Die Schönheit des Fallens (eBook)
256 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3510-7 (ISBN)
»Sie denkt weiter als Einstein.« DIE ZEIT.
2009 hat es Claudia de Rham in die Endauswahl der ESA geschafft. Sie ist kurz davor, dem Geheimnis der Gravitation als Astronautin auf die Spur zu kommen. Dann wird sie positiv auf latente Tuberkulose getestet. Ihr Traum platzt. Seitdem hat sich de Rham in der Astrophysik einen Namen gemacht, ist sie zu einer der renommiertesten Kosmolog:innen aufgestiegen. Ihre Arbeit fordert die Allgemeine Relativitätstheorie heraus.
In 'Die Schönheit des Fallens' begibt sie sich auf eine persönliche Suche nach Antworten auf die ganz großen Fragen: Woraus besteht das Universum? Was sind dunkle Materie und Energie? Und wie hält die Gravitation den gesamten Kosmos zusammen? Nach der Lektüre sehen wir die Welt mit anderen Augen
»Was für eine wunderbare Lektüre! Faszinierend und hochaktuell!« Pedro G. Ferreira, Autor von 'Die perfekte Theorie'.
Claudia de Rham, 1978 in Lausanne geboren, ist Professorin für theoretische Physik am Imperial College London und Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen geehrt und zählt zu den bedeutendsten Forscher:innen auf dem Gebiet der Grundlagenphysik des letzten Jahrzehnts. Hainer Kober, geboren 1942, studierte Germanistik und Romanistik. Seit 1972 übersetzt er Werke aus dem Englischen und Französischen, unter anderem von Stephen Hawking, Brian Greene, Antonio Damasio und Oliver Sacks. 2015 wurde Kober mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis für deutschsprachige Übersetzer ausgezeichnet. Hainer Kober lebt in Soltau.
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Einleitung
Eine Reise durch die Gravitation
Gravitation. Ein vertrautes Konzept, das zwar in fast jeder Sprache und Kultur vertreten ist, um dessen Verständnis Wissenschaftler aber seit Jahrtausenden ringen. Sie ist das allumfassende Wunder, das alles im Universum überall und für immer miteinander verbindet. Universell in jeglicher Hinsicht. Wir Menschen stellen sie uns als die verborgene Kraft vor, die uns auf der Erde festhält, als die Ursache, die bewirkt, dass die Erde die Sonne umkreist, oder die Wechselwirkung, dank der die Milchstraße und ihre etlichen Hundert Milliarden Sterne überhaupt erst entstanden sind. Doch das ist nur ein schwacher Abglanz ihrer wahren Bedeutung. Gravitation ist der Grund, warum das Universum überhaupt existieren und sich entwickeln kann. Sie sorgt dafür, dass Raum und Zeit nicht bloße Kulisse, sondern Hautpdarsteller in der dramatischen Entwicklung der Realität sind.
Ich persönlich habe der Gravitation mein ganzes Leben gewidmet. Dabei nahm meine Suche nach dem Geheimnis der Gravitation in ganz alltäglichen Situationen ihren Anfang.
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Stellen Sie sich etwa vor, Sie säßen allein im Cockpit eines kleinen einmotorigen Flugzeugs auf der Startbahn und warteten geduldig auf das Zeichen der Flugleitung (eine mir äußerst vertraute Situation). Vier einfache Wörter – clear to take off – wirken wie ein Zauberspruch: Sie lösen eine exakte Ereignisfolge aus, die vor 120 Jahren noch unmöglich gewesen wäre: Ein Objekt von einer Tonne Gewicht wird hoch in die Luft gehoben und dort zum Schweben gebracht. Während die Maschine die Stadtbahn entlangrast, werden Sie mit dem Rücken in den Schaumstoff ihrer Sitze gepresst, weil Sie horizontal auf eine Geschwindigkeit von 100 bis 200 km/h beschleunigt werden. Paradoxerweise ermöglicht diese waagerechte Geschwindigkeit dem Schub unter den Flügeln, die senkrecht wirkende Gravitation zu überwinden und Sie himmelwärts zu heben. Während Sie auf Reisehöhe steigen, wird die kleine Maschine bereits von der geringsten Turbulenz durchgeschüttelt. Einen Augenblick fühlt es sich an wie in einer Schneekugel gefangen und der Willkür irgendeines riesigen, boshaften Schüttlers ausgeliefert zu sein – bis Sie sich daran erinnern, dass eine kleine Justierung des Seitenruders, eine leichte Korrektur des Höhenruders und eine sanfte Drehung des Querruders genügen, um elegant auf dem Luftstrom zu surfen – zugleich vom Druck nach oben geschoben und von der Gravitation nach unten gezogen.
Neben der grenzenlosen Freiheit über den Wolken, die ja nicht jedermanns Sache ist, bin ich in meinem Leben früh in die blaue Tiefe des Ozeans hinabgetaucht und habe mich einige Dutzend Meter unter der Wasseroberfläche zu den Tausenden von Korallenfischen gesellt. Während Sie dort unten die heitere Gelassenheit der Unterwasserwelt betrachten, umfängt Sie eine Stille, die nur von wenigen Geräuschen unterbrochen wird – dem Knistern des vibrierenden Korallenriffs und Ihrem Atem, wenn Sie langsam die Luft aus ihrer Flasche ein- und dann in kleinen, an die Oberfläche schießenden Blasen ausatmen. Mit jedem Atenmzug dümpelt Ihr Körper ein paar Zentimeter auf und ab, während sich der Luftdruck in Ihren Lungen gegen die Gravitationskraft und gegen die auf jeder Zelle Ihres Körpers lastende Masse der Wassersäule stemmt.
Doch um das wahre Gefühl der Schwerelosigkeit zu erleben, muss man im All schweben, dem Zugriff der Gravitation scheinbar vollkommen entzogen. Dort ist das Gefühl der Freiheit keine Illusion mehr – es gibt keine Stricke, an denen zu ziehen, und keinen Druck, dem entgegenzuwirken wäre. Betrachtet man die Erde aus dem Orbit, erlebt man die absolute Freiheit des »freien Falls« – ein Begriff, der tief in unserer Vorstellung von der Gravitation verankert ist, obwohl er ein Luxus ist, in dessen Genuss bisher nur wenige kamen.
In meinem eigenen Leben habe ich also die Freuden des Fliegens und Tauchens erfahren. Die Gelegenheit, ins All zu gelangen, habe ich nur sehr knapp verpasst. Aber wir brauchen keine technischen Wunderwerke wie Flugzeuge, Taucherausrüstungen oder Space Shuttles, um mit der Gravitation zu experimentieren. Schon wenn wir ganz einfache Dinge tun – einen Ball werfen, in einer Hängematte schwingen oder einen Stein auf dem Wasser hüpfen lassen –, sind wir Wissenschaftler, die ihre persönlichen Experimente durchführen und ihre eigenen Schlüsse über dieses so universelle wie geheimnisvolle Phänomen ziehen.
Doch was geht in diesen Augenblicken tatsächlich vor? Was ist Gravitation? Die Frage wirkt naiv, und trotzdem scheint sich die Antwort hinter schwer verständlichen physikalischen Gesetzen zu verbergen. Physikalische Phänomene werden oft als eine Reihe schwieriger Grundregeln dargestellt – Archimedisches Prinzip, Newtons Gravitationsgesetz, Bernoulli-Prinzip und so fort –, denen die Natur bedingungslos zu gehorchen hat. Natürlich sind diese Gesetze entscheidend für unser Verständnis der Welt und der Struktur der Realität. Sie haben gezeigt, dass der Auftrieb Schiffen das Schwimmen ermöglicht und dass der Druckunterschied, der durch die Luftbewegung unter den Flügeln hervorgerufen wird, Vögel und Flugzeuge befähigt, den Himmel zu durchkreuzen. Sie haben uns instand gesetzt, einen Mann – und hoffentlich bald auch eine Frau – auf den Mond zu schicken. Doch wer behauptet, diese Gesetze seien in Stein gemeißelt, verleugnet unsere Wissenschaftsgeschichte. Weit davon entfernt, sich unverrückbar und unverändert zu zeigen, entwickeln sich das Verständnis und die Bewertung dieser Gesetze unablässig fort.
Galileo Galilei, Isaac Newton, Albert Einstein, Stephen Hawking, Roger Penrose, Andrea Ghez und zahllose andere brillante Forscher haben unser Verständnis der Gravitation jeweils durch neue Perspektiven ergänzt, aber unsere Reise ist noch längst nicht zu Ende. Verstehen Sie dieses Buch als eine Einladung, mich auf der Suche nach der Bedeutung der Gravitation für die Struktur unserer Realität zu begleiten. Glücklicherweise werden wir den größten Teil dieses Abenteuers nicht allein bestreiten müssen, sondern können uns der Führung einiger der bedeutendsten Denker der letzten Jahrhunderte anvertrauen – zumindest so lange, bis wir den Rand der Karte des etablierten Wissens erreichen. Von dort aus werden wir einige tastende Schritte ins Unbekannte wagen. Doch beginnen wird unsere Reise in gut vermessenen Gebieten und in Begleitung verlässlicher Gefährten.
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Mit der Erkenntnis, dass Gravitation eine universelle Kraft sein muss, die auf alles einwirkt und alle Körper ungeachtet ihrer Masse in derselben Weise beschleunigt, lieferten Galilei, Kepler und Newton das erste entscheidende Teil des Puzzles. Diese Entdeckung überwand das jahrhundertealte aristotelische Dogma und verlieh dem Begriff der Trägheit eine vollkommen neue Bedeutung.
Allgemein bekannt wurde diese Sichtweise, als der italienische Astronom und Physiker 1632 seine Schrift »Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme« (»Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo«) veröffentlichte. Dort verkündete Galilei eine neue kopernikanische Revolution, die nicht nur darin bestand, der Erde ihre Sonderstellung im Sonnensystem abzusprechen – sondern auch, die Idee zu verwerfen, dass irgendein Mensch oder Objekt jemals in Hinblick auf die Naturgesetze eine Sonderstellung beanspruchen könne.
Zur Erklärung dieser Behauptung betrachtete Galilei die Welt mit den Augen eines Seemanns, der in eine große Kabine unter Deck eines fahrenden Schiffes eingeschlossen ist. Unfähig, die Welt draußen zu sehen, vertreibt er sich die Zeit damit, »Mücken, Schmetterlinge und anderes Getier« zu beobachten, die ebenfalls in der Kabine gefangen sind. Galileo erkannte, dass der Seemann nicht angeben kann, ob das Schiff in Ruhe ist oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt – zumindest nicht durch Beobachtung der geflügelten Tierchen. Warum? Ganz einfach: Wenn das Schiff sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, so gilt das auch für alles andere an Bord einschließlich der Luft, in der die Mücken und Schmetterlinge umherflattern. Der unter Deck eingeschlossene Seemann kann die Bewegung der Insekten nur relativ zum Inneren der Kabine beobachten. Mit Hilfe dieses Gedankenexperiments, das die Bedeutung der relativen Bewegung verdeutlicht, erklärt Galilei, wie die Erde rotieren kann, ohne dass...
Erscheint lt. Verlag | 17.4.2024 |
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Übersetzer | Hainer Kober |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Beauty of Falling. A Life in Pursuit of Gravity |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Naturwissenschaften ► Physik / Astronomie ► Astronomie / Astrophysik | |
Schlagworte | Astronautin • Autobiografie • Brian Greene • Das hässliche Universum • Dunkle Materie • Gravitation • Kosmologie • Physikerin • Schwerkraft |
ISBN-10 | 3-8412-3510-7 / 3841235107 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3510-7 / 9783841235107 |
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