Interkulturalität neu entdecken: fachwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven auf Kinder- und Jugendliteratur (eBook)
452 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8327-9 (ISBN)
PD Dr. Ines Heiser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg im Bereich Literaturdidaktik/Lehramtsausbildung für das Fach Deutsch und Studienrätin an einem Gymnasium Dr. Jana Mikota ist Oberstudienrätin an der Universität Siegen im Bereich der Literaturwissenschaft/ Literaturdidaktik. Sie lehrt und forscht zu historischer und gegenwärtiger Kinderliteratur. Andy Sudermann ist ausgebildeter Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte und lehrt derzeit als freiberuflicher Dozent u.a. in der Germanistik. Er ist Mitherausgeber des eDUSA Deutschunterricht im südlichen Afrika.
Interkulturalität neu entdecken. Eine Einleitung
Ines Heiser/Jana Mikota/Andy Sudermann
Globalisierung, Digitalisierung, Migration, letztere auch bedingt durch Flucht und Vertreibung: Menschen unterschiedlichster Herkunft begegnen sich in zahlreichen Kontexten analog und digital. Aber auch jenseits nationaler, kulturräumlicher, religiöser und sprachlicher Differenzmarker interagieren Menschen mal mehr, mal weniger erfolgreich. Sie gehören zahlreichen mehr oder weniger organisierten Gruppen, Kollektiven, an, die mit je eigenen Denk- und Sichtweisen, Verhaltenskodizes, Ritualen u.ä. ausgestattet sind, die als Kultur in der Interaktion mit Angehörigen anderer Kollektive zum Tragen kommen können. All diese Begegnungen sollen – so eine Grundfestlegung für diesen Band – als interkulturelle Erfahrungen aufgefasst werden können. Deshalb wählen wir als Titel für unseren Band Interkulturalität neu entdecken.
Interkulturalität ist von jeher auch ein Motiv und Thema der Literatur. Zahlreiche literarische Texte, eben auch der Kinder- und Jugendliteratur, beschreiben den Kontakt und die Begegnung von Kindern und Jugendlichen mit Gleichaltrigen und/oder Erwachsenen, mit denen sie keine Kulturzugehörigkeit teilen. Die Rezeption und die unterrichtliche Auseinandersetzung mit dieser Literatur erlauben Heranwachsenden ein Probehandeln, das wesentlich – in diesem Fall – zum Aufbau interkultureller Kompetenz beitragen kann. Interkulturelles Lernen als der Weg hin zur interkulturellen Kompetenz wird dann zu einer zunächst genuin pädagogischen Zielsetzung, die in den Literaturunterricht hineingetragen wird. Nichtsdestotrotz berührt interkulturelles Lernen auch dezidiert literaturdidaktische Bereiche, denn das Literarische Lernen im Sinne Kaspar H. Spinners kann dadurch gefördert werden, dass zum Nachvollzug der Figurenperspektiven die ‚interkulturelle Brille‘ aufgesetzt und die Darstellung und Wirkung innerfiktionaler interkultureller Begegnungen der Figuren analysiert wird. Die Rezeption ist oft selbst als Fremdheitserfahrung eine interkulturelle Begegnung, und zwar der Lesenden mit den Figuren in der Literatur.
Der Band, den wir mit diesen Zeilen einleiten, möchte an Arbeiten Heidi Röschs, Christian Dawidowskis, Dieter Wrobels u.a. zur interkulturellen Literaturdidaktik anschließen. Für die Jahrgangsstufen 1 bis 6 legten Gabriela Scherer und Karin Vach 2019 den Band Interkulturelles Lernen mit Kinderliteratur vor, der neben Unterrichtsvorschlägen auch Berichte und Reflexionen zur unterrichtlichen Erprobung bietet. Wir möchten mit den hier abgedruckten Beiträgen (vor allem, aber nicht nur zeitgenössische und dabei teils illustrierte) kinder- und jugendliterarische Romane, aber auch einen Comic und eine Graphic Novel für den Unterricht in den Jahrgangsstufen 5 bis 10 vorschlagen. Die Beiträger*innen stellen jeweils den Text vor, analysieren ihn literaturwissenschaftlich, arbeiten sein literaturdidaktisches Potential vor allem bezüglich des interkulturellen Lernens heraus und unterbreiten in der „didaktischen-methodischen Konkretisierung“ erste Unterrichtsideen, die es für konkrete Lerngruppen auszuarbeiten gilt. Diesen Beiträgen sind solche zur theoretischen Fundierung und grundlegenden Einbettung vorangestellt:
Andy Sudermann entwickelt ausgehend von einem offenen Kultur-Begriff und vom Konzept der Multikollektivität einen Begriff interkultureller Fremdheitserfahrung, der sich von einer Fokussierung auf Nation, Ethnie, Sprache und Religion löst und der erlaubt, zahlreiche inner- wie außerliterarische Begegnungen als interkulturell zu lesen.
Ines Heiser stellt dar, wie sich die Literaturdidaktik in der Vergangenheit zu Fragen des inter- bzw. transkulturellen Lernens positioniert hat und beschreibt, welche Funktionen inter- und transkulturelle Ansätze in den zentralen Handlungsfeldern eines aktuellen Literaturunterrichts einnehmen können.
Jana Mikota untersucht in ihrem Beitrag, wie sich der Begriff der Interkulturalität in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur nach 1945 verändert hat.
In ihrem Beitrag macht Carmen Sippl den von den Vereinten Nation initiierten Sustainable Development Goals Book Club für den mehrsprachig ausgerichteten und/oder fremdsprachlichen Literaturunterricht fruchtbar, und zwar mit ‚Wassergeschichten‘ aus aller Welt in interkultureller Perspektive. Sippl kombiniert dafür Phasenmodelle des interkulturellen und des kulturökologischen Lernens.
Gesine Lenore Schiewer und Jörg Roche stellen die von ihnen mitentwickelte Literaturdidaktik des Dialogs vor, die Schüler*innen in der Begegnung mit interkulturellen Autor*innen in Lesungen und Workshops zum eigenen Schreiben anregt.
Ben Dittmann lotet Nicola Mitterers Konzept der responsiven Literaturdidaktik aus, die die durch Literatur initiierten Fremderfahrungen in den Mittelpunkt rückt. Dabei geht er von einem relationalen Fremdheitsbegriff aus und betrachtet Fremdheit nicht als auszuräumenden Missstand, sondern als dem menschlichen Leben wie der Literatur konstitutiv innewohnendes Element.
Auf diese Vorstellungen literaturdidaktischer Konzepte folgen die Beiträge zu Einzelwerken im Hinblick auf den Einsatz dezidiert im Deutschunterricht.
Eine Migrationsgeschichte, die mit der Abschiebung endet, erzählt Frank Cottrell Boyce in dem multimodal gestalteten Roman Der unvergessene Mantel (2012). In seinem Beitrag dazu reflektiert Andreas Wicke insbesondere die Konstruktion von Rätselhaftigkeit und Exotisierungen rund um Fremdes und versucht dieser durch das Anregen von Perspektivwechseln nahezukommen.
Susanne Drogi konzentriert sich in ihrem Beitrag auf das Figurengeflecht um die titelgebende Ich-Erzählerin, den marrokanischstämmigen Mimun und Consuelo aus Mexiko in der Polleke-Reihe (1999ff.) des niederländischen Autoren Guus Kuijer. Die Bände werfen Fragen nach Kultur, kultureller Zugehörigkeit, Glaube und (Anti-)Rassismus auf, die interkulturellem Lernen im Literaturunterricht zugutekommen.
Kirsten Kumschlies analysiert den ersten Band der Forschungsgruppe Erbsensuppe (2019) als modernen Kinderroman, der sich durch die doppelte Perspektivierung von Flucht auszeichnet. Sie kombiniert in ihren Vorschlägen Figurenanalyse mit szenischer Interpretation und berücksichtigt dabei auch die literaturästhetisch anspruchsvollen intertextuellen Verweise und deren Funktion.
Auch The Boy at the Back of the Class (2019) von Onjali Q. Raúf lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fluchterfahrung eines Kindes. Natalia Blum-Barth verbindet in ihrer Analyse und den daraus abgeleiteten Konkretisierungen für den Unterricht literarisches und interkulturelles Lernen miteinander, was z.B. die Behandlung des im Roman eine wichtige Rolle spielenden Granatapfel-Motivs erlaube.
Kirsten Boies Kinderkrimi-Reihe Thabo. Detektiv & Gentleman sticht für Julia Catherine Sander und Wolfgang Jäger durch ihre postkoloniale Anlage heraus. Der in ihrem Beitrag behandelte erste Band (2016) eigne sich besonders für das interkulturelle Lernen, da sich Schüler*innen ausgehend von der Thematisierung von Erzählanlage und Figurenperspektiven im Roman mit Selbst- und Anderen-Entwürfen auseinandersetzen können.
Einen transkulturellen Blick auf einen anderen Teil des afrikanischen Kontinents bieten Astrid Henning-Mohr und Juliana Sölter in ihren Ausführungen zum Comic Akissi (2018), der in seiner Multimedialität erlaubt, die in der Elfenbeinküste angesiedelte Handlung als Repräsentation globaler Kindheitserfahrungen zu lesen. Dafür unterbreiten die Autorinnen des Beitrags handlungs- und produktionsorientierte Ideen.
Fragen nach Zugehörigkeit und kultureller Identität rücken Vesna Bjegač und Nina Simon in ihrer Analyse des Romans Pembo – Halb und halb macht doppelt glücklich (2020) in den Mittelpunkt. Sie problematisieren dabei das dem Roman inhärente Türkeibild sowie die Repräsentation von Mehrsprachigkeit und Kultur und plädieren dafür, diese Darstellungen im Unterricht zu thematisieren, um der Gefahr einer Nivellierung gesellschaftlicher Dominanzverhältnisse und Dethematisierung individueller (Diskriminierungs-)Erfahrungen vorzubeugen.
Farriba...
Erscheint lt. Verlag | 19.6.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8327-3 / 3779983273 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8327-9 / 9783779983279 |
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