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Flucht aus Frankreich 1940 (eBook)

Die Vertreibung deutscher Sozialdemokraten aus dem Exil

(Autor)

Wolfgang Benz (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
154 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-562221-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Flucht aus Frankreich 1940 -  Marianne Loring
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Eine wichtige Quelle zur dramatischen Geschichte des Exils: die Aufzeichnungen der damals 16jährigen Tochter des SPD-Vorstandsmitgliedes Friedrich Stampfer. Im Juni 1940 mußte der 1938 aus Prag nach Paris entkommene Vorstand der Exil-SPD erneut vor den Nazis fliehen. Die Gruppe bestand aus dem Vorsitzenden Hans Vogel, aus Breitscheid und den Vorstandsmitgliedern Geyer, Hilferding, Ollenhauer, Rinner und Weichmann mit ihren Frauen und Kindern, darunter die Autorin. Sie erlebt und beschreibt die spannungsgeladene Flucht dieser Gruppe, stets in Angst vor den Spitzeln der Gestapo und ihren willfährigen Dienern in französischen Behörden. Unter dem psychischen Druck zerbricht schließlich die Gruppe. Die einen erreichen das rettende Exil, die anderen werden von ihren Verfolgern ergriffen, verschleppt, gepeinigt und ermordet. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Marianne Loring (1924-2003) war die Tochter von dem Journalisten und SPD-Politiker Friedrich Stampfer (1874-1957).

Marianne Loring (1924–2003) war die Tochter von dem Journalisten und SPD-Politiker Friedrich Stampfer (1874–1957). Wolfgang Benz, 1941 in Ellwangen/Jagst geboren, Dr. phil., Historiker, war bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte und von 1990 bis 2011 Professor und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Zudem war er Herausgeber der im Fischer Taschenbuch erschienenen Buchreihe »Europäische Geschichte«.

Wolfgang Benz

Fliehen vor Hitler


Einleitende Bemerkungen zum sozialdemokratischen Exil

»Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht«, mit diesen Worten hatte Otto Wels die Haltung der SPD, ihre Verfassungstreue und die Verweigerung gegenüber Hitlers Begehren nach dem Ermächtigungsgesetz besiegelt. »Wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechts«, hatte er am 23. März 1933 unter dem Toben und brüllendem Gelächter der NSDAP-Abgeordneten vor dem Reichstag erklärt und den Anhängern Hitlers zugerufen: »Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.«[1]

Auf Jahre hinaus, bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes, das sich gerade in Deutschland etablierte, war die Rede des SPD-Vorsitzenden Wels das letzte öffentliche Bekenntnis zur Demokratie und das letzte offene Wort des Widerstands gegen die Barbarei in einem deutschen Parlament. Es gehörte bereits viel Mut dazu. Seit dem 28. Februar, an dem der Reichstag brannte, war die seit 30. Januar 1933 amtierende Hitler-Regierung im Besitz von Vollmachten, die die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger beschnitten, die Immunität der Abgeordneten war nicht mehr garantiert, unter dem Beifall ihrer konservativen Bündnispartner waren die Nationalsozialisten dabei, den Rechtsstaat zu demontieren und durch ihre Diktatur zu ersetzen.

Die SPD war bis 1932 die stärkste, dann, nach den sensationellen Erfolgen der NSDAP, die zweitstärkste und vor allem die am besten organisierte Partei in Deutschland. Auch angesichts der Exzesse nach Hitlers Machtübernahme war sie entschlossen, den Weg der Legalität keinen Fingerbreit zu verlassen. Der Parteivorstand ließ sich in dieser Haltung auch nach dem Reichstagsbrand mit seinen Folgen nicht beirren. Die Parteibasis hatte allerdings dafür nicht immer Verständnis. Die SPD verstand sich zur Zeit der Machtübernahme Hitlers als Opposition, die mit aller Schärfe, aber nur mit legalen Mitteln, gegen die Hitler-Regierung und die NSDAP kämpfen wollte. Dazu bestand freilich bald keine Möglichkeit mehr.[2]

Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 hatte die SPD noch 120 Mandate errungen. Am 23. März wurde über das von Hitler verlangte Ermächtigungsgesetz abgestimmt, mit dem sich das Parlament selbst entmachtete, weil es mit mehr als der notwendigen Zweidrittelmehrheit der Reichsregierung die Vollmacht zur Gesetzgebung nach Belieben erteilte. SA und SS hatten das Gebäude der Kroll-Oper abgeriegelt, in dem die Abgeordneten tagten, weil das Reichstagsgebäude ausgebrannt war. Die kommunistischen Abgeordneten konnten schon nicht mehr an der Sitzung teilnehmen. 94 Sozialdemokraten waren noch anwesend, 26 waren bereits verhaftet oder befanden sich auf der Flucht.

Am 10. Mai 1933 wurde auch das Parteivermögen der SPD beschlagnahmt, soweit es nicht ins Ausland gerettet worden war. Am 22. Juni erging das Verbot jeglicher politischer Tätigkeit, gleichzeitig erloschen alle Mandate der SPD im Reichstag und in den Länderparlamenten. Viele sozialdemokratische Funktionäre wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Das Umfeld der SPD, von den Arbeiterbildungsvereinen bis zur Arbeitersportbewegung und allen voran natürlich das »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold« als Kampforganisation für Demokratie und Rechtsstaat, waren bereits dem Druck des nationalsozialistischen Terrors erlegen.[3]

Der SPD-Vorstand hatte zuletzt auf eine Doppelstrategie gesetzt. Gestützt auf die Parlamentsmandate wollte die Partei politisch aktiv und präsent bleiben; gleichzeitig baute sie ab Frühjahr 1933 in Prag eine Auslandszentrale auf, von der aus die illegale Weiterarbeit im Deutschen Reich geleitet werden sollte. Diese Strategie der SPD war nicht unumstritten. Abgesehen davon, daß ein Teil der Parteibasis für offenen Widerstand plädierte und nicht kampflos vor dem Nationalsozialismus kapitulieren wollte, kam es im Mai 1933 zum Konflikt zwischen der Vorstandsmehrheit im Exil und einer Gruppe um den früheren Reichstagspräsidenten Paul Löbe, die darauf setzte, durch legale Opposition dem nationalsozialistischen Terror begegnen zu können. Diese Illusion war freilich schnell verflogen. Nach dem Überfall der Nationalsozialisten auf die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 beschloß der Parteivorstand in Erwartung eines Schlages gegen die SPD die Ausreise seiner drei Mitglieder Otto Wels, Siegmund Crummenerl und Friedrich Stampfer. Wenig später folgten ihnen Hans Vogel, Erich Ollenhauer und Paul Hertz. Andere Prominente – Otto Braun und Albert Grzesinski, Philipp Scheidemann, Rudolf Breitscheid und Rudolf Hilferding – waren bereits emigriert.

Nach dem Verbot im Juni 1933 verblieb der SPD dann nur noch der Exilparteivorstand in Prag. Um den Einfluß in Deutschland nicht zu verlieren, wurde das Parteiorgan in Prag weiterpubliziert und hieß jetzt »Neuer Vorwärts«. Grenzsekretariate wurden rings um Deutschland eingerichtet. Kuriere brachten dorthin Nachrichten und Berichte aus Deutschland über die soziale Lage der Arbeiterschaft sowie über die Einstellung der Bevölkerung zum Regime. Sie transportierten von diesen Stellen aus Flugschriften und anderes Propagandamaterial ins Reich. Mit Erlebnisberichten und einer Dokumentation über die Konzentrationslager, in denen zu diesem Zeitpunkt schon 50000 Menschen gefangengehalten wurden, versuchte die Exil-SPD bereits 1934, die Nachbarstaaten auf den Terror der Nationalsozialisten aufmerksam zu machen.

Die SPD im Exil sah eine ihrer Aufgaben darin, »der Welt die Wahrheit zu sagen«[4] und vor der Expansion der nationalsozialistischen Diktatur zu warnen. Eine andere bestand in der Information der Genossen in Deutschland und der Stärkung ihres Widerstandswillens. Im Exil firmierte die Partei unter der Bezeichnung Sopade, die ebenso für Neuanfang stand wie für das Bewahren der Tradition der demokratischen Arbeiterbewegung Deutschlands.[5]

Die SPD-Führer im Prager Exil arbeiteten seit Herbst 1933 an einer Programmschrift, um ihrer Opposition gegen die nationalsozialistischen Machthaber ein Ziel zu geben und die theoretische Position der SPD zu klären. Ende Januar 1934 wurde das »Prager Manifest« veröffentlicht. Darin hieß es, die Wiedereroberung demokratischer Rechte sei eine »Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich zu machen«. Der »Kampf um die Demokratie« erweitere sich zum »Kampf um die völlige Niederringung der nationalsozialistischen Staatsmacht«.[6]

Die Verfasser des »Prager Manifests«, Rudolf Hilferding, Friedrich Stampfer, Curt Geyer, hatten über die Sofortmaßnahmen nach der Beseitigung des Nationalsozialismus hinaus die Vision eines erneuerten demokratischen Staates und einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. Die im Januar 1934 verabschiedete Programmschrift schloß mit dem Aufruf an die deutsche Arbeiterschaft, die »Ketten der Knechtschaft« abzuschütteln. Im Deutschen Reich wurde das »Prager Manifest« unter dem Tarntitel »Die Kunst des Selbstrasierens« verbreitet.

Vor dem Einmarsch deutscher Truppen, mit dem im Frühjahr 1939 die Zerschlagung der Tschechoslowakei besiegelt wurde, floh der sozialdemokratische Parteivorstand nach Paris. Die Regierung in Prag war wegen ihrer Haltung gegenüber den deutschen Emigranten und deren politischen Aktivitäten von Berlin aus zunehmend unter Druck geraten.[7] Deshalb zogen die deutschen Sozialdemokraten Anfang des Jahres 1938 nach Paris. Ein Jahr später, kurz vor der Besetzung der französischen Hauptstadt durch deutsche Truppen am 14. Juli 1940 waren sie wieder auf der Flucht. Darüber wird in diesem Buch berichtet.

Die Personen des Dramas, in das die Flucht nach Südfrankreich und weiter durch Spanien und Portugal ausartete, bildeten die großen Namen des demokratischen Sozialismus der Weimarer Republik. Otto Wels war nicht mehr unter ihnen. Am 16. September 1939 war er, 66jährig, nach längerer Krankheit in Paris gestorben. Seine Witwe Toni gehörte zum Troß der Flüchtlinge, sie war damals 65 Jahre alt und auch nicht mehr bei guter Gesundheit.

Die bedeutendste und neben Breitscheid die andere tragische Figur dieser Geschichte ist Rudolf Hilferding, geboren 1877 in Wien, gestorben unter nicht geklärten Umständen im Pariser Gefängnis La Santé im Februar 1941. Ursprünglich Arzt, war er einer der bedeutendsten marxistischen Theoretiker; sein Buch »Das Finanzkapital«, erschienen 1910, machte ihn zur Autorität schlechthin, seine These vom »organisierten Kapitalismus« und das daraus resultierende Postulat der Wirtschaftsdemokratie war ab Mitte der...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2018
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Biographie • Flucht • Frankreich • Friedrich Stampfer • Nationalsozialismus • Prag • SPD • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-562221-7 / 3105622217
ISBN-13 978-3-10-562221-6 / 9783105622216
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