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Wir-Zeit (eBook)

Eine Familie auf der Reise zu sich selbst

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
272 Seiten
Ludwig Buchverlag
978-3-641-25888-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir-Zeit - Susanne Dyrchs
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Als der Alltag droht, sie aufzufressen, macht sich eine Familie das größte Geschenk: ein Jahr Wir-Zeit
Familie Dyrchs ist eine ganz normale Familie in der Großstadt: Susanne und Chris sowie zwei sensationelle Kinder, die sie nur leider viel zu selten sehen. Sie wollen alles richtig machen und alles schaffen und doch kommen sie, wie so viele Familien, ins Straucheln: Dieses ständige Nicht-Genügen - als Eltern, als Partner, als Berufstätige ... Sie fragen sich immer mehr: Wie können wir Familie heutzutage glücklich und zufriedenstellend (er)leben? Die beiden beschließen, den Alltag hinter sich zu lassen und eine 'Wir-Zeit' zu nehmen: Sie wagen das ganz große Abenteuer und bereisen ein Jahr lang mit ihren Kindern die Welt. Sie lernen sich als Familie ganz neu kennen, finden heraus, welches Leben sie führen wollen - und machen nach der Rückkehr vieles anders als zuvor. Dieses Buch ist viel mehr als die Geschichte einer Reise. Es ist die Geschichte eines Zusammenwachsens als Familie - offen erzählt, voller Mut, Abenteuerlust und Liebe.

Dr. Susanne Dyrchs, Jahrgang 1978, studierte Rechtswissenschaften, internationale Beziehungen und Philosophie in Köln, London und New York. Sie arbeitete in Bangladesch für das Welternährungsprogramm, in New York für die Vereinten Nationen, in Davos für das Weltwirtschaftsforum und in Hanoi für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2008 ist sie als Strategieberaterin tätig. Neben Fachpublikationen schreibt sie einen Blog (www.kratzekind.com) über das Leiden, Lieben und Leben von Familien mit kleinen Atopiker*innen, also an Asthma und Neurodermitis leidenden Kindern. Susanne Dyrchs lebt an der kanadischen Westküste, ist verheiratet und hat drei Söhne.

Die Entdeckung der Einfachheit

»Hallo? Jemand zu Hause?«, frage ich schüchtern durch den schmalen Türspalt.

Nach zaghaftem Klopfen und Rufen öffne ich die ohnehin nur angelehnte Eingangstür des in die Jahre gekommenen Farmhauses im Südosten Ontarios, einer der zehn Provinzen Kanadas, stecke meinen Kopf durch den Spalt – und schnelle zurück. War das gerade wirklich ein Grizzlybär, der mich nur einen Meter entfernt mit aufgerissenem Maul und hochaggressivem Blick anvisiert hat?!

»Nur Mut – der beißt nicht mehr. Ich habe ihn letzten Winter erledigt; ungefähr dort, wo ihr jetzt steht wie die Ölgötzen!«, poltert eine weibliche Stimme von drinnen. »Kommt nur hereinspaziert – Welcome

Na dann, auf ins Abenteuer! Hier am Rande der kleinen Gemeinde Gravenhurst, inmitten der lieblichen Muskoka-Region mit ihren unzähligen, von hohen Tannen und dichten Laubwäldern eingerahmten, dunkelblauen Seen, etwa 150 Kilometer entfernt von Toronto, werden wir also die nächsten Wochen verbringen. Der bärtige wortkarge Biobauer Carl und die hemdsärmelige rundliche Sandy mit ihren liebevollen Knopfaugen haben uns aufgenommen, damit wir sie bei ihrer händischen Bohnen- und Kartoffelernte unterstützen. Schon bald stellen wir fest, dass dieses Farmer-Ehepaar in seinen 70ern aus einem so widerstandsfähigen, knarzenden und harten Holz geschnitzt ist, wie es sich wahrscheinlich nur in Kanadas Wäldern finden lässt.

Projekt Wir-Zeit. Im Sommer 2017, gut ein Jahr vor Joes Einschulung, haben wir es tatsächlich geschafft, uns loszureißen. Als wir zum ersten Mal Familienmitgliedern und Freunden von unserer anfangs noch naiven Spinnerei erzählten, sahen wir in viele enthusiastische, aber auch in einige ziemlich kritisch dreinblickende Gesichter, die uns nicht sagen wollten: »Wahnsinn, macht das!«, sondern eher signalisierten: »Warum tut ihr euch das an?!« Viele der Bedenken teilten wir, in anderen Fällen war die Skepsis für uns nicht ganz nachzuvollziehen.

»Die Betreuung der Kinder ist doch so toll geregelt bei euch, die Großeltern wohnen in der Nähe, die Kita ist sensationell – wisst ihr überhaupt, wie viel Arbeit da auf euch zukommt, die Kids über Monate von morgens bis abends selber zu betreuen?«

Ehrlich gesagt, lautet die Antwort: Nein, das wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, wie es eigentlich ist, sich dauerhaft ohne jede Unterstützung 24/7 um die eigenen Kinder zu kümmern. Bislang war uns das noch nicht einmal positiv oder negativ aufgefallen, schließlich macht es fast jeder so, und man will ja nur das Beste für die Kinder: Alle Chancen sollen sie haben, Freunde finden, alles lernen, machen, tun, immerzu beschäftigt und angeregt sein. Und erfolgreich im Beruf will man selbst schließlich auch sein. Einmal die eierlegende Wollmilchsau als Familien- und Karrierevereinbarkeitsmodell, bitte. Während wir uns also einbildeten, wir würden unsere Kinder gut kennen und fördern, wissen, was ihre tiefsten Ängste und Sorgen, ihre liebsten Beschäftigungen, ihre Sehnsüchte und Leidenschaften sind, gaben wir sie vertrauensvoll seit ihrem ersten Geburtstag an den meisten Tagen von morgens bis abends in fremde Hände. Nicht um sie abzuschieben, sondern mit den besten Absichten! Nur – wer sind diese kleinen Menschen überhaupt, mit denen wir da seit Jahren zusammenleben? Frieder und Joe – die unbekannten Wesen? Selbst am Wochenende verabredeten wir uns häufig mit anderen zu Familien-Dates – bloß keine Langeweile aufkommen lassen, bloß nie allein zu viert! Und jetzt von null auf hundert: 14 Monate, 420 Tage nur wir vier, ganz allein in der Fremde, der Wildnis, im Outback – the Big Wide Open?! Nein, wir hatten keinen blassen Schimmer, was auf uns zukommen würde. Und natürlich hatten wir Angst. Was ist mit all den Unwägbarkeiten während so einer Reise, Heimweh und Strukturverlust, verunsichert das die Kinder nicht? Wollen sie irgendwann nicht einfach nach Hause? Oder wir Erwachsenen? Und dann? Der Verlauf von Beziehungsdynamiken und das Verhältnis zu unseren Mitmenschen sind zu einem gewissen Grad vorhersehbar, solange es nicht zu ungeahnten Belastungsproben kommt. Erst in Extremsituationen, in denen sich der Kontext radikal ändert, lernen wir einen Menschen in all seiner Fehlbarkeit und Bedürftigkeit kennen. Zu diesen Ausnahmezuständen fernab des Normalen, Gelernten, Erfahrenen zählen Armut, Jobverlust, schwere Krankheit, Lebensgefahr, Geburt, Tod. Eine weitere Extremsituation ist das Sichbewegen weit außerhalb der Komfortzone. Räumlich. Körperlich. Kulturell. Emotional. Also Reisen.

Trauen wir uns das zu? Was, wenn wir unterwegs zweifeln: Vielleicht ist einer von uns dafür nicht gemacht? Sind unsere Energielevel und Belastbarkeitsgrenzen dafür kompatibel genug? Ist ein Scheitern als Risikofaktor mit einkalkuliert und wenn ja – wäre das ein zu hoher Preis?

»Wisst ihr eigentlich, was so etwas kostet?! Dann könnt ihr das mit dem Eigenheim wirklich vergessen.«

Yep, auch das stimmt, die eigenen vier Wände können wir uns jetzt erst einmal abschminken. Die entscheidende Frage ist allerdings: Wollen wir so etwas überhaupt besitzen? Das mit dem Reihenhaus im Speckgürtel oder mit der Eigentumswohnung im Szeneviertel wird auf absehbare Zeit definitiv nichts werden, das wurde uns mit nur einem Blick auf unsere Konten klar. Selbst wenn man sich wie wir für eine Auszeit im kostengünstigen und alternativen Format mit Rucksack und Zelt entscheidet, fehlt einfach über eine lange Zeit das Einkommen und das Ersparte wird angezapft. Aber wer hat die Deutungshoheit über eine gute oder schlechte Investition, über ein gutes oder ein schlechtes Leben?

»Wie könnt ihr die Kinder einfach so aus ihrem Leben rausreißen?«

Auch diesen Einwand hörten wir nicht selten. Und er war nicht unberechtigt. Denn ein Kind braucht Wurzeln. Beständigkeit. Verlässlichkeit. Eine vertraute Umgebung. Feste Bindungen. Aber wer sagt, dass man all das unterwegs nicht bieten kann? Und was ist mit den Flügeln, die ein Kind zum Gedeihen braucht – werden diese in unserer Gesellschaft nicht häufiger als uns lieb sein sollte von den Rotorblättern der Helikopter gestutzt? Wir wollen die Kinder nicht rausreißen, entwurzeln, entfremden. Im Gegenteil, wir nehmen sie doch mit, rücken näher an sie heran. Wer oder was, wenn nicht die Kernfamilie, ist denn ihr Zuhause, ihr Ruhepol, ihr Rückzugsort? Zudem erhoffen wir uns von fremden Menschen und Kulturen neue Denkanstöße, wie man »Familie« auch leben kann. Wir wollten es auf einen Versuch ankommen lassen, ihnen Wurzeln und Flügel zu geben, während sie wild und frei sein dürfen. Aber: Ob das funktionieren wird?

»Was macht ihr mit der Wohnung, mit den Jobs, den Versicherungen, der Steuer und Sparverträgen – lohnt sich der Aufwand überhaupt?«, »Die Kids erinnern sich doch eh an nichts, wofür der Aufwand?«, »Was, wenn ihr krank werdet?«, und überhaupt: »Ist so ein Unterfangen nicht viel zu gefährlich für Kinder?«

Einwände wie diese prasselten auf uns ein und bereiteten uns schlaflose Nächte und Kopfschmerzen. Auf viele Fragen hatten wir keine Antworten parat. Wir mussten sie erst finden; aber nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. Uns wurde durch die vielen Einwände klar: Auch eine Wir-Zeit kann scheitern. Vielleicht stellen wir unterwegs fest, dass dieses Experiment vollkommen missglückt ist; dass das Heimweh zu stark, eine etwaige Erkrankung zu schwer, die Lernkurve zu flach, die Gefahr zu groß oder die Abenteuerlust zu schnell gestillt ist. Oder dass wir uns schlicht und ergreifend nichts mehr zu sagen haben. Diese Risiken waren uns bewusst, als wir die Entscheidung für die Wir-Zeit trafen. Doch wir waren uns einig. Das ist ein entscheidender Punkt. Essenziell bei gravierenden Lebensentscheidungen ist sicher, als Eltern gleichermaßen hinter Veränderungen zu stehen; nur dann strahlen wir die Sicherheit, Zuversicht und Ruhe aus, die unseren Kindern den Weg ebnen, sich ganz auf ein Abenteuer wie dieses einzulassen.

Im Sommer 2017 sind wir also in die Wir-Zeit gestartet. Noch fühlt es sich surreal an. Unsere Kölner Wohnung ist an Herrn und Frau Ahmadi mitsamt ihren Kindern Suleiman, Ahmad, Jamal und Nuria, eine aus Afghanistan geflüchtete Familie, untervermietet, unsere Jobs sind vorübergehend auf Eis gelegt.

Weder mein Chef noch Chris’ Companion und Mitgründer seiner Agentur zeigten sich zunächst begeistert von der Idee eines einjährigen Sabbaticals, selbst wenn die Auszeit unbezahlt ist. Und uns war vollkommen bewusst, dass diese Entscheidung sicherlich kein Katalysator für unseren weiteren beruflichen Werdegang sein würde. Auch die Tatsache, dass unser Erspartes von nun an auf dem besten Wege war, sich in Luft aufzulösen, fühlte sich, gelinde gesagt, zweischneidig an. Von »Wir sind vollkommen naiv und verantwortungslos« bis zu: »Im Nachhinein betrachtet wird das bestimmt die beste Entscheidung unseres Lebens sein« reichte die Spannweite unserer Zweifel und Hoffnungen, als wir uns endlich dazu entschlossen, auf einer der vielen Travel-Sites online den »Jetzt Buchen«-Button zu drücken und uns damit die ersten Flüge von Frankfurt nach Toronto zu sichern. Großartig! – Hoffentlich.

Zu viert samt Schnuller, Buggy und zwei Rucksäcken werden wir nun für ein gutes Jahr auf Reisen sein. Wir, die gemeinsam bislang mit Campen und Outdoor-Abenteuer so viel zu tun hatten wie Fast Food mit gesunder Ernährung. Weder Chris’ noch meine Familie verbrachte die Ferien in unserer Kindheit auf dem Campingplatz. Klar, ich war durchaus als Teenager...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2021
Zusatzinfo mit Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abenteuer • Amerika • Aussteiger • Australien • Backpacking mit Kindern • eBooks • Familienzeit • Farm • Fernweh • Housesitting • Japan • Kanada • Kinder und Beruf • Konsumkritik • Konsumverzicht • Mut • Nachhaltig Reisen • Natur • Neuseeland • Ökologisch • Ratgeber • Reisen • Reisen mit Kindern • round-the-world • Selbstfindung • Selbstverwirklichung • Veränderung • Vereinbarkeit von Familie und Beruf • Weltreise • Weltreise als Familie • Weltreise ohne Geld • Weltreise planen • Wilde Tiere • Work-Life-Balance • Zeit für Kinder • Zusammenwachsen
ISBN-10 3-641-25888-X / 364125888X
ISBN-13 978-3-641-25888-7 / 9783641258887
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