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Sozialphilosophie (eBook)

Eine Einführung
eBook Download: EPUB | PDF
2017 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-64057-5 (ISBN)
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In der Reihe C.H.Beck Wissen erscheinen kurze Einführungen in die Disziplinen der Philosophie. Die Bände sind knapp und konzise für ein allgemeines Lesepublikum geschrieben. Neben einer Einführung in die Geschichte der jeweiligen philosophischen Disziplin liegt der Schwerpunkt der Bände auf der systematischen Entfaltung des Themas und dessen Relevanz für die Philosophie der Gegenwart.

Rahel Jaeggi (* 1967) ist eine deutsche Philosophin. Sie ist Professorin für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt in den Bereichen der Sozial- und Rechtsphilosophie sowie der politischen Philosophie, der philosophischen Ethik, Anthropologie und Sozialontologie.

Rahel Jaeggi (* 1967) ist eine deutsche Philosophin. Sie ist Professorin für Praktische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt in den Bereichen der Sozial- und Rechtsphilosophie sowie der politischen Philosophie, der philosophischen Ethik, Anthropologie und Sozialontologie.

Cover 1
Titel 3
Zum Buch 2
Über die Autoren 2
Impressum 4
Inhalt 5
1. Was ist Sozialphilosophie? 7
Die sozialphilosophische Perspektive 7
Sozialphilosophie, Soziologie und Politische Philosophie 11
Horkheimer, Honneth und die Aufgaben der Sozialphilosophie 15
Sozialphilosophie – Versuch einer Bestimmung 23
2. Gemeinschaft und Gesellschaft 27
Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft 28
Zwei Arten von Sozialität 31
Solidarität 38
3. Individuum und Gesellschaft 41
Individualismus 42
Holismus 44
Plädoyer für einen gemäßigten Holismus 45
Irreduzibel soziale Güter 49
4. Freiheit 52
Freiheit und Freiheitshindernisse 53
Aspekte von Freiheit 56
Freiheit als Modus des Vollzugs 62
5. Anerkennung 63
Fichte und Hegel 65
Formen der Anerkennung 66
Ambivalenzen der Anerkennung 69
Anerkennung im Konflikt 74
6. Entfremdung 76
Von Rousseau über Hegel zu Marx 77
Nach Marx 82
Entfremdung und Aneignung 85
7. Macht 88
Was ist Macht? Vier Bestimmungsversuche 90
Erweiterungen des Machtbegriffs 95
Dimensionen der Macht 96
Der produktive Effekt von Macht 98
8. Ideologie 101
Drei Verständnisse von Ideologie 101
Drei Dimensionen der Falschheit von Ideologien 105
Probleme und Alternativen des Ideologiebegriffs 106
Die kritische Funktion des Ideologiebegriffs 108
9. Schluss: Sozialphilosophie und Sozialkritik 111
Dank 118
Literaturverzeichnis 119
Personenregister 127

2. Gemeinschaft und Gesellschaft


Das erste Grundproblem, dem wir uns widmen möchten, betrifft das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, das im Zentrum nicht nur der Sozialphilosophie, sondern auch der Sozialtheorie und der Soziologie im Allgemeinen steht. In diesem und dem folgenden Kapitel soll es darum gehen, wie die Art und Weise, in der Individuen Teil der Gesellschaft sein können, genauer zu verstehen ist. Dabei werden wir in diesem Kapitel das Verhältnis von Gemeinschaft und Gesellschaft behandeln, außerdem die sich daran anschließende Zeitdiagnose der Individualisierung und des Gemeinschaftsverlusts sowie den Begriff der Solidarität als eine mögliche Antwort auf diese Pathologiediagnose. Im folgenden Kapitel werden wir dann Individualismus und Holismus als sozialontologische wie methodologische Positionen in der Debatte über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft diskutieren.

In einem ersten Schritt kann man zwei Perspektiven auf das Verhältnis von Gemeinschaft und Gesellschaft unterscheiden. «Gemeinschaft» und «Gesellschaft» lassen sich nämlich einerseits als zeitlose Kategorien diskutieren. Als solche bezeichnen sie zwei verschiedene Arten von Sozialität oder zwei Typen sozialer Verbindung (und die entsprechenden Einstellungen aufseiten der Individuen), deren Verhältnis zueinander die Sozialphilosophie immer wieder thematisiert hat. Andererseits aber bezeichnet der «gesellschaftliche» Modus der Beziehungen zwischen Individuen ein historisch spezifisches Phänomen, das Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie des Rechts als das Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft (mit ihren seit Mitte des 19. Jahrhunderts besonders ins Auge springenden Krisenerscheinungen) beschrieben hat. Genau diese historische Situation ist es ja, von der wir einleitend behauptet haben, dass sie (oder ihre Vorläufer) die Ausgangskonstellation der Sozialphilosophie ausmache: eine Konstellation, in der aus bestimmten Gründen (die vor allem mit der Verdichtung des sozialen Verkehrs, der sozialen Beziehungen, der sozialen Interdependenzen zu tun haben) das Soziale selbst zum Thema und Problem wird. Wir wollen daher zunächst kurz auf Hegels Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft eingehen, um anschließend «Gemeinschaft» und «Gesellschaft» als soziologische und sozialphilosophische Kategorien einzuführen. Schließlich wollen wir einen Blick auf die Krisendiagnosen werfen, die sich um die hier aufscheinende Problematik herum entwickelt haben und auf die «Solidarität» dann wiederum die Antwort sein soll.

Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft


In seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821 hat Hegel das moderne Phänomen der Ausdifferenzierung einer Sphäre von Eigentum und Recht erstmals mit dem Begriff «bürgerliche Gesellschaft» belegt und die soziale wie normative Bedeutung dieser Sphäre philosophisch «auf den Begriff gebracht» (vgl. Riedel 1975). Man muss sich klarmachen, dass die Existenz einer «bürgerlichen Gesellschaft», wie sie uns heute ganz selbstverständlich ist, damals ein historisch neues Phänomen war. «Bürgerliche Gesellschaft» bezeichnet die Sphäre der «zwischen den Ebenen der Familie und der staatlichen Institutionen angesiedelten wechselseitigen Verflechtung der ihre Privatinteressen verfolgenden Individuen» (Jaeschke 2003, S. 387). Das entscheidend Neue war, dass die bürgerliche Gesellschaft eine gegenüber Staat und Familie eigenständige und unpolitische Sphäre mit dennoch öffentlicher Bedeutung war und ist. Die klassische Politische Philosophie hatte die Identität von Staat und Gesellschaft postuliert (koinonia politiké bzw. societas civilis). Nun emanzipierte sich eine selbst nicht mehr unmittelbar politisch verfasste, eben «bürgerliche» Gesellschaft gegenüber dem Staat. Aber auch das Individuum emanzipierte sich aus den sozialen Kontexten, in die es bis dahin mehr oder weniger vollkommen eingelassen schien.

Wenn Hegel die bürgerliche Gesellschaft als «die Differenz» beschreibt, «welche zwischen die Familie und den Staat tritt» (Hegel 1821, § 182 Z), so fasst er diese moderne Gesellschaftsformation als das Resultat zweier Differenzierungsprozesse auf: der Intimisierung und Verkleinerung der Familie zur bürgerlichen Kernfamilie einerseits und der Herausbildung des modernen Verwaltungsstaats andererseits. Wo die Familie kein umfassender, auch ökonomischer Reproduktionszusammenhang mehr ist und der Staat sich immer mehr auf die Verwaltung beschränkt, entwickelt sich die Ökonomie zu einer eigenständigen Sphäre mit öffentlicher Geltung. Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft reflektiert damit die «politisch-industrielle Doppelrevolution»: einerseits das Aufkommen der industriellen Arbeitsgesellschaft mit ihrer ungeheuren Freisetzung der Individuen, ihrer Trennung von unmittelbarer Subsistenz und ihrer Eingliederung in einen übergreifenden arbeitsteiligen Produktionsprozess; andererseits die bürgerlichen, politischen Revolutionen mit der Emanzipation der Menschen aus feudalrechtlichen Beschränkungen und Bestimmungen.

Was zeichnet nun den Bürger der bürgerlichen Gesellschaft aus? Das Mitglied dieser Gesellschaft ist der von traditionellen Lebensordnungen und ständischer Zuordnung emanzipierte Mensch als Mensch, als «allgemeine Person» (§ 209), die nicht in ihrer partikularen Besonderheit betrachtet wird, also nicht in ihrer Eigenschaft als Mitglied bestimmter sozialer Gemeinschaften (§ 209: «nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist»). Die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ist die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Individuen, die als Personen im Sinne des abstrakten Rechts Träger individueller Rechte sind. Zugleich aber ist der Bürger dieser Gesellschaft ein Bedürfniswesen und, sofern er seine Bedürfnisse befriedigen will und deshalb ökonomisch tätig werden muss, ein bourgeois, ein Wirtschaftssubjekt (§ 182). Die so beschriebenen Individuen sind Hegel zufolge einerseits frei, in dem Sinne, dass sie sich frei Zwecke setzen, also ihre Willkür betätigen können, andererseits aber getrieben und bedingt von unabweisbaren («natürlichen») Bedürfnissen, denen sie entsprechen müssen (dabei hat Hegel vor allem den männlichen Bürger im Blick; vgl. Benhabib 1991).

Hegel konzipiert die bürgerliche Gesellschaft – und auch hier identifiziert er ein zentrales Charakteristikum der Moderne – wesentlich als Arbeitsgesellschaft. Der sie prägende, eigentlich bürgerliche Stand ist das Gewerbe. Sie umfasst aber auch die über den ökonomischen Zusammenhang hinausgehende Sorge für die rechtliche und die soziokulturelle Existenz ihrer Mitglieder. Deshalb müssen zum «System der Bedürfnisse» (also zur ökonomischen Sphäre) das Rechtswesen, die Polizei (im weiten Sinn einer Verwaltungskörperschaft mit Ordnungsaufgaben, die für die Infrastruktur insgesamt zuständig ist) und die Korporationen hinzutreten; Letztere scheinen als Vertretungen der einzelnen Gewerbe so etwas wie eine Mischung aus mittelalterlichen Zünften, modernen Handwerkskammern und zeitgenössischen Gewerkschaften darzustellen.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie Hegel die innere Struktur der Verhältnisse auffasst, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen. Diese Gesellschaft beschreibt er als «atomistisch», als Vereinigung freier Individuen zur Realisierung ihrer je besonderen Bedürfnisse. Anders gesagt, verfolgen die Einzelnen in der bürgerlichen Gesellschaft primär ihr individuelles Eigeninteresse: «In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles andere ist ihm nichts.» (§ 182 Z) Diese Gesellschaftsform (und nicht ein imaginärer Naturzustand wie bei Hobbes) ist der «Kampfplatz des individuellen Privatinteresses aller gegen alle» (§ 289). Selbst da, wo die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft notwendigerweise zueinander in Beziehung treten, ist der dadurch entstehende Zusammenhang zunächst lediglich ein Mittel zur Beförderung der je individuellen Zwecke.

Es wäre nun aber falsch zu glauben, die bürgerliche Gesellschaft bestehe einfachhin aus vereinzelten Individuen, die unabhängig voneinander ihre Interessen verfolgen. Die Verhältnisse der «modernen Zeit» beinhalten gerade nicht nur die Auflösung von traditionellen Gemeinschaftsbindungen. Sie bringen auch neue wechselseitige Verflechtungen der Individuen mit sich, die in mancher Hinsicht bindender und zwingender als die alten sind. Schon aufgrund der sich ausdifferenzierenden Arbeitsteilung sind die Einzelnen ja voneinander abhängig, und auch als Nutznießer einer allen gemeinsamen Infrastruktur sind sie unweigerlich...

Erscheint lt. Verlag 19.9.2017
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Gemeinschaft • Gesellschaft • Philosophie • Sozialphilosophie • Soziologie • Zusammenleben
ISBN-10 3-406-64057-5 / 3406640575
ISBN-13 978-3-406-64057-5 / 9783406640575
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