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Wie ein Dieb bei Tageslicht (eBook)

Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491079-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie ein Dieb bei Tageslicht -  Slavoj ?i?ek
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Donald Trump regiert unbehelligt, die Tech-Industrie aus dem Silicon Valley ebenfalls, und die Welt scheint sich nach dem Marx'schen Diktum zu verhalten, dass alles Ständische und Stehende verdampft: Arbeit wird automatisiert, Geld virtualisiert, die Klassengesellschaft zerstreut sich, die alte Weltordnung löst sich auf. Zerfällt damit auch der Kapitalismus selbst? In seinem neuen Buch analysiert der renommierte Kulturkritiker Slavoj ?i?ek den Zustand der Welt und fragt, was als Nächstes kommen könnte. Doch weil wir so tief in unserer kapitalistisch-neoliberalen Ideologie stecken, können wir dieses Nächste nicht sehen: Es kommt daher wie ein Dieb bei Tageslicht. ?i?ek öffnet uns mit seinem Buch die Augen und zeigt: Es ist an der Zeit aufzuwachen.

Slavoj ?i?ek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen »Hegel im verdrahteten Gehirn« (2020), »Wie ein Dieb im Tageslicht. Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus« (2019), »Mut zur Hoffnungslosigkeit« (2018), »Absoluter Gegenstoß. Versuch einer Neubegründung des dialektischen Materialismus« (2016), »Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus« (2015), »Was ist ein Ereignis?« (2014) und »Das Jahr der gefährlichen Träume« (2013).

Slavoj Žižek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen »Hegel im verdrahteten Gehirn« (2020), »Wie ein Dieb im Tageslicht. Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus« (2019), »Mut zur Hoffnungslosigkeit« (2018), »Absoluter Gegenstoß. Versuch einer Neubegründung des dialektischen Materialismus« (2016), »Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus« (2015), »Was ist ein Ereignis?« (2014) und »Das Jahr der gefährlichen Träume« (2013). Karen Genschow arbeitet als Dozentin für romanistische Literaturwissenschaft und Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt sowie als freie Autorin und Übersetzerin.

Žižek ist der Querschläger unter den linken Theoretikern.

Das Buch wird dem Leser lange in Erinnerung bleiben, denn es zeigt einmal mehr, dass wir trotz aller Besorgnis erregender Nachrichten noch immer zu optimistisch sind.

Gewohnt witzig und sprunghaft zieht ›Wie ein Dieb bei Tageslicht‹ den Leser in seinen Bann.

Als wortgewaltiger Kulturkritiker denkt Žižek Psychoanalyse und Politik, Marx und Hollywood zusammen.

Slavoj Žižeks politische Argumentation ist kontrovers, dadurch aber besonders spannend. Eben weil man sie so vermutlich noch nicht allzu oft gehört hat.

Einleitung: Erst die schlechten Nachrichten, dann die guten … die noch schlechter sein können


Alain Badious Versuch, die Jugend zu verderben[1] beginnt mit der provokanten Behauptung, dass von Sokrates an die Funktion der Philosophie darin besteht, die Jugend zu verderben, sie zu entfremden (oder eher im Brecht’schen Sinne zu verfremden) von der vorherrschenden ideologisch-politischen Ordnung, radikale Zweifel zu säen und sie dazu zu befähigen, eigenständig zu denken. Die Jugend unterläuft den Prozess der Bildung, um in die hegemoniale gesellschaftliche Ordnung integriert zu werden, weshalb ihre Bildung eine Schlüsselrolle in der Reproduktion der herrschenden Ideologie spielt. Es verwundert daher nicht, dass Sokrates, der erste Philosoph, zugleich ihr erstes Opfer war, der vom demokratischen Hof Athens dazu verurteilt wurde, Gift zu trinken. Und ist dieses Aufstacheln nicht ein anderer Name für das Böse – das Böse in dem Sinne, dass es den gewohnten Lebensstil stört? Alle Philosophen haben aufgestachelt: Platon unterzog alte Gewohnheiten und Mythen einer unbarmherzigen rationalen Untersuchung, Descartes untergrub das mittelalterliche harmonische Universum, Spinoza wurde exkommuniziert, Hegel entfesselte die zerstörerische Kraft der Negativität, Nietzsche entmystifizierte die Grundlage selbst unserer Moralität … selbst wenn sie manchmal fast wie Staatsphilosophen erschienen, fühlte sich das Establishment nie wohl mit ihnen. Wir sollten auch ihre Gegenstücke zur Kenntnis nehmen, die »normalisierenden« Philosophen, die versuchten, das verlorene Gleichgewicht wiederzugewinnen und die Philosophie wieder mit der herrschenden Ordnung zu versöhnen: Aristoteles im Verhältnis zu Platon, Thomas von Aquin zum überschäumenden frühen Christentum, die rationale Theologie nach Leibniz zum Cartesianismus, den Neu-Kantianismus zum post-hegelianischen Chaos …

Ist das Paar Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk nicht die letzte Verkörperung dieser Spannung zwischen Aufstacheln und Normalisierung, die sich in ihrer Reaktion auf die erschütternden Auswirkungen der modernen Wissenschaften, besonders der Hirnforschung und der Biogenetik, zeigt? Der Fortschritt der heutigen Wissenschaft zerstört die grundlegenden Voraussetzungen unseres Alltagsbegriffs von Realität.

Es gibt vier Haltungen, die man gegenüber diesem Durchbruch einnehmen kann. Die erste besteht darin, schlicht auf einem radikalen Naturalismus zu bestehen, d.h., heroisch der Logik der wissenschaftlichen »Entzauberung der Wirklichkeit« ungeachtet der Kosten zu folgen, selbst wenn die grundlegenden Koordinaten unseres Horizonts von sinnstiftender Erfahrung dadurch vernichtet werden. (In der Hirnforschung vertreten Patricia und Paul Churchland am radikalsten diese Haltung.) Die zweite ist, den verzweifelten Versuch zu unternehmen, eine vermeintlich originellere und authentischere Lesart der Welt, über die wissenschaftliche Annäherung hinaus oder jenseits davon, zu finden (Religion oder andere Arten von Spiritualität sind hier die Hauptkandidaten) – wie letztlich Heidegger es tut. Der dritte und verzweifeltste Ansatz ist der Versuch, eine New-Age-Synthese zwischen wissenschaftlicher Wahrheit und der vormodernen Welt der Bedeutung zu schmieden: Sie basiert auf der Behauptung, dass die neuen wissenschaftlichen Ergebnisse selbst (Quantenphysik beispielsweise) uns dazu drängen, den Materialismus aufzugeben und uns einer neuen (gnostischen oder östlichen) Spiritualität zuzuwenden. Die Standardversion dieser Idee lautet so:

»Das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts ist der Sturz der Materie. In der Technologie, Wirtschaft und der Politik von Nationen nimmt Wohlstand in Form von physischen Ressourcen beständig an Wert und Bedeutung ab. Die Kräfte des Geistes nehmen überall gegenüber der rohen Gewalt der Dinge zu.«[2]

Diese Denkrichtung vertritt die Ideologie in ihrer schlimmsten Form. Die Wiedereinschreibung von eigentlich wissenschaftlichen Problemen (die Rolle der Wellen und Schwingungen in der Quantenphysik beispielsweise) in das ideologische Feld des »Verstand vs. rohe Dinge« verwischt das eigentliche paradoxe Ergebnis des notorischen »Verschwindens der Materie« in der modernen Physik: wie genau die »immateriellen« Prozesse ihren spirituellen Charakter verlieren und ein legitimes Objekt der Naturwissenschaften wurden.

Keine dieser drei Optionen ist für ein Establishment angemessen, das im Grunde alles für sich selbst behalten will: Es benötigt die Wissenschaft als Fundament wirtschaftlicher Produktivität, aber gleichzeitig will es die ethisch-politischen Grundlagen der Gesellschaft frei von Wissenschaft halten. Auf diese Weise gelangen wir zur vierten Haltung, einer neo-kantianischen Staatsphilosophie, deren beispielhafter Fall heute Habermas ist (es gibt aber auch andere, wie z.B. Luc Ferry in Frankreich). Es ist ein eher trauriges Spektakel, wenn man Habermas dabei zusieht, wie er die explosiven Ergebnisse der Biogenetik zu kontrollieren und ihre philosophischen Folgen zu beschneiden versucht – sein ganzes Unterfangen verrät die Angst, dass etwas geschehen wird, dass eine neue Dimension des »Menschlichen« entstehen wird, dass das alte Bild der menschlichen Würde und Autonomie nicht unbeschadet überleben wird. Die Überreaktion ist hier an der Tagesordnung, wie die lächerlichen Reaktionen auf Sloterdijks Rede in Elmau über Biogenetik und Heidegger zeigen,[3] die das Echo der Nazi-Eugenik aus dem (recht vernünftigen) Vorschlag heraushörten, dass die Biogenetik uns dazu herausfordert, neue ethische Regeln zu formulieren. Techno-wissenschaftlicher Fortschritt wird als Versuchung wahrgenommen, die uns dazu bringen kann, »zu weit zu gehen« – und das verbotene Gebiet biogenetischer Manipulation etc. zu betreten und damit den eigentlichen Kern unserer Menschlichkeit zu gefährden.

Die letzte ethische »Krise« anlässlich der Biogenetik schafft eigentlich die Notwendigkeit für etwas, das man mit vollem Recht »Staatsphilosophie« nennen kann: eine Philosophie, die einerseits wissenschaftliche Forschung und technischen Fortschritt fördert und andererseits dessen ganze sozio-symbolischen Auswirkungen auffängt, d.h., sie davon abhält, den bestehenden theologisch-ethischen Konstellationen bedrohlich zu werden. Es wundert daher nicht, dass diejenigen, die am besten beide Forderungen vereinen, Neu-Kantianer sind: Kant selbst konzentrierte sich auf das Problem, wie man – bei vollständiger Berücksichtigung Newton’scher Wissenschaft – garantieren kann, dass ethische Verantwortung aus dem Zugriff der Wissenschaft befreit werden kann – wie er es selbst formulierte, womit er die Reichweite des Wissens darauf beschränkte, Raum für Glauben und Moralität zu schaffen. Sind nicht die heutigen Staatsphilosophen mit der gleichen Aufgabe konfrontiert? Sind ihre Bemühungen nicht darauf konzentriert, wie man, durch verschiedene Versionen von transzendentaler Reflexion, die Wissenschaft auf ihren vorgeschriebenen Bedeutungshorizont beschränkt und so ihre Folgen für die ethisch-religiöse Sphäre als »illegitim« anprangert? In diesem Sinne ist Habermas in der Tat der vollendete Philosoph der (Re)Normalisierung, der verzweifelt daran arbeitet, den Kollaps unserer etablierten ethisch-politischen Ordnung zu verhindern:

»Könnte es sein, dass das corpus von Jürgen Habermas eines der ersten sein wird, in dem schlechthin überhaupt nichts Anstößiges mehr gefunden werden kann? Heidegger, Wittgenstein, Adorno, Sartre, Arendt, Derrida, Nancy, Badiou, selbst Gadamer, überall stößt man noch auf Dissonanzen. Die Normalisierung greift. Die Philosophie der Zukunft – die vollendete Integration.«[4]

Der Grund für diese Habermas’sche Aversion gegenüber Sloterdijk wird damit klar: Sloterdijk ist der vollendete »Anstachler«, einer, der keine Angst hat, »gefährlich zu denken« und die Voraussetzungen von menschlicher Freiheit und Würde, von unserem liberalen Wohlfahrtsstaat etc. in Frage zu stellen. Man sollte nicht davor zurückschrecken, diese Orientierung »böse« zu nennen, wenn man »böse« in einem grundlegenden Sinn versteht, wie Heidegger ihn umreißt:

»Die böse und darum schärfste Gefahr ist das Denken selber, insofern es gegen sich selbst zu denken hat, dies aber selten vermag.«[5] Man sollte Heideggers Gedanken hier noch einen Schritt weitertreiben: Nicht nur ist Denken böse, soweit es daran scheitert, sich gegen sich selbst zu richten, gegen den gewohnten Weg zu denken; Denken, soweit sein innerstes Potential darin besteht, frei und »gegen sich selbst« zu denken, ist das, was vom Standpunkt des konventionellen Denkens gar nicht anders als »böse« erscheinen kann. Es ist äußerst wichtig, auf dieser Ambiguität zu bestehen wie auch der Versuchung zu widerstehen, einen einfachen Ausweg daraus zu finden, indem man irgendeine »geeignete Maßnahme« zwischen den beiden Extremen von Normalisierung und dem Abgrund der Freiheit definiert.

Bedeutet dies, dass wir schlicht unsere Seite in diesem Gegensatz wählen sollten – »die Jugend verderben« oder wichtige Stabilität garantieren? Das Problem liegt heute darin, dass dieser einfache Gegensatz kompliziert wird: Unsere global-kapitalistische, von den Wissenschaften durchdrungene Realität ist in sich selbst »aufstachelnd« und fordert unsere ureigensten Grundlagen in einer sehr viel erschreckenderen Weise heraus als die wildesten philosophischen Spekulationen, so dass die Aufgabe eines Philosophen nicht mehr darin besteht, das hierarchische symbolische...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2019
Übersetzer Karen Genschow
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Black Panther • Digitalisierung • Hegel • Kapitalismus • Klassen-Kampf • Kommunismus • Lacan • La La La Land • Lenin • Lubitsch • Marx • Natur • Revolution • Terrorismus
ISBN-10 3-10-491079-0 / 3104910790
ISBN-13 978-3-10-491079-6 / 9783104910796
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