Krieg, Konflikt und Soziale Arbeit (eBook)
568 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8527-3 (ISBN)
Caroline Schmitt, Prof.in Dr.in habil., Dipl. Päd., ist Professorin für Ecosocial Work and Care an der Frankfurt University of Applied Sciences und freiberufliche Diversity-Trainerin. Kontakt: https://www.caroline-schmitt.eu/ Ronald Lutz, Jg. 1951, Dr. phil., ist Professor für die »Soziologie besonderer Lebenslagen« an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Erfurt (University of Applied Sciences).
Frieden und Soziale Arbeit
Eine Einleitung in den Band
Caroline Schmitt, Karsten Kiewitt, Tanja Kleibl und
Ronald Lutz
1.Weckrufe
Der Wunsch und die Sehnsucht nach Frieden sind so alt wie die Menschheit. Frieden ist jedoch keineswegs selbstverständlich. So wurden im Jahr 2022 weltweit 363 Konflikte – hierunter gefasst sind Dispute, gewaltlose sowie gewaltsame Krisen, begrenzte Kriege und Kriege – gezählt, von denen die meisten bis heute andauern (Statista 2022). Zum Zeitpunkt der Finalisierung dieses Buches im Jahr 2023 hält der seit 2007 jährlich erscheinende Weltfriedens-Index fest, dass sich das Niveau der globalen Friedfertigkeit im Durchschnitt um 0,42 Prozent verschlechtert hat (IEP 2023). Der Weltfriedens-Index überführt die Friedfertigkeit von Ländern auf Basis von 23 Indikatoren zu Konflikten im In- und Ausland, gesellschaftlicher Sicherheit und Militarisierung in ein Maß. Dieses Maß ist in den letzten 15 Jahren nunmehr zum dreizehnten Mal rückläufig. Auch die Intensität von Kriegen und Konflikten steigt, so die Verfasser*innen.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine, der Krieg in Nahost, das Leid der Bevölkerung in Israel und im Gazastreifen, die Waffen- und Bandengewalt in Haiti oder in Burkina Faso, der Krieg in Syrien, die Kämpfe im Südsudan oder die Konflikte im Jemen, im Kongo, in Afghanistan, in Kolumbien sowie die Hungerkatastrophe in Somalia sind erweiterungsbedürftige Beispiele, welche deutlich machen, dass eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Frieden ein prioritäres und vor allem stetes Thema für ein zukunftsfähiges Zusammenleben auf dem Planeten ist.
Hiermit ist bereits ein grundlegendes Problem angesprochen, denn: Kriege und Konflikte sind unterschiedlich in den Medien präsent. Sie werden vor allem dann thematisiert, wenn sie ausbrechen, mit der Zeit verschwinden sie jedoch wieder aus dem medialen Blick, überlagern sich mitunter und sind nicht mehr Gegenstand der öffentlichen Diskussion und Intervention. Das bedeutet aber auch, von vielen Kriegen, insbesondere außerhalb des Globalen Nordens, schlichtweg kaum etwas zu erfahren bzw. diese nicht wahrzunehmen, da sie den Globalen Norden nicht unmittelbar betreffen. Damit verbunden ist ein weiteres Problem: Wer sich nicht aktiv darum bemüht, die politische Ökonomie von Kriegen, ihre mitunter jahrzehntelangen Vorgeschichten, die dahinter liegenden Machtverhältnisse und die imperialen sowie geopolitischen Ansprüche kritisch zu hinterfragen, wird die eigentlichen Zusammenhänge und die damit verbundenen Verflechtungen kaum verstehen.
Unklar bleibt dann oft, welche wirtschaftlichen Interessen sich mit Kriegen verbinden und weshalb sie zur Absicherung und Ausweitung von Machtansprüchen beitragen und darin ihre grausame Logik besitzen.
2.(Sozialarbeiterische) Erfahrungen
Kriege und Konflikte verursachen nicht nur großes menschliches Leid, sie stellen auch eine Herausforderung für viele Disziplinen und Professionen dar. Das gilt auch für die Soziale Arbeit. Zwar gibt es schon länger eine durchaus etablierte und theoretische sowie methodisch ausgearbeitete Friedenserziehung und Konfliktbearbeitung, insbesondere im Kontext der Friedens- und Konfliktforschung, diese wurde jedoch in den letzten Jahren wissenschaftlich wie medial kaum in den Fokus gestellt. In der Sozialen Arbeit war und ist dieses Feld eher am Rande platziert. Dabei hat sich gerade die Soziale Arbeit in ihrer Geschichte und Tradition immer auch mit Kriegsfolgen und Friedensbildung beschäftigt, so etwa Jane Addams, Pionierin der Sozialen Arbeit, Feministin und Pazifistin. Zur Zeit des Ersten Weltkriegs war sie in der Friedensbewegung aktiv und gründete gemeinsam mit anderen Engagierten die Women’s International League for Peace and Freedom (IFFF). Vom 28. April bis zum 1. Mai 1915 präsidierte sie den internationalen Friedenskongress in Den Haag, an welchem über tausend Frauen teilnahmen (Epple 2015, S. 10).
Nach den Weltkriegen, dem Zerfall Jugoslawiens oder im Zuge von internationalen Friedensprojekten in den Kurdengebieten des Irak, in afrikanischen Staaten wie Uganda, Ruanda, Mozambique oder dem Kongo sowie in Staaten Lateinamerikas wie Kolumbien, Bolivien oder Guatemala beteiligt(e) sich Soziale Arbeit an Friedensgestaltungen auf verschiedenen Ebenen. In der Gegenwart ist die Soziale Arbeit im Kontext von Krieg und Frieden präsent, beispielsweise in der Fluchtsozialarbeit in den Ursprungs-, Transit- und Zielländern geflüchteter Menschen, in Geflüchtetenlagern weltweit, in der Arbeit mit Binnengeflüchteten, der Not- und Katastrophenhilfe, bei der Reintegration von Kindersoldat*innen oder im Rahmen von Traumabewältigung sowie der Unterstützung von Empowerment-Prozessen, um die Gefahr der Abhängigkeit von externen Hilfen für betroffene Länder zu mildern und die wichtige Partizipation in der Versöhnungsarbeit von unten zu fördern.
Auch international agierende Träger wie Caritas, Diakonie, Misereor, Brot für die Welt, Terre des Hommes oder der Zivile Friedensdienst stellen immer wieder Sozialarbeiter*innen ein, um sie in ihren Projekten zu Peacebuilding und Transformation einzusetzen. Hierbei muss zugleich diskutiert werden, wie auch diese Akteur*innen in globale und neokoloniale Ungleichheitsverhältnisse eingebunden sein können, wessen Verständnisse von Frieden sie in die Welt transportieren und wie Forderungen nach Frieden und Gerechtigkeit, und damit verbunden die Soziale Arbeit als »helfende Profession«, so gestaltet werden können, dass Machtungleichheiten nicht stabilisiert und politisch de-kontextualisiert werden.
In der Ausbildung und den deutschsprachigen Debatten der Sozialen Arbeit findet eine explizite Auseinandersetzung mit Fragen von Frieden, Krieg und gewaltvollen Konflikten eher am Rande statt. Im Kern verorten Profession und Disziplin Fragen von Krieg, Konflikt und Frieden ›andernorts‹ und entwickeln keine umfassende und Ländergrenzen überschreitende Zuständigkeit. Eine zentrale These des Bandes ist, dass die Soziale Arbeit und eine mit ihr verwobene politische Bildungsarbeit dringend eine systematische Verankerung zu Krieg und Frieden in ihrer Disziplin und Profession braucht (Peters 2019) und sie bereits über eine Fülle an Erfahrungen zum Umgang mit Krieg und Kriegsfolgen und zu transformationsorientiertem Peacebuilding sowie einer Bildung als Praxis des Friedens verfügt. Dieses Wissen ist aber noch zu wenig bekannt, zu wenig öffentlich zugänglich und noch nicht ausreichend theoretisch und methodisch bearbeitet und debattiert.
Im Jahre 2023 ist somit festzustellen, dass nachjustiert werden muss. Es gilt aufzuholen, es gilt zahlreiche Herausforderungen an eine mit dem Thema des Bands verwobene politische Soziale Arbeit zu identifizieren, und schließlich neue Visionen sowie Praxen hin zu einer Anerkennung und Ausweitung einer an Menschenrechten, Gerechtigkeit und Friedensgestaltung orientierten Sozialen Arbeit entstehen zu lassen. Der Band will entsprechend dazu beitragen, die Erfahrungen in diesen Bereichen zu bündeln, zugleich über den Status quo hinauszudenken und im Dialog vielfältiger Perspektiven Praxen und Visionen für eine gerechte friedensorientierte Soziale Arbeit weiter zu denken.
Nachhaltige, transnationale und postkoloniale Zugänge
Für die Soziale Arbeit in Ländern des Globalen Nordens geht mit dem angesprochenen Spannungsfeld von Thematisierung und De-Thematisierung von Kriegen und Konflikten ein Dilemma einher: Soziale Arbeit wird im Globalen Norden zumeist dann aktiv, wenn es einen Anlass gibt und dieser Anlass als bearbeitungswürdig und soziales Problem definiert wird. Die Definition von Anlässen und sozialen Problemen unterliegt dabei noch immer einem methodologischen Nationalismus (Wimmer/Glick Schiller 2003). Hiermit ist unter anderem gemeint, dass Probleme in unserer nationalstaatlich strukturierten Welt vor allem dann zu unmittelbarem Handeln...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8527-6 / 3779985276 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8527-3 / 9783779985273 |
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