Systemische Psychologie (eBook)
356 Seiten
Spektrum Akademischer Verlag
978-3-8274-1710-7 (ISBN)
Das Adjektiv "systemisch" steht also für einen disziplinübergreifenden methodischen Ansatz, der als Alternative zu linearen, mechanistischen, aber auch kybernetischen Modellen dargestellt wird - und nicht auf eine bestimmte Psychotherapieschule beschränkt! bleibt. Systemische Psychologie ist ein Einführungsbuch in die Prozesse der menschlichen Interaktion, die nicht nur für Psychologen, sondern auch für medizinische Psychotherapeuten, Sozialwissenschaftler, Manager und Organisationsberater einen wissenswerten Schlüssel zum Erfolg bei Therapie, Beratung und Management liefern.
Geleitwort 6
Inhalt 8
Einleitung 12
I. Systemtheoretische Grundlagen 14
1. Was ist ein System? 16
1.1 Konkretisierung des Systembegriffs 16
1.2 Zum Nutzen des Systembegriffs 19
1.2.1 Umgangssprachliche Verwendung des Systembegriffs 19
1.2.2 Der mathematisch-naturwissenschaftliche Systembegriff 20
2. Von der klassischen Mechanik zur Kybernetik 22
2.1 Klassische Mechanik: Die Maschinenmetapher menschlichen Verhaltens 23
2.2 Formale Gesichtspunkte der klassischen Mechanik 28
2.3 Der kybernetische Ansatz 31
2.4 Formale Gesichtspunkte des kybernetischen Ansatzes 34
2.5 Von der klassischen Mechanik zur Kybernetik – Entwicklungen in der Psychologie 38
2.5.1 Klassisch-behaviorale Ansätze 38
2.5.2 Der Behaviorismus und die klassische Verhaltenstherapie 42
2.5.3 Zusammenfassung: Klassisch-behavioral orientierte Ansätze als Ausdruck einer mechanischen Weltsicht 45
2.5.4 Der kybernetische Ansatz der Verhaltenssteuerung 46
2.5.5 Streit der Schulen: Die Optimisten und die Pessimisten 48
2.5.6 TOTE-Einheiten und Plankonzept 50
2.5.7 Das Plankonzept in der Psychotherapie 54
2.5.8 Zusammenfassung: Der kybernetische Ansatz der Verhaltenssteuerung Der Regelkreis als Kernbaustein menschlichen Verhaltens 55
3. Anomalien – Verunsicherungen der Normalwissenschaften 57
3.1 Das Ende der Ewigkeitsvorstellung: Die Entdeckung der Vergänglichkeit 58
3.1.1 Wie es lebende Systeme vermögen, sich dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik zu widersetzen 62
3.1.2 Kann Ordnung aus Unordnung entstehen? 62
3.2 Henri Poincaré und das Drei-Körper-Problem 64
3.3 Edward Lorenz und das Wetter 70
3.4 Komplexe Ökosysteme 72
3.5 Chemische Oszillatoren 80
4. Theorien Nichtlinearer Dynamischer Systeme 85
4.1 Die Theorie Dissipativer Systeme 85
4.1.1 Dissipative vs. konservative Systeme 87
4.1.2 Selbstorganisation in dissipativen Systemen 89
4.2 Synergetik 90
4.2.1 Grundlegende Konzepte der Synergetik 91
4.2.2 Ordnungsparameter und Attraktoren 94
4.2.3 Kartierung des Systemverhaltens 97
4.3 Fraktale Strukturen und das Konzept der Dimensionalität 100
4.3.1 Begriffsbestimmung 100
4.3.2 Dimensionskonzepte 101
4.4 Chaos, ein schwer zu definierendes Phänomen 105
4.4.1 Voraussetzungen für das Auftreten von Chaos 110
4.4.2 Einordnung des Chaosbegriffes im Rahmen der Theorien Nichtlinearer Dynamischer Systeme 111
4.5 Formale Aspekte der Theorien Nichtlinearer Dynamischer Systeme 112
4.5.1 Systemstruktur 114
4.5.2 System-Umwelt-Verhältnis: Von offenen und geschlossenen Systemen 116
4.5.3 Zeit und Ewigkeit 118
4.5.4 Determinismus und Kausalität 121
4.5.5 Die Teile und das Ganze 124
4.5.6 Entstehung komplexer Ordnung (Selbstorganisation) 125
4.6 Die Evolution des systemischen Denkens – Zusammenfassung 126
II. Systemwissenschaftliche Modellbildung 130
5. Zugänge zu nichtlinearen dynamischen Systemen 132
5.1 Systemwissenschaftliche Modellbildung – Als die Theorien laufen lernten 133
5.1.1 Über die Notwendigkeit zur Konkretisierung – Führt Frustration zu Aggression? 134
5.1.2 Wann ist eine systemwissenschaftliche Modellbildung erforderlich? 138
5.1.4 Schlussfolgerungen aus systemwissenschaftlichen Modellen 149
5.1.5 Forderung nach Interdisziplinarität und „über den Tellerrand schauen“ 153
5.1.6 Forderung nach idiographischen Modellen 168
5.1.7 Empirische Prüfung – Grenzen und Möglichkeiten 170
5.1.8 Systemwissenschaftliche Modelle als eigenständige Produkte – Grenzen und Möglichkeiten 174
5.2 Bottom-up-Analysen 180
5.3 Ein systemwissenschaftliches Forschungsmodell 183
6. Methoden 186
6.1 Hinweise für eine mathematische Modellbildung 187
6.1.1 Simulation mittels Differentialgleichungssystemen 189
6.1.2 Simulation mittels Wenn-dann-Strukturen 201
6.1.3 Vielteilchen-Systeme – Autonome Agenten 204
6.1.4 Zusammenfassung – Simulationsverfahren 210
6.2 Methoden der Zeitreihenanalyse 211
6.2.1 Organisierte Komplexität in nominalen Datensätzen 214
6.2.2 Phasenraumeinbettung 217
6.2.3 Dimensionalität – Komplexität 219
6.2.4 Chaotizität 225
III. Systemtheoretische Psychologie 234
7. Dynamik, Organisation und Komplexität in der Psychologie 236
7.1 Biologisch-medizinische Phänomene organisierter Komplexität 238
7.2 Psychische Phänomene organisierter Komplexität 248
7.2.1 Wahrnehmung 248
7.2.2 Kognition 260
7.2.3 Motorische Prozesse 267
7.2.4 Lernen – ein Vorgang der Selbstaktualisierung und Selbstorganisation 271
7.2.5 Soziale Systeme 275
7.2.6 Pathogenese und Dynamische Krankheiten 280
8. Grundpositionen einer systemtheoretischen Psychologie 286
8.1 Prinzipien der Organisation des Psychischen 287
8.2 Komplexität ist die Regel 295
8.2.1 Verborgene Muster 299
8.2.2 Es wird kritisch 305
8.2.3 Jeder ist chaotisch 312
8.3 Die Selbstorganisationshypothese des Psychischen 315
Literaturverzeichnis 326
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4.4 Chaos, ein schwer zu definierendes Phänomen (S.94-95)
Die prominenteste und sicherlich populärste Verhaltensweise nichtlinearer dynamischer Systeme ist die chaotische Systemdynamik. Obwohl der Begriff des Chaos relativ alt ist und weit in die archaische Mythologienwelt der Menschheit zurückreicht (vgl. Paslack 1996), ist die Definition einer chaotischen Systemdynamik nur schwer zu geben. Vor dem Hintergrund einer physikalisch-mathematischen Perspektive stellt sich sogar die Frage neu, welcher Chaosbegriff verschiedenen Schöpfungsmythologien zu Grunde liegt. Ein völlig strukturloses „Tohuwabohu" ist praktisch nur schwer vorstellbar und findet sich bei näherer Betrachtung in kaum einer Schöpfungsmythologie (Paslack 1996, S. 13 f.). Immer schon ist auch im Chaos des Urzustandes der Welt eine Ordnung als Keimzelle angedeutet oder erscheint es als produktives Element, welches die Ordnung der Welt hervorzubringen vermag.
Am ehesten ließe sich ein solch chaotischer Urzustand mit einer Wüste, einer ebenen Sandfläche vergleichen. Dem Beobachter erscheint der Sand als strukturlose Menge, bei der die einzelnen Sandkörner ohne jede erkennbare Ordnung nebeneinander liegen. Ein Spiegel ließe sich beliebig im Sand platzieren, ohne dass sich ein anderes Bild zeigen würde. Eine völlig ebene Sandfläche wäre, egal wie groß oder wie klein ein Beobachtungsausschnitt gewählt wird, immer mit sich selbst identisch. Mathematisch gesprochen wäre sie eine maximal symmetrische Ebene. Ganz im Gegensatz zu der hier diskutierten Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit einer völlig chaotischen Strukturlosigkeit entdeckte Poincaré Chaos in einer ganz anderen Form und in einer Klasse von physikalischen Systemen, für die es eigentlich nicht zu vermuten gewesen wäre. Die Beschreibung der Planetenbahnen von nur drei Planeten, für die zudem der 2. Hauptsatz der Thermodynamik vernachlässigt werden kann, sollte eigentlich möglich sein, ist jedoch praktisch nicht durchführbar, da bereits kleinste Verstörungen in kürzester Zeit zu einem veränderten Verhalten führen. Dieses veränderte Verhalten ist jedoch keinesfalls strukturlos und wahllos, es folgt den internen Mechanismen des Systems. Diese operieren jedoch als gigantischer Verstärker kleinster Störungen.
Eines der Hauptkriterien bei der Definition von Chaos aus der Sicht der Theorien Nichtlinearer Dynamischer Systeme ist daher die sensible Abhängigkeit des Systemverhaltens von kleinen Fluktuationen. Liegt Chaos vor, dann streben beliebig nahe benachbarte Punkte im Phasenraum im Verlauf der Zeit exponentiell auseinander. An diesem zentralen Definitionsmerkmal sind zwei Aspekte besonders hervorzuheben:
1. Exponentielle Divergenz. In chaotischen Systemen streben nahe benachbarte Trajektorien nicht wahllos und beliebig auseinander. Sie divergieren exponentiell, sodass sich eine kleine Störung zwar lawinenartig vergrößert, sich aber dennoch nicht zufällig auswirkt. Das System macht keine Sprünge; es springt im Phasenraum nicht wahllos hin und her, wie es sich z. B. bei der Phasenraumdarstellung eines Glückspiels zeigen würde.
2. Divergenz bedingt Konvergenz. Würden die Trajektorien eines Systems nur divergieren, so würde sich der Phasenraum beständig vergrößern. Tatsächlich ist es ein Merkmal der chaotischen Systemdynamik, dass sich der Phasenraum trotz exponentieller Divergenz nahe benachbarter Punkte mit der Zeit nicht vergrößert, da die exponentielle Divergenz auf der einen Seite durch konvergente Entwicklungen auf der anderen wieder aufgefangen wird. Anschaulich wird dies durch die so genannte Bäckertransformation beschrieben. Ebenso wie ein Bäcker einen Teig zunächst auswalzt und dehnt, um ihn danach wieder zusammenzufalten, dehnt und faltet sich auch ein chaotischer Attraktor (vgl. Abbildung 60, S. 215). Wenn sich aber Divergenz und Konvergenz im Durchschnitt die Waage halten, wird es unter Umständen schwierig, Chaos in empirischen Systemen schlüssig zu identifizieren. In der Regel wird dann von Chaos gesprochen, wenn der Nachweis gelingt, dass nahe benachbarte Trajektorien exponentiell divergieren. Dass entfernte Trajektorien mit der Zeit konvergieren, fällt beim praktischen Nachweis von Chaos nicht ins Gewicht.
Erscheint lt. Verlag | 1.1.2006 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-8274-1710-4 / 3827417104 |
ISBN-13 | 978-3-8274-1710-7 / 9783827417107 |
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