Selbstwert und Kommunikation (Leben Lernen, Bd. 18) (eBook)
304 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11512-3 (ISBN)
Virginia Satir (1916-1988) war als Sozialarbeiterin und Dozentin für Familientherapie tätig, Mitarbeiterin an zahlreichen Kliniken und sozialpsychologischen Instituten in Kalifornien, Leiterin von Seminaren und Gruppentrainings in vielen Ländern, große therapeutische Praxis. Häufig wird sie als Pionierin der Familientherapie bezeichnet.
Virginia Satir (1916-1988) war als Sozialarbeiterin und Dozentin für Familientherapie tätig, Mitarbeiterin an zahlreichen Kliniken und sozialpsychologischen Instituten in Kalifornien, Leiterin von Seminaren und Gruppentrainings in vielen Ländern, große therapeutische Praxis. Häufig wird sie als Pionierin der Familientherapie bezeichnet.
1. Kapitel
Einleitung
Als ich fünf Jahre alt war, entschloss ich mich, wenn ich einmal groß wäre, ein »Detektiv der Kinder gegenüber ihren Eltern« zu werden. Ich wusste nicht genau, nach was ich suchen würde, jedoch war damals für mich schon deutlich, dass in Familien vieles vor sich geht, das mit dem, was sichtbar ist, nicht übereinstimmt. Da schien es viele Rätsel zu geben.
Heute, fünfundvierzig Jahre später – nachdem ich mit etwa dreitausend Familien, zehntausend Menschen, gearbeitet habe –, finde ich, dass da tatsächlich eine Menge Rätsel bestehen. Man könnte die Familien mit einem Eisberg vergleichen. Die meisten Menschen sind sich nur etwa eines Zehntels des tatsächlich Vor-sich-Gehenden bewusst – dem Zehntel, das sie sehen und hören können – und sie denken oft, dass das alles ist. Einige vermuten, dass da noch mehr sein könnte, aber sie wissen nicht, was es ist, und haben keine Idee, wie sie es herausfinden könnten. Es jedoch nicht zu wissen, kann die Familie in eine gefährliche Richtung treiben. Genau wie das Schicksal eines Seemanns davon abhängt, dass er etwas über den Eisberg unter Wasser weiß, so hängt das Schicksal einer Familie davon ab, ob die Gefühle, Bedürfnisse und Verhaltensmuster verstanden werden, die hinter den täglichen familiären Geschehnissen liegen.
Glücklicherweise fand ich über die Jahre auch Lösungen für viele Rätsel und ich möchte sie in diesem Buch mitteilen. In den folgenden Kapiteln werden wir die Unterwasserseite des Eisbergs anschauen.
In diesem Zeitalter des sich ausweitenden Wissens über Atome, Weltraum, Genetik des Menschen und andere Wunder unseres Universums lernen wir auch Neues über die Beziehungen der Menschen mit Menschen. Ich glaube, dass die Geschichtsschreiber in tausend Jahren unsere Zeit deuten werden als den Beginn einer neuen Epoche der menschlichen Entwicklung, als die Zeit nämlich, in der die Menschheit begann, mit ihrer Menschlichkeit besser zurechtzukommen.
Über die Jahre hin entwickelte ich ein Bild davon, wie es aussehen könnte, wenn ein menschliches Wesen menschlicher lebt: Es ist eine Person, die ihren Körper versteht, wertschätzt und entwickelt, ihn schön und nützlich findet; eine Person, die real und ehrlich zu sich selbst, über sich und andere ist; eine Person, die bereit ist, Risiken auf sich zu nehmen, kreativ zu sein, kompetent zu sein, sich zu ändern, wenn es die Situation erfordert, und Wege zu finden, um Neues und Verschiedenartiges aufzunehmen, den Teil des Alten, der noch nützlich ist, zu behalten und den Teil, der es nicht ist, abzulegen.
All dies zusammengenommen macht ein körperlich gesundes, geistig waches, fühlendes, liebendes, spielerisches, authentisches, kreatives und produktives menschliches Wesen aus. Es kann auf den eigenen beiden Füßen stehen, es kann tief lieben sowie fair und effektiv kämpfen. Es steht in gleicher Weise zu seinen zarten Seiten wie zu seinen zähen und kennt die Unterschiede zwischen beiden. Es kann sich deswegen wirksam bemühen, seine Ziele zu erreichen.
Die Familie ist die »Fabrik«, in der diese Art Person entsteht. Die Erwachsenen sind die »Menschenmacher«.
In meinen Jahren als Familientherapeutin fand ich heraus, dass in den leidenden Familien, die mich um Hilfe baten, stets vier Aspekte des Familienlebens auftauchten. Es sind:
- die Gefühle und Vorstellungen, die man über sich selbst hat; ich nenne sie Selbstwert;
- die Techniken, die die Menschen entwickeln, um einander zu verstehen und gegenseitige Bedeutsamkeit zu erfahren; ich nenne sie Kommunikation;
- die Regeln, die die Menschen dafür aufstellen, wie sie sich verhalten oder fühlen sollen; sie entwickeln sich schließlich zu dem, was ich Familiensystem nenne;
- die Art, wie die Menschen zu anderen Menschen und Institutionen außerhalb der Familie in Beziehung treten, was ich die Verbindung zur Gesellschaft nenne.
Gleichgültig, was für eine Art Problem eine Familie zuerst in meine Praxis führte – ob es eine nörgelnde Ehefrau oder einen untreuen Ehemann, einen straffälligen Sohn oder eine schizophrene Tochter betraf –, ich fand bald, dass das Rezept gleich lautete. Um ihren Schmerz zu verringern, musste irgendein Weg gefunden werden, diese vier Schlüsselfaktoren zu verändern. In all den geplagten Familien entdeckte ich:
- Der Selbstwert war niedrig,
- Kommunikation fand indirekt, vage und nicht wirklich ehrlich statt,
- Regeln waren starr, unmenschlich, durften nicht hinterfragt werden und galten für die Ewigkeit und die Verbindung zur Gesellschaft war angstbesetzt, anklagend oder schuldzuweisend im Grundton.
Glücklicherweise lernte ich zu meiner Freude auch nichtgestörte und fördernde Familien kennen –, insbesondere in Seminaren, in denen ich Familienmitgliedern helfe, ihr eigenes Potenzial als menschliche Wesen voller zu entwickeln. In diesen vitalen und fördernden Familien sehe ich durchweg ein anderes Muster:
- Der Selbstwert ist hoch;
- die Kommunikation ist direkt, klar, spezifisch und ehrlich;
- die Regeln sind flexibel, menschlich, entsprechend den gegenwärtigen Bedürfnissen und Situationen – also eine veränderbare Angelegenheit;
- die Verbindung zur Gesellschaft ist offen und voll Hoffnung.
Es ist gleichgültig, wo ein Chirurg Medizin studiert hat, er ist fähig, Menschen überall in der Welt zu operieren, weil die inneren Organe und die Glieder gleich sind. Durch meine Arbeit mit Familien, gestörten und fördernden, lernte ich in den USA, Mexiko und Europa, dass auch Familien überall bestimmte Funktionen gemeinsam haben. In allen Familien:
- hat jedes Mitglied ein Gefühl seines Wertes – positiv oder negativ (die Frage ist: Welches?);
- steht jede Person in Kommunikation (die Frage ist: Wie und mit welchem Ergebnis?);
- folgt jede Person bestimmten Regeln (die Frage ist: Was für einer Art von Regeln, und welchen Erfolg ermöglichen sie ihr?);
- steht jede Person in Verbindung zur Gesellschaft (die Frage ist: Wie und mit welchem Resultat?).
Dies alles gilt, gleichgültig, ob es sich um eine natürliche Familie handelt, wo die natürlichen Eltern fortgesetzt für ihr Kind sorgen, bis es erwachsen ist, ob es sich um eine Familie mit einem Elternteil handelt, in der der andere die Familie allein ließ, indem er starb, sich scheiden ließ oder wegging, und wo alle elterlichen Aufgaben vom zurückbleibenden Elternteil übernommen werden, ob es eine gemischte Familie ist, wo die Kinder von Stief-, Pflege- oder Adoptiveltern versorgt werden, oder ob es Institutionen sind, wo Erwachsenengruppen Kindergruppen erziehen, wie etwa in Heimen oder in modernen Tagesstätten.
Jede dieser Familienformen hat ihre eigene Art spezieller Probleme im Zusammenleben, und wir werden darauf später zurückkommen. Grundsätzlich sind jedoch die gleichen Kräfte in jeder von ihnen am Werk: Selbstwert, Kommunikation, Regeln und die Verbindung zur Gesellschaft.
Der Leser wird in diesem Buch mehr über jeden dieser entscheidenden Faktoren erfahren, was ihm zu entdecken hilft, wie seine Familie funktioniert und wie sie verändert werden kann, um Probleme zu verringern und die Vitalität und Freude zu vergrößern, die alle untereinander finden können. Ich spreche hier nicht als Expertin, sondern als jemand, der Glück und Leid, Verletzung, Ärger und Liebe in vielen Familien teilte und dadurch viel erfahren hat.
Ich werde in diesem Buch niemanden kritisieren oder beschuldigen. In der Tat sollte ich vermutlich viele Medaillen dafür verteilen, dass Sie das Beste, was Sie wussten, in einer schwierigen Situation getan haben. Die Tatsache allein, dass Sie ein Buch wie dieses lesen, sagt mir, dass Ihnen das Wohl Ihrer Familie wirklich am Herzen liegt. Ich hoffe jedoch, dass ich Ihnen etwas Wertvolleres als Medaillen geben kann, nämlich ein paar neue Wege, die der Familie ein besseres Zusammenleben ermöglichen.
Die Beziehungen sind in einer Familie extrem komplex. Um sie etwas besser verständlich zu machen, werde ich viele »als wenn« gebrauchen. Sie werden sich zu keinem intellektuellen Modell zusammenfügen, wie es Wissenschaftler konstruieren, sondern sie werden Ihnen eine Vielzahl von Möglichkeiten bieten, Ihr Familiensystem anzuschauen, in der Hoffnung, dass Sie darunter einige finden werden, die wirkliche Bedeutung für Sie gewinnen.
Beim Lesen werden Sie vorgeschlagene Experimente und Übungen vorfinden. Ich hoffe, dass Sie alle nacheinander ausführen werden, selbst wenn sie zunächst einfach oder albern erscheinen. Etwas über das Familiensystem zu wissen, verändert nichts. Sie müssen selbst lernen, wie Sie dieses System dazu bringen, lebensfördernd zu arbeiten. Diese Experimente bieten positive, konkrete Schritte an, die Ihre Familie gehen kann, um weniger gestört und mehr fördernd zu werden. Je mehr von den Familienmitgliedern daran teilnehmen, desto effektiver werden sie sein. Sie werden beginnen zu fühlen wie Ihr System funktioniert und erspüren, ob es zu Schwierigkeiten oder Wachstum führt.
Vielleicht fragen Sie sich, wie Sie es anstellen könnten, dass Sie die anderen Mitglieder...
Erscheint lt. Verlag | 29.3.2019 |
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Reihe/Serie | Hilfe aus eigener Kraft |
Leben lernen | Leben Lernen |
Übersetzer | Maria Bosch, Elke Wisshak |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Familienrekonstruktion • Familienskulptur • Familienstellen • Familientherapie • Kommunikation • Psychotherapie • Selbstvertrauen • Selbstwert • Systemische Familienaufstellung • Systemische Therapie |
ISBN-10 | 3-608-11512-9 / 3608115129 |
ISBN-13 | 978-3-608-11512-3 / 9783608115123 |
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