Abenteuerreise Wohnmobil (eBook)
368 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-25076-8 (ISBN)
Anna Dross wurde 1952 in Hamburg geboren und wohnt seit 1996 auf Mallorca. Seit Anfang 2004 ist die ausgebildete Arzthelferin und studierte Kunstpädagogin als Malerin tätig. Für ihr literarisches Schreiben wurde sie bereits mit dem Förderpreis der Stadt Bremen ausgezeichnet. Online bloggt sie regelmäßig unter: www.womo-kladde.net
Erste Nächte
Bei der Verabschiedung wirkt Herr Barthels fast so erschöpft wie wir. »Morgen fahren Sie einfach wieder auf den Hof, dann regeln wir in aller Ruhe den Papierkram.« Gott sei Dank, Papierkram ist wirklich das Letzte, an das wir jetzt denken mögen.
Bevor er sich auf den Weg in seinen Feierabend macht, zeigt Herr Barthels uns noch, wie die beiden Stecker des Stromkabels in die Säule auf dem Platz und in das Wohnmobil gesteckt werden. Das muss einem Dummerchen wie mir tatsächlich gezeigt werden! Zuerst klappt man die Schutzkappe des Steckers auf und rastet danach den Anschluss so in die Steckdose ein, dass die Klappe locker darauf zu liegen kommt. Als Nächstes kontrolliert er den sicheren Anschluss der Aluminium-Gasflasche. Zu guter Letzt holt er aus seinem Wagen ein altes Handtuch und lässt sich halb kniend, halb liegend darauf nieder. Die Heckstützen müssten noch heruntergefahren werden. Welche Heckstützen?
»Damit Sie eine ruhige Nacht haben, Sie wollen sich doch nicht wie auf einem Boot fühlen.« Da kennt er mich schlecht, für mich gibt es nichts Besseres zum Einschlafen als das sanfte Wiegen eines Bootes in ruhigem Wasser. Die Stützen sind zu beiden Seiten fest unter dem Heck angebracht und werden mit einer Kurbel heruntergelassen.
Eine dichte Wolkendecke hängt schwer über dem Platz in einheitlichem Grau, ohne jede Schattierung von hell und dunkel. Das Gras ist feucht und quietscht unter jedem Schritt. Die Nässe verdunkelt den Sand auf den Wegen und lässt die Steine darauf hell schimmern. Aber immerhin regnet es nicht mehr, es nieselt noch nicht einmal. Es ist schon weit nach sieben, aber immer noch hell.
Wenige Meter neben dem Eingang zum Campingplatz haben wir an der Straße ein Restaurant gesehen und brauchen nicht eine Silbe darüber auszutauschen, dass wir heute ganz gewiss nicht mehr die Küche im Wohnmobil einweihen werden. Noch nicht einmal für eine Schnitte Brot. Wir räumen unsere Kleidung ein; das geht fix, viel ist es nicht. Jeder hat auf seiner Bettseite einen schmalen Schrank zum Aufhängen. Die drei Staufächer über dem Kopfende des Bettes füllen wir mit allem, was gefaltet oder gerollt werden kann (zwei Fächer für mich und eines für Gabriel).
Gemeinsam beziehen wir das Bett. Für das Wohnmobil haben wir ein französisches Bett ausgewählt, das hier Queensbett heißt; einen Meter fünfzig breit und zwei Meter lang. Das Fußende der Matratze ist abgerundet für einen leichteren Zugang zu Toilette und Dusche; am Kopfende ist ein Teil abgetrennt und herausnehmbar.
Wieder freue ich mich, dass mein Auserwählter körperlich kein Hüne ist. Das knapp zwanzig Zentimeter breite Stück verschwindet sofort in der Garage. Wir lernen, wie viel Einfluss ein paar Zentimeter mehr oder weniger auf Wohlbefinden und Bewegungsfreiheit haben. Der Verlust von 20 Zentimeter Bettlänge schmerzt in unserem Fall überhaupt nicht, aber der entsprechende Raumgewinn zwischen Bett und Toilette auf meiner Seite und Bett und Dusche auf der von Gabriel befreit uns von Turnübungen schon beim Verlassen der Schlafstatt.
Jetzt noch schnell die Badezimmerutensilien verstauen, Hände waschen und mit dem Kamm durchs Haar – das muss genügen für heute und für dieses Restaurant.
Seit dem Frühstück im Hotel haben wir nur ein paar Kekse gegessen und sind jetzt derart ausgehungert, dass uns selbst das Studium der kurzen Speisekarte schon wie Zeitverschwendung vorkommt. Uns beiden ist nach Fleisch, und das möglichst sofort. Der gemischte Salat vorweg macht Appetit auf mehr, die Steaks auf unseren vorgewärmten Tellern sind zart und saftig, die Bratkartoffeln würzig und knusprig. Der Rotwein: Na ja, es gibt Schlimmeres.
Außer uns sitzt nur noch ein weiteres Paar an einem Tisch in der Nähe, einige Jahre jünger als wir. Neugier ist mein zweiter Vorname, aber heute interessiert mich nur noch gutes Essen und guter Schlaf.
Obwohl ich der Unterhaltung am Nebentisch nicht folge (ehrlich nicht!), ist der Schweizer Dialekt unüberhörbar. Die beiden sind geschniegelt und gebügelt, vor allem sie in ihrem eleganten Kostüm mit Bleistiftrock und kurzer taillierter Jacke. Die blondierten Locken sitzen perfekt; mit spitz gefeilten und rot lackierten Nägeln handhabt die Dame elegant Besteck und Weinglas. Letzteres so ausgiebig, dass auch noch eine zweite Flasche schmeckt.
Wir können kaum glauben, dass dieses Paar in feinem Zwirn auch auf dem Campingplatz nächtigt. Als sie das Lokal verlassen, klemmt er sich die Flasche mit dem Rest Wein unter den Arm und nimmt sie mit. Das macht man wohl kaum, wenn der häusliche Weinkeller auf einen wartet. Bevor sie das Lokal verlassen, reserviert das Paar noch seinen Tisch für den kommenden Abend. Vorsichtshalber tun wir es ihnen gleich. Wer weiß, was der morgige Tag uns noch bringt, und hier wissen wir jetzt, woran wir sind.
Die Nacht ist frisch, aber nicht kalt. Immer noch liegt ein fahles Licht über dem Campingplatz, sodass wir ohne Schwierigkeit unser neues rollendes Zuhause wiederfinden. Gabriel setzt eine Taschenlampe auf den Einkaufszettel in seinem Kopf.
Ab jetzt hat alles Premiere: das erste Mal den Schlüssel ins Türschloss stecken (Gabriel) und von innen wieder abschließen (ich). Unsere elektrische Zahnbürste funktioniert einwandfrei und auch die Chemietoilette birgt keine Schrecken in sich. Wir ziehen die Rollos vor Seitenfenster und Dachluken und schieben den Sichtschutz vor die Fenster der Fahrerkabine. »Immer sanft und achtsam«, wie von Herrn Barthels gefordert.
Wohin mit den ausgezogenen Kleidungsstücken? Für heute werfen wir sie einfach in hohem Bogen vom Schlafzimmer aus auf die Sitzbänke im Wohnbereich. Kurze Wege haben ihre Vorteile.
Mit welchem Schalter können wir vom Bett aus das letzte Licht löschen? Es gibt derer sogar drei: einen für die Deckenbeleuchtung und je einen für die beiden Leselampen. Das nenne ich Luxus! »Es un lujo«, sind dann auch meine letzten Worte, bevor wir Arm in Arm einschlafen. Und durchschlafen!
Wahrscheinlich hat Gabriel auch in dieser ersten Nacht in unserem Wohnmobil geschnarcht, aber davon habe ich nichts mitbekommen. Sage und schreibe fast neun Stunden am Stück habe ich tief und fest geschlafen. Ich musste noch nicht einmal auf die Toilette und auch nicht die Nase putzen oder einen Bonbon gegen das Kratzen im Hals lutschen. Ich hätte auch gar nicht gewusst, wo danach suchen.
Ein Traum von einer Nacht, obwohl ich mich an keinen Traum erinnere, weder an einen schönen noch an einen Albtraum. Ich bin so froh, dass ausgerechnet die erste Nacht in unserem Reiseheim eine so gute Nacht war. Das ist vielversprechend! Auch Gabriel hat sehr gut und ohne Störung geschlafen. Obwohl das bei ihm völlig normal ist, nehmen wir es als gutes Omen für die Zukunft.
Weil es unser erster Morgen im Wohnmobil ist, müssen wir unbedingt beide die Funktionstüchtigkeit der Duschkabine ausprobieren. Ich darf zuerst und bin entzückt, dass über die Dachluke genügend Tageslicht einfällt, auch bei geschlossener Faltwand. In der Dusche wie auch über der Toilette sind LED-Spots angebracht, aber Tageslicht ist mir lieber. Damit kommt in dem engen Raum nicht das Gefühl auf, eingesperrt zu sein. Der Wasserdruck ist längst nicht so wie zu Hause, aber er ist gleichmäßig. Auch die Temperatur lässt sich gut regeln, von kalt bis kochend heiß. Und toll: Das Fahrzeug steht längs und quer vollkommen waagerecht, sodass das Wasser schnurstracks in die beiden Abflussöffnungen fließt. Später lernen wir, dass es nicht wirklich tragisch ist, wenn das Fahrzeug mal etwas in Schieflage gerät. Dann weisen wir dem Wasser mit den Füßen den Weg.
Beim Abtrocknen und Anziehen gratuliere ich uns ein weiteres Mal, dass wir gestern Abend noch die Matratzenverlängerung entfernt haben. Und erst recht zur Schiebetür zwischen Schlaf- und Wohnbereich! Diese Möglichkeit, beide Räume voneinander abzutrennen, war am Ende ausschlaggebend für die Wahl dieses Modells und bewährt sich schon am ersten Morgen.
Das morgendliche Zurechtmachen vor dem Waschbecken mit Eincremen und Nachziehen der Augenbrauen empfinde ich als sehr intim. Dabei möchte ich von Gabriel ebenso wenig betrachtet werden wie nach dem Duschen. Also die Schiebetür zuziehen, und das Dreieck zwischen Bett, Dusche und Toilette dient als Raum zum Trocknen, Anziehen und Fertigmachen ohne Zuschauer (vor allem, nachdem wir später einen Badezimmerläufer für diesen Bereich gekauft haben). Auch Gabriel weiß diese Möglichkeit zu schätzen.
Heute Morgen erweist sich der Spiegel über dem Waschbecken mehr als ausreichend. (Einen Vergrößerungsspiegel zum Schminken gibt es noch nicht.) So viel will ich am frühen Morgen von mir auch gar nicht sehen. Sonst komme ich womöglich doch noch auf die Idee, meine Oberarme in einem Fitnessstudio mit Hanteln zu bearbeiten. Nichts liegt mir ferner. Ich will meine Rente weder als Best-Ager-Model aufbessern (es hat mich auch noch keine Agentur darauf angesprochen) noch eine späte Karriere als YouTuberin starten.
Jetzt brauche ich nur noch eine Tasse Kaffee und der Tag wird gut. Die Milch ist im Kühlschrank, aber wo habe ich gestern bloß den Kaffee verstaut? Die Puppenstubenküche hat Vorteile, nichts können wir so verstecken, dass wir es nicht binnen Kurzem wiederfinden.
»Autsch!« Ich stolpere die Stufe von der Küche zum Wohnbereich hoch und falle schmerzhaft auf die Knie. Der Kaffee schwappt über den Fußboden und versickert – aber wohin? Auf allen vieren entdecke ich eine Ritze, die bei näherem Hinsehen um die herausnehmbare Stufe läuft. So führt mein Missgeschick...
Erscheint lt. Verlag | 16.12.2019 |
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Zusatzinfo | mit s/w-Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sachbuch/Ratgeber ► Sport | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Austilat • Camping • Caravan • eBooks • Europa • Lagerkoller • Outdoor • Positiv denken • Psychologie • Reise • Reisen • Reisen im Kopf • Rente • Seniorenteller • sicheres Reisen • Sport • Urlaub • Urlaub in Deutschland • Urlaubspläne • Van • vanlife • Wahre GEschichte • Wohnmobil |
ISBN-10 | 3-641-25076-5 / 3641250765 |
ISBN-13 | 978-3-641-25076-8 / 9783641250768 |
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