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Die Mutter im Leben eines Mannes (eBook)

Eine lebenslange Bindung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
283 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11619-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Mutter im Leben eines Mannes -  Victor Chu
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Was macht für eine Mutter die Beziehung zu einem Sohn so besonders? Und was macht für einen Mann die Beziehung zur Mutter so einzigartig? Victor Chus Buch ist geschrieben im Geiste von Liebe und Versöhnung. Es regt  Männer dazu an, den Einfluss ihrer Mutterbeziehung auf ihr Mannsein, ihr Verhältnis zu Frauen, ihre Sexualität und ihre Stellung in der aktuellen Familie zu überdenken, und es sensibilisiert wiederum Mütter für die Bedürfnisse ihrer Söhne. In diesem sehr persönlichen Buch arbeitet Victor Chu die Merkmale einer (zu) engen Mutter-Sohn-Beziehung heraus mit all ihren Schattierungen wie Leidenschaft, Scham, Treue, Verrat, Sehnsucht, Erwachsenwerden und Familiengeheimnisse.  Der Autor schildert die möglichen psychischen Auswirkungen der engen Symbiose für Mutter und Sohn und ihre Beziehung von der Geburt bis zum Tode. Unter anderem geht es dabei um: - Unterschiede zwischen Mutter-Tochter- und Mutter-Sohn-Beziehungen - den Einfluss der Liebesbeziehung zwischen Vater und Mutter auf deren Beziehung zum Sohn - eine Wiederannäherung im Alter: Versöhnung und Rollenumkehr zwischen Müttern und Söhnen - den Einfluss der Mutterbeziehung auf die späteren Liebesbeziehungen eines Mannes - die Mutter-Sohn-Beziehung im therapeutischen Kontext     Dieses Buch richtet sich an: - Mütter, Söhne und vor allem deren Ehefrauen oder PartnerInnen - PsychotherapeutInnen und FamilienberaterInnen - Coaches

Victor Chu, Dr. med., ist Arzt und Diplom-Psychologe und arbeitet als Psychotherapeut, Tai-Chi-Lehrer und Ausbilder in Gestalttherapie und gestalttherapeutischem Familienstellen.

Victor Chu, Dr. med., ist Arzt und Diplom-Psychologe und arbeitet als Psychotherapeut, Tai-Chi-Lehrer und Ausbilder in Gestalttherapie und gestalttherapeutischem Familienstellen.

Vorwort


Erlauben Sie mir gleich zu Beginn eine Vorbemerkung: Es geht in diesem Buch nicht um eine allgemeine Abhandlung über die Beziehung zwischen Müttern und Söhnen. Vielmehr geht es um das Verhältnis zwischen schwierigen Müttern und ihren Söhnen. Mich hat als Psychotherapeut interessiert, welche Konflikte entstehen können, wenn eine Mutter persönliche Probleme hat, die sie unbewusst auf den Sohn überträgt und die ihr gegenseitiges Verhältnis belasten.

In vielen Gesprächen mit Männern habe ich erfahren, wie ein Zuviel oder Zuwenig an Mutterliebe ihnen Schwierigkeiten in ihrem erwachsenen Leben bereiten können. Frauen beklagen sich darüber, dass ihre Partner mehr an der Mutter hängen als an ihnen, dies aber vehement ableugnen. Und Töchter sind darauf eifersüchtig, dass ihre Mütter den Bruder selbst im Erwachsenenalter bevorzugen. Schließlich sind manche Mütter darüber verzweifelt, dass sie ihre erwachsenen Söhne nicht verstehen, dass sie keinen Zugang mehr zu ihnen finden und sie sich deshalb Sorgen um sie machen. Ihnen allen möchte ich Erklärungen für das komplexe Geflecht in der Beziehung zwischen Müttern und Söhnen an die Hand geben, damit sie ihr gegenseitiges Verhältnis klären und besser gestalten können.

Es ist unmöglich, objektiv über Mütter nachzudenken und zu schreiben. Jeder Mensch, egal Frau oder Mann, den man nach seinem Verhältnis zur Mutter fragt, kommt mit persönlichen Erinnerungen und Geschichten, die mit positiven oder negativen Gefühlen besetzt sind. Das Verhältnis zur Mutter ist immer subjektiv und immer emotional, ist sie doch die erste und die prägendste Beziehung in unserem Leben. Selbst ein Mensch, der gleich nach der Geburt von seiner Mutter zur Adoption freigegeben wurde, hat die ersten neun Monate seines Lebens in ihrem Uterus erlebt, war mit ihr über die Nabelschnur aufs Innigste verbunden, hat alles miterlebt, was ihr während der Schwangerschaft widerfuhr. Mit der Mutter ist er gemeinsam durch die Geburt gegangen, einen Prozess, in dem es für beide um Leben und Tod geht.

Wieviel stärker und persönlicher ist das Verhältnis zur Mutter für Menschen, die mit ihr nicht nur Schwangerschaft und Geburt erlebt haben, sondern jahrelang von ihr genährt und großgezogen worden sind. Die Mutter ist schlichtweg die prägendste Person in unserem Leben.

Umgekehrt ist es für eine Mutter unmöglich, neutral über ihr Verhältnis zu ihren Kindern zu berichten. Zum einen ist die Fähigkeit, ein Kind zu bekommen und auf die Welt zu bringen, ausschließlich dem weiblichen Geschlecht vorbehalten. Sie gehört zum Schicksal einer Frau, von manchen als Geschenk, von anderen als Fluch empfunden, mit all den Nuancen dazwischen. Diese Tatsache führt dazu, dass keine Frau neutral über Mutterschaft und Muttersein sprechen kann. Zudem berührt dieses Thema auch ihre Geschichte mit ihrer Mutter. Muttersein ist ein Fluss, der von Großmutter zur Mutter zur Tochter und weiter fließt. Therapeutinnen berichten, dass es nicht selten vorkommt, dass eine Frau bei der Geburt ihres Kindes ihre eigene Geburt durchlebt, diesmal in der Doppelrolle als Gebärende und als (einstiges) Kind. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, dass die meisten Mütter ihre Kinder mit vielschichtigen Gefühlen betrachten. Eine Mutter erzählt, dass es unmöglich sei, sich nicht in Extremen zu sehen: Entweder tue sie als Mutter zu viel oder zu wenig. Sie sei ihre schärfste Kritikerin. Aus diesem Grund hat eine Mutter fast nie das Gefühl, ihre Kinder richtig zu behandeln. Es ist schier unmöglich, eine »ideale Mutter« zu sein.

Es ist also weder aus der Perspektive des Kindes noch aus der der Mutter möglich, objektiv über Mütter und Muttersein zu denken und zu sprechen. Vielleicht ist dies der Grund, warum das Thema Mutter in der öffentlichen Diskussion oft nur mit Samthandschuhen angefasst wird. In der psychologischen Literatur finden wir zwar eine Menge Ratgeber dafür, wie man Kinder richtig erziehen soll. Aber über die Probleme, die Kinder mit ihren Müttern haben, ihre Ängste, ihre Schmerzen, ihr Leid – das Kind als Opfer seiner Mutter –, darüber wird kaum etwas geschrieben. Es ist, als betrete man eine Tabuzone, wenn man sich über Mütter beklagt. Darüber darf zwar unter vier Augen erzählt werden, aber in der Öffentlichkeit? Da wird die Mutter verehrt und auf einen Sockel gestellt. Das größte Vorbild dafür ist die Mutter Gottes.

Ich habe nur ein einziges Madonnenbild gesehen, auf dem die Madonna das Jesuskind verprügelt. Es ist 1926 von Max Ernst gemalt worden, mit dem Titel »Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler«. Auf dem Bild sieht man, wie Maria mit einem starren, ausdruckslosen Blick das nackte Jesuskind auf ihrem Schoß mit der linken Hand festhält und mit der rechten ihm auf den bereits geröteten Po schlägt. Dabei trägt sie den Heiligenschein. Seiner ist jedoch auf den Boden gefallen. In den gefallenen Heiligenschein hat der Maler seine Signatur gesetzt. Im Hintergrund schauen drei Männer durch ein winziges Fenster zu. Man könnte das Bild so deuten, dass Max Ernst seinen beiden Freunden über seine einstige Züchtigung durch die Mutter erzählt. Das Bild löste 1926 ein Skandal aus. Als es im Kölnischen Kunstverein ausgestellt wurde, soll der damalige Erzbischof gefordert haben, es abzuhängen.

Wie sehr unsere Idealvorstellung der Familie von der Realität abweicht, zeigt folgendes Zitat aus den Federn eines führenden Traumatherapeuten:

»(…) denn Menschen seien nun einmal Virtuosen des Wunschdenkens und des Verschleierns der Wahrheit (…) Wir wollen im Grunde nicht wissen, was Soldaten im Kampf durchmachen. Wir wollen auch nicht wissen, wie viele Kinder in unserer Gesellschaft sexuell belästigt, missbraucht oder misshandelt werden, und auch nicht, wie viele Paare – es ist fast ein Drittel – irgendwann in ihrer Beziehung gewalttätig werden. Wir möchten uns die Familie als einen sicheren Hafen in einer herzlosen Welt vorstellen und unser eigenes Land als von aufgeklärten und zivilisierten Menschen bewohnt. Wir ziehen es vor zu glauben, dass Grausamkeiten nur an fernen Orten wie in Darfur oder im Kongo stattfinden (…).« (Van der Kolk 2015, S. 20)

Über das zwiespältige Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern hat Nancy Friday 1977 zum ersten Mal in ihrem Buch My Mother Myself geschrieben. Über Mütter und Söhne wurde jedoch kaum etwas Kritisches geschrieben. Das Buch von Karl Haag, Wenn Mütter zu sehr lieben. Verstrickung und Missbrauch in der Mutter-Sohn-Beziehung (2015), bildet eine große Ausnahme, ebenso das erschütternde autobiographische Buch Das wahre »Drama des begabten Kindes« (2016) von Martin Miller, dem Sohn von Alice Miller. Er beschreibt darin, wie seine weltberühmte Mutter, die in ihren Büchern stets die Psyche des Kindes gegen den Machtmissbrauch der Eltern verteidigt, aufgrund ihrer erlittenen kriegs- und holocaustbedingten Traumata ihre eigenen Kinder abgeschoben, vernachlässigt und den Misshandlungen durch deren Vater tatenlos überlassen hat.

Gerade Männern scheint es schwerzufallen, über die schmerzlichen Seiten ihrer Mutter-Beziehung nachzudenken und zu schreiben. Zu tief sitzt die Wunde. Zu sehr wehrt sich die männliche Seele dagegen, zugeben zu müssen, einst als hilfloser Junge von der Mutter abhängig gewesen zu sein, vielleicht sogar von ihr gedemütigt, misshandelt oder missbraucht worden zu sein. Zu sehr steht dies dem gewohnten stereotypen Bild des starken Mannes entgegen, der ein Mann in der Gesellschaft zu sein hat.

Es ist jedoch gerade die Umkehrung des Klischees von dem starken Mann hier und der schwachen Frau dort, die das Verhältnis zwischen Müttern und Söhnen so interessant macht. Wir vergessen zu oft, dass jeder Mann, egal ob Macho oder Softie, einmal ganz klein und hilflos gewesen ist und seiner Mutter ausgeliefert war. Damit beginnt das Leben eines jeden Mannes. Hier beginnt auch seine Geschichte mit der Frau. Die Mutter ist die erste Frau im Leben eines Mannes. Sie prägt sein Verhältnis zu sich selbst, indem sie ihm zum ersten Mal das Gefühl dafür gibt, wie es ist, ein Mann zu sein. Vor allem aber prägt sie sein Verhältnis zu allen Frauen, die er später antreffen wird. Mit ihr macht er...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2020
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Bindung • Bindungspsychotherapie • Bindungsstörung • Bindungstheorie • Coach • Entwicklungspsychologie • Erwachsen Sein • Erwachsenwerden • Familie • Familiengeheimnisse • Familienkonflikt • Mannsein • Mutter • Mutterbeziehung • Mutterliebe • Mutter-Sohn-Beziehung • ödipale Phase • Ödipuskomplex • Ödipus-Konflikt • Psychologie • Psychologische Beratung • Psychotherapie • Pubertät • Sigmund Freud • Sohn • Versöhnung
ISBN-10 3-608-11619-2 / 3608116192
ISBN-13 978-3-608-11619-9 / 9783608116199
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