Postheroische Helden (eBook)
277 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76493-0 (ISBN)
Heldenfiguren gelten heute als suspekt: zu viel Pathos, zu viel Männlichkeitsausdünstungen, zu viel moralischer Zeigefinger. Wir leben, heißt es, in postheroischen Zeiten. Gleichzeitig hat sich die Faszination von Heldengeschichten nicht erschöpft, ja, der Fragwürdigkeit heroischer Vorbilder steht ein schier unstillbarer Heldenhunger gegenüber, der reichlich bedient wird. Lebensretter werden ebenso heroisiert wie Klimaaktivistinnen und Whistleblower, Superhelden bevölkern Filme und Computerspiele, und der Spitzensport liefert kontinuierlich heroisierbares Personal. Mit der globalen Konjunktur populistischer Führergestalten kehren schließlich Heldendarsteller auch auf die politische Bühne zurück.
Ulrich Bröckling nimmt diese Gleichzeitigkeit heroischer und postheroischer Leitbilder zum Anlass, den Platz des Heroischen in der Gegenwartsgesellschaft auszuloten. Dazu zeichnet er die Reflexionsgeschichte des Heroismus in der Moderne nach, besichtigt das Figurenkabinett zeitgenössischer Heldinnen und Helden und fragt nach den affektuellen und normativen Dimensionen von Heldenerzählungen sowie nach den Aspekten ihrer Relativierung und Verabschiedung. Sein Fazit: Der Held lebt. Aber unsterblich ist er nicht! Warum das eine gute Nachricht ist, zeigt dieses fulminante Buch.
<p>Ulrich Bröckling ist Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.</p>
91. Einleitung:
Gegenstrebige Gleichzeitigkeiten
Ein soziologischer Essay über Helden, auch über postheroische Helden, bedarf der Rechtfertigung. Das gilt umso mehr, wenn dieser Essay gegenwartsdiagnostisch angelegt ist. Mit Helden assoziieren wir gemeinhin kämpferische oder auch tragische Gestalten, die Exzeptionelles leisten und sich mächtigen Feinden entgegenstellen, die Katastrophen abwehren, Widrigkeiten überwinden und sich um der guten Sache willen in Gefahr begeben, ohne sich dabei um Regeln und Konventionen zu scheren – und die für all das verehrt und bewundert werden. Ein Stoff eher für romantische Erzählungen, militärische Mobilmachungsprosa, pädagogische Erbauungsliteratur oder die Mythen der Populärkultur als für ein soziologisches Zeitbild. Die Soziologie tut sich ohnehin schwer mit Heroisierungen. Sie interessiert sich eher für die kleinen Leute als für große Männer, mehr für Häufigkeitsverteilungen als für Singularitäten und konzentriert sich auf die Ordnungen des Sozialen statt auf das Außerordentliche. Die Nachfrage nach Helden oder auch Heldinnen ist ihr nicht weniger suspekt als die Mechanismen ihrer Fabrikation. Heroismen stellt die Soziologie erst einmal unter Ideologieverdacht oder klassifiziert sie als hoffnungslos antiquierte Relikte einer vormodernen, hierarchisch gegliederten Welt. Ihre Relevanz für das Verständnis der Gegenwart scheint jedenfalls begrenzt.
Zeitdiagnosen müssen nicht nur die richtigen Antworten finden, sondern auch die richtigen Fragen stellen, und zwei10fellos gibt es für Beschreibungen gegenwärtiger Gesellschaften näherliegende Zugänge als die Krise und den Wandel ihrer Heldenbilder. Selbst Problematisierungen des Heroischen laufen zudem Gefahr, noch im Gestus des Entzauberns jenes vertikale Weltbild fortzuschreiben, für das Helden und Heldinnen stehen. In diesem Sinne ist Jürgen Habermas' Bemerkung, »daß sich, wo immer ›Helden‹ verehrt werden, die Frage stellt, wer das braucht – und warum«,1 auch auf die soziologische Beschäftigung mit ihnen auszuweiten. Dasselbe gilt freilich für die These, wir lebten in postheroischen Zeiten. Sie nährt die Illusion einer befriedeten, nivellierten Gesellschaft, die keine Heroen benötigt und erschafft, weil sie individuelle Größe für Anmaßung hält, Konflikte kommunikativ kleinarbeitet und zu freiwilligem Opfer weder willens noch fähig ist. Auch hier ist zu fragen: Wer braucht das – und warum?
Dass heroische Narrative ebenso wie ihre postheroischen Brechungen politisch imprägniert sind und sich Fragen nach Intention und Nutzwert aufdrängen, begründet indes auch ihre gegenwartsaufschließende Kraft: An ihnen lässt sich exemplarisch ablesen, was soziale Ordnungen ihren Mitgliedern zumuten und was sie ihnen zutrauen, auf welche Werte, Verhaltensnormen und Gefühlsregeln sie diese ausrichten, welche Handlungsmacht sie ihnen zubilligen beziehungsweise absprechen und welche Vorstellungswelten sie eröffnen. Verhandelt werden unter anderem normative Erwartungshorizonte und Rangordnungen, Bewertungen von Konformität und Abweichung, Subjekt- und Gemeinschaftsanrufungen, die Position des Individuums in einer hochkomplexen technisierten Gesellschaft, Führungsmodelle, das Problem der Opferbereitschaft und damit die Einstellung zum Tod, aber auch Geschlechterrollen oder der Stellenwert religiöser Bindungen. Die Frage, wer Heldenfi11guren braucht und warum, und wer ebendies bestreitet und warum, verweist nicht zuletzt auf Krisenwahrnehmungen und Normalisierungswünsche.
Weil alle diese Themen kontrovers sind, besteht über den Stellenwert des Heroischen in der Gegenwart kein Konsens. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist denn auch eine widersprüchliche Beobachtung: Auf der einen Seite taucht seit den 1980er-Jahren in unterschiedlichen Kontexten das Attribut »postheroisch« auf und beansprucht zeitdiagnostische Plausibilität; auf der anderen Seite vergeht kaum ein Tag, an dem nicht frische Helden und Heldinnen ausgerufen oder altbewährte wieder hervorgeholt werden. Abschwächung und Intensivierung heroischer Energien laufen parallel. Traditionelle Bewährungsfelder verblassen, während neue Heroen sich in vormals heldenfreien Zonen tummeln. Die appellative Kraft heroischer Narrative mag abnehmen, ihr Unterhaltungswert scheint ungebrochen. Was wir als verbindliches Vorbild nicht mehr ertragen, suchen wir umso leidenschaftlicher in den Sphären der Imagination.
Den Eintritt in eine postheroische Ära konstatierten zunächst politische und militärwissenschaftliche Abhandlungen über die Zukunft des Krieges. Westliche Gesellschaften seien nicht länger in der Lage, so ihre These, massenhaft Opferbereitschaft zu mobilisieren und längerfristig hohe Verluste unter den eigenen Truppen in Kauf zu nehmen. Deshalb führten sie asymmetrische Kriege mit hochtechnisierten Waffensystemen, machten sich allerdings auch verwundbar durch Gegner, die technologische Unterlegenheit durch heroische Todesverachtung kompensieren. Organisations- und Managementtheoretiker proklamieren derweil Modelle postheroischer Führung. Diese verabschieden den Gestaltungsoptimismus politischer Planung und die Steuerungsillusionen eines rationalistischen Managements zuguns12ten eines partizipativen, auf Stärkung von Selbststeuerungspotenzialen ausgerichteten Führungsstils oder plädieren in realistischer Selbstbescheidung dafür, von heroischer Problemlösung auf postheroisches Coping umzustellen. Psychologische Studien wiederum identifizieren den zeitgenössischen Sozialcharakter einer postheroischen Persönlichkeit, die ihre Flexibilität mit dem Zwang zur fortwährenden Anpassung an einen beschleunigten sozialen Wandel erkauft. Selbst die Popmusik soll inzwischen in die postheroische Phase eines »Gegenkulturalismus ohne Gegenkultur« eingetreten sein.2 Weitere Belege aus anderen Feldern ließen sich mühelos ergänzen. Auch wenn die verschiedenen Diskursstränge weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, verdichten sie sich in der Summe zu einem Zeitbild.
Auffällig ist der nahezu ausschließlich adjektivische Gebrauch: Postheroisch wird alles Mögliche genannt, von Postheroen oder Postheroismus ist dagegen kaum die Rede. Das Attribut glänzt wie andere Epochensignaturen, die mit dem Epitheton »post-« versehen sind, auch nicht durch begriffliche Präzision. Mal bezeichnet es eine Mentalität oder einen Habitus, dann wieder eine Etappe im Modernisierungsprozess oder einen Modus der Kriegführung. »Postheroisch« kann sich aber ebenso auf ein Verständnis von Regierungskunst beziehen, das die Komplexität des Sozialen anerkennt und deshalb die Hybris technokratischer Kontrolle abgelegt hat. Darüber hinaus werden mit dem Attribut Einstellungen und Gestimmtheiten belegt, die allergisch auf Pathosformeln reagieren, für Appelle an Opferbereitschaft oder rückhaltlose Identifikationen unempfänglich sind und zur Verehrung großer Männer und ihrer Taten allenfalls ein ironisches Verhältnis pflegen. Als postheroisch werden schließlich auch Artefakte und kulturelle Praktiken charakterisiert, die mit solchen Haltungen assoziiert sind.
13Wie die Rede von der Postmoderne nicht mit einem Abschied von der Moderne gleichzusetzen ist, bezeichnet auch der Topos des postheroischen Zeitalters nicht das Ende heroischer Orientierungen, sondern ihr Problematisch- und Reflexivwerden. Die Diagnosen einer postheroischen Gegenwart verweisen schon semantisch auf jene Heldennarrative, deren Brüchigkeit sie konstatieren und von denen sie sich absetzen. Das Integrationspotenzial und die Mobilisierungskraft heroischer Anrufungen sind zudem keineswegs erschöpft. Der diagnostizierten Fragwürdigkeit und Antiquiertheit von Heldenfiguren steht vielmehr ein fortdauernder Heldenhunger gegenüber, der reichlich bedient wird. Wiederbelebte und neu geschaffene Heldenfiguren bevölkern die Welten der Comics und Computerspiele, Superhelden-Blockbuster brechen Kassenrekorde, und auch der Leistungssport liefert fortlaufend heroisierbares Personal. Die Feuerwehrleute von 9/11 werden ebenso zu Helden erklärt wie Klimaaktivistinnen, Whistleblower und politische Freiheitskämpfer wie jener anonyme tank man, der sich 1989 auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens allein den vorrückenden Panzern in den Weg stellte. Bezeichnend ist, dass dieser Heroismus nicht länger an Pflichterfüllung und Gefolgschaftstreue gekoppelt wird, die neuen Heldinnen und Helden zeichnen sich vielmehr durch...
Erscheint lt. Verlag | 17.2.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte |
Schlagworte | Baselitz • Kulturgeschichte • Kulturkritik • Superhelden |
ISBN-10 | 3-518-76493-4 / 3518764934 |
ISBN-13 | 978-3-518-76493-0 / 9783518764930 |
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