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Der Hund und sein Mensch (eBook)

Wie der Wolf sich und uns domestizierte
eBook Download: EPUB
2020
208 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-26868-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Hund und sein Mensch - Josef H. Reichholf
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Vom Feind zum Freund: Wie der Hund auf den Menschen kam. Reichholfs spannende Naturkunde für alle, die ihren Hund und sich selbst besser verstehen wollen.
Einst lebte er frei wie der Wolf. Und er war Wolf. Irgendwann jedoch näherte er sich den Menschen. Zehntausend Generationen später war er Hund - und ein besonderes Lebewesen, das uns zum Spiegel wurde.
Unterhaltsam und mit fachlicher Expertise widmet sich Josef Reichholf einer der ältesten Beziehungen der Menschheitsgeschichte, die immerhin fast zehn Millionen Haushalte in Deutschland kennen. Dafür verbindet er persönliche Geschichten mit aktueller Forschung zur Biologie und zur Evolution des Hundes und fördert Erstaunliches zutage - für alle, die ihren Hund und sich selbst ein klein wenig besser verstehen wollen.

Prof. Dr. Josef H. Reichholf, 1945 in Niederbayern geboren, Evolutionsbiologe, war bis April 2010 Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und Professor für Ökologie und Naturschutz an der Technischen Universität München. Er ist Träger der 'Treviranus-Medaille', der höchsten Auszeichnung der Deutschen Biologen, und des Grüter-Preises für Wissenschaftsvermittlung. 2007 wurde er zudem mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet. 2010 wurde sein Bestseller 'Rabenschwarze Intelligenz' als 'Wissenschaftsbuch des Jahres' prämiert. Zuletzt erschienen von ihm Evolution - Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur (2016), der als Wissensbuch des Jahres ausgezeichnete Band 'Symbiosen' und 'Haustiere' (beide 2017 in der Reihe Naturkunden), Schmetterlinge - Warum sie verschwinden und was das für uns bedeutet (2018) sowie Das Leben der Eichhörnchen (2019).

Vorbemerkung


Wie wurde der Wolf zum Hund?

Warum wurde er Haustier?

Was sind die Folgen?

Um diese Fragen geht es hier. Fast immer wurden sie bisher getrennt behandelt. Und nicht selten aus einer sehr selbstbezogen-überheblichen Position heraus beantwortet — so, als ob es ein klares Ziel spätsteinzeitlicher Domestikation gewesen wäre, aus Wölfen Hunde zu machen. Und der Wolf gar nicht anders konnte, als mitzumachen bei seiner Erniedrigung zum Haustier.

Wir neigen dazu, hinter den Geschehnissen Absichten zu vermuten, wenn Menschen beteiligt sind. Formulierungen wie »… um zu …« verraten dies. Unsere eigene Geschichte lehrt allerdings, dass die Folgen aktueller Entscheidungen für die nächste Generation kaum jemals berücksichtigt werden. Der gegenwärtig beklagte Mangel an Bereitschaft, für die Zukunft vorzusorgen, für eine Zeit, die nur wenige Jahrzehnte vor uns liegt, zeigt dies anschaulich. Wie sollten Menschen der Steinzeit also so weit vorausgeplant haben, dass sie die Domestizierung wilder Wölfe begannen, um irgendwann in ferner Zukunft Hunde halten zu können? Nicht sie selbst und ihre Kinder oder Enkel, sondern die Nachkommen viele Generationen später, in einer unvorstellbar fern liegenden Zeit.

Wölfe sind keine Kuscheltiere. Am Beginn ihrer Hundwerdung, wie immer diese verlief, mussten sich die Menschen mit ihnen arrangieren. Und dabei stets fürchten, gebissen zu werden. Bereits leichte Verletzungen durch Hundebisse können Wundstarrkrampf und andere lebensgefährliche Infektionen verursachen. Selbst unter heutigen Bedingungen, mit wirkungsvoller medizinischer Versorgung und umfangreichem verhaltensbiologischem Wissen, ist die Zähmung wilder Wölfe im großen Stil kaum vorstellbar. Zigtausendfach kommen Hundebisse alljährlich in Deutschland vor, millionenfach global. Wolfsgroße Hunde sind kein lebendiges Spielzeug. Wie konnte die Hundwerdung unter den ungleich schwierigeren Bedingungen der fernen Eiszeit zustande kommen, als die Menschen noch als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen umherzogen und über keine Gewehre verfügten, um sich der Wölfe zu erwehren? Und doch haben wir ihn, den Hund, unseren tierisch besten Freund. Wie er wurde, was er ist, das ist eine spannende Geschichte. Sie betrifft uns alle — mit oder ohne Hund.

Ein Findling und ein Polizeihund


Von frühen Erfahrungen hängt viel ab, ob Menschen Hunde mögen oder nicht. In meiner Kindheit und Jugendzeit hatte ich mit zwei ganz unterschiedlichen Hunden zu tun. Ich war noch nicht eingeschult, als wir über eine Tante aus München einen kleinen Hund erhielten. Von der Feuerwehr war er aufgegriffen worden. Unser Häuschen am Rand des Dorfes im niederbayerischen Inntal hatte einen umzäunten Garten. Die Umstände schienen also günstig für den munteren kleinen Schnauzer, der uns gleich begeisterte. Ich war noch zu klein, um genauere Erinnerungen an ihn zu bilden. Umso stärker setzte sich sein jähes Ende in meinem Gedächtnis fest. Das Unheil nahm seinen Lauf, kaum dass wir ihn ein paar Tage bei uns hatten. Lumpi, so nannten wir ihn, war auf Entenjagd dressiert. Unsere Nachbarin hielt gerade eine Schar junger Enten auf einem kleinen Teich neben dem Kuhstall. Wenn sie Hunger hatten, schnatterten die Entlein laut. Das war oft der Fall. Kaum hörte Lumpi die Rufe, suchte oder grub er sich ein Schlupfloch im Zaun, sauste zu den Enten, fasste sich eine und schüttelte sie tot. Schließlich hatte er es so gelernt. Zum Erlegen einer weiteren kam er bei dieser ersten Entenjagd nicht mehr, weil die Bäuerin auf ihn losging und ihn mit lautem Geschrei davonjagte. Lumpi suchte bei uns Zuflucht. So wusste sie sofort, woher das Untier kam.

Von meiner Mutter kassierte sie den Preis, den die fett gewordene Ente ein halbes Jahr später unter günstigsten Umständen vielleicht erzielt hätte. Die tote Jungente behielt sie trotzdem. Auch die nächste und übernächste, die Lumpi in den folgenden Tagen erlegte, bekamen wir nicht. Obwohl wir meinten, alle Schlupflöcher im Zaun gefunden und unpassierbar gemacht zu haben, gelang es ihm auszubrechen, wenn er die Entenrufe hörte. Das Verhältnis zur Nachbarin war zerrüttet. Ich hielt sie für eine alte Hexe, nachdem Lumpi vom Jäger aus dem Dorf erschossen worden war. Der kleine Hund habe ihm leidgetan, sagte er meiner Mutter. Vielleicht wollte er sich dafür entschuldigen, dass das Erschießen so fürchterlich verlaufen war. Nachdem er zunächst nur einen Bauchdurchschuss erzielt hatte, schoss er mit Schrot mehrfach aus nächster Nähe auf den Hund ein. Unsäglich, was dem Kleinen angetan wurde, bloß weil er jenen Impulsen folgte, die ihm andressiert worden waren. Wir begruben ihn im Garten, und ich weinte bitterlich. Die Bäuerin strafte ich fortan mit Verachtung, was ihr ziemlich gleichgültig gewesen sein dürfte. Als sie ein paar Jahre später starb, empfand ich kein Mitleid, sondern kindliche Genugtuung.

Wie unsere Katze damals auf den plötzlichen Tod des Hundes reagierte, weiß ich nicht mehr. Sie hatte ihn die kurze Zeit, die er bei uns lebte, zwar toleriert, aber nach Katzenart umgehend durch ein paar Pfotenschläge mit ausgefahrenen Krallen auf Distanz gehalten. Vagen Erinnerungsbildern zufolge saß sie auf erhöhter Stelle und schaute auf ihn hinab, die Pupillen zusammengekniffen zum Schlitz. Er war zum Spielen aufgelegt und bellte sie an. Das missfiel ihr. Sie sprang direkt vor ihm herunter und schritt, sich nicht weiter um ihn kümmernd, mit hochgerecktem Schwanz davon. Katzen gab es in meiner Kindheit und Jugend immer. Manche legten sich zur bettlägerigen Großmutter und wärmten sie. Meistens hatten wir Kater, aber auch Weibchen, die Junge bekamen. Daher war meine Kinderwelt von Katzen geprägt. Nach dem Desaster mit Lumpi, den im Dorf niemand hatte aufnehmen wollen, weil sein schändliches Tun, stark aufgebauscht (der »Mörderhund«), sogleich die Runde gemacht hatte, gab es in meiner Kindheit und frühen Jugendzeit als Haustiere nur die Katzen. Sie lebten ein sehr selbstständiges Leben, kamen, wenn sie gestreichelt werden wollten, und verschwanden wieder, dass ich sie mitunter tagelang nicht mehr sah. Sie fingen Mäuse, gelegentlich auch Ratten. Einer wurde im Kampf mit einer großen Ratte die Kehle durchgebissen. Die Speiseröhre hing ihr heraus. Ein anderer Nachbar erbarmte sich und tötete sie. Wir wären dazu nicht imstande gewesen. Tierärzte für Kleintiere gab es damals weit und breit nicht, wir hätten uns zudem die gewiss sehr teuere Operation nicht leisten können. Auch diese Katze, die beste Rattenkatze, wie Oma sagte, erhielt im Garten ein Grab. Dass eine andere junge Katze im nächsten Frühjahr drei Kätzchen ins Haus brachte, tröstete mich über den Verlust der Vorgängerin hinweg, die ich sehr gemocht hatte.

Doch dann, gut ein Jahrzehnt nach Lumpi, begann für mich die wunderbare Zeit mit einem riesigen Schäferhund. Direkt neben unserem Häuschen war für Grenzpolizisten ein Vier-Familien-Wohnblock errichtet worden. Die österreichische Grenze war nur einen halben Kilometer vom Dorf entfernt, und auf der deutschen Seite nahm man den Grenzschutz sehr ernst. So ernst, dass die meisten Grenzpolizisten zusammen mit einem ausgebildeten Hund »Streife gehen« mussten. Unregelmäßig zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten selbstverständlich, damit kein System erkennbar wurde. Wir als Anwohner verstanden das nicht, hüben in Bayern wie drüben in Österreich. Die Grenze und mehr noch die Grenzkontrollen hielten wir für völlig überflüssig. Das sah man allerdings in Bonn nicht so, wo die Regierung der Bundesrepublik damals noch saß. Die »Grenzer«, wie sie bei uns genannt wurden, nahmen ihren Dienst durchaus ernst, wenngleich in eher formalem Sinne. Mit der Bevölkerung gerieten sie nicht in Konflikt, weder in Bayern noch in Österreich. Beim sogenannten Innendienst saßen sie ohnehin beisammen in denselben Kontrollstellen an den Grenzübergängen. In dieser gänzlich unproblematischen Lage an der Grenze waren die Streifengänge bei gutem Wetter und vor allem für die Hunde ein Vergnügen. Diese verbrachten ja die übrige Zeit in Zwingern und konnten nichts tun, als sich gegenseitig anzubellen. Das hörten ihre Herren, die am Tag schlafen wollten, natürlich nicht gern, wenn sie von der nächtlichen Tour bei Wind und Wetter zurück waren. Die Hunde sollten sich also zunächst möglichst still und dann aufmerksam verhalten, wenn der Dienstgang begann. Dabei sahen die riesigen...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte auf den hund kommen • auf den Menschen kommen • Biologie • Denis Scheck • der beste Freund des Menschen • der Mensch und sein Hund • Domestikation • Elli Radinger • Evolution • Geburtstagsgeschenk • Geschenk für Hundefreunde • Geschenk für Mutter • Geschenk für Vater • Geschichte des Menschen • Haustier • Hund • Hundebuch • Hunderassen • Katze • Leben der Eichhörnchen • Loriot • Nature writing • #ohnefolie • ohnefolie • Rabenschwarze Intelligenz • Selbstdomestikation • Sigmund Freud Preis • Verhaltensbiologie • Verschwinden von Schmetterling • Weihnachtsgeschenk • Wissenschaft • Wissenschaftsprosa • Wolf • Zähmung • Zoologische Sammlung
ISBN-10 3-446-26868-5 / 3446268685
ISBN-13 978-3-446-26868-5 / 9783446268685
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