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Die Ironie (eBook)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
185 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-79540-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Ironie - Vladimir Jankélévitch
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Was unterscheidet die Ironie von der Komik oder vom Zynismus? Wie lässt sie sich überhaupt verstehen und bestimmen? Vladimir Jankélévitchs großer Text über die Ironie steht in der brillanten Tradition französischer Essayistik. Ungeheuer gelehrt, geht er dem Phänomen der Ironie in all seinen Facetten nach.
Von Sokrates bis zur Romantik und zu Kierkegaard werden zentrale philosophische und literarische Behandlungen der Ironie durchmessen. Sie wird von Jankélévitch vom Zynismus oder der Albernheit unterschieden und als ein freudvoller, spielerischer Bewusstseinszustand aufgefasst. Dieser kann sich jedoch nur dann einstellen, wenn die »vitale Dringlichkeit« (l'urgance vitale), also die unmittelbare und die spielerische Distanz abbauende Nötigung von Instinkt, Trieb, Leid oder Krankheit, überwunden ist. Ironie ist für Jankélévitch eine Form der Erkenntnis und der Muße, die den Ernst des Lebens überschritten hat.



<p>Vladimir Jank&eacute;l&eacute;vitch (1903-1985) war ein franz&ouml;sischer Philosoph, Musiker und Musikwissenschaftler. Aufgrund seiner j&uuml;dischen Abstammung wurde ihm w&auml;hrend des Zweiten Weltkriegs die Staatsangeh&ouml;rigkeit entzogen. 1941 trat er der R&eacute;sistance bei. Nach dem Krieg unterrichtete er von 1951 bis 1979 auf dem Lehrstuhl f&uuml;r Moralphilosophie an der Sorbonne in Paris. Sein umfangreiches Werk ist in zahlreiche Sprachen &uuml;bersetzt.</p>

KAPITEL II
Die ironische Pseudologie
und über die Finte

 

 

 

 

 

 

 

Ἔση ποτὲ ἆρα, ὦ ψυχή, ἀγαθὴ καὶ ἁπλῆ καὶ γυμνή;

 

Wann wirst du, meine Seele, einfach und nackt sein?

Marc Aurel, Wege zu sich selbst, X, 1

 

Wir kennen jetzt das »Genus« der Ironie, aber noch nicht ihre »spezifische Differenz«. Die Ironie, sagten wir, ist das Bewusstsein: Aber woher kommt es, dass dieses Bewusstsein eben die ironische Qualität hat? Und wie werden wir es jetzt halten, um die spöttische oder peitschende Überlegung von der ernsten zu unterscheiden? Denn es gibt eine »ernste« Überlegung, die nicht ihren Gegenstand zu verspotten gedenkt … Wir müssen so das innerste Wesen der Ironie definieren, die lächerliche Tonalität charakterisieren, die ein neutrales Bewusstsein zum Lächeln hinneigt. Sicherlich sind dies Fragen, auf die man gewissermaßen nicht mehr antworten kann; ebenso könnte man fragen, warum Schmerz schmerzhaft oder Emotion emotiv oder was die irreduzible »Haecceität«, die Diesartigkeit, der Person ist. »Man weiß nicht, was zu antworten ist, aber man marschiert!«, wie Joseph de Maistre nach Diogenes dem Zyniker sagt, indem er die Evidenzen des Gemeinsinns den Aporien Zenons gegenüberstellt. Und in der Tat möchte man denen antworten, die von uns die Analyse des Mysteriums erwarten: Machen Sie die Erfahrung! Man kann nicht wissen, es sei denn, man bleibt im Inneren seines eigenen Lachens oder seiner eigenen Traurigkeit … Verzichten wir also darauf, das zu finden, was in der Ironie objektiv ironisch ist, in unseren Gefühlen etwas Substanzielles und sozusagen ein winziges Territorium auszumachen, in dem sich ihr Ich-weiß-nicht-was verortet. Jedoch, auch wenn sie undefinierbar ist, ist die Ironie nicht unaussprechlich; man kann ihre Struktur nicht analysieren, aber man kann sicher ihre Allüren beschreiben; um es mit einem Wort zu sagen, man kann über die Qualität philosophieren. Wenn es etwas Lehrreiches gibt, so ist es wohl der Kontrast zwischen unserer Verlegenheit und der Treffsicherheit eines flüchtigen Blicks, der der gemeinen Intuition ermöglicht, sich in den unzählbaren Nuancen der Ironie wiederzufinden: Humor, Satire, Persiflage …

1. Varietäten des Geheimnisses und der Allegorie

Ironie ist eine gewisse Art, sich auszudrücken. Sie teilt sich mit, wir werden es sehen, ohne sich mitzuteilen; aber schließlich wendet sie sich notwendigerweise an ein soziales Milieu, ohne welches ihre Geheimniskrämerei selbst jede Bedeutung verlöre. Es gibt in dieser Hinsicht ebenso viele Register in der Ironie wie Zeichensysteme im intellektuellen Leben: zum Beispiel die pantomimische Ironie, die sich in Gesten ausdrückt, die plastische Ironie, die Karikaturen zeichnet, schließlich und vor allem die Ironie der gesprochenen oder geschriebenen Sprache, die die nuancenreichste und wendigste aller Ironien ist – denn, wenn die Ersteren sich längs einer mehr oder weniger »defektiven« Stufenleiter bewegen, strömt und moduliert sich Letztere lebhaft auf allen Stufen der Leiter. Soll das heißen, dass Ironie ein bloßes literarisches Genre oder eine rhetorische Figur ist? Sagen wir nur, dass Ironie auf demselben Niveau ist wie der Logos, das heißt das ausgedrückte und ausdrückbare Denken, und dass sie einen tatsächlichen oder möglichen Gesprächspartner, vor dem sie sich halb versteckt, voraussetzt.

Die Ironie könnte im eigentlichen Wortsinn eine Allegorie1 oder besser eine Pseudologie genannt werden, denn sie denkt eine Sache und sagt, auf ihre Weise, eine andere. Unsere Sprache ist natürlich allegorisch oder pseudologisch, da sie mit dem Denken, das auszudrücken sozusagen ihr Auftrag ist, eine komplexe und mehr oder weniger vermittelte Beziehung unterhält. Aber unsere Ideen über die Aufgabe der Sprache sind alle durch die alte realistische Theorie des AUSDRUCKS verfälscht, die ihrerseits auf einer Art von Vorurteil eines Parallelismus beruht: Man möchte, dass das Zeichen den Sinn enthüllt und dieselbe Quantität an Sein hier und da vorhanden ist, unsichtbar in der Idee, im Wort verkörpert; selbst die Klagen der Philosophen und Dichter über das »Unausdrückbare«, über das Unaussprechliche und das Unsagbare erklären sich alles in allem durch einen enttäuschten Dogmatismus: Rechtens sollte die Sprache getreu sein, wie die Wahrnehmung wahrheitsgemäß sein sollte; und man empört sich, verraten zu werden, und man deklamiert gegen den grammatischen Logos, und man gibt sich gern dem Illusionismus hin, der nur der verliebte Verdruss des Dogmatikers ist. Alles wäre einfach, wenn man sich nicht mehr eine »Übersetzung« vorstellen wollte, Gott weiß welche Transfusion eines in Tönen und Zeichen wunderbar beschworenen Denkens; aber dafür müsste man zunächst auf die Vorstellung einer »zeilenmäßigen« Übereinstimmung zwischen Ideen und Worten verzichten. Dies lässt uns Bergsons Ansichten über die Aphasie besser verstehen. Wenn die Erinnerungen im Hirn »wohnten«, müsste jede Zone der Hirnrinde eine gewisse Kategorie von verbalen Bildern befehligen; und ebenso, wenn das Denken mit den Sätzen koextensiv wäre, müsste jedem Satzteil ein Gedankenteil entsprechen. In der Tat verhält es sich mit dem AUSDRUCK wie mit den Beziehungen zwischen Körper und Seele: Der Parallelismus ist, grob gesehen, unbestreitbar, obgleich er immer im Einzelnen absurd ist; unbestreitbar in dem Sinne, dass das Gehirn wohl die Bedingung der Erinnerung ist, und, wenn es keine Sprache gäbe, würde es auch nicht sichtbares Denken geben … Aber wir wissen darüber nicht mehr, denn Ausdruck und Eindruck bleiben asymmetrisch. Sagen wir mit einem Wort, dass diese Ursache zur Ordnung des ἄνευ οὖ (ohne Wo) und nicht des δι οὖ (wegen des Wo) gehört. Die Sprache ähnelt einer ganz freien Übersetzung, in welcher der allgemeine Sinn im Nachherein leidlich ausgedrückt ist. Der Ausdruck ist immer nur annäherungsweise getreu. Was an den zerebralen … oder grammatischen Verortungen lächerlich ist, ist ihre Präzision. Entweder ist das einzelne Wort überhaupt nichts, oder es ist bereits ein vollständiger Gedanke, und das ist es sicherlich, was man meinte, als man den Begriff als eine Synthese von virtuellen Urteilen erklärte. In diesem Sinne ist die Paronymie nicht die Ausnahme, sondern wohl die Regel, eben das, was unsere Sprache gewunden, indirekt und zweideutig macht. Für die Synonyme mag es noch hingehen, denn es wird nie genug Wörter geben, um die unzähligen Biegungen des Denkens auszudrücken: In Wirklichkeit ist die Synonymie nur ein Ungefähr, und sie verwirrt nur die armen, kurzsichtigen und summarischen Menschen: Ein Wort überschneidet sich recht eigentlich nie zweimal oder dreimal mit einem anderen. Dagegen ist die Homonymie oder die Zweideutigkeit das Gesetz selbst des Ausdrucks und die Quelle für jedes Missverständnis: Sie bedeutet, dass wir alle zusammen unendlich reich und untröstlich arm sind: Vokabularien und Pantomimen verkomplizieren sich vergeblich, um den zarten Nuancen, den unerschöpflichen Finessen des Herzens gleichzukommen. Unsere Zeichen sind wie Schallplatten: Sie sind alle schwarz, hart und glänzend, und dennoch wird die eine unter der Nadel die große Melodie von Louise und die andere die Véritables préludes flasques pour un chien (Wahrhaft schlaffe Präludien für einen Hund) von Erik Satie spielen. In den Hirnwindungen wie in den Sprachsymbolen findet der »Ortsvermesser« höchstens Homonyme, und er lässt sich von den ironischen Worten der Natur in die Irre leiten. Wie ein gleiches Symptom, ja dasselbe Syndrom von Symptomen viele verschiedene Krankheiten anzeigen kann oder wie dieselbe Mimik mehrere Emotionen übersetzen kann, so kann dasselbe Wort – eine akustische Vibration im auditiven Raum, ein graphisches Zeichen im visuellen Raum – unendlich viele intentionale Bedeutungen abdecken. Mit anderen Worten, es gibt unendlich mehr Nuancen in den qualitativen Subtilitäten und Komplexitäten der Absicht, als es Tasten auf der rudimentären Klaviatur des Sensoriums oder mögliche Kombinationen im Register der Zeichen gibt: Das bedeutet, dass eine Fülle von Ultra-Absichten nicht ihre eindeutigen Zeichen auf dieser armen Skala finden wird. Die Lüge, die zu einer ebenso wörtlichen wie trügerischen Geradlinigkeit zurückkehrt, ist die gekünstelte Ausbeutung dieses Mehr an Denken, das sich in Not befindet; die Lüge spart für den Krieg diesen Überschuss von nicht verkörpertem Denken auf; die Lüge schöpft ihre manövrierenden Ressourcen in der Nicht-Überlappung des Sinns und des Zeichens. Die Zeichen sind für die zu unfasslichen Nuancen zu grob … Die Komplexität dieser semantischen Weichenstellungen ist das, was jede Diagnostik tastend, jede...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2012
Übersetzer Jürgen Brankel
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel L'ironie
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Ironie • Motiv in der Literatur • Philosophiegeschichte
ISBN-10 3-518-79540-6 / 3518795406
ISBN-13 978-3-518-79540-8 / 9783518795408
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