Sag Ja zum Nein sagen (eBook)
240 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11602-1 (ISBN)
Klaus Blaser, Dr., ist Psychiater, Psychotherapeut und Bewusstseinsforscher. Neben seiner Arbeit in der eigenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis in Basel gründete er die 'School for Boundary Awareness'; er leitet Seminare und Weiterbildungen in Deutschland, der Schweiz und in den Niederlanden.
Klaus Blaser, Dr., ist Psychiater, Psychotherapeut und Bewusstseinsforscher. Neben seiner Arbeit in der eigenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis in Basel gründete er die "School for Boundary Awareness"; er leitet Seminare und Weiterbildungen in Deutschland, der Schweiz und in den Niederlanden.
Vielleicht sind Sie gespannt auf das, was in der ersten Woche auf Sie zukommt. In diesem Kapitel werden wir genau das beschreiben. Wir beginnen mit einer Achtsamkeitsübung, welche hier schriftlich angeleitet wird. Anschließend folgt eine erste theoretische Ausführung. Danach werde ich etwas zu der ersten CD-Übung sagen, und zum Schluss dieses Kapitels finden Sie die »Hausaufgaben«. Diesen Ablauf verfolgen wir während des ganzen Trainings. Wir beginnen also immer mit einer Aufwärmübung, so wie dies auch in der Gruppe gemacht wird. Sie dient dazu, die Aufmerksamkeit auf eine andere Ebene zu führen, weg von Ihren alltäglichen Tätigkeiten, weg von Ihrem üblichen Lebenstempo. Wenn Ihnen die Übung gefällt, dürfen Sie diese natürlich auch öfters machen, quasi als Zusatzübung, notwendig ist dies jedoch nicht. Bevor Sie jetzt mit dem Training beginnen, darf ich Sie nochmals fragen, ob Sie den Fragebogen in Anhang schon ausgefüllt haben? Wenn nicht, bitte ich Sie, dies vorher zu tun.
AUFWÄRMÜBUNG WOCHE 1
Suchen Sie einen Ort, wo Sie 10 Minuten ungestört verweilen können. Schalten Sie Ihr Handy aus, sorgen Sie dafür, dass kein Fernseher oder Radio läuft, und bitten Sie Ihre Mitbewohner, Sie nicht zu stören. Wenn Sie einen Ort in der Wohnung oder eventuell auch draußen in der Natur gefunden haben, setzen Sie sich auf einen Stuhl, auf ein Kissen oder auf den Boden und sitzen Sie, wenn möglich, in einer aufrechten Haltung. Stellen Sie Ihre Füße auf den Boden. Sie können, wenn Sie dies bevorzugen, die Übung auch im Liegen machen. Wenn Sie müde sind, kann es durchaus geschehen, dass Sie dabei einschlafen. Dies bedeutet für Leser mit Einschlafproblemen, dass es auch eine geeignete Einschlafübung sein kann.
Nachdem Sie sich einen angenehmen Ort ausgesucht haben und bequem sitzen oder liegen, schließen Sie die Augen. Atmen Sie jetzt tief durch die Nase ein und aus und konzentrieren Sie sich dabei auf den Temperaturunterschied zwischen der eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft. Sie werden merken, dass die eingeatmete Luft kälter ist als die ausgeatmete. Zählen Sie gleichzeitig die Atmungen und wiederholen Sie die Übung fünf Mal. Gehen Sie anschließend mit Ihrer Aufmerksamkeit zu Ihrem Mundhöhlenbereich. Sie merken, dass auch dort die Atmungsluft zirkuliert und einen Temperaturunterschied zwischen der eingeatmeten und der ausgeatmeten Luft im Mund spürbar ist. Zählen Sie auch jetzt wieder die Ein- und Ausatmungen und wechseln Sie nach dem fünften Mal zur nächsten Stelle. Gehen Sie jetzt mit der Aufmerksamkeit zum Rachen und beachten Sie, wie die Luft entlang des Rachens mit unterschiedlicher Temperatur vorbeiströmt. Wenn Sie während der Übung mit Ihren Gedanken abschweifen, plötzlich woanders sind, stellen Sie das fest, ohne sich zu verurteilen. Sagen Sie liebevoll zu sich, jetzt war ich mit meiner Aufmerksamkeit kurz woanders und gehe wieder zurück zum Rachen. Der nächste Fokussierungsort liegt hinter dem Brustbein, dort, wo sich die Luftröhre in den linken und rechten Hauptbronchus verzweigt. Dies ist ungefähr hinter dem oberen Drittel des Brustbeins. Hier ist es etwas schwieriger, den Temperaturunterschied der ein- und ausgeatmeten Luft wahrzunehmen. Einerseits, weil wir nicht gewöhnt sind, dort bewusst die Temperatur wahrzunehmen, und andererseits, weil die eingeatmete Luft an dieser Stelle bereits teilweise aufgewärmt wurde. Wenn es Ihnen nicht gelingt, diesen Unterschied wahrzunehmen, macht es nichts. Diese Übung braucht Praxis. Wenn Sie die Aufgabe liegend machen, kann es sein, dass Sie bereits an dieser Stelle eingeschlafen sind. Wenn nicht, gehen Sie mit der Aufmerksamkeit zum nächsten, vorletzten Teil. Achten Sie jetzt auf die Bewegung des Zwerchfells, wie sich dieses beim Einatmen nach unten bewegt und beim Ausatmen nach oben. Es gilt, weiterhin ein Abschweifen der Gedanken liebevoll anzunehmen und mit der Aufmerksamkeit zur Übung zurückzukehren.
Zum Schluss nehmen Sie fünf Mal wahr, wie sich die Bauchdecke bei der Ausatmung nach innen und bei der Einatmung nach außen bewegt. Lassen Sie Ihren Bauch so richtig gehen, es gibt niemanden, der Ihnen zuschaut und Ihren »Buddhabauch« sieht.
Wenn Sie den letzten Teil der Übung gemacht haben, kehren Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zurück zum Buch. Wir werden jetzt mit dem ersten theoretischen Teil beginnen.
Theorie-Input Woche 1
Die Innenwelt und ihre Grenze
Wir leben in einer Zeit, wo Persönliches und Intimes vermehrt ausgestellt und veröffentlicht werden. Die Privatsphäre wird, kleiner und es gibt zurzeit einige Kräfte, die aus ganz unterschiedlichen Beweggründen das bedingungslose Sich-Öffnen propagieren. Die Ich-Grenze steht zur Debatte, und Facebook und Co. profitieren vom aufkeimenden Narzissmus. Geheimdienste, wie die amerikanische NSA, nützen die neue Offenheit, aber auch Internetriesen wie Amazon verwenden die Internetdaten und digitalen Bewegungen von Millionen Erdbewohnern. Der Transparenzzwang baut Grenzen und Schwellen ab (Han 2013).
Aus psychotherapeutischer Sicht ist es klar, dass wir Menschen eine Innenwelt haben, die es zu schützen gilt. Einen Innenraum, wo wir unsere intimen Erfahrungen hüten dürfen, wo wir Geheimnisse haben dürfen, die wir mit uns ins Grab nehmen. Die menschliche Seele braucht eine Sphäre, in der sie bei sich sein kann, ohne den Blick des anderen (Han 2013). Wir brauchen einen Innenraum, wo wir mit unseren Gefühlen allein sein können, wo wir mit unserer Trauer intim zusammensein können, einen Ort, wo es nur uns gibt. Früher schon wurden und auch jetzt werden die Ich-Grenzen durch traumatische Erfahrungen aufgeweicht, zerstört oder porös gemacht.
Früher hatten und auch jetzt haben Kinder und Jugendliche oft nicht die Chance, eine stabile, schutzgebende, gut funktionierende Ich-Grenze aufzubauen. Heute folgen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß viele dem Trend der Transparenzgesellschaft. Sie lösen freiwillig ihre Ich-Grenze auf in der Hoffnung, gesehen und wahrgenommen zu werden, doch genau das Gegenteil geschieht.
Drei mentale Räume
Wenn wir davon ausgehen, dass jeder Mensch von Geburt an eine psychisch-seelische Innenwelt besitzt, dann muss außerhalb dieser Innenwelt auch eine Außenwelt existieren. Wenn es diese beiden Räume gibt, dann gibt es auch eine Grenze, eine mentale Ich-Grenze, die diese zwei Räume voneinander trennt und sie gleichzeitig miteinander verbindet. Das bedeutet, dass drei mentale Räume existieren: Ihre Innenwelt, meine Innenwelt und der dazwischenliegende Raum (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Die drei mentalen Räume und ihre Grenzen
Nach Liesmann muss eine Grenze in beide Richtungen überquerbar sein (Liesmann 2012). Womit können wir nun unsere mentale Ich-Grenze überschreiten? Mit unserer Aufmerksamkeit. Die drei Räume, Ihre, meine Innenwelt und der interpersonelle Raum dazwischen, sind Aufmerksamkeitsorte, wo wir uns mit unserer Aufmerksamkeit bewegen und wo wir verweilen können. Wie wir später noch sehen werden, sind wir achtsam, wenn wir uns mit unserem Aufmerksamkeitsstandort in unserer Innenwelt aufhalten. Wir sind empathisch, wenn wir uns in die Innenwelt des anderen begeben, und wir sind in einem kognitiven rationalen Modus, wenn wir mit dem Aufmerksamkeitsstandort in dem Zwischenraum sind.
Eine Grenze unterscheidet: Ohne Grenze können wir zwei Gegenstände nicht auseinanderhalten. Ihre Innenwelt sieht anders aus als meine, auch anders als die Innenwelt Ihres Partners. Die Grenze ist auch der Ort, wo zwischen den Räumen ausgetauscht wird. Die Grenze ermöglicht Aufnahme und Penetration, Ausscheidung und Wegnahme. Wodurch unterscheidet sich Ihre Innenwelt von der Innenwelt Ihres Partners, Ihrer Eltern, Ihrer Geschwister oder Ihrer Kinder? Und was tauschen wir aus?
Gefühle
Im psychotherapeutischen Alltag hat sich gezeigt, dass es hilfreich ist, dabei sechs Elemente in unserer Innenwelt zu unterscheiden. Sechs Elemente, die wir austauschen können (Blaser 2008). Beginnen wir mit unseren Gefühlen, unserer Trauer, unseren Ängsten, unserer Freude, unserer Wut, unserem Berührt-Sein. Alle finden in unserer Innenwelt einen Platz,...
Erscheint lt. Verlag | 20.2.2020 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Abgrenzung • Achtsam • Achtsamkeit • Anti-Stress-Programm • Buch Trainingsprogramm • Burn-out • Burnout • Coaching • Empathie • Entspannung • Grenzen setzen • Ich-Grenze • Mitgefühl • Privatsphäre • Psychohygiene • Psychologie • Psychologische Beratung • Respekt • Schuldgefühle • Selbstbehauptung • Selbst-Grenze • Selbstsicherheit und Selbstbehauptung • Selbst-Training • Selbstwertstärkung • Stress • Trainingsprogramm • Überforderung • Wohlbefinden |
ISBN-10 | 3-608-11602-8 / 3608116028 |
ISBN-13 | 978-3-608-11602-1 / 9783608116021 |
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