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Nordkorea (eBook)

Einblicke in ein rätselhaftes Land

Christoph Moeskes (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2013 | 2. Auflage
216 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-038-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nordkorea -
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Nordkorea gilt als rätselhaftes Land. Es bedroht die Nachbarn mit der Atombombe, kann seine Bevölkerung nicht ausreichend ernähren und betreibt geheime Straflager. Gleichzeitig wird das Bild einer heilen Welt vermittelt, huldigen Staat und Einwohner Kim Il Sung, seinem Sohn und seinem Enkel wie Gottheiten. Schrill die Aufmärsche, bis zu 20 Meter hoch die Statuen, beängstigend präzise die Massengymnastik. Trotz mancher Modernisierung scheint die Demokratische Volksrepublik noch immer wie von einem anderen Stern.
Die 3., aktualisierte und vollständig überarbeitete Auflage dieses Bandes versammelt Berichte von 18 Autoren - Journalisten, humanitäre Helfer, Kulturmittler, Politiker und Touristen -, die ein überraschend facettenreiches Bild von der Lebenswirklichkeit in dem abgeschotteten Land zeichnen.

Christoph Moeskes: Jahrgang 1971, Osteuropastudien und Studium der Kulturwissenschaft in Berlin, 2000 Abschlussarbeit über den Krieg zwischen Abchasien und Georgien, journalistische und schriftstellerische Tätigkeiten in Bukarest, Moskau und Berlin, seit 2002 freier Mitarbeiter der FAZ. Veröffentlichungen: "Soljanka am Scharmützelsee " in: "Buch der Unterschiede. Warum die Einheit keine ist", Berlin 2000; "Die kleine und die große Unabhängigkeit" in: "Nationalitätenkonflikte im 20. Jahrhundert", Wiesbaden 2001.

Einleitung


Juche 99–101

Am 17. Dezember 2011 erlag Nordkoreas »Geliebter Führer« Kim Jong Il einem Herzinfarkt. Sein Tod erschütterte das Land. Die Menschen weinten, rauften sich die Haare, fielen zu Boden. Es waren ähnliche Szenen, wie sie sich nach dem Tode seines Vaters Kim Il Sung, des »Großen Führers«1, am 8. Juli 1994 abgespielt hatten. Damals blieb die Zeit stehen, und zwar im wahrsten Sinne: Nach dreijähriger Staatstrauer wurde der Staatsgründer zum »Ewigen Präsidenten« erhoben und der Juche-Kalender eingeführt. Er beginnt mit dem Jahr 1, dem Geburtsjahr Kim Il Sungs 1912. Kim Jong Il starb demnach im Juche-Jahr 99.

Auch in Berlin war die Anteilnahme über den Tod des »Geliebten Führers« groß, wenn man der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA glauben darf. Eine »endlose Menschenmenge« habe sich am 19. Dezember 2011 vor der Botschaft des Landes eingefunden, heißt es in einer Meldung, begleitet von einem »Naturwunder«: Eine Meise habe eine Stunde vor dem Gebäude ausgeharrt, und ein Aprikosenbaum habe trotz der Winterzeit zu blühen begonnen. »Es schien, als ob der Vogel bei der traurigen Nachricht des Dahinscheidens des herausragenden Mannes zu der Trauerstelle flog, um sein Beileid auszudrücken.«2

Hat dieses Land wirklich solch eine Meise?

Nordkorea verblüfft, lässt staunen und den Kopf schütteln. Die Nachrichten und Bilder, die es aussendet, scheinen allzu oft wie von einem anderen Planeten. Es ist das Land der Militärparaden und Massenaufmärsche, der kolossalen Statuen und Monumente, das Land ewigen Jubelns und Winkens. Es ist das Land der Kims, welche die Demokratische Volksrepublik Korea seit über 60 Jahren in dynastischer Erbfolge regieren und vom Volk gottgleich verehrt werden. 20 Meter hoch sind die beiden neuen Kim-Statuen, die am 100. Geburtstag des »Ewigen Präsidenten«, in der Hauptstadt Pjöngjang enthüllt wurden. Schaut man sich auf Youtube den KCNA-Enthüllungsfilm an, bekommt man fast einen Hörsturz, so laut ist der Jubel, als die Tücher fallen.

Unmittelbar nach dem Tod Kim Jong Ils wurde dessen dritter Sohn Kim Jong Un zum Nachfolger bestellt. Bislang kommt der junge Mann ohne die Huldigungsformen aus, die seinem Vater und Großvater zuteil wurden. Stattdessen präsentieren ihn die Medien als fröhlichen, zupackenden Führer, der Optimismus und Aufbruchstimmung verbreiten soll. Der Marschall und »Oberste Führer von Armee, Partei und Volk« weiht Vergnügungsparks ein, rügt einen Kommandanten, weil die Soldaten schlecht ernährt sind, und beklatscht mit seiner Gattin eine Show, an deren Ende Micky Maus auftritt.

Neue Zeiten in Pjöngjang? Eher nicht. Auch unter Kim Jong Un gelingt es dem kleinen ostasiatischen Land, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen und sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Am 12. Februar 2013 hielt Nordkorea seinen dritten unterirdischen Atomwaffentest ab und stürzte die Region damit zum wiederholten Mal in eine ernste Krise. Wie 2006 und 2009 verschärfte der UN-Sicherheitsrat auch nach diesem Test die Sanktionen gegen Pjöngjang. Von März an hielten Südkoreaner und Amerikaner ihr reguläres Militärmanöver ab. Die nordkoreanische Führung drehte daraufhin den Kriegslautsprecher auf Anschlag und drohte den Vereinigten Staaten mit einem Nuklearangriff: »Da die USA im Begriff stehen, einen Atomkrieg anzufangen, werden wir das uns zustehende Recht eines Präventivschlags gegen die Kommandozentralen der Aggressoren üben, um unsere höchsten Interessen zu schützen.«3

Die Lage drohte zu eskalieren. Pjöngjang hob den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea von 1953 auf. Eine letzte Telefonleitung nach Seoul wurde gekappt. Der Norden wurde in Kriegszustand versetzt. Doch die Krise verschärfte sich nicht. Seit dem Frühsommer sind wieder konziliantere Töne aus Pjöngjang zu hören. Mittlerweile soll auch der gemeinsam von Nord- und Südkorea genutzte Industriepark Kaesong seinen Betrieb wieder aufnehmen. Im April 2013 hatten alle Südkoreaner das Gelände noch unverzüglich räumen müssen.

Die militärische Konfrontation ist nicht mehr akut – Nordkoreas Versorgungskrise ist es noch immer. Auch wenn Pjöngjang seit rund drei Jahren ein moderneres Gesicht erhält, Lichterketten in der Hauptstadt glänzen, neue Bauwerke entstehen und viel mehr Autos unterwegs sind, auch wenn es mittlerweile Devisenrestaurants und Supermärkte gibt und landesweit mehr als zwei Millionen Handynutzer registriert sind, bleibt Nordkorea doch ein Land eklatanten Nahrungsmangels. Zwei Drittel der Einwohner können sich nicht täglich satt essen, stellten die Vereinten Nationen unlängst fest, 28 Prozent der Kinder sind unterernährt, vier Prozent akut gefährdet.4 Selbst im neuen Pjöngjanger Vorzeigeviertel Mansudae, berichten Besucher, würden verschüttete Maiskörner vom Boden aufgelesen.

Geschlossene Gesellschaft

Besteht Nordkorea wirklich nur aus Mangel, Schrecken und Groteske? Die Vorstellung fällt schwer. 24 Millionen Menschen können nicht ihr ganzes Leben lang damit befasst sein, der Familie Kim zu huldigen, Hunger zu leiden und Atombomben zu bauen. Sie sind nicht wahnsinnig. Sie leben, schlafen, träumen, lachen wie wir. Sie tun dies allerdings seit über einem halben Jahrhundert unter ungewöhnlichen Bedingungen. Und für uns ist merkwürdig, dass wir nicht wissen, wie ungewöhnlich diese Bedingungen tatsächlich sind. Wer das Land besucht, verbringt zwar die Tage mit den Nordkoreanern, aber nicht den Alltag. Die Gäste stehen unter ständiger Aufsicht. Gezeigt wird ausschließlich das, was gezeigt werden soll.

Dieser doppelte Verschluss macht den Aufenthalt in Nordkorea zu einer einzigartigen Erfahrung: Was ist echt, was inszeniert, was zufällig? Die Besucher ihrerseits, sofern sie das Land wenigstens ansatzweise begreifen wollen, sollten sich fragen: Was in Nordkorea ist asiatisch, was koreanisch, was nordkoreanisch? Erscheint uns das Land vielleicht auch deswegen seltsam, weil uns seine kulturellen und geschichtlichen Kontexte verborgen sind?

Nordkorea-Reisende des Jahres 2013 betreten noch immer ein Land, das wie aus der Zeit gefallen ist. Reklame gibt es ebenso wenig wie mittelalterliche Siedlungen, die glucksenden Gesänge der traditionellen koreanischen Pansori-Sänger sind ebenso wenig zu hören wie die Beatles oder Lady Gaga. Stattdessen sehen die Besucher Autobahnen, auf denen kaum ein Wagen fährt, Gaststuben, in denen sie oft die einzigen Gäste sind, und eine Hauptstadt, die trotz des gestiegenen Verkehrs noch immer rätselhaft entvölkert ist. Nordkorea ist ein stilles, leeres Land. Es scheint zu modern, um rückständig zu sein – und zu anders, um als modern zu gelten. Seine Farben und Geräusche wirken eigentümlich gedämpft, als wenn das Leben, wie wir es kennen, eine Verausgabung wäre und jenes ein Vorhalt zukünftiger Bedürfnisse.

Um so schriller muten die Bilder an, mit denen der Staat sich darstellt. Bei den »Arirang«-Massenspielen, die jeden Sommer im 1.-Mai-Stadion in Pjöngjang stattfinden, halten Zehntausende Nordkoreaner bunte Farbtafeln hoch. In atemberaubender Synchronisation bilden sie ständig wechselnde menschliche Mosaike: gelbe Kornfelder, Parolen, lachende Schweine, eine Pistole, Computer, die Kims. Marschmusik und Volkslieder schallen aus den Lautsprechern. Auf dem Rasen überschlagen sich Kinder, Artisten fallen wie Sternschnuppen ins Netz. Seit 2002 geht das so. »Arirang« ist die langlebigste und erfolgreichste Massengymnastik, die ein sozialistischer Staat je hervorgebracht hat. Mittlerweile ist sie auch ein willkommener Devisenbringer, denn immer mehr chinesische und westliche Touristen wollen dieses zweistündige Überwältigungsspektakel sehen.

Die Botschaft von »Arirang« lautet: Wir leben im besten Korea aller Zeiten. Wir lieben unsere Führer. Wir werden siegen. Dafür proben Tausende Tänzerinnen monatelang auf allen großen Plätzen Pjöngjangs. Diese Proben sind fast noch wichtiger als das Spektakel selbst, künden sie doch von der permanenten Mobilisierungskraft des Staates. Dass es bei den Aufführungen dann mehr Mitwirkende als Zuschauer gibt, ist unerheblich: In Nordkorea zählt die Botschaft und nicht der Empfänger, hier zählt das Medium der Masse und nicht der einzelne Empfang.

Der Effekt, den diese Unvertrautheit auch für Gäste aus anderen asiatischen Ländern mit sich bringt, ist enorm. Das totalitäre Regime führt seine Besucher durch eine totale Staatsinszenierung. Sobald sie am Bahnhof oder Flughafen in Pjöngjang eingetroffen sind, werden sie von der örtlichen Reiseleitung in Empfang genommen, die sie von nun an auf Schritt und Tritt begleitet. Zufällige Kontakte sind ausgeschlossen; Nordkoreaner brauchen eine Genehmigung, bevor sie mit Ausländern sprechen. Die Entourage hetzt über die sechsspurigen Boulevards der Hauptstadt von einem Denkmal zum anderen, von einem Schauobjekt zum nächsten. Im Koreakrieg von 1950 bis 1953 nahezu vollständig zerstört, erscheint das wiederaufgebaute Pjöngjang weniger wie eine Stadt denn wie eine Sammlung von Kulissen – eine kapitale Behauptung. Für die rund drei Millionen Einwohner gilt es als Privileg, dort zu leben. Den übrigen Nordkoreanern ist die Hauptstadt zentraler Wallfahrtsort, der Fortschritt und Größe des Landes nicht nur versinnbildlicht. Er offenbart sie.

Delegationsbusse parken am Mansudae-Hügel im Herzen der Stadt. Nordkoreaner aus allen Landesteilen steigen aus, schreiten zu den 20 Meter hohen Bronzestatuen...

Erscheint lt. Verlag 17.12.2013
Reihe/Serie Länderporträts
Co-Autor Anne-Katrein Becker, Simon Bone, Dirk Brauns, Rüdiger Claus, Eckart Dege, Birke Dockhorn, Bernd Girrbach, Volker Hagemeister, Jan Holtermann, Karin Janz, Hartmut Koschyk, Britta-Susann Lübke, Helga Picht, Hubertus Rüffer, Peter Schaller, Anne Schneppen, Rainer Stahl, Hans Stehling, Günter Unterbeck, Elke Werry, Rüdiger Frank, Bärbel Gutzat, Alexander Liebreich, Sofia Malmquist, Dirk Reber, Johannes Schönherr, Notker Wolf, Käthi Zellweger, Werner Adam
Illustrationen Eva-Maria Wilde
Zusatzinfo 25 farbige Abbildungen und 1 Karte/Tabelle
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Reiseführer Asien Korea
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Ägypten • Atombombe • Atomwaffenprogramm • China • Chuch'e-Ideologie • Deutsch • Deutschland • Donald Trump • Gelbes Meer • Gesellschaft • Hamhung • Haustiere • KDVR • Kernwaffenprogramm • Kim Il Sung • Kim Jong Il • Kim Jong-Un • Kino • Korea • koreanische Halbinsel • Kultur • Kultureller Austausch • Länderporträt • Myohyang-Gebirge • Nahrungsmangel • Ostasien • Partei der Arbeit Koreas • Pjöngjang • Planwirtschaft • Politik • Politische Ideologie • Tourismus • Trump • Unterernährung • Volksrepublik • Welthungerhilfe • Wirtschaft
ISBN-10 3-86284-038-7 / 3862840387
ISBN-13 978-3-86284-038-0 / 9783862840380
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