Geschichte des Antisemitismus (eBook)
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75799-0 (ISBN)
Dieses Buch bietet eine knappe Gesamtdarstellung der Geschichte des Antisemitismus von der frühchristlichen Antike bis in die unmittelbare Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Werner Bergmann zeichnet die spezifischen sozialen, politischen und ideologischen Erscheinungsformen des Antisemitismus in jeder Epoche nach und setzt diese in eine Beziehung zu den langfristigen antijüdischen Traditionslinien.
Werner Bergmann ist Professor für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Er hat zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Antisemitismus vorgelegt.
I. Judenfeindschaft von der Antike bis zur Aufklärung
Für die Entstehung der abendländischen Judenfeindschaft kommt dem konflikthaften Ablösungsprozess der frühen Christen vom Judentum zentrale Bedeutung zu. Ob man für die heidnische Antike von einer besonderen Feindschaft gegen die Juden sprechen kann oder eher von einer auch gegenüber anderen Völkern existierenden xenophobischen, «antibarbarischen» Einstellung, ist umstritten. Gegen eine durchgängige «Judeophobie» spricht, dass sich bei Durchsicht der überlieferten antiken Texte positive und negative Darstellungen die Waage halten und die neutralen bei weitem überwiegen. Auch die offenen Zusammenstöße zwischen Juden und ihrer heidnischen Umwelt deuten eher auf konkrete Interessenkonflikte hin, denn Ägypter, Griechen und Römer haben je nach Lage ganz spezifische Eigenschaften an den Juden als bedrohlich empfunden oder verachtet. Für die Geschichte der Judenfeindschaft noch wichtiger ist, dass die frühchristlichen Gemeinden, selbst aus dem Judentum hervorgegangen und von der antiken Gesellschaft mit ähnlichen Vorwürfen bedacht, die antijüdischen Anwürfe der heidnischen Umwelt nicht einfach übernahmen. Erst nach und nach grenzten sich rabbinisches Judentum und frühe Christen voneinander ab und traten in Konkurrenz um Anhänger und die Anerkennung von Seiten Roms. So entstand aus der ambivalenten Situation von Nachfolge und Konkurrenz heraus eine antijüdische Tradition, die dann an das Neue Testament anknüpfen konnte. Das Selbstverständnis der Christen als «neuer Bund» und «wahres Israel» führte dazu, den Juden die Zugehörigkeit zum neuen Gottesbund abzusprechen (Gal 4,21–31; Mk 12,9–12) und ihnen die Schuld an der Leidensgeschichte Jesu zu geben (Mt 27,25; Mk 15,6–15). Am schwersten wog die anfangs als innerjüdische Angelegenheit formulierte Anschuldigung des Christusmordes: «welche auch den Herrn Jesum getötet haben, und ihre eigenen Propheten, und haben uns verfolget» (1 Thess 2,15). In polemischen und exegetischen Schriften, in Predigten, in der christlichen Geschichtsschreibung sowie in der Frömmigkeit entwickelte sich seit dem 2. Jahrhundert eine judenfeindliche Haltung, die in ihrer Herabsetzung von Volk und Glauben der Juden über die heidnische weit hinausging und zum integralen Bestandteil der Lehre wurde. Das grundlegende Repertoire der christlichen Judenfeindschaft war früh entwickelt: die Blindheit der Juden, ihre Leugnung der Messianität Jesu bis hin zum Christusmord, ihre Verwerfung durch Gott, ihre Christenfeindlichkeit sowie der Gedanke ihrer Knechtschaft. Doch findet sich in den NT-Schriften auch die Aussicht auf ihre Bekehrung und endzeitliche Errettung eines «Restes» (Röm 11). Damit war theologisch eine Grenze gegenüber Zwangsbekehrung und Ausrottung markiert, die ihren rechtlichen Ausdruck im Schutz der jüdischen Religion fand.
Dies blieb als Postulat bestehen, als das Christentum im 4.–5. Jahrhundert zur Staatsreligion wurde. Zugleich begann der Antijudaismus praktische Auswirkungen zu zeitigen. Synagogen wurden verwüstet, Juden tätlich angegriffen und Gesetze erlassen, welche die Konversion von Christen zum Judentum verhindern, Ehen zwischen Juden und Christen unterbinden, Juden den Besitz christlicher und heidnischer Sklaven verbieten und sie aus dem öffentlichen und staatlichen Leben verdrängen sollten.
In den verschiedenen Epochen des fast tausendjährigen europäischen Mittelalters trat die Judenfeindschaft in sich verändernden Ausdrucksformen und Kontexten auf, wobei der Glaubensgegensatz die Basis für eine oft erbitterte soziale Ablehnung bildete. Die Juden konnten (und wollten) in der mittelalterlichen Gesellschaft niemals gleichberechtigt sein, sie waren als Anhänger einer «verworfenen» Religion bestenfalls geduldet. Mit der religiösen Durchdringung des Abendlandes und den innerkirchlichen Reformbewegungen, insbesondere mit den Missionsbestrebungen der Bettelorden, verbreitete sich die Judenfeindschaft über den Kreis der Theologen hinaus und wurde Teil der Volksfrömmigkeit. Damit nahmen die Aversionen und Konflikte so zu, dass die zunächst überwiegend friedliche Koexistenz immer häufiger, etwa im Verlauf der Kreuzzüge (1096, 1146/47 und 1188/89), durch Gewaltausbrüche seitens der christlichen Bevölkerung bedroht wurde, bis seit etwa um 1300 der «Konflikt zur Norm» (Michael Toch) wurde. Diese Verschlechterung der gesellschaftlichen Stellung der Juden hatte mehrere Ursachen. Eine war der Wandel des Judenschutzes. Nachdem dieser wegen des Versagens der lokalen Gewalten während der Kreuzzugsverfolgungen zunehmend auf den Kaiser übergegangen war und die Juden als «Kammerknechte» ähnlich wie zuvor in England und Frankreich dem kaiserlichen Schutz und Fiskus unterstellt worden waren, trat die Zentralgewalt nun ihr «Judenregal» immer häufiger an die Landes- oder Stadtherren ganz oder teilweise ab. Der Schutzgedanke machte dabei immer mehr der Auffassung von Juden als reinem Finanzobjekt Platz, die als «königliche Melkkuh» willkürlich ausgebeutet und auch abgeschlachtet werden konnten. Ihre Position verschlechterte sich auch, weil sie nicht zu den sich als christliche Bruderschaften verstehenden Zünften zugelassen wurden, denn damit verloren die Juden ihre Stellung in Warenhandel und Handwerk und wurden weitgehend auf den von der Kirche als «Wucher» verdammten Geld-, Pfand- und Kleinhandel eingeschränkt. Schließlich wurden sie durch die Bestimmungen des IV. Laterankonzils (1215) sowohl zu einer ausgegrenzten Gruppe (Kennzeichnung der Kleidung, Ausschluss von öffentlichen Ämtern u.a.) als auch – mit der Verkündigung der Transsubstantiationslehre – zum Ziel von Blutbeschuldigungen, wonach sie die Opferung Christi stets aufs Neue wiederholten, sei es, dass sie die Hostie als den Leib Christi verletzten, sei es, dass sie Christenkinder kreuzigten oder sonst zu Tode marterten, um Blut für ihre Rituale oder für die Heilung von Krankheiten zu gewinnen. Obwohl die kirchliche Hierarchie diese Ritualmord- und Hostienfrevellegenden bekämpfte, entwickelten sie sich in der Volksfrömmigkeit zusammen mit der «Brunnenvergiftung» zu wirkungsmächtigen Vorstellungen, die bis ins 20. Jahrhundert hinein Anlässe für kollektive Gewalt gegen Juden lieferten.
Die religiöse und soziale Stigmatisierung der Juden, in der sich eine tiefsitzende Angst vor diesen «Feinden der Christen» ausdrückte, sowie ihre ökonomische Spezialisierung, die ihnen den Vorwurf des Wuchers eintrug und sie zu lohnenden Opfern von politischen Konflikten machte, führten zu den großen Verfolgungswellen des späten 13. und des 14. Jahrhunderts (Pestpogrome 1348–50), in denen viele jüdische Gemeinden in Mitteleuropa vernichtet wurden. Zuvor waren die Juden schon aus England (1290) und Frankreich (ab 1306) vertrieben worden, nachdem ihnen dort mit dem Verbot von Zins- und Pfandleihgeschäften und steuerlicher Auspressung durch die Könige die wirtschaftliche Grundlage entzogen worden war. Im 15. und 16. Jahrhundert folgten Ausweisungen aus vielen deutschen Städten und Ländern, 1492 aus Spanien und 1496/97 aus Portugal, wo sich im Zuge der massenhaften Konversion von Juden (Conversos) unter dem Zwang ihrer christlichen Umwelt im 15. Jahrhundert eine aus heutiger Sicht rassistische Form der Judenfeindschaft entwickelt hatte, da man über Abstammungsnachweise («estatutos de limpieza de sangre»), die eine Blutsreinheit belegen sollten, weiterhin zwischen Christen und den des heimlichen «Judaisierens» verdächtigten Conversos unterschied, deren Nachkommen man den Zugang zu bestimmten Berufen verweigerte.
Im Spätmittelalter ging der Judenschutz vollständig auf die Städte über, die gegen Entgelt befristete kollektive oder individuelle Schutzbriefe ausstellten. Dies erlaubte eine flexible Ansiedlungspolitik zwischen Privilegierung und Diskriminierung, doch bot die städtische Obrigkeit andererseits für die Juden effektiveren Schutz als der Kaiser oder die Territorialherren. Die «Judenordnungen» zielten letztlich darauf, den Handlungsspielraum der Juden immer mehr einzuengen und sie etwa durch Nichtverlängerung von Schutzbriefen oder den Entzug der wirtschaftlichen Basis durch enge Zoll- oder Zinsvorschriften zu vertreiben, da man in ihnen nach der Lockerung des kirchlichen Wucherverbots nun eine unliebsame Konkurrenz für die in diesem Sektor tätigen Christen und eine Gefahr für die politische Autonomie der Stadt gegenüber den Eingriffsrechten anderer Gewalten sah, die beim Judenregal ansetzen konnten. Zu einer schärferen Ausgrenzung der Juden (Ghettobildung, Wucherverbot) trugen im 15. Jahrhundert auch der durch die Verfolgung der Hussitenbewegung zu einem neuen Höhepunkt gelangte Kampf gegen die Ketzerei sowie die Kirchenreform bei, die einen neuen «christlichen Fundamentalismus» ...
Erscheint lt. Verlag | 16.10.2020 |
---|---|
Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Judentum | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Antisemitismus • Christen • Christentum • Emanzipation • Fremdenfeindlichkeit • Geschichte • Holocaust • Juden • Judenfeindlichkeit • Judentum • Nachkriegszeit • Nationalismus • Oktoberrevolution • Politik • Shoah • Vertreibung • Völkermord • Weltkrieg • Widerstand |
ISBN-10 | 3-406-75799-5 / 3406757995 |
ISBN-13 | 978-3-406-75799-0 / 9783406757990 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,5 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich