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Tribale Kriege

Konflikte in Gesellschaften ohne Zentralgewalt

(Autor)

Buch | Softcover
672 Seiten
2006
Campus (Verlag)
978-3-593-38225-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tribale Kriege - Jürg Helbling
CHF 89,95 inkl. MwSt
Kriege in maroden Staaten
Im Unterschied zu Kriegen zwischen Staaten und zu Bürgerkriegen werden tribale Kriege zwischen Dorfgemeinschaften ausgetragen, die noch nicht oder nicht mehr von einer staatlichen Zentralgewalt kontrolliert werden. Anhand von Beispielen unter anderem aus Neuguinea, Amazonien und Ostafrika untersucht Jürg Helbling die Verlaufsformen und Ursachen dieser Kriege. Wird Krieg durch angeborene Aggressivität des Menschen, durch kulturelle Faktoren oder durch Erziehung verursacht? Steckt die Konkurrenz um knappe Ressourcen dahinter oder werden Kriege von politisch ambitionierten Führern angezettelt? Helbling entwickelt eine alternative Theorie des tribalen Krieges, die von Theorien der internationalen Beziehungen und der Spieltheorie inspiriert ist.

Jürg Helbling ist Professor für Ethnologie an der Universität Zürich.

Inhalt

Vorwort 13

Einleitung 15

1 Kriege in Gesellschaften ohne Zentralgewalt 15
2 Krieg und Frieden in der Ethnologie 21
3 Zugang und Übersicht 28
4 Aufbau des Buches 31
I Das Phänomen des Krieges 33
1 Krieg und Frieden: Konzepte 34
1.1 Krieg, Gewalt, Fehde und Konflikt 34
1.1.1 Krieg 34
1.1.2 Gewalt und Fehde 37
1.1.3 Konflikt und Krieg 45
1.2 »Primitiver« und »zivilisierter« Krieg 47
1.2.1 »Militärischer Horizont« 48
1.2.2 Merkmale des »primitiven Krieges« 51
1.3 Frieden, Gewaltlosigkeit und Pazifizierung 68
1.3.1 Zwei Konzepte von Frieden 68
1.3.2 Pazifizierungsprozesse 71
2 Kriege und Gesellschaftstypen 74
2.1 Wildbeutergesellschaften 77
2.1.1 Was sind Wildbeuter? 77
2.1.2 Gewalt zwischen Individuen 81
2.1.3 Gibt es Kriege in Wildbeutergesellschaften? 86
2.1.4 Ursachen für das Fehlen von Krieg 106
2.1.5 Archäologische Evidenzen 111
2.2 Tribale Gesellschaften 116
2.2.1 Phänomenologie des tribalen Krieges 124
2.2.2 Archäologische Evidenzen 126
2.3 Aristokratische Staaten 133
2.4 Industriegesellschaften 136
2.5 Koloniale Expansion 139
2.6 Kriegshäufigkeit und Kriegsmortalität 143
2.7 Fazit: Krieg in unterschiedlichen Gesellschaftstypen 149
II Theorien des tribalen Krieges 151
1 Krieg und Natur 154
1.1 Humanethologie 154
1.1.1 Aggression und Aggressionshemmung 155
1.1.2 Gruppeninterne Aggression und Krieg 157
1.1.3 Universalität des Krieges 160
1.1.4 Möglichkeit von Frieden 164
11.5 Fazit: Humanethologie 164
1.2 Soziobiologie 167
1.2.1 Krieg und Kooperation 168
1.2.2 Soziobiologische Theorien des Krieges 170
1.2.3 Knappe Wildbestände bei den Mundurucú 173
1.2.4 Knappe Frauen bei den Yanomami 176
1.2.5 Fortpflanzungserfolg und Krieg bei den Waorani 188
1.2.6 Gewalt bei Wildbeutern 190
1.2.7 Fazit: Krieg und Biologie 192
1.3 Psychologie 196
1.3.1 Frustration und Aggression 197
1.3.2 Psychoanalyse und Krieg 200
1.3.3 Fazit: Krieg und Psychologie 202
2 Krieg und Ökonomie 204
2.1 Krieg und Gleichgewicht des Ökosystems 205
2.1.1 Krieg und lokales Ökosystem bei den Maring 206
2.1.2 Krieg und regionales Ökosystem bei den Maring 216
2.2 Bevölkerungsdichte, Landknappheit und Krieg 221
2.2.1 Landknappheit und Krieg bei den Mai Enga 222
2.2.2 Gegenargumente 226
2.3 Kriege in Gesellschaften mit niedriger Bevölkerungsdichte 233
2.3.1 Krieg um knappes Land bei den Iban 233
2.3.2 Kriege und die Furcht vor Umweltdesastern 241
2.3.3 Siedlungsdichte, Konflikt- und Bedrohungspotenzial 244
2.4 Konkurrenz um Jagdreviere und Weideland 246
2.4.1 Krieg um knappe Wildbestände bei den Yanomami 246
2.4.2 Krieg um Vieh und Weiden bei den Nuer 259
2.5 Fazit: Ökonomie und Krieg 265
3 Krieg und Geschichte 267
3.1 Krieg in der tribalen Zone 268
3.1.1 Krieg um knappe Importwaren bei den Yanomami 269
3.1.2 Archäologische und ethnohistorische
Gegenargumente
277
3.2 Modalitäten der staatlichen Expansion in Stammesgebiete 279
3.2.1 Unbeaufsichtigte Grenzregion 279
3.2.2 Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols 281
3.3 Modalitäten des Krieges in der tribalen Zone 282
3.3.1 Allianzen und indigene Hilfstruppen 283
3.3.2 Ungleicher Zugang zu Handelsgütern 285
3.3.3 Rebellion und Widerstand 287
3.3.4 Demographische Einbrüche 289
3.3.5 Migrationen und Verdrängungsprozesse 290
3.3.6 Pazifizierung und Ausweitung der staatlichen
Kontrolle 292
3.4 Fazit: Krieg und Geschichte 294
4 Krieg und Kultur 295
4.1 Handlungsideale, Normen und kognitive Modelle 299
4.1.1 Freund- und Feindbilder 301
4.1.2 Modalitäten der Sozialisierung 303
4.1.3 Kopfjagd und Kopftrophäen bei den Iban 307
4.1.4 Waorani und Semai, Krieg und Frieden 311
4.2 Handlungsnormen und strategisches Handeln 317
4.2.1 Verpflichtung zu Rache und Vergeltung 319
4.2.2 Kriegsrituale und militärische Ausbildung 324
4.3 Handlungsnormen und Präferenzen 327
4.3.1 Werte und Handlungsnormen 328
4.3.2 Präferenzen und Einstellungen 330
4.4 Fazit: Krieg und Kultur 334
5 Krieg und Gruppenstruktur 336
5.1 Krieg und Souveränität von Lokalgruppen 336
5.1.1 »Krieg gegen den Staat« 337
5.1.2 Krieg und Gruppenkohäsion 339
5.1.3 Statistischer Gesellschaftsvergleich 343
5.2 Gruppenelite und Krieg 346
5.2.1 Lokale Anführer und Krieg 346
5.2.2 Big-men und Great-men 350
5.2.3 Exkurs: Geschlechterbeziehungen und Krieg 365
5.2.4 Krieg und Demokratie 368
5.3 »Fraternal interest groups« und konfligierende Loyalitäten 372
5.3.1 Fraternal interest groups und Krieg 373
5.3.2 Fraternal interest groups und ihre ökonomische
Basis 378
5.3.3 Strukturell bedingte Loyalitätskonflikte 382
5.4 Fazit: Krieg und Gruppenstruktur 385
6 Krieg und anarchisches System 386
6.1 Formen der Konfliktregelung 386
6.1.1 Konfliktregelung bei den Yali 388
6.1.2 Friedliche Konfliktregelung in tribalen
Gesellschaften? 392
6.2 Hobbes und die Theorie des tribalen Krieges 395
6.2.1 Naturzustand als permanenter Kriegszustand 395
6.2.2 Rousseau und der Naturzustand 413
6.2.3 Hobbes und Rousseau 419
6.2.4 Kant und der Weltfrieden 421
6.2.5 Einwände gegen Hobbes 424
6.3 Krieg und Tausch 427
6.3.1 Big-men und Gabentausch bei den Mai Enga 430
6.3.2 Tausch und Allianz 440
6.3.3 Handel und Krieg 444
6.4 Fazit: Theorien des tribalen Krieges 446
III Krieg als strategische Interaktion
autonomer Lokalgruppen 449
1 Strukturelle Bedingungen des Krieges 452
1.1 Fehlen einer übergeordneten Sanktionsgewalt 452
1.2 Abhängigkeit der Lokalgruppen von lokal
konzentrierten Ressourcen 456
2 Krieg und die Dilemmas strategischer Interaktion 461
2.1 Krieg als Resultat eines Gefangenendilemmas 464
2.1.1 Einfaches Gefangenendilemmaspiel 464
2.1.2 Iteriertes Gefangenendilemmaspiel 467
2.1.3 Kulturelle Faktoren 474
2.2 Krieg als Resultat eines Sicherheitsdilemmas 478
3 Krieg und Lokalgruppen 483
3.1 Grösse und Siedlungsform 485
3.2 Führung und Solidarität 488
3.2.1 Lokale Führung 488
3.2.2 Solidarität und Sozialorganisation 490
3.3 Wachstum und Spaltung 493
4 Krieg und Allianzen 499
4.1 Die Relevanz von Allianzen 499
4.2 Die Logik der Allianzbildung 502
4.2.1 Allianzen zwischen gleich starken Gruppen 503
4.2.2 Allianzen zwischen ungleich starken Gruppen 505
4.3 Allianzen und vorgängige Beziehungen 509
4.4 Allianzen als Verhandlungsspiele 515
5 Gründe für konkrete Kriege 522
5.1 Eskalation und Deeskalation 525
5.2 Gruppeninterne Entscheidungsprozesse 532
5.3 Kriegsziele, Kriegsgründe 537
5.3.1 Rachepflicht und Prestige 539
5.3.2 Ungleichverteilung ökonomischer Ressourcen 544
6 Variablen der Kriegshäufigkeit 551
6.1 Angrenzung und Siedlungsdichte 552
6.1.1 Territoriale Angrenzung 553
6.1.2 Soziale Begrenzung 555
6.1.3 Yanomami und Mai Enga im Vergleich 557
6.2 Militärische Kräfteverhältnisse zwischen Lokalgruppen 560
6.2.1 Kräfteverhältnisse und Kräfteverschiebungen 560
6.2.2 Verteidiger und Herausforderer des Status quo 569
6.2.3 Relative Gewichtung von Offensive und Defensive 571
6.2.4 Zwischenbilanz: Kriegswahrscheinlichkeit in
tribalen Gesellschaften 576
6.2.5 Krieg und Allianz bei den Maring 578
6.3 Einschätzungen und Risikobereitschaft 586
6.3.1 Entscheide über Krieg und Frieden 587
6.3.2 Kriege der Namowei-teri zwischen 1943 und 1951 590
6.4 Fazit: Variablen der Häufigkeit tribaler Kriege 594
IV Die Logik des tribalen Krieges 597
1 Strukturen und Akteurstrategien in einem permanenten
Kriegszustand 599
2 Aufrüstung von Lokalgruppen und Formierung
von Allianzen 601
3 Kriegswahrscheinlichkeit 603
4 Ausblick 607
Literatur 611

"Wer sich über das Thema Krieg informieren will, kommt an dem Buch von Jürg Helbling, Professor für Ethnologie an der Universität Luzern, nicht vorbei. Die Lektüre des gut geschriebenen, in weiten Teilen geradezu spannend zu lesenden Buch ist ein Muss." Gert Scobel, 3sat "Scobel", 12.11.2015

"Wer sich über das Thema Krieg informieren will, kommt an dem Buch von Jürg Helbling, Professor für Ethnologie an der Universität Luzern, nicht vorbei. Die Lektüre des gut geschriebenen, in weiten Teilen geradezu spannend zu lesenden Buch ist ein Muss." Gert Scobel, 3sat "Scobel", 12.11.2015

Obwohl wir über eine grosse Zahl historischer Daten zum tribalen Krieg verfügen und in den meisten Fällen die ethnographischen Daten zum Thema schon 30 Jahre zurückreichen, sind tribale Kriege nicht Vergangenheit, sondern wie Bürgerkriege und zwischenstaatliche Kriege weiterhin Bestandteil der heutigen Welt. Lizot (1989) und Tierney (2000) berichten, dass die Kriege bei den Yanomami in Amazonien auch während der späten 1990er-Jahre unvermindert weitergingen. Im Hochland von Neuguinea sind sie – nach einer 20- jährigen Periode des Friedens – seit den 1970er-Jahren an vielen Orten wieder aufgeflackert. In der philippinischen Cordillera wird heute – nach einer Schwächung der staatlichen Präsenz in der Region – selbst Kopfjagd wieder praktiziert, wie ein Blick in die einschlägige Tagespresse zeigt. In Ostafrika gehen im Kontext diverser Bürgerkriege und einer generellen Schwächung der Staatsgewalt auch Kriege zwischen Koalitionen von Lokalgruppen von Viehzüchternomaden weiter. Weitere Beispiele für tribale Kriege in der Gegenwart könnten angeführt werden. Tribale Kriege sind zwar keine »modernen Kriege« wie konventionelle Kriege zwischen Staaten oder Bürgerkriege; aber es sind dennoch Kriege, die in der Jetztzeit der politischen Staatenwelt und des wirtschaftlichen Weltsystems stattfinden. Die regionalen, nationalen und globalen Kontexte, in denen sie stattfinden, wirken auf indigene Kriege zurück und prägen ihren Charakter mit. Dass tribale Gesellschaften robust sind und sich weder durch das expandierende Weltsystem noch durch die Modernisierungsprozesse in Entwicklungsländern zum Verschwinden bringen liessen, hat jüngst Sahlins (1999) gezeigt. Indigene Bevölkerungsgruppen von heute sind weder sozial desintegriert noch kulturell gleichgeschaltet; vielmehr reagieren sie auf vielfältige Weise auf sich verändernde, äussere Bedingungen, passen sich selektiv an und übernehmen Güter und Ideen, die für sie von Nutzen sind, leisten gegen nachteilige Entwicklungen hingegen Widerstand und leben über weite Strecken »ihr Leben«, wie Sahlins schreibt. Tribale Kriege sind demnach zeitgenössische Kriege, Phänomene der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die genauso zum heutigen Weltsystem gehören wie »High-tech«-Kriege, Guerillakämpfe, Bürgerkriege, Volksaufstände, Militärputsche und Flüchtlingsbewegungen. Zwar sind tribale Kriege nicht mehr »traditionelle Kriege«, doch diese Kriege waren auch in früheren Zeiten nie »traditionell«; und tribale Bevölkerungsgruppen von heute leben nicht mehr im »ursprünglichen Zustand«, doch ist dieser »ursprüngliche Zustand« ohnehin eine ahistorische Konstruktion. Vielmehr haben Akteure, Gründe, Modalitäten, Konstellationen und Kontexte tribaler Kriege im Verlauf der Zeit variiert. Tribale Kriege haben sich wie die regionalen, nationalen und globalen Kontexte, in denen sie ausgetragen werden, im Verlauf ihrer Geschichte ständig verändert, wie unter anderen Ferguson/ Whitehead (1992) gezeigt haben.6 Es besteht somit eine grosse Variation von tribalen Gesellschaften und Kriegen, wie das auch in staatlichen Gesellschaften und ihren Kriegen der Fall ist. Die Berücksichtigung der historischen Veränderungen jener regionalen Kontexte, in denen tribale Kriege ausgefochten wurden, ist kein Hinweis auf die Antiquiertheit des Gegenstandes, sondern lediglich Resultat der Einsicht, dass jede sozialwissenschaftliche Erklärung immer auch historisch sein muss (Spiro 1967 in Robarchek/Robarchek 1992:196). Erst durch Analyse der historischen Veränderungen und Modifikationen von Krieg werden Muster und Logik des tribalen Krieges sichtbar. Nur durch Berücksichtigung der regionalen Kontexte und historischen Dimension tribaler Kriege lässt sich die Zeitlosigkeit des ethnographischen Präsens überwinden; nur auf diese Weise entpuppen sich allgemeine Aussagen zum Krieg als Beschreibung von Varianten. Nur auf diese Weise ist eine auf Gesellscha

Erscheint lt. Verlag 6.11.2006
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 142 x 215 mm
Gewicht 910 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Ethnologie Völkerkunde (Naturvölker)
Schlagworte Amazonien • Frieden • Gewalt • HC/Ethnologie/Völkerkunde • Hobbes, Thomas • Konflikt • Krieg • Kriegführung • Neuguinea • Ostafrika • Stammesgesellschaft • Stammeskrieg • Thomas Hobbes
ISBN-10 3-593-38225-3 / 3593382253
ISBN-13 978-3-593-38225-8 / 9783593382258
Zustand Neuware
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