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Fernblick: Wie wir uns die Zukunft erzählen (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1., Originalausgabe
315 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76334-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fernblick: Wie wir uns die Zukunft erzählen - Dirk Peitz
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Die Zukunft können wir nicht vorhersehen. Wer glaubt, bereits darin zu leben, wie so mancher im Silicon Valley, muss sich umstellen, denn die Zukunftsmacht China schickt sich an, die Deutungshoheit zu übernehmen. Was also können wir heute über das Bevorstehende sagen? Haben wir Anlass, uns zu freuen? Müssen wir uns fürchten? Der Zeit-Autor und Technologie-Experte Dirk Peitz reiste durch die USA, der alten Zukunft entgegen, bis nach Shenzhen, in die neue Silicon City des Ostens. Auf dem Weg sprach er mit denen, die jetzt schon an der Welt von morgen arbeiten: mit Stanford-Professoren, Think-Tank-Wissenschaftlern, Tech-Arbeitern, Managern, Städteplanern und Träumern. Das Ergebnis ist ein Reisebericht aus der Gegenwart und Vergangenheit des Vorstellbaren. Ein faszinierender Ausblick auf das Morgen. Sowie eine kluge, fundierte Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen von heute.



<p>Dirk Peitz wurde 1971 in Mönchengladbach geboren. Er schrieb lange für die Kulturseiten der Süddeutschen Zeitung, war dann Redaktionsleiter von Wired und ist heute bei Zeit online für das Thema Technologie zuständig.</p>

Menlo Park


Als ich das erste Mal das Silicon Valley besuchte, im Jahr 1991, war ich ein anständig trauriger, leicht übergewichtiger Zwanzigjähriger, der ausreichend viele, wenn auch keine wirklich originellen Gründe hatte, seine jungmännlichen Sorgen wie Kekse in Schokolade zu tunken und dazu ständig Behaviour zu hören, das damals gerade erschienene Album der Pet Shop Boys. Eigentlich hörte ich stets nur das erste Lied, »Being Boring«, in dessen Lyrics der Ich-Erzähler in der Rückschau auf die Erwartungen blickte, die er als junger Mann einmal an ein aufregendes Leben gehabt hatte, als er die Dinge noch auf sich hatte zukommen sehen, die Zukunft: »But I sat back and looking forward …«

Meine Cousine hatte mich eingeladen zu einer Reise durch die USA, erst New York, dann Kalifornien. Dort machten wir zwei Tage Halt im Valley, auf unserem Weg von San Francisco nach Los Angeles, immer den Highway Number One hinunter, klar, natürlich, was sonst. Wir waren Touristen.

Meine Cousine wollte einen der örtlichen Nationalparks am Rande des Valley besuchen, ich aber machte mir schon damals nichts aus Bergketten, Bäumen, der ganzen Natur. Ich ging stattdessen spazieren durch die Computerfirmengegend, in der unser Motel 6 lag.

Ich erinnere mich sehr genau an die Spaziergänge, denn ich unternahm sie aus einem bohrenden Gefühl der Langeweile heraus. Ich schaute mir dabei die glatten Fassaden der Firmenbauten rechts und links der Straßen an und stellte fest, dass ich keinen der Namen der Softwarehersteller und Hardwarezulieferer kannte, die an den Einfahrten auf Schildern standen. Diese Schilder, so schloss ich, würde man rascher abmontieren und durch andere ersetzen können, als wenn man die Firmennamen in großen, leuchtenden Lettern an die Fassaden geschraubt hätte.

Das Eingeständnis des Temporären faszinierte mich: Diese Firmen waren offenbar jederzeit bereit zu gehen, in bessere Immobilien oder in die Insolvenz. Die Klötze, die sie bezogen hatten, waren insofern spektakulär ehrlich: sofort bezugsfähig, sofort wieder zu verlassen. Einer wie der andere, zwei- bis dreistöckig oft, Außenhäute aus nichts als getönten Glasfassaden, nur Ecken und Kanten und vor allem Oberflächen, glatte schwarze und blaue zumeist. Manchmal war das Glas auch verspiegelt, so dass man sich selbst darin erkannte.

»We’ll slide down the Surface of Things«: Als ich diesen Satz sieben Jahre später auf dem Einband von Bret Easton Ellis’ reichlich verstörendem Roman Glamorama las, da dachte ich sofort wieder an diese blickdichten Glasfassaden, an denen meine Blicke herabgerutscht waren. So wie sie heute an Apple-Produkten herabrutschen.

Bis Apple seinen Ring errichtete, ist im Silicon Valley, das sich westlich entlang der Bucht von San Francisco erstreckt, eigentlich nie für die Ewigkeit gebaut worden. Die Visionen, die man zu haben glaubte, wurden hier zumindest früher nicht in Architektur verwandelt. Und schon gar nicht in symbolistische, so wie das anderswo auf der Erde seit langem geschieht, wo Architektur die Überzeitlichkeit von Herrschaft dokumentiert und einen fortwährenden Machtanspruch formuliert.

Visionen können sich in Silicon Valley rasch als nicht zukunftsfähig, als unrealistisch, fehlgeleitet, töricht, überholt erweisen. Die Arbeitsgrundlage des Tals ist der Glaube an die Permanenz der technologischen Revolution, an die nie endende Veränderung, deren Tempo sich darüber hinaus noch immerzu beschleunigen soll, exponentiell.

Architektur hingegen ist die Stilllegung der Zeit in der fixen Form des konkret Gebauten. Und damit das Gegenteil von Veränderung.

Fürs Steinwerden der Ideen glaubt man im Silicon Valley einfach keine Zeit zu haben. Das gilt für alle grob drei Epochen, die hier nacheinander begonnen, aber (noch) keinen Abschluss gefunden haben. Denn die Produkte dieser drei Epochen sind weiter im Gebrauch und werden es mindestens eine Weile lang noch sein, alle zusammen, miteinander verbunden: Hardware, Software, Apps. Biotech soll seit längerer Zeit noch dazukommen, womit die Idee technologischer Effizienzsteigerungen auch in uns Menschen hineinwirken würde. Unsere biologische Bauweise. Arbeitswelt, Kommunikationstechnologie, Unterhaltungsindustrie, Bankenwesen und so weiter: Potenziell alle bestehenden und daher vermeintlich naturgesetzhaft erlahmten Großsysteme versucht das Valley zu disrupten.

Die Disruption, die Unterbrechung des vermeintlich gewohnten Laufs der Dinge, hat das Valley als Fortschrittserzählung wieder und wieder vorgeschlagen. Die Uhr tickte schon immer vernehmlicher im Tal, das als solches eigentlich nur beim Anflug auf den Airport von San José erkennbar ist, weil die Bergketten, die das Valley im Westen und Osten formen, da einander so nahe kommen. Die Zeit war dort bereits ein Feind lange vor der Erfindung des Venture Capital, das die neueste, aber nun längst wirtschaftlich gefährdete Epoche der App Economy befeuert hat (es gibt zu viele Apps für zu viele Anwendungsmöglichkeiten, die zu wenige Menschen für nützlich oder gar unverzichtbar halten).

Das wesentliche Merkmal des Wagniskapitals ist nicht seine Darreichungsform als Finanzierungsinstrument von Wetten auf die Zukunft. Sondern seine Endlichkeit: Irgendwann ist der Vorschuss aufgebraucht, den man ausgeben kann für eine Vision, irgendwann muss Geld verdient werden, und zwar dann, wenn die Wettenden langsam die Geduld verlieren, ihren Einsatz zurückfordern oder diesen schließlich abzuschreiben bereit sind. Und wenn sich dieser Endpunkt nicht mehr aufschieben lässt, weder durch neue Finanzierungsrunden noch einen Verkauf von Anteilen oder gar einen Börsengang, dann entscheidet der Markt über die Zukunft.

Dem Markt wird im Tal weiterhin kathartische, also reinigende Wirkung zugeschrieben, wenn sich die kleine Tragödie des kommerziellen Scheiterns einer Idee ereignet. Jedenfalls sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob man im Silicon Valley noch an den Markt glaubt, an seine Funktion als ordnende Hand im Zeitstrom der permanenten Veränderung.

Dieser Glaube ist in Wahrheit jedoch relativ begrenzt. Start-ups sind den Regeln des Marktes ja gerade enthoben, solange sie die Zukunftsfantasien von Investoren in immer neue Finanzierungsrunden kultivieren können. Das frische Geld beschützt sie vor dem freien Spiel der ökonomischen Kräfte.

Manche Unternehmen wie der Fahrdienst Uber, die längst schon über den Status des Start-ups hinaus sind und ein börsennotiertes Unternehmen, verbrennen einfach weiter Geld. Nun nicht mehr das von Risikokapital-, sondern von Aktienanlegern.

Deren Bereitschaft, dabei zuzusehen, gründet auf der erstaunlichen Logik, dass irgendwann der große Turnaround von Verlusten zu Gewinnen folgen wird. Und zwar dann, wenn die faktische Beherrschung des jeweiligen Marktes wie bei Google und Facebook erreicht ist und das Unternehmen keine Konkurrenz mehr fürchten muss.

Bis dahin wird etwa Uber jede Fahrt, die jemand bei dem Dienst bucht, subventionieren müssen. Was kurzfristig bedeutet: Je populärer Uber wird, desto größer werden die Verluste. Wachse und dumpe deine Konkurrenz möglichst rasch in den Tod, sonst stirbst du selbst, lautet die plumpe Idee.

Dass die Dienstleistungen, welche erfolgreiche Quasimonopolisten wie Google (Suchmaschinen) und Facebook (Social Media) auf ihren Gebieten erbringen, erheblich komplexere sind als die Logistikleistung eines Fahrdienstes, wird dabei ausgeblendet. Die Uber-App und deren Funktionsweise, das haben andere Taxidienste demonstriert, lässt sich leicht kopieren; sie ist buchstäblich in ein paar Tagen programmiert. Und das Geschäft mit der Fahrvermittlung produziert ansonsten kaum Netzeffekte und keine Datenberge, die man monetarisieren könnte, wie Google und Facebook es tun.

Uber befördert bloß Leute von A nach B. Ende der Verwertung. Das können viele andere auch, seit Jahrzehnten. Die Idee, die Uber daraufhin hatte, war, auch noch Leihfahrräder und -Scooter anzubieten. Das tun derzeit auch viele andere. Uber wird deshalb mutmaßlich sterben. Die Frage ist nur, wann. Und wie viel Geld bis dahin verbrannt worden sein wird.

Die Zukunft scheint manchmal doch vorhersagbar zu sein im Silicon Valley.

Und wenn nichts mehr hilft, wenn die Wette...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2029 – Geschichten von morgen • A.I. • AI • Airbnb • Amerika • Artificial Intelligence • Chat-GPT • China • DALL-E • Dave Eggers • digital • Don DeLillo • Elon Musk • Future • Futurium • Gegenwart • Generationenvertrag • Gesellschaft • Haus der Zukunft • Herausforderungen • Interviews • KI • Künstliche Intelligenz • Leben und Sterben in der Zukunft • morgen • Nasa • Neues Menschsein • Neue Technologien • Online • Paul Saffo • Peter W. Singer • Prognosen • Ressourcen • San Francisco • Silicon City • Silicon Valley • ST 5027 • ST5027 • Start-up • Steven Pinker • suhrkamp taschenbuch 5027 • Technologie • think-tank • USA • Vereinigte Staaten von Amerika USA • Wachstum • Weltmacht • Wirtschaft • Yuval Noah Harari • Zeitaktuell • Zukunft • Zukunftsaussichten • Zukunftsbild • Zukunftsforscher • Zukunftsforschung • Zukunftsglaube
ISBN-10 3-518-76334-2 / 3518763342
ISBN-13 978-3-518-76334-6 / 9783518763346
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