Gut und Böse (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73209-6 (ISBN)
Annemarie Pieper ist Professorin em. für Philosophie an der Universität Basel. Ihre wichtigsten Arbeitsgebiete sind Ethik, Existenzphilosophie und transzendentalphilosophische Denkansätze.
Cover 1
Titel 3
Zum Buch 2
Über die Autorin 2
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 7
I. Gut und Böse in der Alltagssprache 11
II. Wissenschaftliche Erklärungsversuche der Herkunft von Gut und Böse 18
1. Der Mensch: Determiniert durch gute oder böse Gene? 19
2. Der Mensch: Determiniert durch psychische Faktoren und gute oder schlechte soziale Verhältnisse? 31
3. Der Mensch: Gut oder böse durch ursprüngliche Selbstdetermination? 47
III. Philosophische Deutungen von Gut und Böse 57
1. Metaphysische Deutungsmuster 59
Monistische Modelle 60
Dualistische Modelle 70
2. Ethische Deutungsmuster 74
3. Bedeutungstheoretische Analysen 90
IV. Utopische Entwürfe von Gut und Böse 101
… wenn es dem bösen Nachbarn nicht gef™llt 118
Epilog 121
Literaturverzeichnis 123
Zitierte Autoren 123
Ergänzende Literatur 125
Register 126
II. Wissenschaftliche Erklärungsversuche der Herkunft von Gut und Böse
Dass die Menschen nicht von Natur aus gut sind, ist die Überzeugung der Pädagogen, deren Erziehungsanstrengungen überflüssig wären, wenn das Gute in einem angeborenen Hang zu Tugend und Moralität bereits fest verankert wäre. Andererseits gehen sie aber auch nicht davon aus, dass die Menschen von Natur aus böse sind, denn auch dann würden Erziehungsmaßnahmen nicht greifen, weil solche an der Determination durch ‹böse Gene› abprallen und daher vergebens sein würden. Sofern Menschen lernfähig sind und mittels pädagogischer ‹Abrichtung› und vernünftiger Belehrung, die nicht auf Gehorsam, sondern auf Mündigkeit zielt, dazu gebracht werden können, ihre Verhaltensweisen an allgemein verbindlichen Regeln zu orientieren, scheint die Hypothese erlaubt, dass der Mensch von Natur aus weder gut noch böse ist, wohl aber an sich indifferente Anlagen mitbringt, die sich je nach Einfluss und Milieu zur Moral oder zur Unmoral hin entwickeln können.
Aber auch diese Entwicklung wird nicht wie ein naturaler Prozess aufgefasst, der, einmal durch einen positiven oder einen negativen Anstoß in Gang gebracht, unaufhaltsam in die eine oder die andere Richtung geht. In dem Fall hätte es weder Sinn, Verbrecher zu bestrafen und resozialisieren zu wollen, noch diejenigen, die einem Altruismus anhängen, zu loben, denn weder die einen noch die anderen wären für das, was aus ihnen geworden ist, verantwortlich, da ihnen die Freiheit der Wahl fehlt. Indem wir Entscheidungsfreiheit als wesentliche Bedingung von Humanität annehmen, unterstellen wir, dass der Einzelne an dem, was aus ihm wird, mitbeteiligt ist und ihm das Gute bzw. Böse als Verdienst bzw. Schuld zuzurechnen ist, wobei wir durchaus einräumen, dass günstige oder ungünstige Faktoren die Entwicklung zu moralischer Kompetenz als freier, verantwortlicher Selbstverfügung fördern oder hemmen können.
Die Frage nach der Herkunft des Guten und Bösen hat aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven stark voneinander abweichende Antworten gefunden. Während aus naturwissenschaftlicher Sicht die biologische Vorgeschichte des Menschen evolutionstheoretisch rekonstruiert und zur Erklärung der Entstehung moralischer Verhaltensweisen herangezogen wird, versucht man aus sozialwissenschaftlicher und psychologischer Sicht, die repressiven Strukturen der Gesellschaft als Wurzel des Bösen aufzudecken. Aus theologischer Sicht hingegen wird behauptet, es seien keine äußeren Umstände, die den Menschen zu Fall gebracht hätten, sondern als der alleinige Urheber des Bösen wie des von Gott ermöglichten Guten komme gemäß der Sündenfall-Lehre nur der Mensch selber in Betracht. Alle drei Erklärungsversuche tragen Erhellendes zum Ursprung von Gut und Böse bei, lassen aber auch Fragen offen.
Wir werden in diesem Kapitel so vorgehen, dass wir den Horizont, innerhalb dessen die Frage nach dem Ursprungsort von Gut und Böse thematisiert wird, immer mehr einschränken – von der Natur über die Gesellschaft bis hin zum Individuum – und dabei zugleich auf die Methode achten, durch die die jeweilige Erkenntnisperspektive mitsamt den aus ihr gewonnenen Resultaten bestimmt ist.
1. Der Mensch: Determiniert durch gute oder böse Gene?
Die vergleichende Verhaltensforschung, wie Konrad Lorenz sie unter dem Namen Ethologie betrieb, untersucht die Verhaltensweisen von Tierarten in Bezug auf Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten, wobei auch die Spezies Mensch als eine besondere Tierart in den Vergleich mit einbezogen wird. Dabei interessierte sich Lorenz vor allem für die stammesgeschichtliche (phylogenetische) Entwicklung der Lebewesen, deren Fortgang im Unterschied zu kulturgeschichtlichen Prozessen unendlich viel langsamer vor sich ging und zu konstanten, erblich festgelegten Verhaltensmustern führte, die sich an allen Tierarten als gleichsam invariante Programme, die ihren Bewegungsabläufen zugrunde liegen, beobachten lassen. Auch der Mensch als Naturwesen unterliegt den biologischen Gesetzen, die er anders als die kulturgeschichtlich gewachsenen und regional verschiedenen Sozialnormen nicht oder jedenfalls nicht ohne weiteres verändern kann. Allerdings vermag er im Unterschied zu den anderen Tierarten sein Verhalten zu reflektieren und mittels kognitiver Prozesse seine im Dunkeln liegende phylogenetische Vergangenheit gedanklich zu durchdringen und so zu erhellen, dass er daraus Aufschlüsse über sich selbst erhält, die wichtig sind für die Planung von Gegenwart und Zukunft.
Eine der Konstanten, denen Lorenz neben Ernährungstrieb, Fortpflanzungstrieb und Furcht den Status eines Naturgesetzes zuschreibt, ist der Aggressionstrieb, den er als «das sogenannte Böse» bezeichnet (Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression). Aggressives Verhalten ist ‹böse›, weil es zerstörerisch und lebensvernichtend ist; doch insofern es dem eigenen Überleben dient, kann es nur ‹sogenannt böse› heißen, denn gegenüber den Vitalfunktionen besteht keine Freiheit. So erlegt der Löwe seine Beute nicht, um zu töten, sondern um seinen Hunger zu stillen. Daher ist es nicht angemessen, sein Verhalten als böse zu charakterisieren, wie grausam sich auch das Schicksal des Opfers aus menschlicher Sicht ausnimmt; wie es ja überhaupt die Perspektive des menschlichen Beobachters ist, die den kategorialen Rahmen für die Beurteilung tierischer Verhaltensweisen abgibt und dazu nötigt, das für menschliche Handlungen Geltende in der Rückübertragung auf tierische Ausdrucksformen einzuklammern. Das ‹sogenannt› ist ein Indiz dafür, dass wir das Verhalten von Tieren auf der Folie unseres eigenen Selbstverständnisses interpretieren, ohne es an sich selber adäquat beschreiben zu können. Daher können wir jenem Gorillaweibchen, das im Zoo ein ins Gorillagehege gestürztes bewusstloses Kind an die Türe zum Innenbereich trug und den Wärtern übergab, nachdem es ihm nicht gelungen war, den Jungen auf die Füße zu stellen, und überdies die angriffslustigen Gorillamännchen abwehren musste, nur ein moralanaloges Verhalten bescheinigen, indem wir sagen, es habe eine ‹sogenannte› gute Tat begangen. So aufsehenerregend diese beträchtliche Intelligenz voraussetzende Leistung zweifellos ist, so wenig lässt sich entscheiden, ob das Tier einem angeborenen Verhaltensmuster (etwa einem Schutzmechanismus) gefolgt ist oder so etwas wie einen altruistischen Impuls verspürt und gleichsam human gehandelt hat.
Lorenz freilich ist der Meinung, dass die «natürliche Moral» im Tierbereich uneigennützig ist, insofern in Bezug auf die Mitglieder der eigenen Art das Gebot ‹Du sollst nicht töten!› befolgt werde und altruistisches Verhalten im Dienst der Arterhaltung an den Tag gelegt werde, indem stärkere Tiere ihre Überlegenheit über die schwächeren nicht zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Lorenz sieht hier offenbar geflissentlich darüber hinweg, dass gemäß ethologischen Erkenntnissen die stärkeren Tiere aufgrund einer angeborenen Beißhemmung angesichts der Demutshaltung schwächerer Tiere von deren Tötung ablassen, nicht aber weil sie aus altruistischen Gründen darauf verzichten, was voraussetzen würde, sie könnten sowohl das eine wie das andere tun. Fast sieht es so aus, als sollten sich nach Lorenz die Menschen ein Vorbild am selbstregulativen System der gesunden, natürlichen, genetisch adaptierten ‹Moral› nehmen, anstatt sich an ihren eigenen, physisch leider nicht zwingenden Vorstellungen eines rational Guten und Bösen zu orientieren. Zwar hält er daran fest, dass Tiere nur ein moralanaloges Verhalten an den Tag legen.
Dennoch kann auch derjenige, der diese Zusammenhänge wirklich durchschaut, sich einer immer wiederkehrenden neuen Bewunderung nicht entschlagen, wenn er physiologische Mechanismen am Werke sieht, die Tieren ein selbstloses, auf das Wohl der Gemeinschaft abzielendes Verhalten aufzwingen, wie es uns Menschen durch das moralische Gesetz in uns befohlen wird. (Das sogenannte Böse: 20)
Dieser Vorbildcharakter des tierischen ‹Altruismus› wurde als «normativer Biologismus» kritisiert, der der Natur eine «ideologische Bürde» auferlege, insofern er sie auf das Prinzip reduziere «Du bist nichts, dein Volk ist alles!» (Christian Vogel, Gibt es eine natürliche Moral?: 202, 200). Die natürliche Evolution, weit davon entfernt, die Interaktion tierischer Lebewesen an den Maßstab des Guten zu binden und das sogenannte Böse der puren Notwendigkeit des Überlebens zuzuschlagen, erzeuge eine bloße Scheinmoral. In Wirklichkeit werde der biologische Evolutionsprozess durch nichts anderes...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2019 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Ethik | |
Schlagworte | Biologie • Erziehung • Ethik • Freiheit • Gesellschaft • Gut und Böse • Manipulation • Menschen • Moralphilosophie • Philosophen • Philosophie • Psychologe • Selbstdetermination • Soziale Verhältnisse • Soziologie • Sünde • Theologie • Utopie • Verantwortlichkeit • Zurechenbarkeit |
ISBN-10 | 3-406-73209-7 / 3406732097 |
ISBN-13 | 978-3-406-73209-6 / 9783406732096 |
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