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Illusion Freiheit? (eBook)

Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560310-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Illusion Freiheit? -  Michael Pauen
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Kein freier Wille? Warum die Neurowissenschaften unser Menschenbild nicht umstürzen. Michael Pauen entwickelt eine Konzeption von Willensfreiheit, die grundlegenden Intuitionen unseres Selbstverständnisses entspricht und die Erkenntnisse der Hirnforschung berücksichtigt. Außerdem bietet sie wichtige Ansatzpunkte für eine genauere Klärung von Schuld und Verantwortung im juristischen Sinne. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Michael Pauen, geboren 1956, studierte Philosophie in Marburg, Frankfurt am Main und Hamburg. Nach der Habilitation 1995 war er Professor für Philosophie an der Universität Magdeburg und lehrt nun am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch Sprecher der Berlin School of Mind and Brain ist. Im S. Fischer Verlag hat er veröffentlicht ?Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung? (2004), ?Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung? (2005) sowie zuletzt gemeinsam mit Harald Welzer ?Autonomie. Eine Verteidigung? (2015).

Michael Pauen, geboren 1956, studierte Philosophie in Marburg, Frankfurt am Main und Hamburg. Nach der Habilitation 1995 war er Professor für Philosophie an der Universität Magdeburg und lehrt nun am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch Sprecher der Berlin School of Mind and Brain ist. Im S. Fischer Verlag hat er veröffentlicht ›Illusion Freiheit? Mögliche und unmögliche Konsequenzen der Hirnforschung‹ (2004), ›Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung‹ (2005) sowie zuletzt gemeinsam mit Harald Welzer ›Autonomie. Eine Verteidigung‹ (2015).

Freiheit als Selbstbestimmung


Das alles hört sich sehr schön an – doch wenn unsere vorwissenschaftlichen Intuitionen wirklich so unklar und widersprüchlich sind – wie soll die Philosophie dann aus ihnen ein kohärentes Modell hervorzaubern? Stellen sich hier nicht hinterrücks wieder eben jene Willkür und Beliebigkeit ein, die man durch den Rückgriff auf unsere vorwissenschaftlichen Vorstellungen loszuwerden meinte?

Das Problem rührt an den Nerv jeder philosophischen Analyse der Willensfreiheit. Eine Analyse, der es nicht gelingt, die Beliebigkeit unserer vorwissenschaftlichen Vorstellungen von Freiheit zu überwinden, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Tatsächlich gibt es hier jedoch einen Ausweg. Während es nämlich sehr schwierig sein dürfte, sich auch nur auf ein unstrittiges positives Beispiel für eine wirklich freie Handlung zu einigen, wird man ohne größere Probleme einen Konsens darüber herstellen können, was freie Handlungen nicht sind. Eine Lösung der oben skizzierten Schwierigkeiten wäre dann möglich, wenn man aus diesen negativen Intuitionen ein hinreichend anspruchsvolles Modell freier Handlungen entwickeln könnte.

Sichtbar werden diese »negativen« Intuitionen daran, dass man freie Handlungen nach zwei Seiten hin abgrenzen muss. Zum einen unterscheiden wir freie Handlungen von erzwungenen Geschehnissen. Eine Handlung, die unter Zwang zustande kommt, würden wir sicher nicht als frei bezeichnen – genau dies ergibt sich ja auch aus den Überlegungen, die zu Beginn dieser Einleitung angestellt wurden.

Freie Handlungen müssen jedoch zweitens auch gegenüber einem anderen Typ von Geschehnissen abgegrenzt werden. Auch zufällige Geschehnisse würden wir niemals als freie Handlungen bezeichnen. Der entscheidende Unterschied scheint darin zu bestehen, dass sich freie Handlungen anders als zufällige Geschehnisse einer Person zuschreiben lassen. Diese Zuschreibung ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil wir Personen für freie Handlungen im Positiven wie im Negativen verantwortlich machen: Wir loben und wir tadeln, wir belohnen, und wenn es sein muss, dann bestrafen wir auch. Doch wie sollten wir eine Person für eine Handlung zur Verantwortung ziehen, die gar nicht von ihr abhing, sondern rein zufällig zustande kam?

Offenbar handelt es sich hier um Minimalbedingungen, denen jede Konzeption von Freiheit gerecht werden muss. Jede Theorie der Willensfreiheit, unabhängig davon, wie anspruchsvoll oder anspruchslos sie ansonsten sein mag, muss imstande sein, Freiheit von Zwang und von Zufall abzugrenzen.

Man kann diesen Bedingungen sehr leicht gerecht werden, indem man Freiheit in »Selbstbestimmung« übersetzt. Zu sagen, dass eine Handlung selbstbestimmt ist, impliziert einfach, dass die Handlung nicht erzwungen ist – dann wäre sie nämlich nicht selbst-, sondern fremdbestimmt. Die Abgrenzung gegen Zwang ergibt sich also fast automatisch. Dasselbe gilt für die Unterscheidung der Freiheit vom Zufall: Wir würden eine Handlung nicht selbstbestimmt nennen, wenn sie das Produkt eines Zufalls wäre. Selbstbestimmung heißt trivialerweise, dass der Handelnde selbst und nicht etwa der Zufall bestimmt, was passiert. Wenn Sie also selbst der festen Überzeugung sind, dass Diebstahl verwerflich ist, und wenn Sie aufgrund dieser Überzeugung die Waren in Ihrem Einkaufskorb an der Kasse bezahlen, dann handeln Sie damit aller Wahrscheinlichkeit nach selbstbestimmt und damit frei.

Zwei Folgerungen

Zwei Konsequenzen aus einer solchen »Übersetzung« erscheinen mir besonders wichtig: Erstens werden damit gravierende Zweifel an der Unvereinbarkeit von Freiheit und Determination aufgeworfen. Selbstbestimmung impliziert nicht nur Autonomie gegenüber externen Einflüssen, sondern auch die Abhängigkeit der Handlung von ihrem Urheber – nur so können wir den Akteur für sein Tun verantwortlich machen. Dann aber kann freies Handeln nicht mehr einfach unbedingtes Handeln sein, wie es in einer determinierten Welt in der Tat nicht möglich ist. Handlungen, die nicht durch die Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisse ihres Urhebers bestimmt sind, können offenbar auch keine selbstbestimmten Handlungen sein. Insofern wäre es verfehlt zu erwarten, Freiheit und Selbstbestimmung ließen sich steigern, indem man die Abhängigkeit einer Handlung von ihrem Urheber lockert oder gar aufhebt. Das Gegenteil ist der Fall: Zwar muss die Handlung nicht in einem strikten Sinne durch den Handelnden determiniert werden, doch wenn Freiheit wirklich Selbst-Bestimmung ist, dann kann die Aufhebung jeglicher Abhängigkeit der Handlung vom Handelnden den Freiheitsspielraum nicht erweitern, vielmehr stellt sie die Fähigkeit einer Person in Frage, ihr Handeln selbst zu bestimmen: Ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung würde eingeschränkt, wenn ein Zufall dazu führte, dass Sie entgegen Ihrer Überzeugung doch einen Diebstahl begehen würden.

Insofern sind die eingangs skizzierten Beispiele auch in einem gewissen Sinne einseitig: Sie werden nur einer der beiden Minimalbedingungen gerecht, nämlich der Autonomie freier Handlungen gegenüber Zwang und äußeren Einflüssen. Natürlich kann eine Person aus ihrer subjektiven Perspektive den Eindruck haben, sie entscheide sich gegen eigene Wünsche und Bedürfnisse. Doch wenn es sich hier nicht um bloße Zufallsprodukte, sondern um selbstbestimmte Entscheidungen handeln soll, dann muss die Person andere Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisse haben, die sie dazu veranlassen, eine solche Entscheidung zu treffen. Diese müssen der Person nicht in jedem Falle bewusst sein; insofern kann aus der Perspektive der ersten Person sehr wohl der Eindruck der Grundlosigkeit entstehen.

Unbedingtes, voraussetzungsloses Handeln, unabhängig von allen eigenen Überzeugungen und Bedürfnissen, ist keine Freiheit, sondern gleicht der grundlosen Beliebigkeit eines Münzwurfs. Wenn ein Ereignis nicht bestimmt ist, dann kann es auch nicht durch die Person bestimmt sein; dies gilt für Handlungen ebenso wie für Entscheidungen. Undeterminierte Ereignisse lassen sich nicht beeinflussen, ganz gleich wo sie auftreten.

Eine der zentralen Thesen, für die ich in diesem Buch argumentieren werde, lautet daher, dass die erste der beiden oben genannten Annahmen falsch ist: Entgegen dieser Annahme ist Freiheit auch in einer determinierten Welt möglich. Solange man Freiheit als Selbstbestimmung versteht und sich dabei an den beiden genannten Bedingungen orientiert, also der Abgrenzung gegen Zwang und der Abgrenzung gegen Zufall, kommt es nicht darauf an, ob eine Handlung determiniert ist, entscheidend ist vielmehr, wodurch sie bestimmt wird: Ist sie durch den Handelnden selbst bestimmt, dann ist sie eben selbstbestimmt und damit frei; hängt sie dagegen von äußeren Einflüssen oder von Zufällen ab, dann ist sie nicht selbstbestimmt und daher auch nicht frei.

 

Doch wie steht es mit der zweiten Annahme: Kann man allen Ernstes behaupten, dass man in einer determinierten Welt anders hätte handeln können, als man tatsächlich gehandelt hat? Man kann! Dies zeigt die zweite wichtige Folgerung, die man aus der Übersetzung von Freiheit in Selbstbestimmung ableiten kann. Notwendig ist auch hier wieder eine Verständigung darüber, was es eigentlich heißt, dass jemand anders hätte handeln können. Erst wenn man die entscheidenden Bedingungen geklärt hat, kann man feststellen, ob sie in einer determinierten Welt erfüllt werden können oder nicht.

Einen ersten Hinweis bietet schon unsere Alltagssprache. Tatsächlich reden wir häufig davon, dass jemand etwas hätte tun können, auch wenn es eindeutig determiniert war, dass er es nicht tun würde. Wir sagen z.B. von einem besonders ausdauernden Läufer, dass er noch viel länger hätte laufen können, auch wenn von vornherein feststand, dass der Lauf nur über eine bestimmte Distanz gehen und daher zu dem fraglichen Zeitpunkt beendet sein würde.

Natürlich benötigen wir in der philosophischen Diskussion über die Willensfreiheit nicht nur genauere, sondern auch strengere Kriterien als im alltäglichen Sprachgebrauch. Zumindest ein Kriterium wird sich jedoch als unzutreffend erweisen: Es ist weder erforderlich noch sinnvoll, aus der Forderung nach alternativen Handlungsmöglichkeiten abzuleiten, dass unter identischen Bedingungen und damit unabhängig von den Bedürfnissen, Wünschen und Überzeugungen der Handelnden sowohl die eine als auch die andere Option möglich sein muss. In diesem Falle hinge es offenbar nicht mehr von der Handelnden ab, welche Option realisiert wird, vielmehr wäre dies eine Sache des Zufalls. Doch dann wird man nicht mehr davon sprechen können, dass hier eine Person anders hätte handeln können; man könnte nur noch sagen, dass zufällig etwas anderes hätte passieren können.

Die Übersetzung von Freiheit in Selbstbestimmung liefert eine wesentlich sinnvollere Interpretation der Forderung nach alternativen Handlungsmöglichkeiten. Wenn eine Handlung nämlich wirklich von dem Handelnden abhängig ist, dann ist es berechtigt, vor der Handlung zu sagen, dass es an dem Akteur liegt, ob er die Waren stiehlt oder bezahlt. Und dies bedeutet nichts anderes, als dass der Handelnde sowohl stehlen als auch bezahlen kann. Dann aber kann man nach dem Vollzug der Handlung noch sagen, dass er die Waren hätte stehlen können, auch wenn er sie faktisch bezahlt hat.

Entgegen dem ersten Eindruck kann man also offenbar auch in einer determinierten Welt davon sprechen, dass eine Person anders hätte handeln können, als sie faktisch gehandelt hat. Dies liegt nicht daran,...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2015
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Akteurskausalität • Benjamin Libet • Bereitschaftspotential • Daniel Wegner • Determination • Entscheidungsfreiheit • Freiheitsbegriff • Freiheitsdiskussion • Harry G. Frankfurt • Hirnforschung • Intuition • Karola Winter • Kompatibilismus • Konsequenz • Minimalkonzeption • Präferenz • Robert Kane • Roderick Chisholm • Sachbuch • Selbstbestimmung • Transferprinzip • Urheberschaft • Wille • Willensakte • Willensfreiheit • Zwischenbilanz
ISBN-10 3-10-560310-7 / 3105603107
ISBN-13 978-3-10-560310-9 / 9783105603109
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