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Krieg (eBook)

Hundert Jahre Weltgeschichte
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
368 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-21256-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Krieg -  Gregor Schöllgen
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Die Konflikte der letzten 100 Jahre - wie sie entstanden, wie sie miteinander zusammenhängen, wie sie weiterwirken
Wer die komplexe und konfliktreiche Gegenwart begreifen will, muss die Vergangenheit verstehen. Die Geschichte der letzten 100 Jahre ist die Geschichte miteinander verbundener, weltumspannender Kriege. Der namhafte Historiker Gregor Schöllgen schildert anschaulich die wichtigsten Konflikte und Konfliktlinien, die das Geschehen auf der Welt bis heute bestimmen. Ausgehend von der Russischen Revolution 1917, die die Grundlage für die globalen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrzehnte legte, beschreibt er die vielfältigen Gesichter des Krieges: Revisionen und Interventionen, Raub und Annexion, Säuberung und Vernichtung, Flucht und Vertreibung bis in unsere Tage. Zeitweilig fror der Kalte Krieg die alten Konflikte der nördlichen Halbkugel ein, die Kriege fanden anderswo statt. Damit ist es vorbei. Kriegerische Auseinandersetzungen sind uns allen wieder näher gerückt.

Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, lehrte von 1985 bis 2017 Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Erlangen und in der Attachéausbildung des Auswärtigen Amtes. Er wirkte als Gastprofessor in New York, Oxford, London und Zürich, war Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes sowie des Nachlasses von Willy Brandt.

Als profilierter Biograph folgte er den Spuren unter anderem von Willy Brandt, Ulrich von Hassell, Martin Herrenknecht, Gustav Schickedanz, Theo Schöller, Gerhard Schröder und Max Weber sowie von bedeutenden Unternehmerfamilien wie Brose, Diehl und Schaeffler. Zuletzt erschien bei DVA seine Geschichte der Familie Weiss und ihres Unternehmens, des Anlagenbauers SMS.

KAPITEL 1
PUTSCH

Tanz der Putschisten. Deutsche und russische Soldaten feiern Mitte Dezember 1917 den Waffenstillstand. Sie ahnen nicht, dass die kommenden Jahrzehnte alles Zurückliegende in den Schatten stellen werden.

© Süddeutsche Zeitung Photo: Scherl

Sie waren wenige. Ihre Führer lebten im Exil. Die allermeisten Russen, die durchweg auf dem Land hausten, hatten nie von ihnen gehört. Aber die Bolschewiki hatten ein Ziel, und sie hatten Wladimir Iljitsch Lenin, der sie mit eisernem Willen und konzentrierter Entschlossenheit zu diesem Ziel führte. So wagten sie in der Nacht auf den 7. November 1917 den Putsch. Als »Oktoberrevolution« ging er in die Geschichte ein, weil man nach russischem, dem julianischen Kalender den 25. Oktober schrieb. Die Umstellung auf den sonst in Europa gebräuchlichen gregorianischen Kalender zum 1. Februar 1918 gehört zu den frühen Entscheidungen der Bolschewiki.

Kein anderer Putsch der jüngeren Geschichte hat derart weitreichende Verwerfungen gezeitigt wie dieser. Es war das erste Mal, dass ein Akteur nicht nur einem lokalen, regionalen, nationalen oder internationalen Gegner den Krieg erklärte, sondern der Welt. Seither hat es keinen universellen Frieden mehr gegeben.

Für Lenin und seine Leute stand von Anfang an fest, dass die russische nur der Beginn der Weltrevolution sein könne. Und diese wiederum musste eher früher als später ins Werk gesetzt werden, weil nur durch den weltweiten Umsturz auch die russische Revolution auf Dauer zu sichern war. Lenin wusste immer schon: Scheitern die Bolschewiki in der westlichen Welt, ist ihnen insbesondere in Deutschland kein rascher, umstürzender Erfolg beschieden, wird über kurz oder lang auch das russische Modell des Sozialismus beziehungsweise Kommunismus am Ende sein.

Mit dieser radikalen, offensiven Zielsetzung katapultierten sich die Bolschewiki zwangsläufig in die Rolle eines Gegners. Sofern man sie beim Wort nahm, und das tat man bald. Wer nicht von ihnen überrollt werden wollte, musste sie bekämpfen – an jedem Ort und mit allen Mitteln: Die »Sowjets« waren der Feind. Man nannte die Bolschewiki so, weil sie zunächst in den Arbeiter- und Soldatenräten, den Sowjets, die Macht an sich gerissen und von dort aus auf nationaler Ebene konsequent ausgebaut hatten. Schon am 12. März 1918 hatten sie Moskau zur Hauptstadt erklärt, seither residierten ihre Führer im Kreml, der vormaligen Moskauer Residenz der Zaren. Am 30. Dezember 1922 war mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken das staatliche Fundament für ihre weltrevolutionäre Mission gelegt.

Das ist ein Grund, warum der Krieg in der Welt und die Welt im Krieg blieb. Die Sowjets konnten ihr Ziel, die Welt zu revolutionieren, nicht aufgeben, weil sie damit ihre Legitimation infrage gestellt hätten. Und die anderen konnten dieses Ziel nicht ignorieren, weil sie damit ihre Freiheit riskiert hätten. Enden konnte dieser Krieg nur, wenn sich die anderen geschlagen gaben oder die Sowjetunion die Weltbühne verließ. Dass sie 1991, sieben Jahrzehnte nach ihrer Gründung, tatsächlich implodierte, war für nicht wenige Russen zu unfassbar und ungerecht, zu demütigend und beängstigend, als dass sie sich damit hätten abfinden wollen. Also machten sie sich an die Wiederherstellung des Zerbrochenen. Und weil das nicht gewaltfrei möglich war, wurde der Kalte Krieg auch in diesem Teil der Welt jetzt wieder heiß geführt.

Zur bitteren Ironie gehört, dass sich die Sowjetunion von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Tag in einer Situation erheblicher, mitunter bedrohlicher innerer Schwäche befand. Diese Schwäche zu kaschieren und sich so vor einem vernichtenden Angriff überlegener Gegner zu schützen, war eines der obersten Ziele sowjetischer Hochrüstungspolitik, auch in der Zeit des Kalten Krieges. Da die Rüstung Ressourcen band und verschlang, verschärfte sie den maladen Zustand noch und trug so eher zum Untergang des Ganzen bei. Michail Gorbatschow, letzter Präsident der Sowjetunion, bis auf wenige Tage letzter Generalsekretär ihrer Kommunistischen Partei und Totengräber der einen wie der anderen, hat später berichtet, dass sich die Ausgaben für das Militär auf 40 Prozent des Staatshaushalts beliefen und »buchstäblich allen Zweigen der Volkswirtschaft die Lebenssäfte« entzogen.1 In den frühen Epochen der Sowjetunion dürfte der Prozentsatz eher noch höher gewesen sein.

Nicht dass sich das alte, das zaristische Russland, bis es in der Oktoberrevolution endgültig unterging, in einer stabilen Verfassung befunden hätte, im Gegenteil: Die innere Schwäche des riesigen Landes gehörte zu den Konstanten der europäischen Geschichte. Sie war ursprünglich auch ein entscheidender Grund, warum die Putschisten Ende Oktober 1917 die Kontrolle über die wichtigsten Machtzentren im Handstreich erobern und allen widrigen Umständen zum Trotz dauerhaft sichern konnten.

Im Vergleich mit England und Deutschland, mit Frankreich und selbst mit Italien war das russische Zarenreich ein rückständiges Land, und das in praktisch jeder Hinsicht. Gewiss, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es Bewegung gegeben. 1861 war die Leibeigenschaft aufgehoben, drei Jahre später die Justiz reformiert worden. Seit 1906 gab es – erstmals in der russischen Geschichte – eine Verfassung und ein Parlament, und die Industrialisierung des Landes machte bis zum Ausbruch des großen Krieges im Sommer 1914 bemerkenswerte Fortschritte, jedenfalls dann, wenn man die Entwicklung am äußerst bescheidenen Ausgangsniveau maß.

Allerdings kamen die Anstöße in der Regel von außen. Sie wurden den Zaren aufgezwungen, vor allem durch schwere militärische Niederlagen wie diejenigen im Krimkrieg der Jahre 1853 bis 1856 oder im Krieg gegen Japan, der 1905 für Russland in einer Katastrophe endete. Viele Errungenschaften wurden auch bald wieder zurückgenommen und verboten, so im Juni 1907 die gerade erst gegründeten Gewerkschaften und die revolutionären Parteien. Unter ihnen auch die radikalere Mehrheitsfraktion der 1898 ins Leben gerufenen Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die seit der Spaltung von 1903 als »Bolschewiki« firmierte. Die knapp unterlegene Minderheitsfraktion der »Menschewiki« sollte während des Bürgerkrieges zu ihren Gegnern zählen.

Der Ausbruch des großen Krieges im Sommer 1914 gab dem politischen wie dem wirtschaftlichen Frühling dann den Rest. Dabei stand Russland ursprünglich auf der richtigen Seite. Denn nicht Zar Nikolaus II. hatte den Krieg begonnen, sondern sein Vetter Wilhelm II., der deutsche Kaiser und König von Preußen, hatte Russland am 1. August 1914 den Krieg erklärt und so dafür gesorgt, dass sich die Großmächte Frankreich und England auf Russlands Seite einfanden und man gemeinsam gegen Deutschland zu Felde zog. Auch militärisch schien die Gunst zunächst auf Russlands Seite zu sein, denn seine Armeen stießen tief nach Ostpreußen und Galizien vor, standen also kurzzeitig in Deutschland und Österreich-Ungarn.

Doch dann wendete sich das Blatt – auf allen Ebenen und mit einer unerhörten Dynamik, wobei nicht sicher zu sagen ist, was Ursache und was Wirkung war. Jedenfalls geriet Russland auf den Schlachtfeldern sehr bald in die Defensive und im Innern an den Rand des Zusammenbruchs: Die Versorgung großer Teile vor allem der städtischen Bevölkerung war schlicht nicht mehr sicherzustellen. Jetzt schlug die Stunde der oppositionellen und radikalen Kräfte aller Couleur, auch der Bolschewiki.

Die Bolschewiki hatten allerdings ein Problem: Ihr Anführer Lenin – Jahrgang 1870, studierter Jurist, Berufsrevolutionär und Verbannter – war nicht vor Ort, sondern im Schweizer Exil. Wie sollte er von Zürich ins russische Machtzentrum kommen? Dass ihm das gelang, dass Lenin über Deutschland, Schweden und Finnland tatsächlich im Frühjahr 1917 in der Hauptstadt eintraf, lag am Kriegsgegner Russlands, dem Deutschen Reich, und dort wiederum vor allem am Auswärtigen Amt, das diesen Coup unterstützte.

Die Diplomaten in Berlin wussten genau, was sie taten. Dort ging man nämlich davon aus, dass der Import des Agitators das explosive, revolutionäre Potential Russlands stärken und damit seine Kampfkraft im Feld schwächen werde. Ende Februar 1917 eskalierte die Lage im Zarenreich, und als sich die ersten Soldaten den revoltierenden Arbeitern anschlossen, war es um das alte System geschehen: Am 27. Februar demissionierte die Regierung, am 3. März verzichtete Zar Nikolaus II. auf den Thron, am 9. April passierte Lenin mit großem Gefolge Deutschland in Richtung Petrograd – so hieß die russische Hauptstadt Sankt Petersburg, nachdem der ursprünglich deutsche Name mit Kriegsbeginn russifiziert worden war. Nach dem Tod Lenins führte die Stadt als »Leningrad« den Namen des Revolutionsführers, und nach dem Untergang der Sowjetunion erfolgte die Wiederauferstehung als »St. Petersburg«.

Ohne die verfahrene innere Lage des Gegners wären die Deutschen sicher nicht auf die Idee gekommen, Lenin nach Russland zu transportieren. Tatsächlich wurde dieser Mann aber dann zu ihrer »Geheim- und Wunderwaffe«, zur »Atombombe des Ersten Weltkriegs«.2 Mit ihrer Hilfe gelang es Deutschland, sich auf dem Territorium Russlands einen gigantischen Einflussbereich zu sichern und etwa ein Jahr lang zu halten.

Zunächst standen allerdings die Chancen, dass ausgerechnet Lenin und seine Bolschewiki den innerrussischen Machtkampf für sich entscheiden würden, nicht besonders gut. Denn die provisorische bürgerliche Koalitionsregierung, die nach dem Sturz des Zaren ins Amt gekommen war, hielt sich auch deshalb, weil ihr prominente...

Erscheint lt. Verlag 4.10.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Afrika • Atomkrieg • Deutsches Reich • eBooks • Geschichte • Holocaust • Russische Revolution • Russland Ukraine • Südamerika • Ukraine Krieg • Vertreibung • Vietnamkrieg • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-21256-1 / 3641212561
ISBN-13 978-3-641-21256-8 / 9783641212568
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