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Die blitzenden Waffen (eBook)

Über die Macht der Form
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402563-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die blitzenden Waffen -  Robert Pfaller
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Ein ebenso glänzender wie scharfsinniger Beitrag zur jahrtausendealten Debatte über Wesen und Form, Essenz und Oberfläche, Argument und Rhetorik Warum lieben wir bestimmte Autos - und oft nicht die nützlichsten? Warum berührt uns ein bestimmtes Kunstwerk, während andere uns kalt lassen? In welchen Worten muss ein guter Ratschlag formuliert sein, damit er beim Gegenüber Wirkung zeigt? In seinem neuen Buch untersucht der Philosoph Robert Pfaller Funktion, Bedingung und Wirkungsweise der Form, um ihrem Geheimnis auf die Spur zur kommen - ihrer Macht. Schon Quintilian wusste: »Ein Redner muss nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden.« Robert Pfaller geht einen Schritt weiter: Er erklärt, warum überhaupt nur blitzende Waffen scharf sein können. Der Bestseller-Autor von »Erwachsenensprache« und »Wofür es sich zu leben lohnt« räumt auf mit unserer Vorstellung, wir würden uns von Oberflächen nicht täuschen lassen und direkt in die Tiefe der Dinge blicken. Stattdessen postuliert Robert Pfaller ein sehr viel komplexeres Beziehungsgefüge: die Dialektik von Form und Inhalt.

Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm »Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur« (2008) erschienen, die vielbeachtete Studie »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie« (2011), »Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere« (2012) sowie im Fischer Taschenbuch »Kurze Sätze über gutes Leben« (2015). Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band »After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen« (2016) herausgegeben. Nach »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (2017) erschien 2020 »Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form«. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.

Robert Pfaller, geboren 1962, studierte Philosophie in Wien und Berlin und ist nach Gastprofessuren in Chicago, Berlin, Zürich und Straßburg Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Von 2009 bis 2014 war er Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien. In den Fischer Verlagen ist von ihm »Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur« (2008) erschienen, die vielbeachtete Studie »Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie« (2011), »Zweite Welten. Und andere Lebenselixiere« (2012) sowie im Fischer Taschenbuch »Kurze Sätze über gutes Leben« (2015). Mit Beate Hofstadtler hat er außerdem den Band »After you get what you want, you don't want it. Wunscherfüllung, Begehren und Genießen« (2016) herausgegeben. Nach »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur« (2017) erschien 2020 »Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form«. 2020 wurde ihm der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen.

Form gibt uns nicht zuletzt Freiheit. Es geht um mehr als um hübsche Oberflächen, das zeigt der Band eindrücklich auf.

Der Philosoph Robert Pfaller stellt in seinem neuen Buch wieder mal kluge Fragen zum schwindenden Formbewusstsein in der Postmoderne.

Endlich einer, der [...] erklärt, was Witze, Höflichkeit, Kunst und ein roter Alfa Romeo Giulia Spider miteinander zu tun haben!

Robert Pfaller hat ein äußerst unterhaltsames und interessantes Buch über die Macht der Form geschrieben. [...] ein kurzweiliger Spaziergang durch die Ideengeschichte

Ein wunderbares Buch, das selbst in vorbildlicher Art und Weise zeigt, wie wichtig die äußere Form ist.

05


Dass der Witz nicht nur eine Form populärkultureller Belustigung ist, sondern vielmehr eine gestalterische Leistung und ein unverzichtbarer Teil rhetorischer Kunst, ist ein Gedanke, der uns heute fremd erscheinen mag. Er war jedoch in den Rhetoriken der Antike sowie der frühen Neuzeit eine allgemein geteilte Überzeugung. Klaus-Peter Lange hat dem Thema der pointierten Formulierungen, der sogenannten »acutezze« bzw. »argutezze«, in der Rhetorik des 17. Jahrhunderts bei Autoren wie Emmanuele Tesauro, Matteo Pellegrini und Balthasar Gracián eine schöne Studie gewidmet. Aristoteles hatte die Unterscheidung eingeführt zwischen einer »flachen«, klar, aber banal anmutenden Sprechweise und einer zwar etwas weniger klaren, dafür aber »erhabenen«, edel, fremd und mithin interessant und gefällig klingenden.[24] Zur letzteren zählen die Autoren des 17. Jahrhunderts auch die gewitzten, mit »ingeniösen« Formulierungen, Metaphern und anregenden Schlussfolgerungen gewürzten Formen des Sprechens, deren Herstellungsverfahren sie untersuchen.[25] Als Antrieb zum pointierten Sprechen erscheint diesen Autoren die Gefahr der Langeweile – verstanden als »widerwillige Reaktion des Intellekts auf eine Welt, die ihm nichts zu tun gibt«.[26] Ein typisches Verfahren zur Vermeidung von Langeweile ist nach Auffassung Tesauros wie Pellegrinis die Verkürzung der Formulierung.[27] Dies ist, wie Sigmund Freud gezeigt hat, auch das typische Verfahren des Witzes.[28]

Zugleich stimmen die Autoren der Antike wie der frühen Neuzeit darin überein, dieser Sprechweise eine soziale Bestimmung zu geben: dieses gewitzte Sprechen wird als »urban« bezeichnet.[29] Es hat offenbar den Stadtstaat beziehungsweise die Polis zu seiner Entstehungsbedingung und zu seinem Lebenselement. Und es ist seinerseits konstitutiv für menschliche Geselligkeit[30] – wenn nicht sogar für das spezifisch Humane und das Glück der menschlichen Existenz.[31] Die ästhetischen und ethischen, ja sogar die politischen Dimensionen der »blitzenden« Sprechweise werden von den Autoren also sehr weitgehend ausgeleuchtet. Nicht allzu viel aber verraten sie über die uns beschäftigende Frage, ob das gewitzte Sprechen auch eine theoretische, auf die Produktion von Erkenntnis bezogene Dimension besitzt.

Immerhin bemerken die Autoren, dass die Metapher oft eine produktive Funktion besitzt – sie bezeichnet nicht nur etwas, das ebenso gut auch einfacher hätte benannt werden können, auf übertragene Weise; vielmehr wird die Übertragung gerade auch dort eingesetzt, »wo das eigentliche Wort fehlt«.[32] Dementsprechend beschreiben die neuzeitlichen Autoren, ähnlich wie auch Aristoteles,[33] den Scharfsinn, das »ingegno« (das Vermögen der pointierten Formulierung) als produktiv und schaffend, den klaren Verstand (die »prudenza« beziehungsweise das »giudicio«) hingegen als etwas, das lediglich bereits Bestehendes entdeckt.[34]

Dieses innovative Element des »ingegno« aber betrachten die Autoren kaum als etwas Erkenntnisförderndes. So setzen sie das ingeniöse Element als etwas vorwiegend Ästhetisches dem Intellekt als einem dem Erkennen verpflichteten Vermögen entgegen.[35] Hatte Aristoteles zwischen der »flachen« und der »ingeniösen« Sprechweise lediglich einen graduellen Unterschied an Klarheit veranschlagt,[36] so sehen die neuzeitlichen Autoren hier eine qualitative Differenz. Die intellektuelle Funktion dient dem Lehren; die ingeniöse hingegen dem Erregen sowie dem Erzeugen von Genuss:[37] Die gewitzte Formulierung erzeugt bei den Zuhörern Begeisterung, Bewunderung und Glück.[38] Auch Quintilian hatte hier eine scharfe, qualitative Differenz gesehen, indem er von den intellektuellen Bestandteilen des Redenverfassens, der Versammlung der Gedanken (inventio) und ihrer Anordnung (dispositio), bemerkte, diese Aufgaben bedürften keines besonderen Talents; die gestalterischen Bemühungen (die elocutio) hingegen hielt er in hoher Wertschätzung: Sie ehrten den Sprecher und richteten sich nicht nur an Experten, sondern erreichten auch die Masse des Publikums, das »wie besessen« vom Affekt des Genusses erfasst werde.[39] Trotz dieser abermals vorwiegend ästhetischen Zuordnung der elocutio bei Quintilian ist allerdings auffällig, dass er diese, ähnlich wie Aristoteles,[40] im Ablauf der Redeerstellung gleich nach der inventio einordnet, mithin noch vor der dispositio.[41] Die Wortfindung kommt für ihn also gleich nach der Motivsammlung und noch vor der Erstellung der Gedankenabfolge. Dies könnte als Indiz dafür gelesen werden, dass Aristoteles und Quintilian der Gestaltung der Formulierungen nicht nur eine nachträgliche, schmückende oder reizsteigernde Wirkung zuerkannten, sondern auch eine erkenntnisleitende Funktion.

Immerhin bemerken die Autoren übereinstimmend, dass die pointierte Rede von hoher »Beweglichkeit« (»destrezza«) des »ingegno« zeugt.[42] Mithin mag sie vergleichbare Beweglichkeit vielleicht auch in den Zuhörern zu erwecken, die sich für sie begeistern. Das Glück der Zuhörer könnte sich, wenn man Spinozas Theorie der Freude zugrunde legen möchte,[43] gerade einem solchen Zugewinn an gedanklicher und verbaler Beweglichkeit verdanken.

Außerdem stellen die Autoren fest, dass das pointierte Formulieren vor Trübsinn schütze und dem Intellekt »Erholung« verschaffe.[44] Tesauro schreibt:

»So wie die Ruhe die Erholung des Körpers ist, so ist der Scherz die Erholung des Bewußtseins. Aber keine ruhende Erholung und auch keine gedankenlose, denn der Intellekt ist eine geistige Fähigkeit, und der Geist, wenn er nicht vom Schlaf gebunden ist, ist so lange tätig, wie er lebt, weil sein Leben Tätigsein ist.«[45]

Diese Passage mag ein wenig an die zuvor zitierte heitere Bemerkung Pascals über das menschliche Zweifeln und das Laufen des Pferdes erinnern. Sie hat eine ähnliche, interessante Pointe: Die Erholung des Intellekts besteht nicht im Ruhen der Gedanken, sondern lediglich in einer anderen Art ihrer Bewegung. Man muss die Gedanken offenbar manchmal frei laufen lassen, damit sie sich danach wieder besser gezielt bewegen lassen.[46] In ähnlicher Weise versuchen alpine Skirennläufer manchmal gerade durch freies Skifahren im Training ihre Slalom- und Riesentorlauftechnik zu verbessern.

In diesem Vergleich Tesauros klingt ein gewisser philosophischer Materialismus in der Auffassung des Geistes an, der für die Antwort auf unsere Fragestellung von zentraler Bedeutung ist. Der Geist wird hier ähnlich begriffen wie der Körper. Seine Tätigkeiten, das Denken und Vorstellen, erfordern Anstrengung, ähnlich wie zum Beispiel das Heben von Gewichten. Nichts lässt sich mühelos denken oder vorstellen (und hier darf man sich nicht von dem Umstand täuschen lassen, dass das vorgestellte Heben eines Zementsacks leichter erscheinen mag als das körperlich durchgeführte. Denn nicht das Vorgestellte, sondern das Vorstellen selbst ist das, was die – je nach Aufgabe unterschiedlich große – geistige Anstrengung erfordert). Unter bestimmten Voraussetzungen fällt es dem Geist leichter, etwas zu denken, als unter anderen.[47] Möglicherweise muss er bereits in Bewegung sein, um bestimmte Ziele erreichen zu können, wohingegen er sie aus dem Stand nicht erreichen kann. Blaise Pascal bemerkt einmal:

»Jene großen Geistesanstrengungen, zu denen die Seele manchmal gelangt, sind etwas, woran sie nicht festhält; sie springt lediglich zu ihnen empor, nicht für immer wie auf einen Thron, sondern nur für einen Augenblick.«[48]

Nur für einen Moment können bestimmte Spitzenleistungen des Intellekts erbracht werden. Denn sie sind nur aus einer bestimmten Eigenbewegung heraus möglich, aus einer bestimmten Richtung, mit einem bestimmten Schwung kommend oder aus einem bestimmten Blickwinkel. Vor der gegenteiligen Annahme hat am eindringlichsten wohl Friedrich Nietzsche gewarnt:

»Hüten wir uns nämlich, meine Herren Philosophen, von nun an besser vor der gefährlichen Begriffs-Fabelei, welche ein ›reines, willenloses, zeitloses Subjekt der Erkenntnis‹ angesetzt hat, hüten wir uns vor den Fangarmen solcher kontradiktorischer Begriffe wie ›reine Vernunft‹, ›absolute Geistigkeit‹, ›Erkenntnis an sich‹; – hier wird immer ein Auge zu denken verlangt, das keine Richtung haben soll, bei dem die aktiven und interpretierenden Kräfte unterbunden sein sollen, fehlen sollen, durch die doch Sehen erst ein Etwas-Sehen wird, hier wird also ein Widersinn und Unbegriff vom Auge verlangt. Es gibt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ›Erkennen‹ …«[49]

Fasst man den Intellekt also nach dem Vorbild des Körpers auf, also als ein Ding, das unter bestimmten Voraussetzungen zu seinen Leistungen fähig ist, und nicht (wie es in idealistischen Auffassungen oft geschieht) als einen bedingungslosen Alleskönner, dann wird erklärbar, weshalb bestimmte Gedankenbewegungen – selbst solche, die mit dem gestellten Thema nichts zu tun zu haben scheinen – notwendig sein könnten, um dieses Thema gut in Angriff nehmen zu können. Die pointierten Formulierungen könnten jene...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2020
Zusatzinfo 9 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte Ästhetik • Authentizität • Baldassarre Castiglione • cortegiano • Design • Dialektik • Echtheit • Erwachsenensprache • Form • Höflichkeit • Jacques Lacan • Konzeptkunst • Lüge • Maske • Rhetorik • Schönheit • Sigmund Freud • Urbanität • Wahrheit
ISBN-10 3-10-402563-0 / 3104025630
ISBN-13 978-3-10-402563-6 / 9783104025636
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