Gottes Spuren (eBook)
384 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-24136-0 (ISBN)
Gibt es Wunder wirklich? Vatikanexperte Andreas Englisch hat sich auf die Suche gemacht nach den Spuren des Unerklärlichen in unserer Welt. Auf eigene Faust oder mit Päpsten wie Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ist er an zahlreiche Orte gereist, an denen sich Wunder manifestieren und von denen besondere Kraft auszugehen scheint: Pilgerstätten wie Lourdes, Fátima, Medjugorje, Guadalupe, La Salette oder Civitavecchia. Er hat beobachtet, wie vermeintliche Wunder vom Vatikan wissenschaftlich untersucht werden, und überrascht verfolgt, wie Exorzisten für ihren Einsatz gegen den Satan gelobt werden. Aber vor allem hat Andreas Englisch mit Menschen gesprochen, die Wunder erlebt haben wollen, die Madonnenstatuen Blut weinen sahen und die Auferstehung von Toten bezeugen können. Sein Buch zeigt, dass wir immer wieder von Wundern überrascht werden können, wenn wir für die Spuren Gottes in unserer Welt empfänglich bleiben.
Andreas Englisch lebt seit fast vierzig Jahren in Rom und gilt als einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan. Seit der Amtszeit von Johannes Paul II. trifft er alle amtierenden Päpste regelmäßig und begleitet sie auf ihren Reisen. Als Vatikanexperte und Italienkenner ist er ein gefragter Talkshowgast und Interviewpartner, seine Bücher sind Bestseller und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter »Franziskus - Zeichen der Hoffnung« (2013), »Der Kämpfer im Vatikan. Papst Franziskus und sein mutiger Weg« (2015), »Der Pakt gegen den Papst. Franziskus und seine Feinde im Vatikan« (2020) sowie zuletzt »Das Vermächtnis von Papst Franziskus» (2023). Zudem begeistert Andreas Englisch als kenntnisreicher Reiseführer durch Rom. Die Geschichte und Geschichten der Ewigen Stadt hat er in seinen Bestsellern »Mein Rom. Die Geheimnisse der Ewigen Stadt« (2018) sowie »Mein geheimes Rom. Die verborgenen Orte der Ewigen Stadt« (2021) aufgeschrieben.
1
Die höchste Schule der Liebe
Wirklich wichtige Treffen oder Konferenzen im Vatikan haben immer etwas Rührendes. Wenn die Mächtigen der Welt in den Vatikanstaat kommen, um die globale Ordnung zu diskutieren, wenn etwa der Präsident der US-Regierung sich mit dem Papst über Krieg und Frieden im Nahen Osten berät oder die Meinung des Vatikans in der Frage der Entwicklung Chinas gefragt ist, geschieht immer das Gleiche: Die Mitglieder solcher Gesprächsrunden können es einfach nicht fassen, wie winzig der Vatikan ist.
Oft habe ich dabei zugesehen, wie die langen, gepanzerten Autokolonnen durch die Pforten des Vatikanstaates verschwanden und deren Fahrer sich wunderten, dass es hinter den hohen Mauern nicht einmal genug Parkplätze für die Staatschefs gab. Mitglieder von Delegationen, die es gewöhnt sind, wie selbstverständlich die modernste Technik heutiger Kongresszentren zu nutzen, erlebten verständnislos, wie im winzigen Kongressgebäude von Radio Vatikan noch vierzig Jahre alte Projektoren sowie krächzende Lautsprecher und Mikrofone aus den 1970er-Jahren eingesetzt wurden.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Gespräch mit Jan Eliasson, dem damaligen Präsidenten der UN-Generalversammlung, am 17. Juni 2006. Nach seiner Unterredung mit Papst Benedikt XVI. zeigte er sich beeindruckt von genau diesem Gegensatz: dem Zwergstaat Vatikanstadt auf der einen Seite und der internationalen Dimension des päpstlichen Einflusses auf der anderen Seite.
Die katholische Kirche vertritt ihre Interessen nahezu überall auf der Welt. Noch die entlegensten Winkel der Erde – ob in den Wüsten Afrikas oder im Urwald von Sumatra – gehören zu irgendeiner Diözese. Die katholische Kirche hat den kompletten Globus in Kirchenbezirke aufgeteilt. Mit zwei Ausnahmen – dem Nord- und dem Südpol – gibt es überall auf der Welt, wo ein Mensch geboren wird, auch ein Bistum, das sich um ihn kümmern kann.
Diese internationale Dimension beeindruckt vor allem die Organisatoren von Großveranstaltungen. Denn mit dem Vatikan ist es wie mit der Geschichte vom Hasen und vom Igel: Er ist immer schon vor Ort, überall auf der Welt.
Was das für einen Unterschied macht, lässt sich an einfachen Beispielen verdeutlichen: Wenn etwa Tom Cruise einen neuen Action-Film wie »Mission: Impossible III« im italienischen Caserta dreht, dann muss der komplette Apparat aus Hollywood nach Italien verschifft werden. Die US-amerikanische Produktionsfirma bringt ihre eigenen Kameraleute mit, die eigenen Handwerker, Köche, Stuntmen und dergleichen. Es ist, als würde eine ganze Kleinstadt hinter Tom Cruise herziehen. Nötig ist der Aufwand, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass sich erfolgreiche Hollywoodfilme nur mit solchen Leuten bewerkstelligen lassen, die zur Produktionsmaschinerie von Hollywood gehören. Vor Ort wird dann meist nur der Lkw für die Stromproduktion gemietet.
Das Gleiche gilt für Rockkonzerte. Wenn die Rolling Stones auf Welttournee gehen, fliegen Hunderte von Bühnenarbeitern vor und hinter den Stones her, um das ganz besondere Gefühl eines Stones-Konzerts technisch zu ermöglichen.
Der Vatikan aber – und nur der Vatikan – kann bei seinen Großveranstaltungen wie den durchschnittlich 1,5 Millionen Besucher anziehenden Weltjugendtagen auf ein eingespieltes organisatorisches Netzwerk überall auf der Welt vertrauen. Päpste könnten sich einfach vor die riesige Weltkarte stellen, die im dritten Stock des apostolischen Palastes die Wand des Staatssekretariats schmückt, und mit dem Finger auf den Ort tippen, an dem das Event organisiert werden soll: Buenos Aires oder Denver, Paris, Sydney, Köln oder Toronto, kein Problem. Das dortige Bistum baut dann mit einem ganzen Heer von Freiwilligen die Kulisse für ein gigantisches Ereignis auf, zu dem aber nicht die Diözese selbst, sondern der Papst in Rom eingeladen hat.
Dieses weltumspannende Netzwerk kommt aber nicht nur der Planung und Organisation von Großveranstaltungen zugute. Die katholische Kirche betreibt eigene Krankenhäuser, Schulen, Kliniken oder Altenheime. Überall auf der Welt bekommen täglich Hunderte von Millionen Menschen kirchliche Hilfeleistungen in Form von Nahrungsmitteln oder Medikamenten, Ausbildung oder Heilung – nicht zuletzt aber auch in Form von Trost und Beistand. Das alles hat natürlich einen enormen Effekt: Es bindet eine Milliarde Katholiken an ihre Kirche, und diese Bindung ist trotz aller kirchlicher Krisen in der Regel viel enger als die Bindung eines Wählers an seine Partei oder eines Bürgers an seinen Staat.
Diesen gigantischen Einsatz für das Gute könnte sich kein anderer Staat auf der Welt leisten. Aus einem ganz simplen Grund: Er wäre unbezahlbar. Aber das System der katholischen Kirche funktioniert. Und zwar deshalb: Fast alle Mitarbeiter arbeiten gratis. Die Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen der Kirche, die katholischen Ärzte und all diese Abermillionen Menschen, die direkt oder indirekt für die katholische Kirche arbeiten, machen das in der Regel ohne Rücksicht darauf, was das für ihren Lebensstandard bedeutet. Sie alle haben, wenn überhaupt, die kleineren Häuser und kleineren Autos; sie wohnen, wenn sie das Ordensleben gewählt haben, in winzigen, meist schlecht geheizten (oder, in heißen Ländern, schlecht gekühlten) Zimmern, und der Grund dafür, dass diese Leute das alles auf sich nehmen, das ist das wahre Wunder.
Warum freut sich eine Ordensfrau, die als Krankenschwester in einem katholischen Krankenhaus arbeitet, wo sie von Patienten herumkommandiert wird und nach zwölf Stunden unbezahlter Schicht todmüde in ihr Bett fällt, auf den nächsten Arbeitstag? Sie freut sich, weil sie gesehen hat, wie es Kranken allmählich wieder besser ging – weil eine Kranke zum ersten Mal wieder etwas gegessen hat, weil ein Kind zum ersten Mal nach einer Operation wieder aufstehen konnte –, und weil sie diese Menschen liebt. Und genau das ist das Erstaunliche an der katholischen Kirche: Sie basiert auf dem Prinzip Liebe.
Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht so erstaunlich: Menschen sind eben nicht dann am glücklichsten, wenn sie in einem Sportwagen an einer Traumküste entlangfahren zu einem Galadiner, wo sie den Nobelpreis bekommen werden – sondern dann, wenn sie lieben. Jeder, der wirklich verliebt ist oder es einmal war, weiß, dass man nicht einmal eine Parkbank braucht, dass man auf dem nackten Boden sitzen und unendlich glücklich sein kann, weil der geliebte Mensch neben einem sitzt. Menschen können unendlich glücklich sein, wenn sie einen geliebten Menschen nur ansehen. Oft genügt es auch schon, an den geliebten Menschen zu denken. Aber keine Traumvilla, kein Luxusurlaub kann so glücklich machen wie der Blick eines geliebten Menschen. Natürlich stockt Menschen der Atem, wenn sie etwa beruflich befördert werden, sich ein Traumauto leisten können oder im Lotto gewinnen – aber das alles ist nichts, verglichen mit jenem Moment, in dem Menschen aus einem ganz anderen Grund der Atem stockt: weil nach längerer Zeit ein glühend vermisster, wirklich geliebter Mensch endlich anruft oder an der Tür klingelt. Viele Menschen warten hartnäckig darauf, dass sie sich endlich das Traumhaus, den Traumurlaub oder das Traumkleid leisten können – aber was ist das für eine Hartnäckigkeit, verglichen mit jener, mit der Liebende auf einen Geliebten warten: jahr-, ahrzehnte-, manche ihr ganzes Leben lang?
Ja, das größte Wunder der katholischen Kirche ist die Liebe.
Ich habe viele Reden von Staatschefs oder Präsidenten großer Organisationen an den Papst gehört, und bis zu diesem Punkt, dass die katholische Kirche auf selbstloser Liebe beruht, können eigentlich alle noch folgen. Was zu tiefster Verunsicherung führt, ist der Schritt danach: Es geht der Kirche nämlich um die Liebe Gottes. Wenn die katholische Kirche recht hat, dann liebt der unerklärliche Gott seine Geschöpfe, die Menschen, und jetzt sind wir bei dem Punkt, um den es eigentlich geht: Ist es vorstellbar, dass der unerklärliche Gott aus Liebe zu seinen Geschöpfen direkt in das, was auf der Erde geschieht, eingreift? Die katholische Kirche glaubt, ja, und hier unterscheidet sich der Vatikan vollständig von allen anderen großen Organisationen: Päpste glauben, dass an der Seite der Kirche nicht eine Ideologie oder eine Botschaft steht, sondern ein unermesslich mächtiges Wesen, von dem wir keine Ahnung haben, was es wirklich ist.
Als ich im Jahr 1987 nach Rom kam, umgab eine seltsame Aura den Vatikan. Gott schien ein tätiger Gott zu sein, der auf der ganzen Welt in rascher Folge eingriff und Wunder wirkte. Ein Grund für diese eigenartige Atmosphäre war die Zahl der Selig- und Heiligsprechungen durch Papst Johannes Paul II., die jede bis dahin vorstellbare Rekordmarke übertraf. Bis zum Ende seines Pontifikats sollte Johannes Paul II. in 198 Zeremonien 1338 Verstorbene selig- und 482 Kandidatinnen und Kandidaten heiligsprechen, und sofern es sich nicht um Märtyrer handelt, muss nach der Rechtsprechung der katholischen Kirche für jede Selig- oder Heiligsprechung ein Wunder zwingend nachgewiesen werden.
Das klingt genauso unglaublich, wie es ist: Der Vatikan überprüft in solchen Fällen tatsächlich mit aller ihm gebotenen Sorgfalt, ob der unerklärliche Gott in die Welt eingegriffen hat oder nicht. Konkret bedeutet das, dass eine Gruppe anerkannter Wissenschaftler unabhängig von der katholischen Kirche attestieren muss, dass etwas geschehen ist, das sich mit dem Kenntnisstand der Wissenschaft weder vereinbaren noch erklären lässt. Oft rufen – für unheilbar erklärte – Kranke in ihrer Not einen der verstorbenen Seligsprechungskandidaten um himmlische Hilfe an, und wenn sich später eine unerklärliche...
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2018 |
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Zusatzinfo | 16 S. Bildtteil |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
Schlagworte | Christentum • eBooks • Katholizismus • Kirche • Marienerscheinung • Religionen • Theologie • Wallfahrt • Wunder • Wunderglaube |
ISBN-10 | 3-641-24136-7 / 3641241367 |
ISBN-13 | 978-3-641-24136-0 / 9783641241360 |
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