Seine Kämpfe gegen Wladimir Klitschko und The Bronze Bomber Deontay Wilder sind legendär, mit ihm ist Spannung im Ring garantiert. Doch Drogenprobleme, umstrittene Äußerungen und der Kampf mit der Depression brachten den Absturz: vom Höhepunkt seines Erfolgs, bis zum dunkelsten Punkt seines Lebens war es nur ein kleiner Schritt. Heute hat er sich ins Leben zurückgekämpft und ist nach seinem Sieg gegen Wilder durch technisches K.o. WBC Weltmeister im Schwergewicht.
Der Gypsy King erzählt von seinen spektakulären Erfolgen aber genauso schonungslos offen und selbstkritisch auch von Rückschlägen, Fehlern und schweren Zeiten. Vor allem aber vom Wiederaufstehen und Weitermachen. Im Ring und im Leben.
Tyson Fury, The Gypsy King, ist ein britischer Boxer und aktueller Weltmeister im Schwergewicht der WBC. Er ist nach 31 Kämpfen als Profiboxer noch ungeschlagen. 2015 besiegte er den zuvor 11 Jahre ungeschlagenen Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko. Nach Drogenproblemen und der Diagnose einer manischen Depression kehrte Tyson Fury Ende 2018 mit einem Unentschieden gegen Deontay Wilder in den Ring zurück gegen den er auch im Februar 2020 den Weltmeistertitel des WBC erkämpfte.
Kapitel 1
König für einen Tag
Im Juni 2010 stieg ich ins Flugzeug und trat eine Reise an, die länger dauern sollte als erwartet und mir, ohne dass ich es damals wusste, letztendlich den Weg bereiten würde, Wladimir Klitschko zu besiegen, einen der dominantesten Schwergewichtsweltmeister in der Geschichte des Boxsports. Außerdem war sie der Auftakt zu einer Entwicklung, die mein Leben auf schmerzhafte Weise aus der Bahn werfen sollte.
Zu diesem Zeitpunkt in meiner Karriere hatte ich bereits den ersten Profi-Gürtel in die Höhe recken dürfen – den Titel des englischen Schwergewichtsmeisters. Privat war ich das erste Mal Vater geworden, unsere Tochter Venezuela war jetzt ein Jahr alt. Die Dinge liefen also sowohl im Ring wie auch außerhalb davon recht gut; ich bestritt regelmäßig Kämpfe und machte mir langsam einen Namen, auch wenn meine persönlichen Dämonen sich nie allzu weit zurückzogen.
Ich war immer schon ein Mensch, der aus dem Instinkt heraus handelt. Wenn ich das Gefühl habe, etwas tun zu müssen, tue ich es. Also marschierte ich eines Tages ins Reisebüro und buchte einen Flug vom Flughafen Manchester aus. Das Ziel lautete Detroit, und der Mann, den ich dort treffen wollte, war der mittlerweile verstorbene, legendäre Boxtrainer Emanuel Steward – bekannt unter dem Spitznamen »Manny«. Die Liste seiner Schützlinge steht denen der größten Boxtrainer der letzten Jahrzehnte in nichts nach. Manny trainierte insgesamt 41 Weltmeister, darunter Ringlegenden wie Thomas Hearns, Lennox Lewis und der Mann, der immer mein erklärtes Ziel war: der lange Zeit unumstrittene Schwergewichtsweltmeister aus der Ukraine, Wladimir Klitschko.
Manny war ein guter Amateurboxer gewesen – mit 94 Siegen und nur drei Niederlagen sowie einem Golden-Gloves-Titel 1963 –, doch zu wahrem Ruhm gelangte er erst als Trainer im berühmten alten Kronk-Gym in Detroit. Er war schon längst eine Legende, als er über den großen Teich hinweg Interesse an mir zeigte und sich um ein Gespräch mit mir bemühte. Manny hatte meinen Vater John ein Jahr zuvor, 2009, angerufen und den Wunsch geäußert, ich möge nach Amerika kommen und mich mit ihm treffen, weil er glaubte, ich könnte der nächste Weltmeister im Schwergewicht werden.
Das war eine kühne Behauptung, und die Einladung war natürlich sehr verlockend, aber ich schlug sie aus, weil sie zum falschen Zeitpunkt kam. Meine Frau Paris war schwanger mit Venezuela, daher passte eine so große Veränderung gerade einfach nicht in unseren Plan, auch wenn ich mich geehrt fühlte und hocherfreut war, dass Manny Steward mich, einen 22 Jahre alten, ungeschlagenen, aber noch ungeschliffenen Profiboxer, kennenlernen wollte. Doch eines Tages dachte ich dann: Wenn ich nicht nach Detroit fliege und ihn treffe, bereue ich das für den Rest meines Lebens, also muss ich es irgendwie bewerkstelligen. Es ging schließlich nicht um irgendeinen alten Trainer, der mit mir zusammenarbeiten wollte, sondern um eine Legende unseres Sports. Also buchte ich den Flug, schnappte mir meine Tasche und erklärte Paris, dass ich auf dem Weg in die Staaten sei. So bin ich eben, ein impulsiver Typ.
Ich hatte versucht, Manny anzurufen, ebenso wie meinen Cousin Andy Lee aus Limerick, der dort im Gym trainierte. Doch ich hatte keinen von beiden erreicht. Manny war gerade sehr in seine Aufgabe als Fernsehkommentator für den amerikanischen Sender HBO eingespannt. Also stieg ich einfach in den Flieger, ohne auch nur eine Adresse von ihm zu haben, und wies den Taxifahrer in Detroit am Flughafen an, mich zum Kronk-Gym zu fahren. Als wir dort ankamen, wo wir das Gym vermuteten, war das Gebäude verwaist, doch zum Glück konnte der Fahrer die richtige Adresse ermitteln und wir erreichten irgendwann doch unser Ziel.
Bei meinem Eintreten war ich der einzige Weiße im Raum und ragte durch meine Größe aus der Menge heraus. Ich ging zu einem der Trainer und fragte: »Wo finde ich Manny?« Er wollte wissen, wer ich war, und ich sagte: »Ich bin Tyson Fury, der zukünftige Weltmeister im Schwergewicht.« Wenn es ums Boxen und meine Fähigkeiten im Ring ging, mangelte es mir nie an Selbstbewusstsein. Also rief der Kerl Manny an und sagte: »Hier steht so ein durchgeknallter weißer Junge, der sagt, er will dich treffen. Meint, er wäre der nächste Weltmeister im Schwergewicht.« Manny fragte nach meinem Namen und wies den Trainer dann an, mich direkt zu ihm nach Hause zu fahren. Seine Überraschung, mich zu sehen, war nicht geringer, als es die aller anderen im Gym gewesen war, als sie den riesigen Schwergewichtler mit dem komischen englischen Akzent große Töne hatten spucken hören. Es war seltsam – ich war mir meiner Fähigkeiten so sicher, doch außerhalb des Rings konnte meine Stimmung innerhalb einer Minute zwischen fröhlich und extrem düster schwanken. Je größer das Hoch, desto übler das Tief, hatte ich das Gefühl. In diesem Kreislauf steckte ich fest und musste für jeden kleinen Erfolg einen hohen Preis zahlen. Das war mein Leben, und ich wusste nicht, warum.
Zwischen Manny und mir stimmte schon beim ersten Treffen alles. Ich sollte eigentlich zwei Wochen bleiben, doch daraus wurde ein Monat. Er ließ mich bei sich zu Hause wohnen und kaufte mir sogar ein extragroßes Bett, in dem ich schlafen konnte. Er behandelte mich und sprach mit mir, als sei ich bereits Weltmeister, und erzählte mir, ich sei eine der drei größten Boxpersönlichkeiten, die er je getroffen habe – die anderen beiden waren Muhammad Ali und Prince Naseem Hamed. Er ließ mich intensiv am Gleichgewicht und an meinem Jab arbeiten, und ich sog in diesen vier Wochen alles auf wie ein Schwamm. Was Manny mir beibrachte, saß für den Rest meiner Karriere. Er war nicht einfach nur ein Boxtrainer, er war ein echter Lehrer, und davon gibt es heute nicht mehr viele. Sein Interesse galt mir persönlich, und er wollte mir unbedingt so viel Wissen über die Kunst des Boxens vermitteln wie möglich.
Es war zweifellos eine der besten Zeiten meines Lebens, insbesondere weil auch mein Cousin Andy da war. Er trainierte seit dem Beginn seiner Profikarriere unter Manny und sollte später WBO-Weltmeister im Mittelgewicht werden. An den Wochenenden zogen wir mit Manny durch die Kneipen, und Manny – den in Detroit jeder kannte – stand auf und präsentierte mich als den kommenden Schwergewichtsweltmeister. Dann griff ich zum Mikro und gab ein paar Songs zum Besten, was die Amerikaner liebten.
Im Kronk-Gym verschaffte ich mir schnell Respekt. Ein australischer Cruisergewichtler fragte immer wieder, ob er gegen mich im Sparring antreten könne, was Manny untersagte, weil ich zu groß und schwer sei, aber der Mann bestand darauf. Als wir schließlich in den Ring stiegen, schlug ich ihn zweimal mit einem Jab nieder, und wir mussten den Kampf kurz darauf beenden, weil er zu einseitig war. Ich dominierte das Sparring, genauso wie Andy, und irgendwann hörte man von den altgedienten Trainern nur noch: »Mann, ich glaub es nicht. Die weißen Jungs übernehmen das Kronk! Die weißen Jungs übernehmen das Kronk!«
Meine Art, mich zu bewegen, mein Rhythmus und meine Körperhaltung überraschten die erfahrenen Trainer im Gym, weil sie von europäischen Schwergewichtlern einen roboterartigen Boxstil gewohnt waren. Große Boxer bewegen sich normalerweise nicht so wie ich. Meine Wendigkeit und meine Schlaggeschwindigkeit zeichnen mich aus. Ich glich einem ungeschliffenen Diamanten, und sie konnten den Blick nicht von mir abwenden. Sie hatten jemanden erwartet, der plattfüßig und mit hocherhobenen Händen durch den Ring walzte, einen weiteren Straßenpanzer vom Fließband, doch stattdessen sahen sie einen Ferrari.
Die alten Männer im Gym sagten, ich boxe eher wie ein Amerikaner – mit der Mentalität eines Amerikaners. So untermauerte ich den Anspruch, den ich bei meiner Ankunft erhoben hatte – dass ich die Zukunft des Boxsports sei. Ich sah, dass die Leute, die schon lange mit Manny zusammenarbeiteten, geradezu geschockt waren von dem, was sie sahen, denn nur wenige Schwergewichtler können im Ring das abliefern, was ich dort zeigte, mit meiner natürlichen Athletik und meinen schnellen Fäusten. Die Männer liebten es, mir tagtäglich zuzusehen, und ich spürte, wie viel mir der Aufenthalt dort brachte; die positive Ausstrahlung der erfahrenen Boxer war greifbar. Die Ängste blieben aus, die Dunkelheit hatte keine Chance, sich auf meinen Geist herabzusenken, weil ich mehr über den Sport lernte, den ich immer schon geliebt hatte. Ich lernte von den Besten und sog die Reaktionen derer auf, die mich beobachteten.
Die Versuchung, dort zu bleiben, war groß. Ich befand mich in einem der berühmtesten Box-Gyms der Welt, wo ich jeden Tag die Blicke auf mich zog, meine Leistung ablieferte und dann abends durch die Kneipen zog und die Leute mit meinem Gesang unterhielt. Ich verbesserte mich sichtlich. Für meine Entwicklung wäre es sinnvoll gewesen zu bleiben, aber ich musste zurück nach Hause zu Paris und meiner Familie, denn sie waren immer die Nummer eins in meinem Leben. Manny machte es große Freude, mit mir zu arbeiten, und er schenkte mir sogar ein Paar wunderschöne Boxerstiefel, die ich fünf Jahre später trug, als ich in jener bedeutsamen Nacht in Deutschland um den Weltmeistertitel kämpfte.
Nach einer tollen Zeit musste ich mich von Manny und dem Kronk-Gym verabschieden. Doch vier Wochen später rief Manny mich an und fragte, ob ich nach Österreich kommen und an Wladimir Klitschkos Trainingslager vor seiner Verteidigung des Weltmeistertitels im Schwergewicht gegen den Londoner Dereck Chisora teilnehmen wolle. Ich sagte sofort zu – die Chance, Klitschko persönlich und aus nächster Nähe zu erleben und erneut mit...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2020 |
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Übersetzer | Elisabeth Schmalen |
Zusatzinfo | 24 S. Bildteil |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Behind the Mask |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Biografie • Biographien • Boxen • Boxweltmeister • Deontay Wilder • Depression • eBooks • Gypsy King • Profiboxer • Sport • WBO, WBA, IBO, WBC • Weltmeister im Schwergewicht • Wladimir Klitschko |
ISBN-10 | 3-641-26838-9 / 3641268389 |
ISBN-13 | 978-3-641-26838-1 / 9783641268381 |
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