einem Garten wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit aus.8 Denn Grün ist nicht nur irgendeine Farbe für uns – der grüne Anteil des Lichtspektrums umfasst mehr als die Hälfte aller wahrnehmbaren Farbtöne. Das schauen wir uns später noch genauer an.
Tiere nutzen Farbmerkmale nicht nur für die Suche nach einem lebenswerten Habitat, sondern auch für die Auswahl gesunder Nahrungsmittel. In der Regel müssen sie viel Zeit und Energie für die Nahrungssuche aufwenden, weshalb es ihnen einen erheblichen Vorteil bietet, wenn sie einem Naturprodukt aus der Ferne ansehen können, ob sich der Aufwand seiner Beschaffung lohnt. Die gesparte Zeit kann das Tier sehr viel besser verwenden, um Naturprodukte wie reife Früchte, Pilze und Beeren oder frische Triebe zu suchen, deren Nährwert unverkennbar ist. Wer schon einmal in freier Natur nach Walderdbeeren oder Pilzen gesucht hat, kann das sicher gut nachvollziehen. Selbst die Ernte auf dem Erdbeerfeld wird deutlich erschwert, wenn man die Farben der reifen Früchte nicht erkennt.
Der Vorteil der Farbwahrnehmung zeigt sich nicht nur bei pflanzlicher Nahrung. Eine frische rötliche Farbe ist ein untrüglicher Indikator für die Beurteilung des Nährwerts und der Bekömmlichkeit von fleischlicher Nahrung. Bakterien und Pilze setzen Enzyme frei, die organische Verbindungen nach dem Tod schnell zersetzen. So wie viele andere Fleischfresser auch können wir den Fortschritt dieser Oxidationsprozesse anhand der Farbveränderungen diagnostizieren. Unwillkürlichen Körperreaktionen, die von Appetit und Heißhunger bis hin zu Ekel...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Andreas Michalsen • Design • Die heilende Kraft der Musik • Empfinden • Evolution • Farbdesign • Farbe • Farbempfindung • Farbenblind • Farben Buch • Farbenlehre • Farben Psychologie • Farbforschung • Farbgestaltung • Farbig • Farbkonzepte • Farbpsychologie • Farbsymbolik • Farbtherapie • Farbton • Farbwirkung • Gefühle • Gefühlsleben • Geschenkidee Malen • Geschmacksempfinden • Gesundheit • Good Vibrations • Grafik • Grundfarbe • Heilen mit der Kraft der Natur • Heilen mit Farben • Kommunikation • Kunst • Licht • malen farben • Malerei • Modefarben • Natur • Neuropsychologie • Psyche • Raumgestaltung • Sachbuch Gesundheit • Sachbuch Psychologie • SACHBUCH WISSEN • Selbstheilung • selbstheilung aktivieren • Sensibilität • Sinne • Sinneseindrücke • Soziales Verhalten • Stefan Kölsch • Stimmung • Tageslicht • Trendfarben • Umwelt • Umweltgestaltung • Verhaltenspsychologie • Visuell • visuelle Reize • Wahrnehmung • welche farbe passt zu mir • Zeichnen Farben |
ISBN-10 | 3-426-45509-9 / 3426455099 |
ISBN-13 | 978-3-426-45509-8 / 9783426455098 |
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Größe: 10,4 MB
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