Vom Glück, eine Strategie zu haben (eBook)
312 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-8559-8 (ISBN)
Inke Jochims, Jg. 1963, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Berlin. Sie hat viele Jahre als Coach und Therapeutin gearbeitet und gibt nun ihr Wissen in Form von Online-Kursen und Büchern weiter. Zudem ist sie auf YouTube mit ihrem Kanal: Jochims-Methode aktiv. www.jochims-methode.de, www.jochims-buecher.de, www.jochims-entspannung.de
5.2 Ein Gehirn, drei Teile
Zentrales Organ für die Einschätzung einer potenziellen Gefahr ist das Gehirn. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass das Gehirn aus drei Teilen besteht und jedes dieser drei Teile ist in die Stressreaktion involviert.
Welches dieser drei Subsysteme aktiv wird, bestimmt, wie wir reagieren, ob wir den Stress auflösen können oder potenzieren werden. Diese drei Systeme sind der Neokortex, das limbische System und das Reptiliengehirn. Diese Darstellung des aus drei Teilen bestehenden Gehirns ist ein Modell, das sich seit vielen Jahren bewährt, den neurologischen Fakten aber nicht vollständig entspricht. Es ist jedoch ausreichend korrekt, um hier zu genügen.
Abbildung 3: Die Reise eines Sinneseindrucks durch das Gehirn
5.2.1 Neokortex
Das ist der Gehirnteil, der alle höheren kognitiven und emotionalen Funktionen kontrolliert. Es ist das evolutionär neueste System, über das wir verfügen. Der Neokortex ist für alle kognitiven Fähigkeiten des Menschen wie Planung, Vernunft, Mathematik, Sprache, Musik etc. zuständig.
Der Neokortex ist auch für Fähigkeiten zuständig wie ein Gewissen und eine Intuition zu haben. Der Neokortex kann – im Unterschied zu den anderen Gehirnteilen – auch in die Zukunft sehen.
Es ist der Gehirnteil, der fähig ist, den Impuls ins Kino zu gehen zugunsten der Arbeit am Schreibtisch zu hemmen. Es ist der Gehirnteil, der uns signalisiert: „Wenn Du Dich jetzt nicht an den Schreibtisch setzt, dann wird die Arbeit nicht rechtzeitig fertig.“ Der Neokortex versteht den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Er ist auch für die komplexen menschlichen Gefühle wie altruistische Liebe, Weisheit oder Güte zuständig.
Es ist der Gehirnteil, der uns befähigt, sich in das einzufühlen, was in einem anderen Menschen vorgeht und es auf eine sozial angemessene Weise zu verbalisieren. Umso wichtiger ist es, dass dieser Teil ausreichend aktiviert ist – und genau das ist er nicht, wenn es um „Stress“ geht.
Dieser Gehirnteil ist besonders dann aktiv, wenn wir uns sicher fühlen.
5.2.2 Limbisches System
Der zweite Gehirnteil ist das limbische System. Dieses System ist vor allem für die Emotionen zuständig. Evolutionär ist es erheblich älter als der Neokortex.
Wir teilen es mit allen Säugetieren und es ist diese Gemeinsamkeit, die es uns erlaubt, den Hund als Freund zu empfinden.
Zu einer Schlange, die dieses System nicht hat, können wir keine emotionale Verbindung herstellen und die Schlange kann auch keine zu uns herstellen, unser Hund aber sehr wohl. Wenn das Gehirn eine Situation, einen Gedanken oder ein Gefühl als gefährlich einschätzt, wird dieses System aktiviert und sucht nach kurzfristigen Lösungen aus dem Bereich „Kampf oder Flucht“. Es sorgt auch für Wut oder Angst.
Dieses System orientiert sich nicht an langfristigen Zielen, sondern an kurzfristigen Impulsen. Ich möchte jetzt das Eis, jetzt ins Kino, jetzt telefonieren etc. Es ist auch nicht fähig, in die Zukunft zu sehen und ebenfalls nicht, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung zu begreifen. Es gibt viele Menschen, die ihrem Hund verbieten an den Hausschuhen zu nagen, und wenn er es doch tut, sagen sie: „Bello, ich hatte dir doch gestern erst verboten, an meinen Schuhen zu knabbern!“
Alles, was der Hund, der nur über einen rudimentär entwickelten Neokortex verfügt, hören kann, ist: „Bla, bla, bla…“ Er bekommt die Wut mit, hat aber keinerlei Fähigkeiten, einen Zusammenhang zwischen dem, was gestern „gesagt“ wurde und dem, was er heute tut, herzustellen. Das limbische System ist dafür da, uns die jetzt erlebbare Liebe zu einem anderen Wesen zu vermitteln oder auch den jetzt gerade stattfindenden Hass. Es ermöglicht uns, Beziehungen zu haben und zu fühlen, wen wir mögen und wen nicht.
Aber dieses System, so wichtig es für unser Leben auch ist, kann nicht langfristig planen und denken. Es spricht buchstäblich kein „Deutsch“ und daher kann es auch mit „vernünftigem“ Zureden nicht erreicht werden. Wenn wir ein wenig gestresst, aber noch nicht vollständig überwältigt sind, ist hauptsächlich dieser Teil aktiviert.
5.2.3 Reptiliengehirn
Der dritte Gehirnteil, der in diesem Zusammenhang wichtig wird, ist das Reptiliengehirn. Das ist der evolutionär gesehen älteste Gehirnteil und der, den wir mit den Reptilien „gemeinsam“ haben. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Mensch in einem direkt organischen Sinne das gleiche Reptiliengehirn hat wie eine Schlange, es ist beim Menschen erheblich komplexer.
Das Reptiliengehirn wird aktiviert, wenn es um elementare Überlebensfragen geht. Es steuert instinktive, reflexartige Reaktionen.
Es ist nicht sozial, so wie ein Reptil oder eine Schlange auch nicht „sozial“ sind. Wenn der Stress sehr groß ist und das Nervensystem meint, das Überleben wäre in Gefahr, wird dieses System aktiviert und dann sinken wir auf das Niveau eines Reptils herab. Wenn überwiegend dieses System aktiv ist, haben wir nur noch eines im Sinn: uns selbst.
Wir reagieren auf der Ebene primitivster Reflexe. Wir sind faktisch nicht mehr fähig, bereits erlernte Kompetenzen wie lösungsorientiertes Denken oder Mitgefühl abzurufen.
Abbildung 4: Das dreiteilige Gehirn
5.3 Sicher, gefährlich, lebensgefährlich
Im Prozess der Neuroception trifft unser Nervensystem drei basale Unterscheidungen. Es fragt sich: Ist die Situation sicher, gefährlich oder sogar lebensgefährlich? Es trifft diese Unterscheidungen für die drei oben genannten Bereiche: in uns, außerhalb von uns und zwischen uns.
Unser Nervensystem reagiert je nach Einschätzung, indem es sowohl einen bestimmten Gehirnteil als auch eine bestimmte Konfiguration des Autonomen Nervensystems aktiviert und uns so eine angemessene Reaktion auf die vermeintliche oder echte Gefahr ermöglicht.
Wie schon erwähnt: Das Nervensystem reagiert auch auf Erinnerungen. Wenn eine Verhaltensweise, so nützlich sie auch sein kann, einst als Gefahr oder sogar als lebensgefährlich erlebt wurde, dann verhindert das Gehirn das Ausführen dieser Verhaltensweise nach besten Kräften.
Das Ergebnis nennen wir auch Prokrastination.
Zu den Reaktionen des Autonomen Nervensystems (ANS) später mehr, hier eine erste Übersicht:
Die Ampel ist grün: Die Situation ist sicher. Aktiviert werden der soziale Teil des Nervensystems und mit ihm der Neokortex. Dieses System nennt Porges das „soziale System“.
Die Ampel ist gelb: Die Situation ist gefährlich. Aktiviert werden im Gehirn das limbische System und im Körper die Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Das ist das „Mobilisierungssystem“.
Die Ampel ist rot: Die Situation ist lebensgefährlich. Aktiviert werden im Gehirn das Reptiliengehirn und im Körper die „Freeze“-Reaktion. Das ist das „Immobilisierungssystem“.
Abbildung 5: Neuroception und Signale
Selbstverständlich sind Überlappungen möglich. In Wirklichkeit unterscheidet das Nervensystem nicht so klar wie bei einer Ampel. Man kann sich durchaus sicher und dennoch ein wenig im Stress fühlen. Man kann noch aktiviert sein und sich schon ein bisschen gelähmt fühlen.
Aber wirklich produktiv arbeiten kann man nur, wenn das soziale System aktiv und somit der Neokortex optimal aktiviert ist.
Was bedeutet das nun für das Thema der Prokrastination?
Wenn eines der vier Elemente des EBenDA-Zyklus oder das angestrebte Ziel als gefährlich oder sogar lebensgefährlich eingeschätzt wird, dann wird das Element oder das Ziel erstens gemieden, und zweitens haben wir die kognitiven Fähigkeiten, die wir brauchen, um uns auf das Ziel zu konzentrieren, nicht mehr vollständig zur Verfügung.
5.4 Trigger
Die Auslöser für jegliche Art von Reaktion nennt man auch „Trigger“. Ein Trigger kann alles sein: ein Wort, ein Bild, eine Erinnerung. Ein Trigger muss mit dem, was einmal geschehen ist, gar nicht so viel zu tun haben (kann es aber).
Hier ein Beispiel:
Ein Mann und eine Frau sitzen als Paar in einem Restaurant. Im Hintergrund hören sie plötzlich ein Lied, nicht irgendeines: ihr Lied. Es ist das Lied, das vor 20 Jahren lief, als sie sich kennengelernt haben. Schon sind beide in einer anderen Stimmung, das Gespräch wird flüssiger, der Kontakt intensiver, das Essen schmeckt besser. Denn beide erinnern sich nun wieder an die Zeit, in der sie frisch verliebt waren.
Das Lied ist der „Trigger“, der Auslöser, und das Gefühl, die Erinnerung an die Verliebtheit, ist das, was „getriggert“ wurde. Das Resultat ist ein flüssiges Gespräch und ein bestimmtes Verhalten: ein anderes Sprechtempo, mehr Augenkontakt etc.
Trigger funktionieren auch, wenn es sich um negative Erfahrungen handelt.
Wenn jemand für Leistungsversagen hart bestraft wurde, dann ist...
Erscheint lt. Verlag | 13.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie | |
ISBN-10 | 3-7519-8559-X / 375198559X |
ISBN-13 | 978-3-7519-8559-8 / 9783751985598 |
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