Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Marcel Mauss (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 2. Auflage
176 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-7445-2072-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Marcel Mauss -  Stephan Moebius
Systemvoraussetzungen
13,99 inkl. MwSt
(CHF 13,65)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Marcel Mauss (1872-1950), der Neffe Émile Durkheims, gehört zu den wichtigsten Vertretern der französischen Soziologie und Ethnologie; sein Einfluss reicht bis in die gegenwärtige Theoriebildung. Stephan Moebius gibt einen systematischen Überblick über die Hauptwerke und -begriffe von Mauss, seine politischen Schriften und die ihn prägenden Einflüsse. Er zeigt, dass Lévi-Strauss, das Collège de Sociologie (Bataille, Leiris, Caillois), Bourdieu, Baudrillard und Derrida in zentralen Punkten auf die Arbeiten Mauss' zurückgreifen.

Stephan Moebius ist seit 2009 Universitätsprofessor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Graz und seit 2019 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Stephan Moebius ist seit 2009 Universitätsprofessor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Graz und seit 2019 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Inhalt
Vorwort zur 2. Auflage
I. Einleitung
II. Marcel Mauss: Ein Leben als Wissenschaftler und engagierter Intellektueller
III. Mauss' wissenschaftliches Milieu
Die Année sociologique
Henri Hubert
IV. Die Konsolidierung der Durkheim-Schule
V. Zentrale Aspekte des Werks
Die Soziologie der Erkenntnis
Soziologie und Geschichte
Soziologie der Riten (Gebet, Magie,Tod) und der kollektiven Gewohnheiten
Soziologie und Religionswissenschaften – oder: das Soziale als System
Soziologie und Ethnographie: Die soziale Morphologie
Soziologie der Gabe
Soziologie und Psychologie
Die ›Gliederung der allgemeinen beschreibenden Soziologie‹
VI. Das Symbolische, die ›totalen sozialen Tatsachen‹ und der ›totale Mensch‹
VII. Einflüsse und Lehrer
Émile Durkheim (1858-1917)
Sylvain Lévi (1863-1935)
Jean Jaurès (1859-1914)
VIII. Die politischen Schriften
IX. Die Wirkungen von Mauss
X. Literatur
Schriften von Marcel Mauss
Auswahlbibliografie und Sekundärliteratur
Zeittafel
Register

II. Marcel Mauss: Ein Leben als Wissenschaftler und engagierter Intellektueller


Mauss ist sowohl Wissenschaftler als auch politisch aktiver Sozialist. Beides, Soziologie und Sozialismus, gehören bei ihm wie zwei Seiten einer Medaille zusammen.7 Sein Leben kann man in vier Abschnitte unterteilen (vgl. FOURNIER 1994): Die erste Periode umfasst seine Erziehung, sein Studium, seine ersten politischen Aktivitäten und Publikationen. Zur zweiten Periode zählen seine Arbeit im Team der Zeitschrift L’Année sociologique, sein politisches Engagement in der Dreyfus-Affäre, die Entwicklung eines eigenen Forschungsprogramms, der Tod von Mauss’ Freund Robert Hertz und der seines Onkels Émile Durkheim. Die Entstehung der französischen Soziologie vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist untrennbar mit Durkheim und Mauss sowie mit ihrer engen und manchmal schwierigen Beziehung verbunden (vgl. BESNARD/FOURNIER 1998: 1). Die dritte Periode ist bestimmt durch Mauss’ Bemühungen zur Konsolidierung der Durkheim-Schule in der Zwischenkriegszeit, der Verwaltung des ›Erbes‹ von Durkheim und der im Krieg gefallenen Mitarbeiter, der Begründung der französischen Ethnologie sowie der Entwicklung des berühmten Gabe-Theorems. Die allgemeine Anerkennung, die Mauss im wissenschaftlichen Feld erfährt, charakterisiert den vierten Lebensabschnitt. Der Höhepunkt seiner Karriere ist zweifelsohne die Wahl ans renommierte Collège de France im Jahr 1930.

Marcel Mauss wird am 10. Mai 1872 in der im Moseltal gelegenen Stadt Épinal (Vogesen) geboren. Seine Mutter Rosine (1848-1930) ist die älteste Schwester von Émile Durkheim, der ebenfalls in Épinal geboren wurde (am 15. April 1858) und sechzehn Jahre älter ist als sein Neffe. Die erste Periode in Mauss’ Leben ist selbst ein ›fait social‹, ein sozialer Tatbestand (vgl. TAROT 2003: 7): Wie in matrilinearen Gesellschaften wird der Onkel mütterlicherseits die Erzieher- und Vaterrolle einnehmen. Eine Beziehung, die für beide nicht immer ganz einfach ist. Sein leiblicher Vater, Gerson Mauss (1834-1896), ist Händler in der Textilbranche und leitet zusammen mit Rosine eine kleine Handstickereifabrik, das Familienunternehmen Mauss-Durkheim. Das Unternehmen läuft nicht immer gut: Mauss’ Mutter ist stets von Sorgen geplagt, vor allem bedauert sie, dass man den Arbeiterinnen nicht einen höheren Lohn zahlen könne (FOURNIER 1994: 29). Die erste Politisierung von Mauss findet zu Hause statt: Er beginnt, sich zunehmend für die Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie für die Genossenschaftsbewegung zu interessieren (vgl. FOURNIER 1994: 28ff.).

Die Familie hat eine starke jüdische Tradition und bringt seit acht Generationen Rabbiner hervor (vgl. FILLOUX 1977: 8; BESNARD/FOURNIER 1998: 5). Durkheims Vater Moïse war Oberrabbi in den Vogesen und hätte es gern gesehen, wenn Émile den gleichen Weg eingeschlagen hätte. Die Heimat der Familie, das von Mauss geliebte Elsass-Lothringen, hat zu dieser Zeit den größten Anteil an französischen Juden. Dennoch bilden sie inmitten einer mehrheitlich katholisch (aber auch protestantisch) geprägten Region eine Minderheit. Antisemitismus ist hier an der Tagesordnung. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Émile ist Rosine sehr religiös, besucht regelmäßig die Synagoge und besteht auf eine religiöse Erziehung von Marcel und dessen vier Jahre jüngerem Bruder Henri (1876-1966). Henri wird später das Unternehmen der Eltern übernehmen. Die Kenntnisse über das Judentum und der Hebräischunterricht prägen Marcel Mauss (vgl. LINDENBERG 1996). In seinen späteren Arbeiten, insbesondere zum Opfer und zum Gebet, wird er auf sie zurückgreifen. Er selbst ist allerdings nicht religiös. Seinen zweiten Vornamen Israël wird er niemals verwenden. Zwar respektiert er die jüdischen Regeln, empfindet aber deren Ausübung in der Familie als zu »pedantisch«: Die Frömmigkeitsbekundungen seien zu übermäßig und die koscheren Essensregeln zu streng (vgl. FOURNIER 2006: 23). Mauss wird zum Grenzgänger (vgl. TAROT 2003: 8), zunächst zwischen Tradition und Moderne, dann zwischen den Fachdisziplinen und den Kulturen.

1890 schreibt sich Mauss an der philosophischen Fakultät in Bordeaux ein. Er will den Abschluss in Philosophie machen, besucht aber auch juristische Seminare. Auf Wunsch von Rosine wird Durkheim zu seinem Tutor und hilft ihm bei seinen Studien. Mauss folgt Durkheims Vorlesungen über ›Die Physik der Sitten und des Rechts‹. Er ist tief beeindruckt von der Eloquenz und dem Rationalismus seines Onkels. In der Selbstdarstellung anlässlich seiner Kandidatur am Collège de France 1930 schreibt er über ihn:

»Sein Cartesianismus, seine fortwährende realistische und rationalistische Suche nach Tatsachen, seine Fähigkeit, sie zu erkennen und zu erfassen, bilden die Aspekte seiner geistigen Persönlichkeit, die mich, die uns am meisten verführten. Diese Qualitäten glaube ich, bewusst und sorgfältig, bei mir, bei meinen Freunden und bei meinen Studenten entwickelt zu haben.« (MAUSS 2006a: 346)

Andere wichtige Einflüsse sind zu dieser Zeit der Philosophieprofessor Alfred Espinas (1844-1922), Autor des Werkes über Les Sociétés animales (1877), und der Kantianer Octave Hamelin (1856-1907), ein enger Freund sowohl von Durkheim als auch von Mauss. Nach der bestandenen Prüfung 1895 schreibt Mauss an Hamelin, dass er nur allein auf sein und Durkheims Urteil Wert lege.8 Ausgehend von Hamelin vermittelt sich für Mauss die Bedeutung der Relationalität und Wechselwirkungen (vgl. FOURNIER 1994: 56f.), die Hamelin philosophisch, Mauss hingegen soziologisch erforscht.

Wie andere Studenten in Bordeaux beginnt Mauss, sich für sozialistische Ideen zu begeistern. Bei Treffen des Cercle d’études sociales diskutieren sie über Marx’ Kapital und laden zusammen mit der französischen Arbeiterpartei, der Parti ouvrier français (POF), Jean Jaurès zu einer Tagung ein.9 Das, was Durkheim für Mauss’ wissenschaftliches Leben bedeutet, wird Jaurès im Feld des Politischen für ihn sein. Die Mitglieder der Studiengruppe sind noch sehr guesdistisch geprägt.10 Mauss tritt in die Parti ouvrier français ein. Darüber hinaus besucht er Treffen der Groupe des étudiants socialistes.

1895 geht Mauss nach Paris, um sich an der Sorbonne auf seinen Abschluss in Philosophie vorzubereiten. Er schließt Freundschaften mit Edgar Milhaud, Abel Rey und Paul Fauconnet. Er besucht Philosophie-Vorlesungen von Émile Boutroux, Victor Brochard und Gabriel Séailles sowie Vorlesungen in Psychologie bei dem von ihm bewunderten Théodule Ribot (vgl. Œ 3: 566). Die Bewertung von Mauss’ Agrégation11 ist eine der Besten seines Jahrgangs. Die Prüfungskommission bemängelt lediglich, dass der sehr begabte Student ein wenig faul sei. Ganz anders als der asketische Durkheim versucht Mauss, das Leben auszukosten. Er liebt es zu kochen, in Cafés zu sitzen, Ski zu fahren, er fechtet und er ist französischer Amateurmeister im Boxen (vgl. FOURNIER 1994: 608).

In den Augen Durkheims hat der Neffe insgesamt einen zu verschwenderischen und generösen Lebensstil, da er stets viele Geschenke macht. Mauss praktiziert die später im Gabe-Essay geforderte Großzügigkeit: Viele seiner Ersparnisse gibt er Freunden (Beuchat, Fauconnet), der Partei, der Genossenschaftsbewegung, oder spendet das Geld für andere politische Aktivitäten (vgl. FOURNIER 1996: 35).

Auch in Paris ist Mauss politisch sehr aktiv. Zusammen mit Albert und Edgar Milhaud gründet er die Ligue Démocratique des Écoles. Darüber hinaus engagiert er sich in der Groupe des étudiants collectivistes. Sowohl vom Guesdismus als auch vom Anarchismus abgewandt, setzen sich die Studenten für einen humanistischen und wissenschaftlich fundierten Sozialismus ein. Ein weiteres politisches Aktionsfeld von Mauss bildet seine Mitarbeit bei der 1895 von Alfred Bonnet ins Leben gerufenen Zeitschrift Le Devenir social.

»Diese Zeitschrift, die sich als ›Revue international d’économie, d’histoire et de philosophie‹ verstand, hatte als Motto einen Satz von Marx gewählt: ›Die Produktionsweise des materiellen Lebens bestimmt allgemein die Entwicklung des sozialen, politischen und intellektuellen Lebens.‹ Sie veröffentlichte bedeutende Untersuchungen von russischen (Lavroff), italienischen (Ferri, die beiden Labriola), deutschen (Kautsky) und englischen (Aveling) Sozialisten, Texte von Sorel und Lafargue, vor allem aber die in Frankreich bisher nicht erschienenen Arbeiten von Marx und Engels.« (REBÉRIOUX 1975: 75)

Von Mauss erscheinen in der Zeitschrift zwei Buchbesprechungen,12 davon eine über Les Sciences sociales en Allemagne von Célestin Bouglé, der ein wichtiger Mitarbeiter Durkheims und mitverantwortlich für die Gründung der Année...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2022
Reihe/Serie Klassiker der Wissenssoziologie
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Emile Durkheim • Ethnologie • Marcel Mauss • Soziologie • Strukturalismus • Utilitarismus • Wissenssoziologie
ISBN-10 3-7445-2072-2 / 3744520722
ISBN-13 978-3-7445-2072-0 / 9783744520720
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Werteorientierung, Wirkungsmessung, Impact

von Gesa Birnkraut

eBook Download (2024)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
CHF 10,70