Schonende Traumatherapie (eBook)
264 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-12066-0 (ISBN)
Prof. Dr. med. Martin Sack ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und stellv. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar der TU München. Er ist seit vielen Jahren auf die Behandlung von PatientInnen mit Traumafolgestörungen spezialisiert und als Supervisor und Ausbilder tätig.
Prof. Dr. med. Martin Sack ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und stellv. Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar der TU München. Er ist seit vielen Jahren auf die Behandlung von PatientInnen mit Traumafolgestörungen spezialisiert und als Supervisor und Ausbilder tätig. Barbara Gromes, Dipl.-Kunsttherapeutin, HP Psychotherapie Erwachsene, Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin, EMDR-Therapeutin (EMDRIA), Spezielle Psychotraumatherapie (DeGPT), ist in München in eigener psychotherapeutischer Praxis für Kinder, Jugendliche und Erwachsene tätig, mit Schwerpunkt methodenintegrative Behandlung von Traumafolgestörungen und Dissoziativen Störungen.
1 Warum schonende Traumatherapie?
Das in diesem Buch vorgestellte Konzept einer ressourcenorientierten Behandlung von Traumafolgestörungen steht für ein neues Modell der Traumatherapie. Durch den Einsatz schonender konfrontativer Techniken können die evidenzbasiert wirksamen Prinzipien traumatherapeutischer Behandlungen unabhängig von bestimmten Therapieverfahren oder Therapieschulen auch bei Patienten mit komplexen Traumfolgestörungen und dissoziativen Störungen angewendet werden. Da die Behandlung primär bei aktuellen Belastungssymptomen ansetzt, werden unkontrollierte regressive Entwicklungen begrenzt – die Therapie bekommt hierdurch eine klare Zielsetzung. Der Einsatz von Techniken zur Distanzierung und Dosierung der Belastung während der Aktualisierung traumatischer Erinnerungen ermöglicht eine situationsangemessene Anpassung an die individuelle Belastungstoleranz. Zudem lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten zur Aktivierung von Bewältigungsressourcen nutzen, um zumindest auf der imaginären Ebene das nachholen zu können, was in der traumatischen Situation gefehlt hat, und um Erfahrungen von Bewältigung zu sammeln. Damit wird es möglich, schon in einem sehr frühen Therapiestadium direkt an der Traumafolgesymptomatik zu arbeiten. Längere vorbereitende Phasen einer stabilisierenden psychotherapeutischen Behandlung sind nur in Ausnahmefällen erforderlich. Die Therapie zielt von Anfang an auf eine Reduktion der Traumafolgesymptome.
Bislang stand die Traumatherapie im Ruf, schwierig und belastend zu sein – sowohl für Patienten als auch für Behandelnde. Nach unserer Auffassung hat dieses Image stark mit den Konzepten zu tun, die für die Behandlung entworfen werden, und mit den therapeutischen Methoden, die zur Anwendung kommen. Wir möchten an dieser Stelle nicht polarisieren, sondern deutlich werden lassen, aus welchen Überlegungen und Notwendigkeiten heraus eine Modifikation der bislang angewandten traumatherapeutischen Behandlungsstrategien erfolgen sollte. Wie aber lässt sich das bewährte, aus unserer Sicht allerdings inzwischen überholte, konventionelle Modell der Traumatherapie beschreiben?
1.1 Das konventionelle Modell der Traumatherapie
Konfrontative vs. stabilisierende Behandlung
In der konventionellen Traumatherapie geht man von der Grundidee aus, dass es zur Behandlung der spezifischen Traumafolgesymptomatik notwendig ist, das in der Vergangenheit erlebte »Trauma« auf konfrontative Weise zu bearbeiten. In den AWMF-Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung wird dies beispielsweise deutlich herausgestellt: »Die Therapie der Wahl bei der PTSD ist die Rekonfrontation mit dem auslösenden Trauma mit dem Ziel der Durcharbeitung und Integration unter geschützten therapeutischen Bedingungen« (Flatten et al. 2004, S. 6).
Die Forderung nach einer »Bearbeitung der symptomauslösenden Traumatisierung« wird durch die empirisch nachgewiesene Wirksamkeit eindeutig unterstützt. Oft wird aber vergessen, dass immer nur im Rahmen der Therapie aktualisierte Erinnerungen an Traumatisierungen bearbeitet werden können und keinesfalls das »Trauma« selbst. Hinsichtlich der Evidenzbasierung der Behandlungsempfehlungen ist zu berücksichtigen, dass die Studien fast ausschließlich mit Patienten, die unter nicht komplexen Traumafolgestörungen litten, durchgeführt wurden.
Allerdings kann die konfrontative Behandlung nicht uneingeschränkt bei allen Patienten direkt eingesetzt werden. Die AWMF-Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (Flatten et al. 2004 und Flatten et al. 2013) zählen u. a. die folgenden relativen Kontraindikationen auf:
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Instabile psychosoziale und körperliche Situation
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Mangelnde Affekttoleranz (ohne ausreichende Stabilisierung)
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Anhaltende schwere Dissoziationsneigung
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Unkontrolliert autoaggressives Verhalten
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Mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum traumatischen Ereignis
Aufgrund der potenziellen Belastung durch die Aktualisierung der traumatischen Erinnerung (Gefahr der affektiven Überflutung und Retraumatisierung) wird eine ausreichende Stabilisierung zur Voraussetzung der konfrontativen Behandlung gemacht.
Anhand dieser Kriterien müssen viele Patienten als nicht ausreichend stabil für eine konfrontative Behandlung von Traumafolgestörungen eingeschätzt werden. Bei Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen trifft dies erfahrungsgemäß besonders häufig aufgrund einer mangelnden Affekttoleranz oder einer anhaltenden schweren Dissoziationsneigung sowie mangelnder Distanzierungsfähigkeit von der traumatischen Erinnerung zu. Dementsprechend wurde besonders von Vertretern der psychodynamischen Therapieschule eine stabilisierende Behandlung bei Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen als wichtigster Behandlungsschritt in den Vordergrund gestellt (Reddemann u. Sachsse 1997). Damit einhergehend wird vor einer vorschnell eingesetzten Bearbeitung traumatischer Erinnerungen gewarnt und das Behandlungsprinzip Konfrontation wieder relativiert. So findet sich in den Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (Flatten et al. 2004, S. 105) auch die Aussage: »Zentrale Bedeutung kommt einem phasenorientierten Vorgehen zu. Traumabearbeitende Therapie setzt Stabilisierung voraus.« Noch deutlicher wird der Stellenwert einer stabilisierenden Behandlung von Reddemann herausgehoben: »Die Konfrontation mit dem Trauma ist eine Maßnahme unter vielen, vielen anderen und hat in den seltensten Fällen Vorrang« (Reddemann 2004, S. 108).
Konträr zur psychodynamischen Auffassung wird in der verhaltenstherapeutischen Behandlungstradition die konfrontative Behandlung von Traumafolgestörungen von jeher klar als Behandlungsstrategie der ersten Wahl benannt (Foa u. Kozak 1986). Allerdings setzen auch Verhaltenstherapeuten diese Behandlungsmaxime vergleichsweise selten um (Cahill et al. 2006). Offenbar scheuen sich Psychotherapeuten generell, konfrontative Behandlungstechniken einzusetzen, obwohl die empirische Evidenz eindeutig dafür spricht. Im Zweifelsfall werden sowohl im ambulanten als auch im stationären Rahmen stabilisierende Behandlungstechniken eingesetzt und konfrontative Behandlungen seltener als indiziert durchgeführt.
Nachteile einer rein stabilisierenden Behandlung
Wie Forschungsergebnisse nahelegen, führt eine stabilisierende Behandlung tatsächlich zu einer signifikanten Befundbesserung, z. B. bei depressiven Symptomen, und auch zu einer Verbesserung im allgemeinen Funktionsniveau (Lampe et al. 2008; Cloitre et al. 2002; Cloitre u. Cohen 2006; Sachsse et al. 2006). Die stabilisierende Behandlung erweist sich allerdings als nicht ausreichend wirksam zur Reduktion der spezifischen Traumafolgesymptomatik (z. B. von intrusiven Symptomen).
Stabilisierende Behandlung kann die Symptomatik zwar etwas reduzieren und die Alltagsfunktionalität verbessern – Patienten sind dann aber noch nicht beschwerdefrei und benötigen weitere traumaspezifische Behandlung.
Da eine konfrontative »Traumabearbeitung«, bedingt durch die notwendige Aktualisierung der belastenden Erinnerungen, insbesondere bei schweren Gewalterfahrungen und sexueller Gewalt in der Kindheit potenziell eine Destabilisierung mit Krisen und Überlastung des Patienten auslösen kann, kommen evidenzbasierte konfrontative Therapiestrategien bei Patienten mit...
Erscheint lt. Verlag | 12.9.2020 |
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Zusatzinfo | mit 6 Abbildungen und 15 Tabellen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Traumatherapie | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Akupunktur • Akupunkturpunkte • Antibiotikatherapie • Arthrose • Arthroskopie • Arzneimittel • Balneotherapie • Barotrauma • Befund • Behandlungstechniken • Bewegungstherapie • Biomechanics • Borderline • Chemotherapie • Chirurgie • complication • Diagnose • Diagnosis • Diagnostik • Dissoziationen • Elektrokonvulsionstherapie • Elektrokrampftherapie • Fixation • Fracture • Ganzheitsmedizin • Gewalterfahrung • Häusliche Gewalt • Heilpraktiker • Implant • Infection • instability • Intensivmedizin • Kardinalsymptom • Kardiologie • kPTBS • Krankheitsentstehung • Krankheitserkennung • Läsion • menopause • Notfallversorgung • Orthopädie • Orthopedic • Osteopathie • Osteosynthese • patients • Persönlichkeitsstörung • Posttraumatische Belastungsstörung • Prostata • Psychiatrie • Psychologie • Psychosomatik • Psychotherapie • Psychotraumatologie • PTBS • Radiology • Ressourcen • ressourcenorientierte Verfahren • Röntgendiagnostik • Schleimhaut • Somatoforme Beschwerden • Strahlentherapie • Symptom • Symptomatik • syndrome • Trauma • Traumabewältigung • Traumafolgestörungen • Traumatherapie • Unfallchirurgie • Wirbelsäule |
ISBN-10 | 3-608-12066-1 / 3608120661 |
ISBN-13 | 978-3-608-12066-0 / 9783608120660 |
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