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Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-77343-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichte der Bundesrepublik Deutschland -  Dominik Geppert
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Jenseits überkommener Deutungsmuster schildert Dominik Geppert in diesem anschaulich geschriebenen Band die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. Er zeichnet den Weg vom Frontstaat im Kalten Krieg bis zur heutigen Macht in der Mitte Europas nach und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die sich seit der Wiedervereinigung verstärkt stellende Frage nach der staatlichen und gesellschaftlichen Identität Deutschlands.

Dominik Geppert lehrt Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam.

II. Reform und Revolte (1958–​1973)


1. Ein Land im Umbruch


War die erste Phase der Geschichte der Bundesrepublik durch die Bildung und Stabilisierung staatlicher Institutionen geprägt, so zeichnete sich die zweite durch gesellschaftliche Dynamisierung und Liberalisierung aus. Grundlage der gesellschaftlichen Dynamik war ein anhaltender Wirtschaftsboom. Das durchschnittliche Wachstum des Sozialprodukts schwankte in den 1950er Jahren zwischen 7 und 9 % und sank bis zum ersten Drittel der 1970er Jahre nie unter 4 %. Bis Ende der 1960er Jahre erreichte die Bundesrepublik bei der Arbeitsproduktivität dasselbe Niveau wie die USA. Die Bedeutung der Landwirtschaft nahm gegenüber Industrie und Dienstleistungen weiter ab. Zwischen 1950 und 1970 schrumpfte ihr Anteil an den Beschäftigten von einem Viertel auf 6 %. Die verbliebenen Höfe waren häufig Großbetriebe, die zu agrarischer Massenproduktion mit Maschinen und vermehrt auch mit dem Einsatz chemischer Mittel auf großen Flächen übergingen. Die Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe stieg hingegen weiter an und erreichte Anfang der 1960er Jahre mit etwas über 50 % ihren Höchststand, ehe sie danach allmählich zurückging. Die Folge waren zwei parallele Wanderungsbewegungen: zum einen vom Land in die Städte, vor allem in die Großstädte, wo die neuen Jobs angesiedelt waren; zum anderen aus den urbanen Zentren in die Speckgürtel und Vororte, wo es billigere Wohnungen und günstigeres Bauland gab. Mit dem Ausgreifen der Städte ins Umland verlor der Gegensatz zwischen Stadt und Land an Bedeutung.

Zu den Profiteuren der industriellen Expansion zählten vor allem die Leitbranchen der zweiten industriellen Revolution, die in Deutschland traditionell stark waren: der Maschinen- und Apparatebau, die großen Chemiebetriebe an Rhein und Main sowie die Automobilindustrie mit ihren Schwerpunkten im deutschen Südwesten. Sie bildeten das Rückgrat des anhaltenden Aufschwungs und waren wesentlich für die guten Wachstumszahlen verantwortlich. Daneben begannen sich allmählich die Technologien einer dritten industriellen Revolution zu entwickeln, die von Innovationen der Computertechnik und Mikroelektronik sowie der Atomenergie getrieben wurde. In Schwierigkeiten gerieten die klassischen Wirtschaftszweige der ersten industriellen Revolution, neben dem Textilgewerbe und dem Schiffbau vor allem Kohle und Stahl. Die Bergbaukrise, die 1958 offen ausbrach, hatte nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Ursachen, weil man bei der Energiegewinnung immer stärker von Kohle auf Erdöl und Erdgas, seit 1961 auch auf Atomkraft umstieg. Da die deutsche Steinkohle im Ruhrrevier wegen ihrer Lagerung vergleichsweise aufwendig abgebaut werden musste, verlor sie an internationaler Konkurrenzfähigkeit. Immer mehr Zechen mussten schließen; von einer halben Million Kohlekumpel 1958 waren zwölf Jahre später noch 200.000 übrig. Im Ruhrgebiet, einst Europas größte Industrieregion, begann ein tiefgreifender Strukturwandel.

In Zeiten annähernder Vollbeschäftigung mit Arbeitslosenquoten unter einem Prozent erschien der Umbruch indes verkraftbar. Andere Probleme hatten Priorität. Für die Unternehmen brachte der Wirtschaftsboom höhere Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften – 1955 hatte die IG Bergbau 12 % verlangt und unter Streikdrohung 9 % durchgesetzt – sowie erschwerte Bedingungen bei der Rekrutierung neuer Arbeitskräfte. Bis zum Bau der Mauer konnte der zusätzliche Bedarf durch Zuzüge aus dem Osten kompensiert werden. Von 1950 bis 1961 kamen rund 3,6 Millionen Menschen, überwiegend gut ausgebildete junge Männer, aus der «Zone». Nachdem das SED-Regime diesen Aderlass im Sommer 1961 mit Mauer und Stacheldraht gestoppt hatte, ersetzten zunehmend Südeuropäer die Flüchtlinge aus der DDR.

Sie sollten den Lohndruck senken, offene Stellen (vorwiegend für Ungelernte) füllen und überhaupt Aufgaben übernehmen, die für Deutsche unattraktiv geworden waren. Schon Mitte der 1950er Jahre hatte die Bundesregierung ein Anwerbeabkommen mit Italien ausgehandelt, das seinerseits hoffte, damit die grassierende Arbeitslosigkeit im Süden des Landes verringern zu können. In den 1960er Jahren folgten Übereinkommen mit Spanien und Griechenland, der Türkei, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Zwischen 1962 und 1974 kamen auf diese Weise 8,8 Millionen Menschen in die Bundesrepublik. Man nannte sie «Gastarbeiter», weil man davon ausging, sie würden, wenn ihre Arbeit erledigt war oder ein wirtschaftlicher Abschwung einsetzte, in ihre Heimatländer zurückkehren. Viele taten das auch, als sich die Aussichten zu Hause verbesserten; 5,2 Millionen Ausländer verließen zwischen 1962 und 1974 die Bundesrepublik wieder. Andere blieben, weil sich daheim keine Perspektiven auftaten oder sie sich in Deutschland eingelebt hatten. Zunächst kamen die Angeworbenen vor allem aus Italien, Griechenland und Spanien, seit 1967 immer häufiger aus Jugoslawien und der Türkei; Anfang 1972 überstieg die Zahl türkischer (mit knapp 500.000) erstmals diejenige italienischer Arbeitskräfte. Ausländische Arbeiter dienten den Unternehmen auch dazu, die Lücken zu stopfen, die durch verkürzte Arbeitszeiten der Deutschen entstanden waren. Mit der Einführung der Fünf-Tage-Woche und des langen Wochenendes rückte Ende der 1950er Jahre das Ziel der 45-Stunden-Woche für viele Branchen näher. 1963 legte das Bundesurlaubsgesetz einen bezahlten Mindesturlaub von 15 Tagen für jüngere und 18 Tagen für ältere Arbeitnehmer fest.

Die günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt brachte erhebliche Lohn- und Gehaltszuwächse mit sich. Das zusätzliche Geld wurde nicht nur zur Bank getragen, sondern floss nun auch stärker in den Konsum: erst in Haushaltsgeräte, dann in Kraftfahrzeuge, schließlich vermehrt auch in Unterhaltungselektronik und Tourismus. Das eigene Auto erlaubte einen selbstbestimmteren Urlaub. 1964 fuhren erstmals mehr Deutsche mit dem Privatwagen in die Ferien als mit Bus und Bahn. Individualtourismus war gegenüber Pauschalreisen auf dem Vormarsch. Entferntere Reiseziele rückten in den Bereich des Möglichen. Flugreisen wurden zunehmend üblich. Gekauft wurde immer seltener in Einzelhandelsgeschäften alten Stils, bei denen der Kaufmann persönlich hinter dem Ladentisch stand, sondern in modernen Supermärkten nach amerikanischem Vorbild, in denen man sich die Waren selbst aus dem Regal nahm.

Das Radio als «Leitmedium des Wiederaufbaus» wurde vom Fernsehen als führendes Medium «in der beginnenden postindustriellen Wohlstandsgesellschaft» (Axel Schildt) abgelöst. Den Erfolg der deutschen Fußballnationalmannschaft im Weltmeisterschaftsfinale gegen Ungarn, dem «Wunder von Bern», hatten 1954 noch die meisten am Radio oder allenfalls vor einem Fernseher in der nächsten Kneipe miterlebt. Den Beginn der Fußballbundesliga 1963 konnte bereits rund ein Viertel aller Haushalte am eigenen TV-Gerät verfolgen. Die Zeit, die Bundesbürger vor der «Mattscheibe» verbrachten, ging teilweise auf Kosten des Radios, das immer häufiger nur noch als Begleitmusik im Hintergrund angestellt wurde, und vor allem des Kinos, das von 800 Millionen Besuchen 1956 auf 160 Millionen im Jahr 1970 zurückging.

2. Verschiebungen in der Parteienlandschaft


Der Durchbruch zur Kommunikationsgesellschaft hatte Rückwirkungen auf die Politik. Die CDU hatte ihren Kanzler schon früh auf Auslandsreisen (etwa 1953 in die USA) als weltgewandten Staatslenker filmen lassen und dafür gesorgt, dass auch Bilder des Privatmanns in Umlauf kamen, zum Beispiel als Rosenzüchter im Rhöndorfer Garten, beim Boule-Spiel im Sommerurlaub am Comer See oder als Familienoberhaupt im Kreise der Kinder und Enkel. Auch der aufsteigende Stern am Himmel der deutschen Sozialdemokratie, Willy Brandt, verdankte seine Popularität nicht zuletzt der Tatsache, dass er fotogen war, im Fernsehen eine gute Figur machte und sich medial ungleich besser in Szene zu setzen wusste als die immer etwas hölzern wirkenden Funktionäre der alten SPD-Garde.

Vergleicht man die Entourage von Adenauer und Brandt, fällt eine weitere Dimension verstärkter Medialisierung ins Auge. Adenauer hatte die Schlüsselpositionen in seiner Kanzlerdemokratie Juristen anvertraut: Globke im Bundeskanzleramt, Hallstein im Auswärtigen Amt, der Staats- und Völkerrechtler Wilhelm Grewe als außenpolitischer Berater. Der Journalist Felix von Eckardt war als Pressesprecher ein seltener bunter Vogel im Regierungskäfig – nicht zufällig tat sich der Kanzler bei der Besetzung dieses Postens besonders schwer. Neben persönlichen Präferenzen Adenauers, der selbst...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2021
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte BRD • Bundesrepublik Deutschland • Einführung • Europa • Europäische Union • Gegenwart • Geschichte • Gesellschaft • Identität • Kalter Krieg • Nachkriegszeit • Politik • Sachbuch • Westdeutschland • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-406-77343-5 / 3406773435
ISBN-13 978-3-406-77343-3 / 9783406773433
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