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Ein Ring aus Feuer -  Christian-Peter Hanelt

Ein Ring aus Feuer (eBook)

Wie Europa den Nahen Osten verloren hat und ihn neu gewinnen kann
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
550 Seiten
Levante Verlag
978-3-943737-82-0 (ISBN)
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Die folgenschwere Militärintervention im Irak vor 20 Jahren setzte eine Kette politischer Umbrüche in der arabischen Welt in Gang - und zerrüttete Europa. Seitdem suchen die EU-Staaten vergeblich nach einer Strategie, um mit dem»Ring aus Feuer« umzugehen: den Dauerkrisen in der europäischen Nachbarschaft. Der Nahost-Experte und außenpolitische Berater Christian-Peter Hanelt zieht Bilanz. Er berichtet aus den Maschinenräumen der Diplomatie über dramatische Entscheidungen und verpasste Gelegenheiten, richtet aber auch den Blick auf neue Chancen. Hanelt nimmt eine wirklich europäische Perspektive ein und macht deutlich, dass gemeinsame Politik kein Selbstzweck ist, sondern die einzige Möglichkeit für die Europäer, die Krisen zu bewältigen, ihre Interessen zu vertreten und dabei dennoch glaubwürdig zu sein. 'Ein Ring aus Feuer' ist hochaktuell und erscheint anlässlich einer Reihe von Jahrestagen und Jubiläen, die in der Berichterstattung 2023 Raum einnehmen werden - neben der Irak-Invasion etwa der Jom-Kippur-Krieg (50 Jahre), der Beginn der Osler Friedensgespräche (30 Jahre) oder die Machtübernahme des Militärs in Ägypten (10 Jahre).



Christian-Peter Hanelt ist Nahost- und Nordafrika-Experte, ehemaliger Fernsehjournalist und Fachmann für die Beziehungen Europas zu den Mittelmeeranrainern sowie für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik. Als solcher tritt er auch regelmäßig in internationalen TV-Medien auf. Hanelt ist Senior Expert der Bertelsmann Stiftung, leitet hochrangige Gesprächsformate und hält regelmäßig Briefings und Vorträge bei Regierungsstellen in Deutschland und der Europäischen Union. Er studierte in Kiel und Damaskus. Im Laufe seiner Karriere traf er zahlreiche Staatschefs und politische Führungspersönlichkeiten im Nahen Osten.

Zeitenwende 1979


Revolution, Willkür, Terror, Krieg und Frieden drängen die Europäische Gemeinschaft zu eigenständiger Position


Bis heute sind die Wirkungen der islamischen Revolution im Iran, der Machtergreifung von Saddam Hussein im Irak, der Besetzung der großen Moschee im saudischen Mekka durch Extremisten, des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan und des von den USA vermittelten Friedensvertrags zwischen Israel und Ägypten zu spüren. 1979 bestimmen diese fünf Ereignisse im und um den Nahen Osten den Gang der Welt und das Verhältnis zu Europa mit. Diese Ereignisse sortieren sich nach den Begriffen Revolution, Willkür, Terror, Krieg und Frieden und waren so einschneidend – Zeitenwenden also, dass die Zeitschrift für den Orient, zenith, in ihrer Ausgabe vom Winter 2018 titelt: „1979 – Das Jahr ohne Ende“.

Diese einschneidenden Umbrüche im Nahen Osten sind verwoben mit zwei internationalen Neuorientierungen und drei wichtigen Entwicklungen in Europa. Die chinesische Staats- und Parteiführung macht ernst und öffnet China zur Welt; das wird mit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und den USA am 1. Januar 1979 deutlich. Während China und die USA Beziehungen aufnehmen, endet die Hochphase der Entspannungspolitik zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt. Noch am 18. Juni 1979 unterzeichnet US-Präsident Jimmy Carter in Wien mit dem Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew ein Abrüstungsabkommen, den Salt-II-Vertrag zur Begrenzung der nuklearstrategischen Waffensysteme beider Blöcke. Der US-Senat wird den Vertrag jedoch wenig später schon nicht mehr ratifizieren; die Nato beschließt nur sechs Monate später, am 12. Dezember 1979, die Stationierung neuer mit atomaren Sprengköpfen bestückter Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa. Dieser umstrittene Nato-Doppelbeschluss ist für die einen der Startpunkt eines neuen Wettrüstens zwischen Ost und West und für die anderen ein Aufholen des Westens, um ein strategisches Gleichgewicht zwischen der Nato und dem Warschauer Pakt zu erreichen, nachdem die UdSSR schon 1976 SS-20-Raketensysteme in Osteuropa stationiert hatte.

In Westeuropa sind zu dieser Zeit neun Staaten Mitglied der Europäischen Gemeinschaft (EG). Am 28. Mai 1979 unterzeichnet die EG den Beitrittsvertrag mit Griechenland; das südosteuropäische Land mit seiner strategischen Lage im Mittelmeerraum wird achtzehn Monate später im Januar 1981 Vollmitglied. Während sich die EG-Familie erweitert, findet zwischen dem 7. Und dem 10. Juni 1979 ein entscheidender Schritt der Vertiefung europäischen Handelns statt. Zum ersten Mal wählen Bürger:innen von neun europäischen Staaten direkt ein gemeinsames Parlament. Die Wahl wird als ein so wichtiges Ereignis wahrgenommen, dass sogar die westdeutsche Bundespost eine Sondermarke „Erste Direktwahl zum Europäischen Parlament“ über 0,50 DM herausbringt. 63 Prozent der Wahlberechtigten aus den damaligen Mitgliedsländern, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg und den Niederlanden, beteiligen sich. Im Parlamentsplenum werden sie nicht aufgeteilt nach Nationen sitzen, sondern sie sortieren sich nach politischen Interessen. Die sozialdemokratisch-sozialistische Parteienfamilie wird knapp die Mehrheit im ersten Europäischen Parlament stellen. Noch sind die Befugnisse gering, doch die 410 Abgeordneten werden über ihr Budgetrecht und über ihre Debattierfreude das Politiksystem der EG auch in der Außenpolitik und speziell im Nahen Osten, wie wir später sehen werden, zu mehr gemeinsamem Handeln drängen.

1979 ist auch ein Jahr vieler Katastrophen, die in Erinnerung bleiben: etwa eine partielle Kernschmelze im US-amerikanischen Atomreaktor in Harrisburg, Überschwemmungen in Indien, eine Ölpest in der Karibik bis hin zu einer Schneekatastrophe in Norddeutschland im Februar 1979. Auch das beschauliche Ostholstein, wo wir in der Gemeinde Ratekau bei Lübeck wohnen, wird von Schneemassen überschüttet – und zwar so sehr, dass ich mich daran erinnere, dass wir kaum aus der Haustür heraus ins Freie kamen und beim Spielen im Schnee einbrachen. Die Regale des örtlichen Supermarktes waren leergekauft und unser Hausarzt rückte im Panzer der Bundeswehr zu Entbindungen aus. Doch besonders hart trifft das Katastrophenjahr 1979 den Iran: Nachdem bereits 1978 ein starkes Erdbeben die Stadt Tabas verwüstet und 20.000 Menschen das Leben gekostet hat, suchen auch im Folgejahr drei schwere Erdbeben mit weit über 1000 Toten, unzähligen Verletzten und vielen zerstörten Ortschaften das Land heim – zu einer Zeit, in der die Iraner:innen die politische Zeitenwende des Jahres 1979 im Nahen Osten lostreten.

Iran: Der Schah geht, der Religionsführer kommt


Am 16. Januar 1979 flieht der Schah ins Exil und zwei Wochen später, am 1. Februar 1979, kehrt der Ayatollah aus dem Exil zurück in den Iran: Nach Monaten umfassender Streiks, Demonstrationen und blutiger Proteste gibt der „König der Könige („Schahanschah“ oder „Großkönig“)“, wie der persische Schah Mohammad Reza Pahlavi sich nennt, nach über 30 Jahren Regentschaft auf, „traurig, müde und desillusioniert“ verlässt der prunkvolle Herrscher auf dem Pfauenthron sein Perserreich, fast sang- und klanglos. Frenetisch dagegen ist der Empfang des Religionsführers in Teheran. Ayatollah Ruhollah Khomeini wird wie ein Heilsbringer umjubelt. Dort, wo er auf dem Einzug in und durch die iranische Hauptstadt anhält und den Massen zuwinkt, versuchen die ihm Zujubelnden irgendwie an ihn heranzukommen, denn den Ayatollah persönlich zu berühren bedeute den Mann zu berühren, der direkt mit Gott spreche, erklärt ein Iraner, als Männer versuchen, einen Jungen auf ihren Händen tragend zu dem alten bärtigen Obergläubigen emporzuheben, auf dass die Jungenhand die des Ayatollah berühren könne.7

Welch ein Gegensatz, welch eine Zeitenwende: Im Januar 1979 dominiert noch die Staatsphilosophie „Gott, König und Land“, seit Februar gilt der Dreiklang „Gott, Koran und Khomeini“. Mit dem Abtritt von Mohammad Reza Pahlavi endet eine Monarchie, die der Schah zu einer militärischen Autokratie mit eher säkularer Gesellschaftsordnung entwickelt hat. Bereits zwei Monate nach seiner Ankunft lässt Ruhollah Khomeini sich mit einer Zustimmung von über 98 Prozent in einem Referendum vom iranischen Volk eine neue Staatsordnung absegnen: Es wird eine „Islamische Republik“ begründet, in der die Geistlichkeit die Herrschaft übernimmt. Die Mullahs werden Tausende Oppositionelle hinrichten lassen, um ihre Macht zu festigen und mehr und mehr die Kontrolle in Justiz, Armee, Verwaltung und Wirtschaft zu übernehmen. Vertreter einer Religion, des Islam, ergreifen die Regentschaft eines großen Landes im Nahen Osten. Der Islam macht Politik – nicht die Mehrheit des sunnitischen Islam, sondern die Richtung des schiitischen Islam, der rund zehn Prozent der Muslime folgen, führt die Regentschaft von islamischen Religionsführern in das komplexe Konfliktsystem des Nahen Ostens ein. Religiöse Identität wird zu einem wichtigen politischen und gesellschaftlichen Faktor.

Ayatollah Khomeini will seine „Islamische Revolution“ auch in andere Teile der muslimischen Welt tragen. Die 180-Grad-Drehung der iranischen Innenpolitik besorgt sofort den irakischen Führer Saddam Hussein, in dessen Land an Euphrat und Tigris 50Prozent der Araber der Richtung des schiitischen Islam folgen. Neben dieser Sorge glaubt er allerdings, die innenpolitischen Umbrüche im Iran nutzen zu können, um ab September 1980 mit einer Militärinvasion sein Territorium um die iranische Provinz Khuzestan zu vergrößern, in der viel Erdöl gefördert wird und viele Araber wohnen. Saddam Hussein wird einen verlustreichen achtjährigen Krieg zwischen den beiden Golfanrainerstaaten Irak und Iran vom Zaun brechen, der der Region weitere Zerwürfnisse bringt. Auch der mächtige Nachbar Saudi-Arabien fühlt sich herausgefordert. Der Wüstenstaat sieht sich als Speerspitze des mehrheitlich sunnitischen Islam, der die wichtigsten Heiligtümer der islamischen Weltreligion in Mekka und Medina beherbergt. 1979 wird auch dort die Herausforderung eines politisierten Islam mit sich bringen. Am prominentesten ist die Anziehungskraft von Khomeinis Revolutionsexport im Libanon. Unter den marginalisierten schiitischen Arabern gewinnt während des libanesischen Bürgerkrieges die Miliz der sogenannten Partei Gottes, der Hisbollah, an Einfluss. Bis heute bildet die Hisbollah-Miliz einen Staat im Staate mit eigener Armee; dies trägt zur Schwächung der Staatsstruktur des kleinen Zedernlandes bei und bedroht Israel.

Zur 180-Grad-Drehung der iranischen Außenpolitik gehört auch, dass der Religionsführer neben Israel die USA zum ideologischen Topgegner deklariert. Für die USA und den Westen insgesamt war der Iran unter der Herrschaft des Schahs neben der Türkei ein wichtiges territoriales Bollwerk mit direkten Grenzen zur Sowjetunion und somit ein wichtiger Verbündeter im Ost-West-Konflikt. Neben den USA, die federführend die Ausstattung und Ausbildung der Armee und des Geheimdienstes des Schahs unterstützten, unterhielt Schah Pahlavi auch enge politische und wirtschaftliche Beziehungen mit anderen westlichen Staaten, in die der Iran dringend benötigtes Erdöl exportierte. Die alte Bundesrepublik war ein so wichtiger Wirtschaftspartner, dass 13.000 Deutsche im Iran bis zum Vorabend der islamischen Revolution lebten und arbeiteten.

Verständlicherweise greift die Sorge um den Verlust des Iran, des wichtigen Verbündeten, Bollwerks und Erdöllieferanten in westlichen Hauptstädten um sich, als im Herbst 1978 massenhafte Streiks...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-943737-82-9 / 3943737829
ISBN-13 978-3-943737-82-0 / 9783943737820
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