Freuds Dinge
AB - Die Andere Bibliothek (Verlag)
978-3-8477-0410-2 (ISBN)
Wer sich in die Fallgeschichten Sigmund Freuds vertieft, der versteht: Das nebenher Gesagte, das belanglose Detail ist das Entscheidende.
Da taucht zum Beispiel die »Apollokerze« auf, das Erfolgsprodukt der Wiener »Apollogesellschaft«, die in dem im Jahr 1839 bankrottgegangenen Etablissement »Apollosäle« ihren Firmensitz hatte: industriell gefertigte Stearin-Kerzen, die reißenden Absatz fanden, weil ihr Docht nicht nachgeschnitten werden musste. Die Lexika belegen es: Diese Apollokerzen wurden zum Synonym für Stearin-Kerzen. Und: Sie bevölkern das Unbewusste unbescholtener Fräuleins, kommen auf Freuds Couch zur Sprache.
Die Psychoanalyse ist eine archäologische Unternehmung, sie gräbt im Unbewussten, im Verborgenen nach Scherben und Fragmenten. Aber sie gräbt nicht Rom aus, sondern die Gegenwart. Die Apollokerzen gingen aus der Einwanderung der antiken Götter und Heroen in den bürgerlichen Alltag hervor. Kein Telegrafenamt ohne Atlas mit der Weltkugel, keine Glühbirnen ohne Lichtgötter, kein Transportunternehmen ohne Merkur, kein Kaminsims ohne Venus von Medici. Die frühe Psychoanalyse folgt dem Gesetz, nach dem die Kerzenfabrikanten, die Vergnügungsbranche oder die Industrie ihre Waren benennen. Und wie die Apollokerzen in der Dingwelt kursierte der »Ödipuskomplex« bald in der Alltagssprache.
Das Unbewusste von Freuds Patienten war bevölkert mit den Requisiten des bürgerlichen Alltags und Interieurs. In ihren Träumen und Fehlhandlungen regiert die »Tücke des Objekts«, die damals sprichwörtlich wurde. So sind Freuds Schriften nicht nur eine Aufdeckung des Verdrängten oder Verdichteten, der Lektüre im Unbewussten, sondern zugleich ein Kompendium der Dingwelt des 19. Jahrhunderts, vom Regenschirm bis zu den Schreibgeräten. Das Unheimliche und das Harmlose begegnen sich an dieser Schnittstelle.
Lothar Müller blättert das Kompendium auf: von A bis Z.
Lothar Müller (geb. 1954) ist Literaturkritiker, Literaturwissenschaftler, Journalist und Autor. Er ist Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung mit Sitz in Berlin, Preisträger des Alfred-Kerr-Preises (2000), des Johann-Heinrich-Merck-Preises (2008) und des Berliner Preises für Literaturkritik (2013) sowie Autor zahlreicher Bücher (zuletzt: Weiße Magie. Die Epoche des Papiers, 2012, Hanser). Seit 2010 ist er Honorarprofessor an der HU Berlin.
"Müller zeigt, dass Freud, wenn er vom "seelischen Apparat" spricht, immer auch an ganz reale technische Apparate denkt. Sein Buch ist eine Mythologie des Alltags, und es verdeutlich am Alltag einer Theoriebildung, dass Theorie ohne Alltag so etwas wäre wie ein Liebesgedicht eines Dichters, der noch nie verliebt war." Philosophie Magazin 20190507
"Müller zeigt, dass Freud, wenn er vom "seelischen Apparat" spricht, immer auch an ganz reale technische Apparate denkt. Sein Buch ist eine Mythologie des Alltags, und es verdeutlich am Alltag einer Theoriebildung, dass Theorie ohne Alltag so etwas wäre wie ein Liebesgedicht eines Dichters, der noch nie verliebt war."
"Die Intension des Buches über "Freuds Dinge" erschöpft sich jedoch nicht im virtuosen Beitrag zur Geschichte der Obkejte... Eingeschrieben ist ihm ebenso die Aufforderung den eigenwert sowie die psyschiche Valenz jener Dinge und Systme zu studieren, die uns aktuell umgeben".
"Behutsam zeichnet Müller die Verbindungslinien zwischen bürgerlichem und seelischem Interieur nach.(...) Müllers Beschreibungskunst besteht darin, den Dinge in Freuds Texten nachzuspüren, sie herauszupräparieren und in die Lebenswelt zurückzuholen, aus der sie stammen, um auf diese Weise den Texten neue Nuancen abzugewinnen."
"Anhand von "Freuds Dingen" erzählt Lothar Müller nicht nur die Geschichte der Psychoanalyse neu; er beschreibt auch die Entwicklung Sigmund Freuds vom neurologischen Experimentalwissenschaftler mit Fokus auf Gewebeschnitten vom Gehirn über den Theoriebilder, Namensfinder, Rätsellöser und Meistererzähler seiner Fallgeschichten bis hin zum bedeutendsten Kulturanthropologen seiner Zeit. All dies macht Müllers Groß-Essay schon jetzt zu einem Standardwerk für die Freud-Lektüre."
Erscheinungsdatum | 28.02.2019 |
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Reihe/Serie | Die Andere Bibliothek ; 410 |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Maße | 121 x 213 mm |
Gewicht | 674 g |
Einbandart | Leinen |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Neuzeit bis 1918 |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Psychoanalyse / Tiefenpsychologie | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Kulturgeschichte • Psychoanalyse • Psychologie • Sigmund Freud • Traumdeutung • Wien |
ISBN-10 | 3-8477-0410-9 / 3847704109 |
ISBN-13 | 978-3-8477-0410-2 / 9783847704102 |
Zustand | Neuware |
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