Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie (eBook)
97 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7386-1393-3 (ISBN)
René Descartes (* 31. März 1596 in La Haye en Touraine; ? 11. Februar 1650 in Stockholm) war ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Descartes gilt als der Begründer des modernen frühneuzeitlichen Rationalismus, den Baruch de Spinoza, Nicolas Malebranche und Gottfried Wilhelm Leibniz kritisch-konstruktiv weitergeführt haben. Sein rationalistisches Denken wird auch Cartesianismus genannt. Von ihm stammt das berühmte Dictum 'cogito ergo sum' ('Ich denke, also bin ich.'), welches die Grundlage seiner Metaphysik bildet, aber auch das Selbstbewusstsein als genuin philosophisches Thema eingeführt hat. Seine Auffassung bezüglich der Existenz zweier miteinander wechselwirkender, voneinander verschiedener 'Substanzen' - Geist und Materie - ist heute als cartesianischer Dualismus bekannt und steht im Gegensatz zu den verschiedenen Varianten des Monismus sowie zur dualistischen Naturphilosophie Isaac Newtons, der die Wechselwirkung aktiver immaterieller 'Kräfte der Natur' mit der absolut passiven Materie lehrt (siehe dazu newtonsche Gesetze, Erstes Gesetz der Bewegung). (aus wikipedia.de)
Erste Betrachtung
Woran man zweifeln kann.
Schon vor Jahren bemerkte ich, wie viel Falsches ich von Jugend auf als wahr hingenommen habe, und wie zweifelhaft alles sei, was ich später darauf gründete; darum war ich der Meinung, ich müsse einmal im Leben von Grund auf alles umstürzen und ganz von vorne anfangen, wenn ich je irgendetwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften aufstellen wolle. Dies schien mir aber eine ungeheure Aufgabe zu sein, und so wartete ich jenes reife, für wissenschaftliche Untersuchungen angemessenste Alter ab.
Darum habe ich so lange gezögert, dass ich jetzt eine Schuld auf mich laden würde, wenn ich die Zeit, die mir zum Handeln noch übrig ist, mit Zaudern verbringen wollte.
Das trifft sich nun sehr günstig. Mein Geist ist von allen Sorgen frei, und ich habe mir eine ruhige Muße verschafft. So ziehe ich mich in die Einsamkeit zurück und will ernst und frei diesen allgemeinen Umsturz aller meiner Meinungen unternehmen.
Dazu wird es indessen nicht nötig sein, dass ich von allen die Falschheit nachweise; dies könnte ich vielleicht niemals erreichen! Vielmehr rät uns schon die Vernunft, bei Ansichten, die nicht durchaus gewiss und unzweifelhaft sind, uns ebenso sorgfältig der Zustimmung zu enthalten, als bei solchen, die ganz sicher falsch sind, und so wird es, um alle von uns abzuweisen, genügen, dass ich in jeder einzelnen einen Grund zum zweifeln finde. Auch braucht man sie darum nicht einzeln durchzugehen; das wäre eine endlose Arbeit! Vielmehr werde ich – da ja bei Untergrabung der Fundamente alles, was darauf gebaut ist, von selbst zusammenstürzt – sogleich die Grundlagen selbst angreifen, auf die alles sich stützte, was ich früher für wahr hielt.
Alles nämlich, was ich bis heute für das Allerwahrste hingenommen habe, empfing ich unmittelbar oder mittelbar von den Sinnen; diese aber habe ich bisweilen auf Täuschungen ertappt, und es ist eine Klugheitsregel, niemals denen volles Vertrauen zu schenken, die uns auch nur ein einziges Mal getäuscht haben.
Indessen, wenn uns auch die Sinne zuweilen über kleine und ferner liegende Gegenstände täuschen, so ist doch vielleicht das meiste andere derart, dass ein Zweifel ganz unmöglich ist, wiewohl es auch aus den Sinnen herrührt, so z. B. die Wahrnehmung, dass ich hier bin, am Ofen sitze, meinen Winterrock anhabe, dies Papier hier mit den Händen berühre u. dgl. Wie könnte ich leugnen, dass diese Hände, dieser ganze Körper mein sind? – ich müsste mich denn mit gewissen Verrückten vergleichen, deren Gehirn ein hartnäckiger melancholischer Dunst so schwächt, dass sie unbeirrt versichern, sie seien Könige, während sie gänzlich arm sind, oder sie tragen Purpur, während sie nackt sind, oder sie hätten einen Kopf von Thon oder seien ganz Kürbisse oder seien aus Glas geblasen. Allein das sind Wahnsinnige, und ich würde ebenso verrückt erscheinen, wenn ich auf mich anwenden wollte, was von ihnen gilt.
Trefflich fürwahr! Bin ich denn nicht ein Mensch, der nachts zu schlafen pflegt und dann alles das, und oft noch viel Unglaublicheres im Traume erlebt, wie jene im Wachen? Wie oft aber erst glaube ich nachts im Traume ganz Gewöhnliches zu erleben; ich glaube hier zu sein, den Rock anzuhaben und am Ofen zu sitzen – und dabei liege ich entkleidet im Bette!
Jetzt aber schaue ich sicherlich mit ganz wachen Augen auf dies Papier. Dies Haupt, das ich bewege, ist nicht vom Schlafe befangen. Mit Überlegung und Bewusstsein strecke ich diese Hand aus und habe Empfindungen dabei. So deutlich würde ich nichts im Schlafe erleben!
Ja, aber erinnere ich mich denn nicht, dass ich auch schon von ähnlichen Gedanken in Träumen getäuscht worden bin? – Während ich aufmerksamer hierüber nachdenke, wird mir ganz klar, dass ich nie durch sichere Merkmale den Schlaf vom Wachen unterscheiden kann, und dies macht mich so stutzig, dass ich gerade dadurch fast in der Meinung bestärkt werde, dass ich schlafe.
Wohlan denn! Ich schlafe, und unwahr sollen alle jene Einzelheiten sein: dass ich die Augen öffne, den Kopf bewege, die Hände ausstrecke, ja sogar, dass ich solche Hände, solch einen Körper habe! Gleichwohl aber müssen wir gestehen, dass uns im Schlafe gleichsam gewisse Malereien erschienen, die nur nach dem Vorbilde wirklicher Dinge gebildet werden konnten, und dass darum wenigstens Augen, Kopf, Hände und der ganze Körper, als Dinge überhaupt nicht in der Einbildung, sondern in Wirklichkeit existieren. Denn es können ja selbst die Maler nicht einmal dann, wenn sie Sirenen und Satirisken in den allerungewöhnlichsten Gestalten darzustellen suchen, diesen in jeder Beziehung neue Eigentümlichkeiten beilegen; sie verbinden vielmehr lediglich Glieder verschiedener Geschöpfe beliebig miteinander. Ja, selbst wenn sie sich vielleicht etwas so Neues ausdenken, dass man überhaupt nie Ähnliches gesehen hat, also etwas völlig Erdichtetes und Unwirkliches, so müssen doch sicherlich mindestens die Farben wirklich sein, mit denen sie dasselbe darstellen. Wenngleich daher auch Augen, Kopf, Hände und ähnliches, selbst als Dinge überhaupt, bloße Vorstellungen sein könnten, so muss man doch aus ganz demselben Grunde wie oben anerkennen, dass notwendigerweise wenigstens irgendetwas Anderes noch Einfacheres und Allgemeineres wirklich sein müsse, aus dem – gleich wie oben aus den wirklichen Farben – alle jene wahren oder falschen Bilder von Dingen gebildet werden, die in unserem Denken vorhanden sind. Solcher Art scheinen zu sein das Wesen des Körpers im allgemeinen und seine Ausdehnung, desgleichen die Gestalt der ausgedehnten Dinge, ferner die Quantität oder ihre Größe, und die Zahl; ebenso der Ort, wo sie sind, die Zeit, während der sie bestehen und Ähnliches.
Somit könnten wir hieraus wohl nicht mit Unrecht schließen, dass die Physik, die Astronomie, die Medizin und alle andere Wissenschaften, die von der Betrachtung der zusammengesetzten Körper abhängen, zwar ungewiss seien, während hingegen die Arithmetik, Geometrie und andere der Art, die lediglich die einfachsten und allgemeinsten Dinge behandeln, und sich wenig darum kümmern, ob dieselben in Wirklichkeit da sind oder nicht, etwas Sicheres und Unzweifelhaftes enthalten; denn ob ich nun schlafe oder wache: zwei und drei geben zusammen fünf, und das Quadrat hat nicht mehr als vier Seiten. Es scheint unmöglich, dass so offenbare Wahrheiten in den Verdacht der Falschheit geraten könnten.
Nun ist aber doch meinem Geiste eine gewisse althergebrachte Meinung eingeprägt, es gebe einen Gott, der alles kann; von dem sei ich, so wie ich da bin, geschaffen worden. Woher aber weiß ich, dass dieser es nicht etwa so eingerichtet hat, dass es überhaupt gar keine Erde, keinen Himmel, nichts Ausgedehntes, keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt, und dass trotzdem alles dies mir genau so wie jetzt da zu sein scheint? Ja, wäre es nicht sogar möglich, dass ich mich irre, so oft ich zwei und drei addiere, oder die Seiten des Quadrats zähle oder bei irgendetwas Anderem, womöglich noch Leichterem? ganz wie meiner Meinung nach andere bisweilen in Sachen irren, die sie aufs allergenaueste zu kennen meinen?
Vielleicht aber hat Gott gar nicht gewollt, dass ich solcher Täuschung anheimfalle! heißt er doch der Allgütige! – Allein wenn es seiner Güte widerspräche, mich so zu schaffen, dass ich immer getäuscht werde, so würde es auch mit seiner Güte unvereinbar scheinen, dass er mich bisweilen in Täuschungen geraten lässt; und doch ist letzteres unbestreitbar der Fall!
Vielleicht aber gibt es manche, die lieber einen so mächtigen Gott leugnen, als dass sie an die Unsicherheit aller anderen Dinge glauben. Wir wollen ihnen hier nicht entgegentreten und einmal zugeben, alles über Gott Gesagte sei bloße Erdichtung. Sie mögen nun annehmen, ich sei durch das Schicksal, den Zufall oder die natürliche Folge der Dinge oder sonstwie das geworden, was ich bin. Täuschung und Irrtum scheinen ja Unvollkommenheiten zu sein, und so wird es nur um so wahrscheinlicher sein, dass ich unvollkommen bin, und immer irre, je weniger jene einen allmächtigen Urheber meines Daseins annehmen. Gegen diese Gründe habe ich in der Tat nichts einzuwenden und bin schließlich zu dem Geständnis gezwungen, dass man an allem, was ich einst für wahr hielt, zweifeln könne und zwar nicht aus Unbedachtsamkeit und Leichtsinn, sondern aus triftigen, wohlüberlegten Gründen. Will ich daher etwas Sicheres finden, so muss ich mich bezüglich alles dessen künftig ebenso sorgfältig der Zustimmung enthalten, als hätten wir es mit offenbar Falschem zu tun. Doch es ist nicht genug, dies bloß erkannt zu haben; ich muss es mir auch stets gegenwärtig zu halten suchen, denn immer wieder kehren die gewohnten Meinungen zurück und nehmen meinen leichtgläubigen Sinn selbst gegen meinen Willen ein, als sei er ihnen durch langen Verkehr und das Recht engster Freundschaft verpflichtet. Ich werde es mir auch nie abgewöhnen, ihnen beizustimmen und zu vertrauen, solange ich sie als das hinnehme, was sie in der Tat sind, nämlich ein wenig zweifelhaft, wie wir gesehen, aber gleichwohl doch so glaubhaft, dass es viel vernünftiger ist, ihnen zu trauen, als zu misstrauen; darum glaube ich wohl ganz richtig zu verfahren, wenn ich, um gerade das Gegenteil zu erreichen, mich selbst einer Täuschung hingebe und eine Zeitlang alle jene Meinungen für ganz falsch und erdichtet annehme, bis schließlich das Gewicht der Vorurteile beiderseits gleich ist und fürder keine üble Gewohnheit mehr mein Urteil von der richtigen Auffassung der Dinge ablenkt. Ich weiß, dass daraus inzwischen keine Gefahr und kein Irrtum entstehen wird und dass ich mich nicht allzu sehr...
Erscheint lt. Verlag | 16.6.2015 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Geschichte der Philosophie |
ISBN-10 | 3-7386-1393-5 / 3738613935 |
ISBN-13 | 978-3-7386-1393-3 / 9783738613933 |
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