Die vernetzte Seele
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-94672-7 (ISBN)
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Die Autoren vermitteln einen Überblick über die intersubjektive Wende in der modernen Psychoanalyse: Das Selbst ist unbewußt immer auf den anderen bezogen, die Psyche mit der sozialen Umwelt aufs engste vernetzt.
Kein Mensch steht für sich allein. Wir sind soziale Wesen. Innen- und Außenwelt sind eng miteinander verschränkt. Subjektivität ist intersubjektiv vermittelt. So lauten die humanwissenschaftlichen Einsichten, die im psychoanalytischen Pluralismus schulenübergreifend wachsen und die therapeutische Praxis verändern. Die moderne Psychoanalyse widmet sich Fragen der Bindung, der Beziehung, des Verhältnisses von Selbst und Anderem. Die international renommierten Autoren kommen aus der Psychoanalyse, der Säuglings- und Bindungsforschung und der Sozialphilosophie.
Aus unterschiedlichen Richtungen nähern sie sich dem Rätsel der »vernetzten Seele«. Gemeinsam ist ihnen die Auffassung einer mit der sozialen Umwelt verbundenen Natur der individuellen Psyche.
Mit Beiträgen von Thomas Ogden, Jessica Benjamin, Marcia Cavell, Donna Orange / Robert Stolorow / George Atwood, Lewis Aron / Adrienne Harris, Joel Whitebook und Beatrice Beebe / Frank Lachmann (aus den USA), Jean Laplanche und André Green (aus Frankreich), Werner Bohleber, Michael Buchholz, Axel Honneth (aus Deutschland), eingeführt und kommentiert von Martin Altmeyer und Helmut Thomä.
Martin Altmeyer, Dr. rer. med., Dipl.-Psych., betreibt in Frankfurt am Main eine Praxis für Paar-, Familien- und Teamberatung. Als Autor zahlreicher Fachbeiträge befaßt er sich vor allem mit dem Verhältnis von Subjektivität und Intersubjektivität in der psychoanalytischen Moderne. Nebenbei veröffentlicht er in Tageszeitungen Beiträge zu Fragen von Politik, Gesellschaft und Zeitgeist.
Helmut Thomä, Prof. Dr. med., Dr. med. h. c., Leipzig, war Ordinarius für Psychotherapie an der Universität Ulm. Er gehörte zur ersten Nachkriegsgeneration deutscher Psychoanalytiker und war 1968-1972 Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Als Verfechter einer wissenschaftlich fundierten, empirisch ausgewiesenen Psychoanalyse – zusammen mit Horst Kächele war er Begründer der »Ulmer Schule« und hat ein in dreizehn Sprachen übersetztes Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie verfasst – hat er sich weltweite Anerkennung erworben. Thomä wurde mit dem Sigmund Freud-Preis der Stadt Wien und dem amerikanischen Sigourney-Award ausgezeichnet.
Vorbemerkung der Herausgeber
Martin Altmeyer und Helmut Thomä
Einführung: Psychoanalyse und Intersubjektivität
I. Niemand ist eine Insel -
Positionen der amerikanischen Gegenwartspsychoanalyse
Thomas H. Ogden
Das analytische Dritte, das intersubjektive Subjekt der Analyse und das Konzept der projektiven Identifizierung
Jessica Benjamin
Tue ich oder wird mir angetan?
Ein intersubjektives Triangulierungskonzept
Lewis Aron und Adrienne Harris
In Beziehungen denken - in Beziehungen handeln.
Neuere Entwicklungen der relationalen Psychoanalyse
Beatrice Beebe und Frank Lachmann
Die relationale Wende in der Psychoanalyse.
Ein dyadischer Systemansatz aus Sicht der Säuglingsforschung
Donna M. Orange, Robert D. Stolorow und George E. Atwood
Zugehörigkeit, Verbundenheit, Betroffenheit.
Ein intersubjektiver Zugang zur traumatischen Erfahrung
Marcia Cavell
Subjektivität, Intersubjektivität und die Frage der Realität in der Psychoanalyse
II. Triebe, Liebe, Anerkennung -
europäische Antworten auf die amerikanische Herausforderung
Werner Bohleber
Intersubjektivismus ohne Subjekt?
Der Andere in der psychoanalytischen Tradition
André Green
Das Intrapsychische und das Intersubjektive in der Psychoanalyse
Jean Laplanche
Die rätselhaften Botschaften des Anderen.
Zur Metapsychologie von Sexualität und Bindung
Michael B. Buchholz
Konversation, Erzählung, Metapher.
Der Beitrag qualitativer Forschung zu einer relationalen Psychoanalyse
Axel Honneth
Facetten des vorsozialen Selbst.
Eine Erwiderung auf Joel Whitebook
Joel Whitebook
Die Arbeit des Negativen und die Grenzen des ?intersubjective turn?. Eine Erwiderung auf Axel Honneth
Quellennachweis
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Personenregister
Sachregister
»Durch die dichte und präzise Darstellung der Rezeptionen des Intersubjektivitätskonzepts durch psychoanalytische Strömungen im amerikanischen und europäischen Raum eignet sich das Werk ausgezeichnet dazu, einen historischen Überblick zu erhalten, die gegenwärtigen Positionen innerhalb psychoanalytischer Richtungen zu erfassen und die Schwerpunktsetzungen innerhalb einer psychoanalytischen Schule zu verstehen.« Christa Paulinz (Psychotherapie Forum, Januar 2007) »... ein sehr persönliches, mutiges und ermutigendes Buch, dessen Lektüre ich all jenen empfehlen kann, die sich auch angesichts eines schwierigen Therapeutenalltags eine Neugier und innere Lebendigkeit bewahrt haben.« Andrewa Bachhofen (Zeitschrift für Individualpsychologie, 02/2007) »Die Feststellung, daß das Leben in Gesellschaft Grundbestimmung der Conditio humana sei und wir als soziale Wesen geboren werden, daß die Beziehung zu anderen dem einzelnen vorausgeht und auch die psychische Welt durch und durch sozial konstituiert ist, spiegelt sich in der gegenwärtigen Psychoanalyse in ihrer Hinwendung zu Intersubjektivität wider, die hier eine lange und von heftigen Kontroversen begleitete Geschichte hat. Subjektivität konstituiert sich im Blick des Anderen, verweist auf Intersubjektivität, auch in der analytischen Beziehung: die Subjektivität des Patienten ist ebenso wie die Subjektivität des Analytikers in die Matrix der analytischen Beziehung eingebettet. Das Problem unserer Zeit, so die Gegenwartsdiagnose, ist nicht Sexualität, sondern Identität. Identität aber konstituiert sich im Blick des Anderen, Subjektsein verweist auf Intersubjektivität. "Intersubjektivität", so schreiben Martin Altmeyer und Helmut Thomä, "verweist auf zwischenmenschliche Bezogenheit als Fundament der Conditio humana" - Intersubjektivität, nicht Triebe! Die Hinwendung zu Intersubjektivität als Erfahrungsgrundlage der modernen Psychoanalyse spiegelt sich in dem von Altmeyer und Thomä herausgegebenen Band Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse - so der Untertitel des Buches - nicht zuletzt darin wider, daß eine Begrifflichkeit, die in psychoanalytischen Texten bis vor geraumer Zeit selten aufgetaucht ist oder allenfalls in Verbindung mit einer vermeintlich oberflächlichen Sozialpsychologie zugerechneten Widerstandsphänomenen genannt wurde, mehr oder weniger selbstverständlich ist - Interaktion, interpersonell, der Andere, Anerkennung, Bindung, Reziprozität, Begegnung, ebenso Namen, die für die Psychoanalyse lange marginal schienen - Bowlby etwa, Sullivan, Hegel, Mead oder Habermas. Die Herausgeber selber sind als Vertreter einer intersubjektiven Perspektive ausgewiesen: Für Helmut Thomä, Nestor der Psychoanalyse, waren der Beitrag des Psychoanalytikers und "ein interaktionelles Modell" des therapeutischen Prozesses bereits Leitidee des 1985 erschienenen, zusammen mit Horst Kächele verfaßten, kürzlich überarbeiteten und inzwischen dreibändigen Lehrbuchs; Martin Altmeyer hat sich in zahlreichen Publikationen, die immer auch den kritischen Blick über den Rahmen der Psychoanalyse hinaus auf gesellschaftliche Kontexte widerspiegeln (u.a. Narzißmus und Objekt. Ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit; Im Spiegel des Anderen. Anwendungen einer relationalen Psychoanalyse), als kenntnisreicher und entschiedener Vertreter des "relational turn" der Psychoanalyse profiliert. Die vernetzte Seele legt beredtes Zeugnis darüber ab, daß Intersubjektivität nicht etwa ein mehr oder weniger homogenes Konzept ist, das eine weitere Spielart der Psychoanalyse markiert, vielmehr auf eine anthropologische Fundierung verweist, die sich dazu eignet - so Altmeyer und Thomä -, zu einem einigenden Fundament der höchst diversifizierten psychoanalytischen Richtungen und damit zu einem neuen Paradigma für die Psychoanalyse und deren "common ground" zu werden. Entsprechend breit sind auch das Spektrum der Texte und die Auffassungen von Intersubjektivität, die darin zum Ausdruck kommen: Arbeiten von namhaften Repräsentanten der amerikanischen Gegenwartspsychoanalyse (Ogden, Benjamin, Aron und Harris, Beebe und Lachmann, Orange, Stolorow und Atwood sowie Cavell) sind Texten aus dem europäischen Raum (Bohleber, Green, Laplanche, Buchholz, Honneth, Whitebook) gegenübergestellt, mehrere aus dem Englischen bzw. Französischen von Altmeyer ausgezeichnet übersetzt, einige (Orange, Stolorow und Atwood, Cavell, Bohleber sowie Buchholz) für diesen Band neu geschrieben. Jedem Beitrag ist eine informative Einführung vorangestellt, die die Verortung der intersubjektiven Perspektive im Geflecht der heterogenen Strömungen der gegenwärtigen Psychoanalyse erleichtert, aber auch Bezüge zu aktuellen Entwicklungen in den Humanwissenschaften erkennen läßt. In ihrer Einleitung machen Altmeyer und Thomä deutlich, daß sich mit der intersubjektiven Perspektive die Erkenntnis von der intersubjektiven, sozialen Verfaßtheit des psychischen Lebens über alle psychoanalytischen Richtungen hinweg durchzusetzen beginnt. Zu dieser Entwicklung hat die moderne Säuglingsforschung entscheidend beigetragen. Auch wenn sich deren Epistemologie mit der der Psychoanalyse nicht umstandslos abgleichen läßt, so wäre es doch unvernünftig, an einer psychoanalytischen Entwicklungspsychologie festzuhalten, die mit den vielfältigen und eindrucksvollen, empirisch gewonnenen Befunden der Säuglingsforschung nicht abgestimmt ist. Die Säuglingsforschung hat nicht zuletzt, ohne deshalb einem kruden Objektivismus zu verfallen, gegen die (post)kleinianischen Tendenzen, "mit Hilfe des Modekonzepts der projektiven Identifizierung" den psychoanalytischen Dialog "letztlich zu einer monologischen Veranstaltung" zu machen (S. 24), die Welt des Realen wieder eingeführt. Und man kann die in dem Band versammelten Arbeiten zur Intersubjektivität auch unter dem Blickwinkel der Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses Realen, des realen Anderen als anderes Subjekt, lesen, die sich - mal mehr, mal weniger deutlich - wie ein roter Faden durch die Arbeiten hindurchzieht. Für die intersubjektive Perspektive zentral ist das Konzept der Triangulierung und des Dritten. Die Erfahrung, daß da ein anderes Subjekt ist, demgegenüber ich selber Subjekt bin, setzt das "Wissen" um einen Ort außerhalb der Dyade voraus, ohne den die Dyade in sich zusammenbrechen müßte. Thomas Ogden hat davon mit dem von ihm so genannten "intersubjektiven analytischen Dritten" eine ganz eigene Auffassung entwickelt. Das "unbewußte intersubjektive analytische Dritte", jenes unbewußte Zusammenspiel der beiden an der Analyse beteiligten Subjekte, das sich in Ogdens Arbeiten wohl kaum positiv bestimmen läßt und dessen Unbestimmtheit den Begriff prädestinieren könnte, zu einem neuen Modebegriff zu werden, wird auch "drittes Subjekt" genannt, das unbewußt von Analytiker und Analysand gemeinsam geschaffen wird und die analytische Beziehung strukturiert. Gegenüber Ogdens Auffassung grenzt Jessica Benjamin, eine der namhaftesten Vertreterinnen der "relationalen Psychoanalyse", ihr Verständnis des "Dritten" und der Triangulierung unter Bezug auf die Hegelsche Anerkennungsdialektik und Befunde der Säuglingsforschung ab. Nicht erst - wie in der Kleinianischen Schule - der ödipale Vater repräsentiert das Dritte, sondern bereits in einem frühen vorsprachlichen Entwicklungsstadium konstituiert sich Anerkennung in der Interaktion des Kindes mit der Mutter, über affektive Resonanz und die Rhythmizität wechselseitiger Bezogenheit, in der - von Benjamin so genannten - "Gemeinschaft im Dritten" als eines intersubjektiven Produkts. Aus der Fähigkeit der Mutter, die Äußerungen ihres Kindes markiert zu spiegeln, erwächst "symbolische Triangulierung", in der beide Funktionen des "Dritten" zum Tragen kommen: "harmonische Einstimmung" als "Gemeinschaft im Dritten" und "Differenzierung und Containing" als das "Dritte in der Gemeinschaft" (S. 82), für Benjamin Voraussetzung für den analytischen Prozeß. Der Beitrag von Lewis Aron und Adrienne Harris, ebenfalls der "relationalen Psychoanalyse" verpflichtet, ist die deutsche Übersetzung der Einführung zu dem von ihnen herausgegebenen Band Relational psychoanalysis 2: Innovation and Expansion, deren ersten Band der im Jahr 2000 früh verstorbene Stephen A. Mitchell zusammen mit Aron herausgegeben hatte. Mitchell war bis dahin zweifellos der namhafteste Vertreter jener Gruppierung von Psychoanalytikern, die bereits zu einer Zeit für eine intersubjektive Perspektive eingetreten sind (u.a. Bindung und Beziehung. Auf dem Weg zu einer relationalen Psychoanalyse), als sie von der offiziellen Psychoanalyse noch weitgehend ignoriert wurden. In Übereinstimmung mit Mitchells Vorstellung sehen Aron und Harris in der "relationalen Psychoanalyse" weder ein eigenes Theoriegebäude noch eine weitere psychoanalytische Schulrichtung, sondern plädieren für Intersubjektivität und "Relationalität" als schulenübergreifende und potentiell integrativ wirkende Grundauffassung. In der langjährigen Zusammenarbeit von Beatrice Beebe und Frank Lachmann dokumentiert sich jene Verbindung von psychoanalytischer Entwicklungspsychologie und klinischer Praxis, der sich die gegenwärtige Prominenz des intersubjektiven Verständnisses der Psychoanalyse maßgeblich verdankt. Wie Sander und Tronick, die lange Zeit der Bostoner Change Study Group angehörten, folgt auch Beebes und Lachmanns Auffassung von Intersubjektivität einem systemischen Zwei-Personen-Modell, von ihnen "dyadischer Systemansatz" genannt, der manche Verbindungen zu einem konstruktivistischen Verständnis des therapeutischen Prozesses nahelegt. Was auch immer innerhalb des dyadischen Systems, das aus zwei interaktiv miteinander verschränkten "Selbstsystemen" gebildet wird, geschieht, kann nicht entweder auf den Analysanden oder den Analytiker zurückgeführt werden, sondern ist jederzeit ein von beiden gemeinsam konstruiertes Geschehen. Anhand der Reinterpretation einer bereits früher veröffentlichten Behandlung ("Burton") zeigen Beebe und Lachmann, wie Selbst- und Interaktionsregulierung unauflösbar miteinander verschränkt sind. Wie Beebe und Lachmann sind auch Donna M. Orange, Robert D. Stolorow und George E. Atwood der Selbstpsychologie verbunden. Schon 1987 hatten Stolorow und Atwood jedes Wissen um eine "objektive Welt" für den analytischen Prozeß zurückgewiesen und davon gesprochen, daß jegliche Zuschreibungen an eine objektive Wirklichkeit nichts als "Konkretisierungen subjektiver Wahrheiten" seien. Unter dem Titel "Zugehörigkeit, Verbundenheit, Betroffenheit. Ein intersubjektiver Zugang zur traumatischen Erfahrung" entwickeln sie ihren "intersubjektiven Systemansatz" anhand eines auf einer Tagung präsentierten Fallberichts einer schwer traumatisierten Frau. Die Trennung von Selbst und Anderem, von individuellen Subjekten, wird zugunsten eines radikalen "Kontextualismus" aufgelöst. Dabei verstehen sie ihren Ansatz nicht als Ausdruck einer umschriebenen Theorie, sondern als einen von kontextuellem Denken bestimmten klinischen Zugang, der ein "besonderes Gespür (verlangt), das man als intersubjektive klinische Sensibilität bezeichnen könnte". Demgegenüber insistiert Marcia Cavell, die Sprachphilosophin und Psychoanalytikerin, in ihrem beeindruckend klar geschriebenen Beitrag darauf, daß Subjektivität Hand in Hand mit Intersubjektivität geht und beide "sich auf dem Boden einer gemeinsamen, realen, ?äußeren? Welt, die als solche von den Beteiligten anerkannt ist" (S. 180), entwickeln. Klinisches Arbeiten, so Cavell überzeugend, kommt ohne die Idee einer "Außenwelt" nicht aus. Dementsprechend setzt Cavells Verständnis von Triangulierung die Realität einer äußeren Welt voraus, die Analysand und Analytiker miteinander teilen. "Außerdem spielt Sprache dabei eine zentrale Rolle, denn Triangulierung findet [...] über Sprache und Sprachlernen statt [...] Sprache ist kein ?Umhang?, den das Kind dem Denken überwirft [...], sondern das Medium, durch das sich das Kind auf andere und die Außenwelt einläßt, und zwar auf eine Weise, durch die sich seine Innenwelt zu konstituieren beginnt [...] Und nur der Dialog ist inter-subjektiv in jenem genuinen Sinne, daß sich jeder Dialogteilnehmer als ein ?Ich? weiß, als ein Subjekt, das sich als ?Selbst? denken kann, und das den anderen ebenfalls als ein Subjekt weiß, als ein eigenes ?Ich? [...] Wahrheit ist ein Begriff, der nur in der interpersonellen Welt einen Gehalt hat" (S. 194f.). Die "europäischen Antworten auf die amerikanische Herausforderung" werden von einem von Werner Bohleber verfaßten Beitrag angeführt, der an den psychoanalytischen, insgesamt sehr heterogenen Intersubjektivitätskonzepten eine Tendenz meint ausmachen zu können, im Extremfall "das Subjekt zum kontingenten Effekt von Kontexten" zu reduzieren. Psychoanalytische Intersubjektivitätstheorien haben Bohleber zufolge Quellen ebenso in der Begegnungsphilosophie Martin Bubers (Ich und Du) wie bei Ludwig Binswanger ("Wirheit"), dessen Daseinsanalyse aus der Psychoanalyse hervorgegangen ist, als auch in der Gadamerschen Hermeneutik, deren Spuren sich insbesondere in die Arbeiten von Argelander und Lorenzer hinein verfolgen ließen. Den Nutzen des insbesondere von der Säuglingsforschung angeregten "Intersubjektivismus" sieht Bohleber einerseits darin, daß dadurch die "Elemente des Vorsprachlichen [...] konzeptionell formuliert werden können" (S. 222), wirft andererseits aber - ähnlich wie Whitebook in der Auseinandersetzung mit Honneth - die Frage auf, ob dort nicht die "soziale Unangepaßtheit des Menschen, dessen Triebwünsche und unbewußte Phantasien" zugunsten der Idee einer weitgehend konfliktlosen Entwicklung aufgegeben werde. André Green untersucht das Zusammenwirken der intrapsychischen und der intersubjektiven Dimension. In der einen erweise sich die "Evidenz der Triebtheorie", während in der anderen die Objektbeziehungen ins Spiel kämen. Dabei ist Intersubjektivität für Green ein "Instrument der Vermittlung, um das Intrapsychische bewußt zu machen" (S. 244). Als Austausch ist die analytische Situation nur insofern relevant, als sie das Ziel hat, "auf dem Umweg über einen Anderen zu sich selbst zurückzukehren" (S. 238). Greens außerordentlich dichter - und gegenüber der Originalfassung noch einmal leicht verdichteter - theoretischer Text ist auch als Verteidigung der psychoanalytischen Triebtheorie zu lesen, die - so Green - von der Selbstpsychologie Kohuts geopfert wurde. Die Bindungstheorie, die für die Säuglingsforschung "so etwas wie eine epistemologische Vorherrschaft erobert" habe, lasse die "Hegemonie des Sexuellen" leicht vergessen - so Jean Laplanche - in seiner Arbeit "Die rätselhaften Botschaften des Anderen. Zur Metapsychologie von Sexualität und Bindung". Intersubjektivität spielt für Laplanche in erster Linie in Verbindung mit seiner "Verführungshypothese" eine zentrale Rolle, indem es die Triebe seien, die auf intersubjektive Erfahrungen zurückweisen, werden diese von Laplanche doch auf die Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind zurückgeführt: "In der Realität wird Sexualität über die erste Erfahrung der Intersubjektivität eingeführt, und zwar durch den Erwachsenen und nicht durch den Säugling (kursiv im Original) [...] Nicht etwa, daß ich bestreiten möchte, daß das Kind selbst, indem es - nachträglich - symbolisiert und phantasiert, aktiv dazu beiträgt. Aber auf diesem Beitrag lasten Botschaften, die von einem Anderen, nämlich dem Erwachsenen, stammen und bereits sexuell "kontaminiert" sind" (S. 276). Mehr als andere Verfahren legen sich, wie Michael B. Buchholz in seinem Beitrag deutlich macht, für eine intersubjektiv verstandene Psychoanalyse qualitative Methoden für die Forschung nahe, die auf das "Wie" des Geschehens zwischen Patient und Therapeut fokussieren. Qualitative Forschungsmethoden verzichten zumeist auf vorgegebene Kategorien, denen zufolge der Forscher immer schon weiß, was es erst zu erforschen gilt, verzichten; gerade deshalb eignen sie sich in besonderem Maße für eine Analyse des "Wie" der Konstituierung von Intersubjektivität im therapeutischen Prozeß. Deren Gewinn geht, so Buchholz, über reine Rekonstruktionen des Beziehungsgeschehens in der Behandlung noch hinaus, indem sie auch "klinische Sensibilität enorm verfeinern" können (S. 284). Therapie ist "Austausch von Worten", genauer noch: kommunikativer Austausch, und dessen Analyse vermag die Vielfalt dieses interaktiven Austausches und damit von Intersubjektivität zutage fördern - den Reichtum der konversationellen Praxis, die Worte ebenso umfaßt wie mehr oder weniger subtile Mittel nichtsprachlichen Verhaltens, die Gestaltung von Erzählungen im Behandlungszimmer und die Art und Weise, wie Patienten und Therapeuten damit immer auch aufeinander Bezug nehmen, oder die Vielfalt metaphorischen Ausdrucks, mit dessen Hilfe Patient und Therapeut einen gemeinsamen Deutungsrahmen erschaffen. Den Band schließen die Beiträge von Axel Honneth und Joel Whitebook ab, deren hier fortgesetzte und in der Zeitschrift PSYCHE begonnene Kontroverse Leser meiner Generation nachhaltig an jene Diskussionen erinnert, die in der 70er Jahren mit Selbstattribuierungen wie "Psychoanalyse als kritische Gesellschaftstheorie" auf der einen Seite oder "Revisionismus"-Verdächtigungen auf der anderen Seite, die sich insbesondere auf die psychoanalytische Ich-Psychologie und die sogenannten "Kulturalisten" wie Horney, Thompson, Fromm, Sullivan und Frieda Fromm-Reichmann richteten, verbunden waren. Honneth, dessen Buch Kampf um Anerkennung weithin bekannt geworden ist, zieht zur Begründung der von ihm vertretenen "intersubjektivistischen Wende der kritischen Theorie" (S. 316) intersubjektive Ansätze der Psychoanalyse einschließlich neuerer Befunde der Säuglingsforschung heran. Eben darauf richtet sich die Kritik von Whitebook, der gerade darin eine Preisgabe jener psychoanalytischen Anthropologie meint ausmachen zu können, die sich mit der Triebtheorie verbindet und von einer prinzipiellen Distanz und Unversöhnlichkeit von individueller Triebnatur und vergesellschaftetem Subjekt ausgeht und darin - nicht anders als seinerzeit Marcuse - das "revolutionäre Potential", das bei Whitebook "rebellischer Gehalt" heißt, ausmacht. Die Erkenntnis, daß die Psyche intersubjektiv verfaßt ist, erweise sich, so Altmeyer und Thomä, mehr und mehr als "common ground" der Psychoanalyse, der sich noch1989 auf die Frage von Wallerstein ("One psychoanalysis or many?") nicht hatte ausmachen lassen. Das Wissen um Intersubjektivität, um die durch und durch soziale Natur des Menschen, werde, so ihre Erwartung, "zur Integration der gesamten Disziplin" der Psychoanalyse beitragen. So vermittelt das Buch eine hervorragende Übersicht über die Vielfalt der Positionen innerhalb einer der vielleicht interessantesten Debatten der letzten Zeit innerhalb der Psychoanalyse. Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse spiegelt eine Entwicklung wider, die sich in Nachbardisziplinen in vergleichbarer Weise vollzieht und die allem Anschein nach einem umfassenderen gesellschaftlichen Prozeß aufruht, "womöglich einen historischen Umbruch im Selbst- und Weltverhältnis der Individuen" (S. 25) anzeigt, der sich im Kontrast zu einem reduktionistischen Neobiologismus mit Resonanz und Bezogenheit verbindet. Ob sich allerdings mit der Anerkennung von Intersubjektivität als Erfahrungsgrundlage der Psychoanalyse tatsächlich, wie die Herausgeber prognostizieren, deren einigender und integrierender "common ground" abzeichnet, bleibt angesichts der Diversifizierung des Begriffs, die die Diskussion kennzeichnet, abzuwarten.« Ulrich Streeck (Göttingen) (Psyche, 1/2007) »Wer die Wende der modernen Psychoanalyse zur Intersubjektivität bei gleichzeitiger Betonung ihrer traditionellen Innenperspektive sowie ihre interdisziplinäre Öffnung zu den Nachbarwissenschaften erleben und verstehen will, muß dieses verdienstvolle und von den Herausgebern vorbildlich bearbeitete Buch gelesen haben.« Kurt Eberhard (ArbeitsGemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie, www.agsp.de, August 2006) »Die vernetzte Seele von Martin Altmeyer und Helmut Thomä überrascht.« (Der Standard, 14.9.2006)
»Durch die dichte und präzise Darstellung der Rezeptionen des Intersubjektivitätskonzepts durch psychoanalytische Strömungen im amerikanischen und europäischen Raum eignet sich das Werk ausgezeichnet dazu, einen historischen Überblick zu erhalten, die gegenwärtigen Positionen innerhalb psychoanalytischer Richtungen zu erfassen und die Schwerpunktsetzungen innerhalb einer psychoanalytischen Schule zu verstehen.«
Christa Paulinz (Psychotherapie Forum, Januar 2007)
»... ein sehr persönliches, mutiges und ermutigendes Buch, dessen Lektüre ich all jenen empfehlen kann, die sich auch angesichts eines schwierigen Therapeutenalltags eine Neugier und innere Lebendigkeit bewahrt haben.«
Andrewa Bachhofen (Zeitschrift für Individualpsychologie, 02/2007)
»Die Feststellung, daß das Leben in Gesellschaft Grundbestimmung der Conditio humana sei und wir als soziale Wesen geboren werden, daß die Beziehung zu anderen dem einzelnen vorausgeht und auch die psychische Welt durch und durch sozial konstituiert ist, spiegelt sich in der gegenwärtigen Psychoanalyse in ihrer Hinwendung zu Intersubjektivität wider, die hier eine lange und von heftigen Kontroversen begleitete Geschichte hat. Subjektivität konstituiert sich im Blick des Anderen, verweist auf Intersubjektivität, auch in der analytischen Beziehung: die Subjektivität des Patienten ist ebenso wie die Subjektivität des Analytikers in die Matrix der analytischen Beziehung eingebettet. Das Problem unserer Zeit, so die Gegenwartsdiagnose, ist nicht Sexualität, sondern Identität. Identität aber konstituiert sich im Blick des Anderen, Subjektsein verweist auf Intersubjektivität.
"Intersubjektivität", so schreiben Martin Altmeyer und Helmut Thomä, "verweist auf zwischenmenschliche Bezogenheit als Fundament der Conditio humana" - Intersubjektivität, nicht Triebe! Die Hinwendung zu Intersubjektivität als Erfahrungsgrundlage der modernen Psychoanalyse spiegelt sich in dem von Altmeyer und Thomä herausgegebenen Band Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse - so der Untertitel des Buches - nicht zuletzt darin wider, daß eine Begrifflichkeit, die in psychoanalytischen Texten bis vor geraumer Zeit selten aufgetaucht ist oder allenfalls in Verbindung mit einer vermeintlich oberflächlichen Sozialpsychologie zugerechneten Widerstandsphänomenen genannt wurde, mehr oder weniger selbstverständlich ist - Interaktion, interpersonell, der Andere, Anerkennung, Bindung, Reziprozität, Begegnung, ebenso Namen, die für die Psychoanalyse lange marginal schienen - Bowlby etwa, Sullivan, Hegel, Mead oder Habermas.
Die Herausgeber selber sind als Vertreter einer intersubjektiven Perspektive ausgewiesen: Für Helmut Thomä, Nestor der Psychoanalyse, waren der Beitrag des Psychoanalytikers und "ein interaktionelles Modell" des therapeutischen Prozesses bereits Leitidee des 1985 erschienenen, zusammen mit Horst Kächele verfaßten, kürzlich überarbeiteten und inzwischen dreibändigen Lehrbuchs; Martin Altmeyer hat sich in zahlreichen Publikationen, die immer auch den kritischen Blick über den Rahmen der Psychoanalyse hinaus auf gesellschaftliche Kontexte widerspiegeln (u.a. Narzißmus und Objekt. Ein intersubjektives Verständnis der Selbstbezogenheit; Im Spiegel des Anderen. Anwendungen einer relationalen Psychoanalyse), als kenntnisreicher und entschiedener Vertreter des "relational turn" der Psychoanalyse profiliert.
Die vernetzte Seele legt beredtes Zeugnis darüber ab, daß Intersubjektivität nicht etwa ein mehr oder weniger homogenes Konzept ist, das eine weitere Spielart der Psychoanalyse markiert, vielmehr auf eine anthropologische Fundierung verweist, die sich dazu eignet - so Altmeyer und Thomä -, zu einem einigenden Fundament der höchst diversifizierten psychoanalytischen Richtungen und damit zu einem neuen Paradigma für die Psychoanalyse und deren "common ground" zu werden. Entsprechend breit sind auch das Spektrum der Texte und die Auffassungen von Intersubjektivität, die darin zum Ausdruck kommen: Arbeiten von namhaften Repräsentanten der amerikanischen Gegenwartspsychoanalyse (Ogden, Benjamin, Aron und Harris, Beebe und Lachmann, Orange, Stolorow und Atwood sowie Cavell) sind Texten aus dem europäischen Raum (Bohleber, Green, Laplanche, Buchholz, Honneth, Whitebook) gegenübergestellt, mehrere aus dem Englischen bzw. Französischen von Altmeyer ausgezeichnet übersetzt, einige (Orange, Stolorow und Atwood, Cavell, Bohleber sowie Buchholz) für diesen Band neu geschrieben. Jedem Beitrag ist eine informative Einführung vorangestellt, die die Verortung der intersubjektiven Perspektive im Geflecht der heterogenen Strömungen der gegenwärtigen Psychoanalyse erleichtert, aber auch Bezüge zu aktuellen Entwicklungen in den Humanwissenschaften erkennen läßt.
In ihrer Einleitung machen Altmeyer und Thomä deutlich, daß sich mit der intersubjektiven Perspektive die Erkenntnis von der intersubjektiven, sozialen Verfaßtheit des psychischen Lebens über alle psychoanalytischen Richtungen hinweg durchzusetzen beginnt. Zu dieser Entwicklung hat die moderne Säuglingsforschung entscheidend beigetragen. Auch wenn sich deren Epistemologie mit der der Psychoanalyse nicht umstandslos abgleichen läßt, so wäre es doch unvernünftig, an einer psychoanalytischen Entwicklungspsychologie festzuhalten, die mit den vielfältigen und eindrucksvollen, empirisch gewonnenen Befunden der Säuglingsforschung nicht abgestimmt ist. Die Säuglingsforschung hat nicht zuletzt, ohne deshalb einem kruden Objektivismus zu verfallen, gegen die (post)kleinianischen Tendenzen, "mit Hilfe des Modekonzepts der projektiven Identifizierung" den psychoanalytischen Dialog "letztlich zu einer monologischen Veranstaltung" zu machen (S. 24), die Welt des Realen wieder eingeführt. Und man kann die in dem Band versammelten Arbeiten zur Intersubjektivität auch unter dem Blickwinkel der Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses Realen, des realen Anderen als anderes Subjekt, lesen, die sich - mal mehr, mal weniger deutlich - wie ein roter Faden durch die Arbeiten hindurchzieht.
Für die intersubjektive Perspektive zentral ist das Konzept der Triangulierung und des Dritten. Die Erfahrung, daß da ein anderes Subjekt ist, demgegenüber ich selber Subjekt bin, setzt das "Wissen" um einen Ort außerhalb der Dyade voraus, ohne den die Dyade in sich zusammenbrechen müßte. Thomas Ogden hat davon mit dem von ihm so genannten "intersubjektiven analytischen Dritten" eine ganz eigene Auffassung entwickelt. Das "unbewußte intersubjektive analytische Dritte", jenes unbewußte Zusammenspiel der beiden an der Analyse beteiligten Subjekte, das sich in Ogdens Arbeiten wohl kaum positiv bestimmen läßt und dessen Unbestimmtheit den Begriff prädestinieren könnte, zu einem neuen Modebegriff zu werden, wird auch "drittes Subjekt" genannt, das unbewußt von Analytiker und Analysand gemeinsam geschaffen wird und die analytische Beziehung strukturiert.
Gegenüber Ogdens Auffassung grenzt Jessica Benjamin, eine der namhaftesten Vertreterinnen der "relationalen Psychoanalyse", ihr Verständnis des "Dritten" und der Triangulierung unter Bezug auf die Hegelsche Anerkennungsdialektik und Befunde der Säuglingsforschung ab. Nicht erst - wie in der Kleinianischen Schule - der ödipale Vater repräsentiert das Dritte, sondern bereits in einem frühen vorsprachlichen Entwicklungsstadium konstituiert sich Anerkennung in der Interaktion des Kindes mit der Mutter, über affektive Resonanz und die Rhythmizität wechselseitiger Bezogenheit, in der - von Benjamin so genannten - "Gemeinschaft im Dritten" als eines intersubjektiven Produkts. Aus der Fähigkeit der Mutter, die Äußerungen ihres Kindes markiert zu spiegeln, erwächst "symbolische Triangulierung", in der beide Funktionen des "Dritten" zum Tragen kommen: "harmonische Einstimmung" als "Gemeinschaft im Dritten" und "Differenzierung und Containing" als das "Dritte in der Gemeinschaft" (S. 82), für Benjamin Voraussetzung für den analytischen Prozeß.
Der Beitrag von Lewis Aron und Adrienne Harris, ebenfalls der "relationalen Psychoanalyse" verpflichtet, ist die deutsche Übersetzung der Einführung zu dem von ihnen herausgegebenen Band Relational psychoanalysis 2: Innovation and Expansion, deren ersten Band der im Jahr 2000 früh verstorbene Stephen A. Mitchell zusammen mit Aron herausgegeben hatte. Mitchell war bis dahin zweifellos der namhafteste Vertreter jener Gruppierung von Psychoanalytikern, die bereits zu einer Zeit für eine intersubjektive Perspektive eingetreten sind (u.a. Bindung und Beziehung. Auf dem Weg zu einer relationalen Psychoanalyse), als sie von der offiziellen Psychoanalyse noch weitgehend ignoriert wurden. In Übereinstimmung mit Mitchells Vorstellung sehen Aron und Harris in der "relationalen Psychoanalyse" weder ein eigenes Theoriegebäude noch eine weitere psychoanalytische Schulrichtung, sondern plädieren für Intersubjektivität und "Relationalität" als schulenübergreifende und potentiell integrativ wirkende Grundauffassung.
In der langjährigen Zusammenarbeit von Beatrice Beebe und Frank Lachmann dokumentiert sich jene Verbindung von psychoanalytischer Entwicklungspsychologie und klinischer Praxis, der sich die gegenwärtige Prominenz des intersubjektiven Verständnisses der Psychoanalyse maßgeblich verdankt. Wie Sander und Tronick, die lange Zeit der Bostoner Change Study Group angehörten, folgt auch Beebes und Lachmanns Auffassung von Intersubjektivität einem systemischen Zwei-Personen-Modell, von ihnen "dyadischer Systemansatz" genannt, der manche Verbindungen zu einem konstruktivistischen Verständnis des therapeutischen Prozesses nahelegt. Was auch immer innerhalb des dyadischen Systems, das aus zwei interaktiv miteinander verschränkten "Selbstsystemen" gebildet wird, geschieht, kann nicht entweder auf den Analysanden oder den Analytiker zurückgeführt werden, sondern ist jederzeit ein von beiden gemeinsam konstruiertes Geschehen. Anhand der Reinterpretation einer bereits früher veröffentlichten Behandlung ("Burton") zeigen Beebe und Lachmann, wie Selbst- und Interaktionsregulierung unauflösbar miteinander verschränkt sind.
Wie Beebe und Lachmann sind auch Donna M. Orange, Robert D. Stolorow und George E. Atwood der Selbstpsychologie verbunden. Schon 1987 hatten Stolorow und Atwood jedes Wissen um eine "objektive Welt" für den analytischen Prozeß zurückgewiesen und davon gesprochen, daß jegliche Zuschreibungen an eine objektive Wirklichkeit nichts als "Konkretisierungen subjektiver Wahrheiten" seien. Unter dem Titel "Zugehörigkeit, Verbundenheit, Betroffenheit. Ein intersubjektiver Zugang zur traumatischen Erfahrung" entwickeln sie ihren "intersubjektiven Systemansatz" anhand eines auf einer Tagung präsentierten Fallberichts einer schwer traumatisierten Frau. Die Trennung von Selbst und Anderem, von individuellen Subjekten, wird zugunsten eines radikalen "Kontextualismus" aufgelöst. Dabei verstehen sie ihren Ansatz nicht als Ausdruck einer umschriebenen Theorie, sondern als einen von kontextuellem Denken bestimmten klinischen Zugang, der ein "besonderes Gespür (verlangt), das man als intersubjektive klinische Sensibilität bezeichnen könnte".
Demgegenüber insistiert Marcia Cavell, die Sprachphilosophin und Psychoanalytikerin, in ihrem beeindruckend klar geschriebenen Beitrag darauf, daß Subjektivität Hand in Hand mit Intersubjektivität geht und beide "sich auf dem Boden einer gemeinsamen, realen, ?äußeren? Welt, die als solche von den Beteiligten anerkannt ist" (S. 180), entwickeln. Klinisches Arbeiten, so Cavell überzeugend, kommt ohne die Idee einer "Außenwelt" nicht aus. Dementsprechend setzt Cavells Verständnis von Triangulierung die Realität einer äußeren Welt voraus, die Analysand und Analytiker miteinander teilen. "Außerdem spielt Sprache dabei eine zentrale Rolle, denn Triangulierung findet [...] über Sprache und Sprachlernen statt [...] Sprache ist kein ?Umhang?, den das Kind dem Denken überwirft [...], sondern das Medium, durch das sich das Kind auf andere und die Außenwelt einläßt, und zwar auf eine Weise, durch die sich seine Innenwelt zu konstituieren beginnt [...] Und nur der Dialog ist inter-subjektiv in jenem genuinen Sinne, daß sich jeder Dialogteilnehmer als ein ?Ich? weiß, als ein Subjekt, das sich als ?Selbst? denken kann, und das den anderen ebenfalls als ein Subjekt weiß, als ein eigenes ?Ich? [...] Wahrheit ist ein Begriff, der nur in der interpersonellen Welt einen Gehalt hat" (S. 194f.).
Die "europäischen Antworten auf die amerikanische Herausforderung" werden von einem von Werner Bohleber verfaßten Beitrag angeführt, der an den psychoanalytischen, insgesamt sehr heterogenen Intersubjektivitätskonzepten eine Tendenz meint ausmachen zu können, im Extremfall "das Subjekt zum kontingenten Effekt von Kontexten" zu reduzieren. Psychoanalytische Intersubjektivitätstheorien haben Bohleber zufolge Quellen ebenso in der Begegnungsphilosophie Martin Bubers (Ich und Du) wie bei Ludwig Binswanger ("Wirheit"), dessen Daseinsanalyse aus der Psychoanalyse hervorgegangen ist, als auch in der Gadamerschen Hermeneutik, deren Spuren sich insbesondere in die Arbeiten von Argelander und Lorenzer hinein verfolgen ließen. Den Nutzen des insbesondere von der Säuglingsforschung angeregten "Intersubjektivismus" sieht Bohleber einerseits darin, daß dadurch die "Elemente des Vorsprachlichen [...] konzeptionell formuliert werden können" (S. 222), wirft andererseits aber - ähnlich wie Whitebook in der Auseinandersetzung mit Honneth - die Frage auf, ob dort nicht die "soziale Unangepaßtheit des Menschen, dessen Triebwünsche und unbewußte Phantasien" zugunsten der Idee einer weitgehend konfliktlosen Entwicklung aufgegeben werde.
André Green untersucht das Zusammenwirken der intrapsychischen und der intersubjektiven Dimension. In der einen erweise sich die "Evidenz der Triebtheorie", während in der anderen die Objektbeziehungen ins Spiel kämen. Dabei ist Intersubjektivität für Green ein "Instrument der Vermittlung, um das Intrapsychische bewußt zu machen" (S. 244). Als Austausch ist die analytische Situation nur insofern relevant, als sie das Ziel hat, "auf dem Umweg über einen Anderen zu sich selbst zurückzukehren" (S. 238). Greens außerordentlich dichter - und gegenüber der Originalfassung noch einmal leicht verdichteter - theoretischer Text ist auch als Verteidigung der psychoanalytischen Triebtheorie zu lesen, die - so Green - von der Selbstpsychologie Kohuts geopfert wurde.
Die Bindungstheorie, die für die Säuglingsforschung "so etwas wie eine epistemologische Vorherrschaft erobert" habe, lasse die "Hegemonie des Sexuellen" leicht vergessen - so Jean Laplanche - in seiner Arbeit "Die rätselhaften Botschaften des Anderen. Zur Metapsychologie von Sexualität und Bindung". Intersubjektivität spielt für Laplanche in erster Linie in Verbindung mit seiner "Verführungshypothese" eine zentrale Rolle, indem es die Triebe seien, die auf intersubjektive Erfahrungen zurückweisen, werden diese von Laplanche doch auf die Beziehung zwischen Erwachsenem und Kind zurückgeführt: "In der Realität wird Sexualität über die erste Erfahrung der Intersubjektivität eingeführt, und zwar durch den Erwachsenen und nicht durch den Säugling (kursiv im Original) [...] Nicht etwa, daß ich bestreiten möchte, daß das Kind selbst, indem es - nachträglich - symbolisiert und phantasiert, aktiv dazu beiträgt. Aber auf diesem Beitrag lasten Botschaften, die von einem Anderen, nämlich dem Erwachsenen, stammen und bereits sexuell "kontaminiert" sind" (S. 276).
Mehr als andere Verfahren legen sich, wie Michael B. Buchholz in seinem Beitrag deutlich macht, für eine intersubjektiv verstandene Psychoanalyse qualitative Methoden für die Forschung nahe, die auf das "Wie" des Geschehens zwischen Patient und Therapeut fokussieren. Qualitative Forschungsmethoden verzichten zumeist auf vorgegebene Kategorien, denen zufolge der Forscher immer schon weiß, was es erst zu erforschen gilt, verzichten; gerade deshalb eignen sie sich in besonderem Maße für eine Analyse des "Wie" der Konstituierung von Intersubjektivität im therapeutischen Prozeß. Deren Gewinn geht, so Buchholz, über reine Rekonstruktionen des Beziehungsgeschehens in der Behandlung noch hinaus, indem sie auch "klinische Sensibilität enorm verfeinern" können (S. 284). Therapie ist "Austausch von Worten", genauer noch: kommunikativer Austausch, und dessen Analyse vermag die Vielfalt dieses interaktiven Austausches und damit von Intersubjektivität zutage fördern - den Reichtum der konversationellen Praxis, die Worte ebenso umfaßt wie mehr oder weniger subtile Mittel nichtsprachlichen Verhaltens, die Gestaltung von Erzählungen im Behandlungszimmer und die Art und Weise, wie Patienten und Therapeuten damit immer auch aufeinander Bezug nehmen, oder die Vielfalt metaphorischen Ausdrucks, mit dessen Hilfe Patient und Therapeut einen gemeinsamen Deutungsrahmen erschaffen.
Den Band schließen die Beiträge von Axel Honneth und Joel Whitebook ab, deren hier fortgesetzte und in der Zeitschrift PSYCHE begonnene Kontroverse Leser meiner Generation nachhaltig an jene Diskussionen erinnert, die in der 70er Jahren mit Selbstattribuierungen wie "Psychoanalyse als kritische Gesellschaftstheorie" auf der einen Seite oder "Revisionismus"-Verdächtigungen auf der anderen Seite, die sich insbesondere auf die psychoanalytische Ich-Psychologie und die sogenannten "Kulturalisten" wie Horney, Thompson, Fromm, Sullivan und Frieda Fromm-Reichmann richteten, verbunden waren.
Honneth, dessen Buch Kampf um Anerkennung weithin bekannt geworden ist, zieht zur Begründung der von ihm vertretenen "intersubjektivistischen Wende der kritischen Theorie" (S. 316) intersubjektive Ansätze der Psychoanalyse einschließlich neuerer Befunde der Säuglingsforschung heran. Eben darauf richtet sich die Kritik von Whitebook, der gerade darin eine Preisgabe jener psychoanalytischen Anthropologie meint ausmachen zu können, die sich mit der Triebtheorie verbindet und von einer prinzipiellen Distanz und Unversöhnlichkeit von individueller Triebnatur und vergesellschaftetem Subjekt ausgeht und darin - nicht anders als seinerzeit Marcuse - das "revolutionäre Potential", das bei Whitebook "rebellischer Gehalt" heißt, ausmacht.
Die Erkenntnis, daß die Psyche intersubjektiv verfaßt ist, erweise sich, so Altmeyer und Thomä, mehr und mehr als "common ground" der Psychoanalyse, der sich noch1989 auf die Frage von Wallerstein ("One psychoanalysis or many?") nicht hatte ausmachen lassen. Das Wissen um Intersubjektivität, um die durch und durch soziale Natur des Menschen, werde, so ihre Erwartung, "zur Integration der gesamten Disziplin" der Psychoanalyse beitragen. So vermittelt das Buch eine hervorragende Übersicht über die Vielfalt der Positionen innerhalb einer der vielleicht interessantesten Debatten der letzten Zeit innerhalb der Psychoanalyse.
Die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse spiegelt eine Entwicklung wider, die sich in Nachbardisziplinen in vergleichbarer Weise vollzieht und die allem Anschein nach einem umfassenderen gesellschaftlichen Prozeß aufruht, "womöglich einen historischen Umbruch im Selbst- und Weltverhältnis der Individuen" (S. 25) anzeigt, der sich im Kontrast zu einem reduktionistischen Neobiologismus mit Resonanz und Bezogenheit verbindet. Ob sich allerdings mit der Anerkennung von Intersubjektivität als Erfahrungsgrundlage der Psychoanalyse tatsächlich, wie die Herausgeber prognostizieren, deren einigender und integrierender "common ground" abzeichnet, bleibt angesichts der Diversifizierung des Begriffs, die die Diskussion kennzeichnet, abzuwarten.«
Ulrich Streeck (Göttingen) (Psyche, 1/2007)
»Wer die Wende der modernen Psychoanalyse zur Intersubjektivität bei gleichzeitiger Betonung ihrer traditionellen Innenperspektive sowie ihre interdisziplinäre Öffnung zu den Nachbarwissenschaften erleben und verstehen will, muß dieses verdienstvolle und von den Herausgebern vorbildlich bearbeitete Buch gelesen haben.«
Kurt Eberhard (ArbeitsGemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie, www.agsp.de, August 2006)
»Die vernetzte Seele von Martin Altmeyer und Helmut Thomä überrascht.«
(Der Standard, 14.9.2006)
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2010 |
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Sprache | deutsch |
Maße | 162 x 232 mm |
Gewicht | 730 g |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Psychoanalyse / Tiefenpsychologie | |
Schlagworte | Bindung • Psychoanalyse • Seele |
ISBN-10 | 3-608-94672-1 / 3608946721 |
ISBN-13 | 978-3-608-94672-7 / 9783608946727 |
Zustand | Neuware |
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