Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Militärisches Entscheiden

Voraussetzungen, Prozesse und Repräsentationen einer sozialen Praxis von der Antike bis zum 20. Jahrhundert
Buch | Hardcover
496 Seiten
2020
Campus (Verlag)
978-3-593-51174-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Militärisches Entscheiden -
CHF 83,95 inkl. MwSt
Militärisches Handeln ist, so suggerieren Quellen und Historiografie, vor allem Entscheidungshandeln. Entscheidungen werden so zu Schlüsselereignissen in der Kriegführung stilisiert, die über Sieg und Niederlage bestimmen. Damit werden Fragen nach den Rahmenbedingungen und Merkmalen militärischer Entscheidungsprozesse und den Konstanten des militärischen Entscheidens aufgeworfen. Die Beiträge dieses Bandes analysieren epochenübergreifend die Voraussetzungen, Prozesse und Repräsentationen militärischen Entscheidens und bestimmen erstmals die Rahmenbedingungen und Merkmale des Entscheidens im militärischen Kontext.

Martin Clauss ist Professor für die Geschichte Europas im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit an der TU Chemnitz.

Christoph Nübel, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Oberrat am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

Inhaltsverzeichnis
Entscheiden als militärgeschichtliches Forschungsproblem.
Zur Einführung 9
Martin Clauss, Christoph Nübel
Militärische Entscheidungskultur. Prolegomena zu einer
dezisionistischen Führungskultur des Militärs 49
Wolfram Pyta
I. Voraussetzungen
Wie ein guter militärischer Anführer seinen Entschluss fasst.
Antike Handlungsanweisungen zum militärischen Entscheiden 75
Simon Puschmann
Bellona als Vermesserin der Welt? Die »Landeskenntnis« als Entscheidungsressource und ihre Erlangung in der frühneuzeitlichen Militärtheorie 99
Jan Philipp Bothe
Military decision-making auf dem Weg in den Weltkrieg.
Voraussetzungen des Entscheidens im preußisch-deutschen
Generalstab von 1900 bis 1914 125
Lukas Grawe

Die Beurteilung der Heere europäischer Neutraler durch die
Dritte OHL. Eine Betrachtung aus sozialkognitiver Perspektive 153
Peter Mertens
»Dezisionismus als Denkstil«. Auftragstaktik im preußisch-deutschen
Heer 1869 bis 1945 185
Marco Sigg
II. Prozesse
Die angebliche Entscheidungsfreiheit des Feldherrn und die
Senatspolitik in der römischen Republik: das Beispiel der Aufhebung
von Massenversklavung 213
Florian Wieninger
Entscheiden und Militär in Byzanz 249
Michael Grünbart
Militärische Unterstützung. Strukturen und Prozesse des Entscheidens
in Städtebünden des späten Mittelalters 269
Simon Liening
Das Kollektiv als schlachtentscheidende Instanz? Beispiele aus der Militärgeschichte der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft 289
Oliver Landolt
Unnötiges Risiko oder Handlungsvorteil? Der Roi Connétable in der Frühen Neuzeit 313
Alexander Querengässer
Unbelehrbar? Hitler als militärischer Entscheider 341
Roman Töppel

III. Repräsentationen
Der mittelalterliche König und Narrationen des militärischen
Entscheidens in der Stauferzeit (1138–1268) 367
Sebastian Schaarschmidt
Feldherren bei der Arbeit. Zur Ikonographie militärischer
Entscheidungen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert 395
Thomas Weißbrich
Revisiting the »Prussian Triangle of Leadership«. Wilhelm I and the Military Decision-Making Process of the Prussian High Command
during the Franco-Prussian War, 1870–1871 429
Frederik Frank Sterkenburgh
Erwartung, Entscheidung und Enttäuschung. Die Kaiserliche Marine
in Krieg und Frieden 455
Sebastian Rojek
Danksagung 491

Autoren 493

»Ein gelungener Band, der die Erforschung des militärischen Entscheidens ein gutes Stück voranbringt und zu weiterer Arbeit auf diesem Gebiet anregt.« Jörg Rogge, Zeitschrift für Historische Forschung, 48/2021»Die Aufsatzsammlung bietet einen ebenso ambitionierten wie gelungenen militärhistorischen Überblick über die Kulturen des Entscheidens seit der Antike.« Bernd Ulrich, Soziopolis, 03.11.2020»Auf jeden Fall ergänzen die hier gewonnenen Erkenntnisse die Forschung, aber auch gesellschaftliche und militärische Debatten, wie die um die Rolle der Bundeswehr, durch wichtige historische Relativierungen und neue Deutungsangebote.« Anke Fischer-Kattner, H-Soz-u-Kult, 07.12.2021»Das Werk lädt zum Reflektieren darüber ein, welchen Wandel und welche Konstanten es beim Prozess des Entscheidens über die Jahrtausende gegeben hat. Dabei bestimmte Standards einzuhalten, ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit: Bereits die Römer besaßen schriftliche Anleitungen für die Entscheidungsfindung.« VDI-Nachrichten, 23.10.2020

»Ein gelungener Band, der die Erforschung des militärischen Entscheidens ein gutes Stück voranbringt und zu weiterer Arbeit auf diesem Gebiet anregt.« Jörg Rogge, Zeitschrift für Historische Forschung, 48/2021

»Die Aufsatzsammlung bietet einen ebenso ambitionierten wie gelungenen militärhistorischen Überblick über die Kulturen des Entscheidens seit der Antike.« Bernd Ulrich, Soziopolis, 03.11.2020

»Auf jeden Fall ergänzen die hier gewonnenen Erkenntnisse die Forschung, aber auch gesellschaftliche und militärische Debatten, wie die um die Rolle der Bundeswehr, durch wichtige historische Relativierungen und neue Deutungsangebote.« Anke Fischer-Kattner, H-Soz-u-Kult, 07.12.2021

»Das Werk lädt zum Reflektieren darüber ein, welchen Wandel und welche Konstanten es beim Prozess des Entscheidens über die Jahrtausende gegeben hat. Dabei bestimmte Standards einzuhalten, ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit: Bereits die Römer besaßen schriftliche Anleitungen für die Entscheidungsfindung.« VDI-Nachrichten, 23.10.2020

Entscheiden als militärgeschichtliches Forschungsproblem. Zur Einführung Martin Clauss und Christoph Nübel Im Jahr 47 v. Chr. besiegte Gaius Julius Caesar bei Zela in Kleinasien König Pharnakes II. in einer Schlacht, die vor allem wegen des Bonmots in die Geschichte eingegangen ist, das Caesar als Siegesmeldung an einen Freund in Rom geschickt haben soll: veni, vidi, vici. Die kurze Phrase lässt einige Elemente erkennen, die für das militärische Entscheiden typisch zu sein scheinen. Caesar inszenierte sich als alleinigen Entscheider, der einsam agierte und somit auch für den Erfolg persönlich verantwortlich war. Der Prozess des Entscheidens, der dem Sieg voranging, stand dabei nicht im Zentrum der Darstellung und wurde nur in wenigen Aspekten knapp angedeutet: Entscheidungs- und Aktionsort fielen zusammen, Caesar traf die relevanten Entscheidungen nicht fernab des Geschehens, sondern vor Ort. Dabei war der persönliche Augenschein das probate Mittel, um militärische Informationen zu sammeln. Den Inhalt der Entscheidung – etwa die Art des militärischen Vorgehens – kommentierte Caesar nicht weiter, nur das Resultat war für ihn berichtenswert. Dies verweist auf eine gewisse Diskrepanz zwischen dem Interesse, das dem Entscheiden als Prozess, der Entscheidung als dessen Ergebnis und dem Resultat der Entscheidung in Kriegsberichten entgegengebracht wurde. Besondere Beachtung erfuhr hingegen die zeitliche Dimension des ganzen Vorgangs. Plutarch und Sueton, welche dieses Trikolon überliefern, betonten beide, dass die prägnante Formulierung die Schnelligkeit des militärischen Erfolges wiederspiegeln sollte. Geschwindigkeit wurde als Qualitätsmerkmal verstanden, für das Entscheiden und die militärische Aktion. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass das Agieren der römischen Truppen vor Zela in anderen Quellen eher als reaktiv und zurückhaltend erscheint. So schilderte das bellum Alexandrinum, dass Caesar vom Angriff seines Gegners überrascht wurde, als seine Truppen dabei waren, ihr Lager zu befestigen. Caesar hingegen legte in seinem Bericht großen Wert auf schnelles Entscheiden und eine schnelle Entscheidung, was mehr über die sozio-kulturellen Konnotationen als über die historischen Abläufe bei Zela aussagt und das Entscheiden als soziale Praxis markiert. Der Feldherr als militärischer Entscheider zeichnete sich nicht durch intensives Grübeln oder abwägendes Debattieren, sondern durch die Fähigkeit zum schnellen Entschluss aus. Damit ist bereits ein Charakteristikum benannt, das dem militärischen Entscheiden bis in die Neuzeit hinein zugeschrieben wird. Im 19. Jahrhundert betonte Helmuth von Moltke, dass die Kriegführung seiner Epoche durch »das Streben nach großer und schneller Entscheidung« bestimmt werde. Ähnlich entschieden wie Caesar, ja sogar auf diesen rekurrierend, handelte auch Friedrich der Große. Um zum allseits bewunderten Fürsten aufzusteigen, wollte er Schlachtenruhm erwerben. So griff er 1740 nach Schlesien. Seinem Minister Heinrich Graf von Podewils machte er in einem Brief vom Kriegsschauplatz deutlich, dass seine Entscheidung zum Krieg nicht mehr rückgängig zu machen und Glück, nicht nur Genie, Voraussetzung für den Erfolg war. »Ich habe mit entfalteten Fahnen und klingendem Spiel den Rubicon überschritten […]. Ich habe Grund, alles mögliche Gute von diesem Unternehmen zu erhoffen.« Friedrich griff auf antike Vorbilder zurück, um als tatkräftiger und entschlussfreudiger Feldherr wahrgenommen zu werden. Entschlossenheit im Entscheiden wurde und wird so eng mit dem Bild professioneller militärischer Führerschaft verknüpft, dass es bis heute zum militärischen Markenkern gezählt wird. Die im Jahr 2018 erlassenen »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege« der Bundeswehr nennen »Entschlussfreude« als eine überzeitliche Soldatentugend. Die wesentliche Rolle des Entscheidens sowohl in binnenmilitärischen Abläufen wie auch im Bild des Militärs mag erklären, weshalb militärische Entscheidungsabläufe heute für Teile der Wirtschaft als beispielgebend gelten. Bei diesem exemplarischen Blick auf das Militär wird davon ausgegangen, dass es im militärischen und zivilen Bereich unterschiedliche Kulturen des Entscheidens gibt. Dieser Annahme folgend richten die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg Führungsseminare aus, in denen Manager von Offizieren der Bundeswehr lernen sollen, wie Entscheidungen im Militär getroffen werden. Auch in der Ratgeberliteratur wird militärisches Entscheiden als ein Beispiel für eine besonders effiziente Führungskultur genannt. Hier ist man offenbar der Ansicht, dass es im Militär klare Führungsgrundsätze und Hierarchien sowie deutliche Zuordnungen von Entscheidungskompetenzen gibt, die auch andere Organisationen gut steuerbar machen. Diese Beispiele zeigen, dass Entscheiden als eine zentrale Funktion im Feld des militärischen Denkens und Handelns verstanden wird. Die vorliegende Publikation unternimmt einen ersten systematischen Versuch, zu klären, was unter militärischem Entscheiden zu verstehen ist, und zeigt, wie es als historisches Problem analysiert werden kann. Militärisches Entscheiden als Forschungsgegenstand Obgleich militärisches Entscheiden offenbar von großer Bedeutung war und ihm zentrale Rolle im Handeln von Gewaltorganisationen zugeschrieben wurde, ist in der Forschung bislang weitgehend unklar geblieben, was genau darunter zu verstehen ist. Die Tatsache und Relevanz des Entscheidens im Militär wird vielfach unhinterfragt vorausgesetzt. Dagegen betonen jüngere Arbeiten, die sich mit dem Entscheiden in historischer Perspektive auseinandersetzen, dass es von volatilen Vorannahmen, Aufmerksamkeiten, Prestige oder Organisationskulturen abhängig ist. Entscheidungsprozesse dienen, so wird argumentiert, weniger dem Finden eines optimalen Ergebnisses, sondern sind auch als symbolische Akte zu verstehen, um der Entscheidung – auch im Nachhinein – Legitimität zu verleihen. Damit ist die Annahme, das Entscheiden beschreibe einen »rationalen« Prozess, an dessen Ende eine ausgewogene Entscheidung steht, in Frage gestellt. Gleiches gilt auch für die universale Gültigkeit des Konzeptes »Rationalität«. Gerade mit Bezug auf die und aus der Perspektive der Moderne wird oftmals unkritisch von einem allgemeingültigen Bezugssystem ausgegangen, dass Fakten und Argumente in die einzig logische, weil rationale Beziehung zueinander setzt. Neoinstitutionalistische Theorien kritisieren jedoch die Rationalitätsannahme in Entscheidungsprozessen und sprechen von einer Rationalitätsfiktion, die Entscheidungen Legitimität verschaffen soll. Da bei Entscheidungen zumeist nur unvollständige Informationen vorliegen ist, so die Annahme, rationales Entscheiden auch gar nicht möglich. Letztlich produzieren Organisationen zwar auch Entscheidungen, ihre Bedeutung ist aber vor allem darin zu sehen, dass sie politische Ordnungen repräsentieren. Offenbar werden Entscheidungen ganz wesentlich von einem mentalitätsgeschichtlichen Kontext geprägt. »Stets ging und geht es darum, den kollektiven Vorstellungen von rationalem Handeln und den Erwartungen an rationales Handeln auch in institutionalisierten und organisierten Entscheidungskontexten zu entsprechen und so die Akzeptanz der Entscheidungen wahrscheinlicher zu machen.« Mit diesem Schwerpunkt hat sich die jüngere Verwaltungsforschung den Verfahrensabläufen in bürokratischen Entscheidungsprozessen angenommen und unterstrichen, wie bedeutend die Reduktion von Komplexität für das Gelingen von Verwaltungsverfahren ist. Die Übersetzung der vielschichtigen sozialen Wirklichkeit in solche Bausteine, die für ein Entscheidungsverfahren notwendig sind, lässt sich analog auch im modernen militärischen Führungsprozess (der den Schritten Lagebeurteilung, Entschlussfassung und Befehlsgebung folgt) feststellen. Entscheiden ist also ein Phänomen, das nicht nur historisch wandelbar ist, sondern auch komplexen Darstellungsformen unterliegt. Die Betonung der sozio-kulturell determinierten Prozesshaftigkeit des Entscheidens öffnet hier auch den Blick für die Vielschichtigkeit militärischer Abläufe unter Einschluss von Diskursen, die in einem modernen Verständnis weder »rational« noch »militärisch« sind. Dies klingt letztlich auch schon in dem Verweis Friedrichs des Großen auf Caesar und den Rubikon an. Diese Antikenreferenz rekurriert auf die Unumkehrbarkeit einer Entscheidung, die zu einer militärischen Auseinandersetzung in Italien führen musste; das dazugehörige Diktum »alea iacta est« markiert die Konsequenz der Entscheidung als unvorhersehbar und unbeeinflussbar. Der Würfel ist geworfen und noch ist nicht ersichtlich, welche Zahl er zeigen wird. Die Entscheidung über Sieg und Niederlage wird hier externalisiert und dem Schicksal oder den Göttern überantwortet. Das ist natürlich eine Ausdeutung ex post, die den Sieger als den zu Recht begünstigten ausweisen soll. Hier zeigt sich, dass soziales Handeln auch im Nachhinein als Entscheidungshandeln dargestellt wurde und dass dieses nicht zwingend Bahnen des »Rationalen« folgen musste. Vielmehr hing die rückblickende Konzeptionalisierung als Entscheidung von den sozio-kulturellen Rahmenbedingungen ab. Eine solche »Nach-Rationalisierung« ist hierbei eine wirkmächtige, aber nicht die einzige Möglichkeit. Sueton lässt Caesar auf die Götter (»Nach-Deisierung«) bzw. das Schicksal (»Nach-Fatisierung«) verweisen. Uwe Schimank hat in einer einflussreichen Darstellung festgehalten, dass in der Moderne die Zahl der Chancen und Gegenstände des Entscheidens erheblich angewachsen ist, so dass von einer »Entscheidungsgesellschaft« gesprochen werden kann. Diese Diagnose beruht zunächst auf der Annahme eines individuellen Entscheiders, dem mal mehr (Moderne) und mal weniger (Vormoderne) Freiheiten und Möglichkeiten zugeschrieben werden. Die Vormoderne wird dabei als Zeit größerer Eindeutigkeiten gedacht, was nicht zuletzt mit einer dominierenden Bedeutung von Religion und religiös-konzipierter Vorbestimmung in Verbindung gebracht wird. Dabei ist sowohl die vermeintliche Einheitlichkeit einer Vormoderne zu hinterfragen, die sich etwa durch ganz unterschiedliche Ausformungen von Staatlichkeit, Rechtswesen und Schriftlichkeit auszeichnet, als auch die Entscheidungskultur als Autostereotyp der Moderne ernst zu nehmen. In diesem Sinne erscheint das Entscheiden-Können geradezu als abgrenzende Qualität einer sich als fortschrittlich verstehenden Epoche. Ein Ziel dieses Sammelbandes ist es, solche epochenspezifischen Befunde aufzugreifen und kritisch für die Militärgeschichte zu prüfen. Ausgangspunkt des Forschungsinteresses ist die Frage Niklas Luhmanns, »was eigentlich vor sich geht, wenn man Anlaß findet, Verhalten schlechthin oder insbesondere Kommunikationen als ›Entscheidung‹ zu beschreiben«. Entscheiden soll nicht als unhinterfragtes, überhistorisches Faktum begriffen, sondern in seinem geschichtlichen Kontext verortet und in seinen Konstitutionsbedingungen untersucht werden. So aufgefasst, wird das militärische Entscheiden hier an Hand unterschiedlicher Epochen der europäischen Geschichte in den Blick genommen. Die Beispiele reichen von der griechisch-römischen Antike bis ins 20. Jahrhundert und umfassen verschiedene Aspekte des Militärischen auf der Handlungs-, Zuschreibungs- und Deutungsebene. Dabei fokussieren sie nicht auf Entscheidungen des Alltags, sondern auf »Gestaltungsentscheidungen«, die Individuen oder Kollektive strukturell binden und damit ihr Denken und Handeln, aber auch zukünftiges Entscheiden beeinflussen. Der Band schließt somit an eine jüngere Diskussion an, die um eine genuin geschichtswissenschaftliche Erforschung des Entscheidens kreist. Er geht von der Beobachtung aus, dass Entscheiden keine überzeitliche Tatsache, sondern ein sozialer Prozess ist. Als solcher ist Entscheiden durch sich verändernde kulturelle Faktoren bedingt – ein Faktum, das die meisten sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze bisher vernachlässigen. Dies gilt auch für spieltheoretische Zugänge, die gerade im Kontext von Krieg und Entscheidung vielfach bemüht werden. Die normative Entscheidungstheorie verschließt sich gleichsam aktiv jeder Historisierung des Gegenstandes, wenn sie von überzeitlichen und überräumlichen Rationalitäten ausgeht und eben nicht beschreiben, sondern prognostizieren will. Dies geschieht interessanterweise mitunter auch unter Rückgriff auf militärgeschichtliche Beispiele. Dem Sammelband liegt ein breites Verständnis von »militärischem Entscheiden« zu Grunde. Blicken wir zunächst auf das Themenfeld, welches mit dem Aspekt »militärisch« umrissen werden soll. Solche Probleme wer-den zum Gegenstand des militärischen Entscheidens, die Gewaltorganisationen oder -akteure betreffen oder die im Kontext von Frieden, Krieg und Konflikt stehen. Das schließt auch jene Gegenstände ein, die zeitgenössisch als militärisch wahrgenommen und in diesem Kontext als entscheidungsmöglich und -bedürftig betrachtet wurden. Militärisches Entscheiden erfolgte zumeist unter Beteiligung von Angehörigen einer Gewaltorganisation. Es konnte dabei alle Ebenen kriegerisch-militärischen Handelns betreffen, von der Entscheidung über Krieg und Frieden, über Strategie und Taktik bis hin zur Logistik. Gerade in den Gesellschaften, in denen sich das Militärische nicht eindeutig von anderen gesellschaftlichen Bereichen trennen lässt – wie es beispielsweise für das lateineuropäische Mittelalter mit seinen Kriegerkönigen zutrifft – verschwimmen mitunter die Grenzen zwischen militärischem und politischem Entscheiden. So zeigt sich, dass zeitgenössische Zuschreibungen nicht zwingend deckungsgleich mit modernen Kategorisierungen sind. Entscheiden wird hier als soziale Praxis begriffen, die als kommunikativer Prozess stark von den jeweiligen sozio-kulturellen Rahmenbedingungen abhängig ist. Es geht also weniger darum, die Ergebnisse, sondern vielmehr den Prozess des Entscheidens zu beleuchten. Terminologisch ist dabei das Entscheiden von der Entscheidung zu trennen: Letzteres bezeichnet das Resultat eines Prozesses sowie den Akt seiner Erzeugung; Entscheiden umfasst das komplexe Gesamtgeschehen, das erstens die »Erzeugung von alternativen Handlungsoptionen«, zweitens ihre »Bewertung«, drittens die »kontingente Selektion dieser Alternativen« sowie viertens das Entschiedene selbst umfasst. Abzugrenzen ist das Entscheiden von Abläufen, wie sie Verwaltungen ausprägen oder sie bei Wahlen zu beobachten sind. Hier geht es weniger um die Herstellung und Selektion verschiedener Optionen, sondern um Ableitungen, die in einem vorgezeichneten Rahmen erfolgen.

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Krieg und Konflikt ; 9
Co-Autor Jan Philipp Bothe, Lukas Grawe, Michel Grünbart, Oliver Landolt, Simon Liening, Peter Mertens, Simon Puschmann, Wolfgang Pyta, Alexander Querengässer, Sebastian Rojek, Sebastian Saarschmidt, Marco Sigg, Frank Sterkenburgh, Roman Töppel, Thomas Weißbrich
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 153 x 218 mm
Gewicht 694 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeine Geschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Militärgeschichte
Schlagworte Entscheidung • Geschichte • Krieg • Kriegsrat • Militärgeschichte • Schlacht • Stab
ISBN-10 3-593-51174-6 / 3593511746
ISBN-13 978-3-593-51174-0 / 9783593511740
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich
der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland

von Ewald Frie

Buch | Hardcover (2023)
C.H.Beck (Verlag)
CHF 32,15
vom Mittelalter bis zur Gegenwart

von Walter Demel

Buch | Softcover (2024)
C.H.Beck (Verlag)
CHF 16,80