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Das System (eBook)

Ein Leben im Zentrum der Sowjetpolitik
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
428 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560815-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das System -  Georgi Arbatow
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Ein ungewöhnlich persönlicher, aufschlußreicher Einblick in das politische Leben an der Spitze der Sowjetunion - verfaßt von einem Mann, der als Direktor des Instituts für USA- und Kanadastudien, eines der mächtigsten sowjetischen »think tanks«, und als einer der wichtigsten außenpolitischen Berater seines Landes viele Jahre im Zentrum des Systems gearbeitet hat. Georgi Arbatow beschreibt die quälende, von Rückschlägen gekennzeichnete Genesung des Landes von der stalinistischen Diktatur. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Georgi Arbatow (1923-2010) galt ab den sechziger Jahren als einer der einflußreichsten Berater des Kreml, vor allem im Bereich der Außenpolitik. Von 1967 bis 1995 leitete er das Institut für USA- und Kanadastudien. Er war Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und des von Boris Jelzin zusammengerufenen Konsultativrats.

Georgi Arbatow (1923–2010) galt ab den sechziger Jahren als einer der einflußreichsten Berater des Kreml, vor allem im Bereich der Außenpolitik. Von 1967 bis 1995 leitete er das Institut für USA- und Kanadastudien. Er war Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften und des von Boris Jelzin zusammengerufenen Konsultativrats.

Einleitung von Strobe Talbott


Nun, da die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nicht mehr existiert, bleibt eine hartnäckige Frage: Was war das wirklich, dieses außerordentliche politische Gebilde, das sich über elf Zeitzonen erstreckte, ein Sechstel der Erdoberfläche bedeckte, das zehn Millionen seiner eigenen Bürger verschlang oder aushungerte, trotzdem aber den ersten Menschen in den Weltraum brachte, sich einen Ruf als Supermacht erwarb und über mehr als vierzig Jahre die Sorge der Vereinigten Staaten und eines großen Teils der restlichen Welt auf sich zog?

Rückblickend hat es den Anschein, daß die UdSSR niemals wirklich ein lebensfähiges Land war. Ihre 280 Millionen Menschen zerfielen in zu viele Sprachen, bargen zu viele Ressentiments gegeneinander und wehrten sich zu sehr gegen die Fesseln, die sie an die »Allunions«-Hauptstadt Moskau banden. Auch konnte die UdSSR nicht wirklich als ein Reich gelten, obwohl sie oft so genannt wurde – im berühmtesten Fall von Ronald Reagan. Ihr angeblicher Kern, Rußland, erwies sich lediglich als ein weiterer mürrischer Häftling im Gefängnis der Nationen, ein nach Unabhängigkeit dürstender Staat, der ebenso ins Freie wollte wie die anderen, als die Tore sich schließlich öffneten.

Wenn die Sowjetunion also weder ein Land noch ein Reich war, was war sie dann? Das beste Wort ist, glaube ich, jenes, das Georgi Arbatow zum Titel dieses Buches gemacht hat: die UdSSR war ein System. Mein Wörterbuch definiert das als »eine komplexe Einheit, die von vielen, oft unterschiedlichen Teilen gebildet wird, die einem gemeinsamen Plan unterworfen sind oder einem gemeinsamen Ziel dienen«.

In dem seltsamen Fall der UdSSR war der Plan in all seinen Dimensionen – Fünfjahrespläne, Gosplan und so weiter – untauglich. Er erwies sich als monströs ineffizient, nicht in der Lage, die materiellen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Er zerstörte die individuelle Initiative und das Selbstvertrauen, menschliche Faktoren, die für die Funktionsfähigkeit von Gesellschaft und Staat notwendig sind.

Wir alle wußten das. Dennoch irrten die meisten unter uns, die versuchten, die UdSSR zu verstehen, in einer kritischen Hinsicht gründlich. Wir glaubten, daß das System, so schlecht es in vielen Bereichen arbeitete, in einem gut wäre: in der Selbsterhaltung. Das war das gemeinsame Ziel, dem die unterschiedlichen Teile des Systems dienten. Deshalb würde das System, meinten wir, sicher sehr lange überleben.

Dann brach das ganze Ding am zweiten Weihnachtstag 1991 endgültig zusammen. Letztlich erwies sich das System, entgegen all unseren Annahmen, nicht einmal der Aufgabe gewachsen, das eigene Überleben zu sichern. Zum Teil weil einige seiner Hüter über die Jahre leise, aber anhaltend die Grundannahmen ausgehöhlt hatten, auf denen die »Sowjetmacht« ruhte. In Myriaden kleinster Entscheidungen programmierten sie die Software um, bis die Hardware schließlich im Jahre 1991 spektakulär implodierte.

Darin liegt die Bedeutung von Georgi Arbatows Erinnerungen. Er war Mitglied der Akademie der Wissenschaften, des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und des Obersten Sowjet der UdSSR; er diente sechs aufeinanderfolgenden Führern des Landes als Berater, von Nikita Chruschtschow bis Boris Jelzin. Dabei zeigt seine Karriere, daß dieses System nie so monolithisch war, wie es von außen erschien. Hinter der einförmigen Fassade gab es unterschiedliche Denkrichtungen, konkurrierende Meinungen und das, was er »Oasen des freien Denkens« nennt.

Arbatow schildert seine Karriere als eine Reise von einer solchen Oase zur nächsten, mit langen, oft schwierigen Wüstenstrecken dazwischen. Die erste Oase war ein think tank, in dem er in den späten fünfziger Jahren für den Politbüroideologen Otto Kuusinen arbeitete. Arbatow stellte fest, daß man unter ihm sogar das marxistisch-leninistische Dogma und seine reale Anwendbarkeit in Frage stellen konnte. Während seiner Arbeit für Kuusinen hatte Arbatow mehr Zugang zu Informationen über die Welt draußen als je zuvor. Zu der Zeit »wahrscheinlich begriff ich«, schreibt er, »wie rückständig wir alle waren«.

Mitte der sechziger Jahre fand er einen weiteren Mentor in Juri Andropow, der zu der Zeit die ZK-Abteilung leitete, die das Politbüro außenpolitisch beriet. Arbatows Bericht über ihre Zusammenarbeit ist besonders faszinierend, da Andropow, der später das KGB leitete und dann Leonid Breschnew als Generalsekretär der Partei nachfolgte, eine Schlüsselrolle beim Aufstieg Michail Gorbatschows spielte.

Arbatow beschwört die Atmosphäre jener Jahre lebensvoll herauf, der sogenannten Ära der Stagnation. Das Porträt, das er von Breschnew zeichnet, entspricht aber nicht ganz dem Bild des aufgedunsenen Tölpels mit hängendem Unterkiefer, das wir von dem Mann im Kopf haben. Breschnew, sagt Arbatow, beeindruckte seine Untergebenen zunächst als ein recht begabter Politverwalter, der weniger zu Grobheit oder nackter Grausamkeit neigte als sein Vorgänger Chruschtschow. Er besaß, so Arbatow, »einen gesunden Menschenverstand« und hütete sich vor extremen oder übereilten Entscheidungen.

Aber als Breschnews Gesundheit nachließ – neben den üblichen Alterserscheinungen war er von Schlaftabletten abhängig und zeigte deren Wirkung oft bei der Arbeit –, geriet er zunehmend unter den Einfluß derer, die eine harte Linie vertraten und besonders gegen die »Abweichungen« in der Tschechoslowakei wüteten. Sie siegten in dem, was Arbatow »den Kampf um die Seele von Leonid Breschnew« nennt, und die Folge war die Unterdrückung des Prager Frühlings im Jahre 1968. Arbatow erinnert sich, daß er angesichts der Invasion »brennende Scham« empfand, aber er benennt auch die Grenzen, bis zu denen er und andere in der Partei zu gehen gewillt waren: »Selbst die Mutigsten unter uns hatten nicht die Kraft, den Gedanken vollständiger Entscheidungsfreiheit für die ›Satelliten‹ zur Diskussion zu stellen.«

Seit der Zeit kurz nach der Oktoberrevolution 1917 hatten sich die Experten der Akademie auf den Gebieten von Ökonomie und Politik immer auf schwankendem Boden bewegt. Schließlich war der Marxismus die einzige anerkannte Methode in der Politik und der Wirtschaftswissenschaft. Die Akademie der Wissenschaften trug im Laufe der Jahre ihr Teil zur Durchsetzung der Orthodoxie und Unterdrückung des freien Denkens bei. Ihre Mitglieder waren in den schlechtesten Zeiten nicht immun gegen Verfolgung und auch in den besten nicht frei von subtiler Druckausübung. Mehr oder minder waren sie alle zu Anpassungen und Kompromissen gezwungen.

1968 baute Arbatow sich eine eigene »Oase« auf: das Institut für USA- und Kanadastudien. Es stand unter der Schirmherrschaft der Akademie der Wissenschaften, deren Mitglieder mehr Freiräume genossen als die meisten ihrer Mitbürger, einfach weil ihr Fachwissen als dem Staate nützlich eingeschätzt wurde. Arbatow beschreibt in seinem Buch, wie er und einige andere diesen Freiraum nutzten, um vorsichtige Kritik zu üben und die Führung der UdSSR unmerklich zu einer konstruktiveren Politik zu bringen.

Unter den anderen, die sich ähnliche Nischen schufen und eine ähnliche Rolle spielten, waren Oleg Bogomolow, Direktor des Instituts zum Studium der Ökonomie des Sozialistischen Weltsystems; Alexander Jakowlew, von 1983 bis 1985 Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen; und Nikolai Petrakow, ein Ökonom am Zentralinstitut für Wirtschaft und Mathematik. Daneben gab es »harte«, ideologisch nicht festgelegte Naturwissenschaftler wie Roald Sagdejew, Direktor des Raumforschungsinstituts, und Jewgeni Welichow, Physiker und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften.

Bogomolow ermutigte kommunistische Reformen in Osteuropa, zum Teil in der Hoffnung, daß diese dann auf die UdSSR selbst ausstrahlen könnten. Jakowlew stritt für eine Politik größerer Offenheit, die dann als »Glasnost« bekannt wurde. Petrakow bemühte sich um eine Einstellung der zentralisierten Kommandowirtschaft. Sagdejew und Welichow stellten einige der zweifelhaften und gefährlichen Grundannahmen der sowjetischen Militärstrategie in Frage.

Was Arbatows Rolle angeht, so berichtet er, wie er und seine Verbündeten sich konservativer Gegner zu erwehren hatten, die sie der »Nachgiebigkeit gegen den Imperialismus« und des »bürgerlichen Pazifismus« bezichtigten. Cyrus Vance und andere amerikanische Politiker, die im Laufe der Jahre mit Arbatow zu tun hatten, bescheinigen ihm, daß er entscheidend dazu beitrug, der Ost-West-Entspannung den Boden zu bereiten. Insbesondere half er, die Kontrollvereinbarungen über strategische Nuklearwaffen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten voranzubringen.

»Ich weiß aus eigener Erfahrung«, sagt Vance, »daß Dr. Arbatow einer der Männer war, die im tiefsten Kalten Krieg nach Möglichkeiten suchten, die Gefahr einer militärischen Konfrontation zu verringern.«

In anderen Streitfragen der Siebziger und frühen Achtziger verlor Arbatow, wie er berichtet, zahlreiche Kämpfe innerhalb der eigenen Mauern. Er erinnert sich zum Beispiel, wie er sich vergeblich mühte, Breschnew davon zu überzeugen, daß die UdSSR sich nicht in den postkolonialen Bürgerkrieg in Angola hineinziehen lassen dürfe. Dieser Stellvertreterkrieg wurde zu einem Brennpunkt des Konflikts zwischen den USA und der UdSSR. Er beschleunigte das Ende der...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2015
Übersetzer Regine Laudann
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Lexikon / Chroniken
Technik
Schlagworte Akademie der Wissenschaften • China • Juri Andropow • Juri Wladimirowitsch Andropow • Kalter Krieg • KGB • Korruption • KPdSU • Leonid Iljitsch Breschnew • Michail Gorbatschow • Militär • Moskau • Nikita Chruschtschow • Otto Kuusinen • Parteitag • Perestroika • Prawda • Restalinisierung • Sachbuch • Sowjetunion • Stalinismus • UdSSR • USA
ISBN-10 3-10-560815-X / 310560815X
ISBN-13 978-3-10-560815-9 / 9783105608159
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