Deutsche Außenpolitik (eBook)
283 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-65447-3 (ISBN)
Gregor Schöllgen, geb. 1952, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen, ist Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes und des Nachlasses von Willy Brandt sowie Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Ulrich von Hassell (2004), Der Eiskönig (2008).
Gregor Schöllgen, geb. 1952, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen, ist Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes und des Nachlasses von Willy Brandt sowie Autor zahlreicher zeitgeschichtlicher Bücher. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Ulrich von Hassell (2004), Der Eiskönig (2008).
1. Prolog: Die Deutsche Frage
1815–1871
Am Anfang stand der Untergang. Überraschend kam er nicht. Denn dass dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation keine Zukunft beschieden war, stand außer Frage. Das «Alte Reich», wie es im Lichte des 1871 gegründeten neuen Reiches genannt werden sollte, hatte seine beste Zeit lange hinter sich. Seit Jahrhunderten mit der Sicherung seiner erodierenden Außengrenzen und immer stärker mit sich selbst beschäftigt, fehlten ihm die Kraft und der Wille zur Behauptung seiner exponierten Stellung in der Mitte des europäischen Kontinents.
Die Frage war nicht ob, sondern wann und durch wen diesem dahinsiechenden, durch die Habsburger verwalteten Reich der Todesstoß versetzt werden würde. Am 6. August 1806 war es so weit. Unter dem Ansturm der von revolutionärem Elan beflügelten französischen Armeen und unter dem ultimativen politischen Druck ihres charismatischen Befehlshabers Kaiser Napoleons I. legte Franz II. die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder. Fortan begnügte er sich mit dem Titel eines Kaisers von Österreich, den er als Franz I. in weiser Voraussicht schon zwei Jahre zuvor angenommen hatte. Mit der Auflösung wurde de jure ein Reich liquidiert, das es de facto schon nicht mehr gab: Wenige Tage zuvor, am 25. Juli 1806, hatten die Fürsten West- und Süddeutschlands die von Napoleon dekretierte so genannte Rheinbundakte ratifiziert und waren damit nicht nur aus dem Reich ausgetreten, sondern hatten auch die Herrschaft des Franzosenkaisers rechts des Rheines anerkannt.
Was folgte, hat die innere und äußere Ordnung Deutschlands, Europas und der Welt innerhalb nicht einmal eines Jahrzehnts so grundlegend verändert wie kaum eine zweite Episode der neueren Geschichte. Zwar konnte schließlich die Macht der Franzosen durch den konzentrierten Druck der übrigen Mächte in der Völkerschlacht von Leipzig Mitte Oktober 1813 und mit dem Einmarsch der siegreichen Armeen in Paris Ende März 1814 gebrochen werden. Doch blieben die Spuren ihrer Herrschaft allenthalben sichtbar. So gesehen ist zu Recht gesagt worden, dass am Anfang «eines modernen Deutschland» Napoleon gewesen sei.[1]
Das Ende des Alten Reiches sowie die unauslöschbaren Spuren, die der große Franzosenkaiser in Deutschland hinterlassen hatte, warfen vor allem die Frage auf, was an dessen Stelle treten sollte. An der geostrategischen Lage Deutschlands hatte sich ja ebenso wenig geändert wie an seiner Bedeutung für die übrigen Akteure des Kontinents, die in dieser Lage gründete: Über Jahrhunderte hinweg war Deutschland das Auf- und Durchmarschgebiet ihrer Armeen, das Schlachtfeld ihrer Kriege und nicht zuletzt das Medium gewesen, auf dessen Kosten man immer wieder zu einer Lösung strittiger Fragen hatte finden können. Aus der Sicht der europäischen Großmächte sollte sich daran möglichst nichts ändern. Für die Deutschen verhielt es sich genau umgekehrt. Ihre prekäre, gefährdete Lage in der Mitte Europas musste in eine stabile, aus eigener Kraft verteidigungsfähige Formation überführt werden. Schon wegen der zweifelhaften Erfahrungen, die sich mit jedem Wandel im Zentrum des Kontinents verbanden, aber auch angesichts der politischen Rahmenbedingungen war das ein außerordentlich ehrgeiziges Ziel.
Hinzu kam, dass am Ende dieses Prozesses nur die Gründung eines deutschen Nationalstaates stehen konnte. Diese Zielsetzung wiederum setzte eine Antwort auf die nicht minder delikate Frage voraus, wer die nationalstaatliche Einigung in die Hand und die zu erwartenden schweren Auseinandersetzungen mit den zahlreichen Gegnern dieses Vorhabens innerhalb und außerhalb Deutschlands auf sich nehmen sollte: Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, seine nationalstaatliche Einigung und sein Aufstieg zu einer europäischen Großmacht waren Etappen ein und desselben Prozesses. Kein Wunder, dass die europäische Geschichte der auf Napoleon folgenden Jahrzehnte mal mehr, mal weniger stark, immer aber erkennbar auch von diesem Thema beherrscht worden ist.
Dabei ging es zunächst und vor allem um eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen für die Deutsche Frage. Dass diese äußeren Bedingungen zumal anfänglich kaum von den Deutschen selbst beeinflusst werden konnten, war gewiss. Einmal abgesehen von ihrer Uneinigkeit gab es ein erklärtes Interesse der europäischen Ordnungsmächte, zu denen anfänglich auch Österreich und Preußen, also die beiden konkurrierenden Führungsmächte in Deutschland, selbst zählten, an ebendiesen Rahmenbedingungen festzuhalten. Nach dem, was Europa seit der großen französischen Revolution, also in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten, erlebt und durchlitten hatte, galten die Wahrung des Friedens und namentlich die Vermeidung der Renaissance eines revolutionären und expansiven Frankreichs auch Österreich und Preußen als hohes Gut. Das machte sie einstweilen zu Hütern der neuen Ordnung.
Schon der seit dem Herbst 1814 in Wien tagende Kongress verflocht die Neuordnung Europas und die Neuordnung Deutschlands aufs Engste miteinander. Die Konstruktion war das Werk der siegreichen Koalition über Napoleon, der so genannten Quadrupelallianz aus Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen. Den harten Kern dieser Allianz wiederum bildete die Ende September 1815 durch den russischen Zaren Alexander I., Preußens König Friedrich Wilhelm III. sowie den Kaiser von Österreich Franz I. bezeichnenderweise in Paris begründete «Heilige Allianz» dieser drei großen kontinentaleuropäischen Monarchien.
Die Bundesakte vom 8. Juni 1815, in der die künftige Gestalt Deutschlands festgelegt wurde, war zugleich auch ein Bestandteil der einen Tag später unterzeichneten Wiener Kongressakte. Sie trug erkennbar die Handschrift des österreichischen Außenministers Klemens Fürst zu Metternich, in dem viele den eigentlichen Regisseur des Kongresses sahen. Mit der Bundesakte kamen die schließlich 41 «souveränen Fürsten und Freien Städte Deutschlands» überein, «sich zu einem beständigen Bunde zu vereinigen», dessen «Zweck» die «Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten» war.[2] Da sich die Gemeinsamkeit auf die Verteidigung der Außengrenzen beschränkte und es nicht zu einer inneren Ausgestaltung, namentlich zu keiner gemeinsamen Verfassung kam, war der Deutsche Bund aufs Ganze gesehen ein «passiver Ordnungsfaktor im europäischen Staatensystem».[3] Das ließ unter den obwaltenden Umständen wenig Spielraum für eine nationalstaatliche Einigung, zumal die Könige von England, Dänemark und den Niederlanden als Landesherren von Hannover, Holstein und Luxemburg Mitglieder des Deutschen Bundes waren. Vor allem aber installierte der Wiener Kongress um Deutschland herum ein ebenso simples wie wirkungsvolles System der Status-quo-Sicherung.
Dieses System war nicht das Ergebnis hoher Diplomatie, sondern eine geradezu zwangsläufige Konsequenz aus dem großen europäischen Krieg zu Beginn des Jahrhunderts. Denn es lebte im Grunde vom Gegensatz zwischen England und Russland, Österreich und Preußen auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite. Dass es diesen Gegensatz gab, dass also Frankreich als ernst zu nehmender Akteur auf der europäischen Bühne präsent blieb, war einer Entscheidung geschuldet, die im Lichte späterer Weichenstellungen nicht selbstverständlich, für die Zeitgenossen dieses frühen 19. Jahrhunderts aber naheliegend war. Anders als ein gutes Jahrhundert später, als das für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges maßgeblich verantwortliche Deutsche Reich 1919 von den Verhandlungen der Pariser Konferenz ausgeschlossen wurde, war Frankreich 1815 in Wien mit von der Partie – und im Übrigen durch seinen Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand bestens repräsentiert. Namentlich Großbritannien, das sich in ebendieser Zeit endgültig auf den Weg zur führenden Weltmacht begab, war daran interessiert, dass sich potentielle Spielverderber und Konkurrenten auf dem Kontinent gegenseitig in Schach hielten. Da lag es nahe, Frankreich im Kreis dieser Konkurrenten zu halten, und der geschmeidige Diplomat Talleyrand wusste diese Chance wohl zu nutzen.
Was die englische Strategie angeht, so ist sie als Politik der Balance of Power in die Geschichte eingegangen. Früher oder später haben alle übrigen europäischen Großmächte einmal zu spüren bekommen, was es damit auf sich hatte. Auch Preußen und später dann das unter seiner Führung gegründete Deutsche Reich. Im Falle Preußens lag diese Erfahrung einige Jahrzehnte zurück. Ein halbes Jahrhundert war es her, seit Großbritannien Ende 1761 seine Unterstützung für den mit dem Rücken zur Wand stehenden Preußenkönig Friedrich II. eingestellt hatte. Üppig war sie nie gewesen. An ein unmittelbares militärisches Eingreifen zugunsten Preußens hatte man während dieses 1756 ausgebrochenen, schließlich sieben Jahre...
Erscheint lt. Verlag | 9.9.2013 |
---|---|
Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Neuzeit bis 1918 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • Deutschland • Diplomatie • Europa • Geschichte • Politik |
ISBN-10 | 3-406-65447-9 / 3406654479 |
ISBN-13 | 978-3-406-65447-3 / 9783406654473 |
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