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1967 - Tom Segev

1967

Israels zweite Geburt

(Autor)

Buch | Hardcover
800 Seiten
2007 | 2. Auflage
Siedler, W J (Verlag)
978-3-88680-767-3 (ISBN)
CHF 39,20 inkl. MwSt
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Der neue Tom Segev – wie der Sechstagekrieg die Welt verändert hat


Tom Segev schildert Ursachen, Verlauf und Auswirkungen des Sechstagekriegs, den Israel im Juni 1967 mit seinen arabischen Nachbarstaaten führte. Spannend und kenntnisreich zeigt er, wie dieser Krieg zu einer folgenschweren weltpolitischen Auseinandersetzung wurde, die Israel tiefgreifend verändert hat.


Am frühen Morgen des 5. Juni 1967 stiegen die Flugzeuge der israelischen Luftwaffe in den Himmel. Bereits wenige Tage später hatte Israel seine arabischen Kriegsgegner besiegt und kontrollierte nun ein Territorium, das um ein Vielfaches größer war als das eigentliche Staatsgebiet. Mit dieser spektakulären militärischen Operation begann der dritte militärische Nahostkonflikt, der als »Sechstagekrieg« in die Geschichtsbücher eingehen sollte.
Bis heute sind die Auswirkungen dieses arabisch-israelischen Kriegs für Israel und die gesamte Region spürbar, nicht zuletzt deshalb, weil die wichtigsten damaligen Protagonisten wie PLO-Chef Jassir Arafat, Itzhak Rabin als Stabschef oder Ariel Sharon als Kommandeur einer Panzerdivision noch Jahrzehnte später das Gesicht des Nahen Ostens prägten.
Anhand zahlreicher bisher unbekannter Quellen schreibt Tom Segev die erste umfassende Geschichte dieses folgenschweren Kriegs, seiner politischen und gesellschaftlichen Hintergründe und Nachwirkungen. Mit großem Scharfsinn und erzählerischer Brillanz entlarvt Segev dabei den Mythos von der Unvermeidbarkeit des Blutvergießens im Sommer 1967.


Der Sechstagekrieg jährt sich im Juni 2007 zum 40. Mal.


TOM SEGEV ist Historiker und einer der bekanntesten Journalisten Israels, dessen Bücher alle weltweit große Beachtung finden. In Deutschland wurde er durch sein Buch »Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung« (1995) bekannt. Für »Es war einmal ein Palästina« (2005) wurde er mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm bei Siedler seine viel gerühmte Geschichte des Sechstagekrieges »1967. Israels zweite Geburt« (2007) und »Die ersten Israelis. Die Anfänge des jüdischen Staates« (2008). Segev lebt in Jerusalem.

Yechiam Am Abend des 5. Juni 1966 entzündete Josef Weitz zwei Gedenkkerzen für seinen Sohn Yechiam, dessen Tod sich an diesem Tag zum zwanzigsten Mal jährte. Der damals 76-jährige Weitz war der Oberförster des Jüdischen Nationalfonds (JNF), einer Organisation der zionistischen Bewegung, die sich um den Erwerb und die Kultivierung von öffentlichem Land kümmerte. Er lebte jetzt seit fast sechzig Jahren im Land Israel; in dieser Zeit hatte der JNF Millionen von Bäumen angepflanzt. Weitz war im Alter von achtzehn Jahren aus Russland eingereist. Zunächst als Landarbeiter in Palästina tätig, stieg er im Laufe der Jahre zum Leiter der »Abteilung für Land und Wälder« des JNF auf. Er war außerdem an der Planung neuer Gemeinden beteiligt und galt als Gründungsvater des israelischen Staates; als alter Mann schrieb er Kindergeschichten. Weitz saß vor den Gedenkkerzen und blätterte in den alten Briefen, die sein Sohn geschrieben hatte. Sein Yechiam, schrieb er in das Tagebuch, blicke mit einem traurigen Lächeln von einem Foto an der Wand auf ihn herab. Yechiam war in einer hektischen Zeit aus Krieg und Hoffnung zu seinem Namen gekommen. Er wurde im Oktober 1918 in einer der ersten zionistischen landwirtschaftlichen Siedlungen geboren, in Yavnel in Untergaliläa. Die britische Armee unter General Edmund Allenby hatte die Besetzung des unter türkischer Herrschaft stehenden Palästina fast abgeschlossen; am Abend von Yechiams Geburt erreichten Allenbys berittene Soldaten das Gebiet um Yavnel. Acht Tage später, als Yechiam beschnitten wurde und seinen Namen erhielt, hörte Josef Weitz zum ersten Mal von der Erklärung des britischen Außenministers Lord Arthur James Balfour, in der er sich positiv zu dem Bestreben der zionistischen Bewegung äußerte, eine »nationale Heimstätte«, einen jüdischen Staat in Palästina, zu errichten. Die Balfour-Erklärung war gut zehn Monate vorher abgegeben worden, doch Untergaliläa wurde damals noch von den Türken regiert und hatte keinen Kontakt zu den britisch besetzten Gebieten. Weitz und seine Nachbarn waren über diese Nachricht ganz aus dem Häuschen. Als sie zur briss (Beschneidungsfeier) zusammenkamen, bewegte die »Vision der bevorstehenden Erlösung« ihre Herzen. »Ihre strahlenden Augen und die freudigen Ausrufe brachten einen Segen zum Ausdruck – dass das jüdische Volk im eigenen Land leben soll«, schrieb Weitz. Als der mohel nach dem Namen des Neugeborenen fragte, rief ein Gast aus: »Yechiam! Yechiam!« – was so viel bedeutet wie: »Lang lebe die Nation«. Und so kam der Junge zu seinem Namen. Es war »ein Zeichen für den Bund, den die englische mit der hebräischen Nation eingegangen war, damit diese in ihrem eigenen Land wiederauferstehen würde«, so Weitz. Er hätte sich keinen patriotischeren Namen ausdenken können; vor seinem Sohn hatte niemand ihn getragen. Yechiam wuchs in Jerusalem auf. Sein Vater gehörte zu den Gründern von Beit Hakerem, einer komfortablen, abgelegenen Wohngegend im Westteil der Stadt: Steinhäuser mit roten Ziegeldächern, umgeben von dem Grün der Pinien und Zypressen. In den Gärten blühten Narzissen und Alpenveilchen, und Josef Weitz hatte einen Kirschbaum. Die Bewohner des Viertels erzogen ihre Kinder zu loyalen Zionisten und Führungspersönlichkeiten mit Pioniergeist; gebildet im Sinne der europäischen Kultur, sollten sie so auf das Leben in der sehnsüchtig erwarteten »nationalen Heimstätte« vorbereitet werden. Wie die meisten Kinder der Jerusalemer Gründungselite besuchte Yechiam das Hebräische Gymnasium. Er war ein guter Schüler, der sich einmal beklagte, dass seine Lehrer die Schüler nicht ausreichend für den Dienst am Vaterland anleiteten. Er wuchs zu einem stattlichen, charismatischen jungen Mann heran und schloss sich der sozialistischen Jugendbewegung ha-Schomer ha-Za’ir an, wo er für die Arbeit im Kibbuz ausgebildet wurde, was damals bei vielen Jugendlichen üblich war. Als 1936 der arabische Aufstand gegen die Briten und die Zionisten ausbrach, »trat Yechiam in die Armee ein«, wie sein Vater schrieb. Gemeint war damit die Haganah, die größte Selbstschutzorganisation der jüdischen Gemeinschaft in Palästina. »Er gewinnt anscheinend an Ernsthaftigkeit«, schrieb sein Vater, »hat er sich selbst gefunden?« Offenbar nicht, denn Yechiam verließ bald darauf das Militär, um in London Chemie und Botanik zu studieren. »Ich bin ganz verliebt in London«, schrieb er seinen Eltern. Aber als der Zweite Weltkrieg ausbrach, kam er nach Hause und meldete sich wieder freiwillig, dieses Mal bei der Palmach, dem »stehenden Heer« der Haganah. Nach dem Krieg wurde Yechiam für antibritische Operationen ausgebildet. Die Einwanderungspolitik der Briten, die darauf zielte, das Wohlwollen der Araber zu finden, hielt Opfer der NS-Verfolgung davon ab, sich in Palästina niederzulassen. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1946 holten Palmach-Einheiten zum Schlag gegen die britische Herrschaft aus: Sie überfielen elf Brücken und zerstörten zehn davon. Yechiam wurde in dieser »Nacht der Brücken« getötet. Er fiel im Norden in der Nähe von Achziv. Nur wenige Stunden, nachdem sein Vater in der Zeitung von der Militäroperation gelesen hatte, wurde er nach Haifa ins Krankenhaus gerufen. Er bat darum, den Leichnam seines Sohnes sehen zu dürfen. »Ich zog den Rand des Tuches zurück und sah seine Locken und seine Stirn. Das dichte Haar war wild und lebendig, und seine Stirn war glatt und gedankenvoll. Hier lag Yechiam, für immer zum Schweigen gebracht.« Yechiam wurde so beigesetzt, wie er gelebt hatte: als der Sohn eines Vaters, der in einer sehr kleinen Gesellschaft eine bekannte Gestalt war. Jeder kannte jeden, und viele waren miteinander verwandt. »Das jüdische Jerusalem geleitete gestern zu Tausenden Yechiam, den Sohn von Josef Weitz, zu seiner letzten Ruhestätte«, berichtete die Tageszeitung Davar. Die Landesflagge wurde über den Leichnam drapiert. Dreizehn weitere Männer waren in jener Nacht gefallen, aber ihre Körper waren in tausend Stücke gesprengt worden. Yechiams Begräbnis stand daher auch für ihres. Die Allgemeinheit wurde zur Teilnahme aufgefordert. In Haifa, dem Ausgangspunkt des Leichenzuges, wurde die Produktion gestoppt, der Verkehr stand still, Schulen wurden geschlossen, und in Jerusalem kam der Zug nur noch mühsam durch die Menschenmenge voran. Yechiam wurde auf dem Ölberg beigesetzt. Weitz hielt seinen Schmerz im Tagebuch fest: »Der geliebte Sohn ist gegangen! Man kann es nicht akzeptieren – ist er wirklich von uns gegangen? Denn er lebt in jedem Winkel des Hauses weiter; er ragt neben jedem Baum und jeder Blume auf, er spiegelt sich in jedem Buch, in jeder Zeile, auch in diesem Moment … Ich höre seine Stimme, höre sein letztes Schalom, eilig hervorgestoßen, als er aus dem Haus ging. Und er drängt in jeden Gedanken und unterbricht ihn. Es fällt mir schwer zu schreiben, ich muss ihn beklagen und Rema auch.« Rema Samsonov war Yechiams Frau. Sie stammte aus einer Familie, die seit Generationen in Chadera lebte, und wurde später eine berühmte Sopranistin. »Zwei junge Menschen, groß und aufrecht, schön, zärtlich. Ich hatte mir Großes für sie erhofft.« Weitz gab sich selbst die Schuld. »Warum habe ich ihn nicht begleitet? … Wenn ich ihn begleitet hätte, wäre ihm vielleicht nichts zugestoßen?« Er war von einem »brennenden Verlangen« erfüllt, genau zu wissen, wie Yechiam gefallen war, wie und wo man ihn getroffen hatte, wie er die letzten Momente verbracht, was er zuletzt gesagt hatte. Freunde teilten ihm die letzten Worte seines Sohnes mit, und ja, hier fand sich heldenhafte Opferbereitschaft für die Heimat: »Ich bin verloren … Führt die Operation fort«, oder »Ich bin erledigt – ihr macht weiter«, und auch: »Kümmert euch um Rema.« Der Vater schien verletzt: »Kein Wort des Abschieds für seine trauernden Eltern?« Aber vielleicht hatte Yechiam dazu nicht mehr die Kraft gehabt. Weitz schilderte, wie er mit seinem Schmerz umging: »Meine Seele ist entzweigerissen, in die gemeinschaftliche und die individuelle.« Er fand Trost in der massenhaften Anteilnahme an seiner Trauer; der öffentliche Aspekt schien ihn, zumindest anfangs, von seinem eigentlichen, privaten Schmerz abzuschirmen. Außerdem hielt er es für seine Aufgabe, die öffentliche Rolle eines hinterbliebenen Vaters zu erfüllen. »Die ganze Nation marschierte in Haifa und in Jerusalem mit uns«, notierte er in seinem Tagebuch, »und Menschen aus allen Kreisen strömten in Scharen zu Beileidsbesuchen in mein Haus. Sie sagen, er sei das Opfer für die Nation.« Yechiams Tod bekam tatsächlich eine nationale und historische Dimension. »Wir plädieren nicht für einen Opferkult«, hieß es in einer Tageszeitung, »aber jedes Opfer wie Yechiam Weitz ist uns sieben Mal so viel wert. Nicht nur wegen der Art, wie er gelebt hat, sondern wegen der Art, wie er ums Leben kam.« Auch der ranghöchste Zionist im damaligen Palästina kondolierte: Mosche Schertok, der später als Mosche Scharett Israels erster Außenminister und zweiter Ministerpräsident werden sollte. Yechiam, so Schertok an Weitz, sei dem rechten Weg gefolgt und habe eine »heilige Pflicht« erfüllt. Weitz griff diese Worte auf: »Ich habe das auch gesagt: Wir müssen Stärke zeigen angesichts der bösen gojim, sowohl der arabischen wie der britischen. Und Yechiam hat diesen Weg eingeschlagen. Er hat daran geglaubt. Er war ihm ganz ergeben. Er wird von allen bewundert.« Dass ausgerechnet Yechiam, der im Zeichen der Balfour-Deklaration geboren worden war und zu einer Zeit aufwuchs, als die »nationale Heimstätte« unter dem Schutz des Empire mit so großen Hoffnungen aufgebaut wurde, bei einer Operation gegen die Briten starb, war eine Ironie der Geschichte, die dem Vater durchaus bewusst war. Während des Begräbnisses wandte sich Weitz, allerdings »im Flüsterton«, mit der schwierigsten Frage an Schertok, die ein trauernder Vater einem Politiker stellen konnte: »War die Operation notwendig? Und welchen Sinn hatte sie?« Schertok, dessen Augen laut Weitz »freundlich und zärtlich« blickten, gab ihm genau die Antwort, die Weitz gerne hören wollte: Jawohl, die Operation sei notwendig gewesen, weil sie die Juden ihrem Ziel näher gebracht habe. »Das Herz aus Stein wurde davon erweicht«, so Weitz. Jedes Jahr quälte er sich mit derselben Frage und rief sich stets in Erinnerung, dass sein Sohn nicht umsonst gestorben war. Das Land zu bebauen und die Bereitschaft, dafür zu sterben, waren in seinen Augen Werte, mit denen die Juden ihr Anrecht auf Erez Israel, das Land Israel, bestätigten. Sein toter Sohn und das Land Israel – das ganze Land – verschmolzen allmählich zu einer Einheit. »Ich wandere im Land herum, und wenn ich die Luft meines ganzen Landes, von Grenze zu Grenze, atme und die des Volkes, das darin lebt und es sich zu eigen macht, meines Volkes, dann höre ich eine tröstende Stimme, die sagt: Ja, es war notwendig, und es wird belohnt werden. Der Sohn und all die anderen Söhne sind hier, im Meer und im Land, in Berg und Tal, in Feld und Park, in Baum und Strauch. Sie sind Teil der Nation und Teil des Landes, und wenn diese beiden wachsen und eins werden, groß und stark, dann wird ihr Andenken von jeder Generation gefeiert werden. Das Andenken an all die Söhne.« So wurde Yechiam zu einem nationalen Mythos, einem Symbol seiner Generation, dessen Bild im Boden des Landes und im jüdischen Unabhängigkeitskampf verwurzelt war. Der Schriftsteller S. Yizhar, sein Cousin, bezeichnete ihn als »einen Baum in seiner ganzen Pracht«. Der Mythos griff rasch um sich. Yechiam wurde als Angehöriger einer Generation beschrieben, welche die »freie Luft« des Landes atmete und lernte, das Land zu lieben, es aufzubauen und dafür zu kämpfen: »Diese Generation brachte die besten Pioniere, Eroberer und Verteidiger der Wildnis hervor; diese Generation war in Freiheit geboren und aufrecht – die Diaspora und ihre Spezifika waren ihnen fremd.« Moshe Dayan (drei Jahre älter als Yechiam), Yigal Allon (gleichaltrig) und Jizchak Rabin (vier Jahre jünger) gehörten ebenso zu dieser Generation wie viele andere Führungspersönlichkeiten der israelischen Gesellschaft, die deren Kultur prägten. Yechiam Weitz sollte für den »neuen Hebräer« stehen, den die Zionisten in Palästina schaffen wollten. Er war das Gegenteil des »alten Juden«, des Diaspora-Juden, auf den sie mit Verachtung herabblickten. Yechiam, das war »einen neuer Mensch«. Drei Monate nach der »Nacht der Brücken« fuhr Josef Weitz in das arabische Dorf a-Sib nördlich von Akko und sah sich dort aus der Ferne an, wo Yechiam getötet worden war. »Ich konnte nicht hingehen und mich in den Staub werfen und nach Tropfen seines Blutes suchen, die in die Erde eingesickert waren.« Im Osten sah er die Überreste von Qala’at Dschedin, der »Heldenfestung«; die Kreuzfahrer hatten diesen beeindruckenden Steinturm errichtet, der dem galiläischen Herrscher Daher el-Omar später zur Festung geworden war. Die Sonne ging gerade unter, der Turm »schimmerte und erleuchtete das ganze Gebiet, bis hinauf nach Haifa«. Und da erkannte Weitz, wo Yechiams Denkmal sich erheben sollte. Er schwor sich, dass hier eine neue, jüdische Pioniersiedlung entstehen würde, zwecks Verteidigung, Aufforstung und landwirtschaftlicher Erschließung. »Die Festung soll repariert werden, und sie soll unsere sein«, schrieb er, »und über ihr soll Yechiams Name flattern, ein Symbol der Unschuld, der Hingabe und des Opfers, und an ihrer Seite soll eine ewige Flamme in die Ferne leuchten.« Dieses Projekt, erzählte Weitz seiner Frau Ruchama, werde ihnen zum Trost gereichen. So wurde der Kibbuz Yechiam gegründet. Unmittelbar vor dem fünften Todestag ihres Sohnes veröffentlichten Josef und Ruchama Weitz eine Notiz, in der sie alle Eltern, die ihre Söhne nach Yechiam benannt hatten, aufriefen, der Anpflanzung eines Gedenkhains in der Nähe von Ma’ale Hachamisha beizuwohnen (der Name dieses Kibbuzes auf dem Weg nach Jerusalem erinnerte an fünf Siedler, die von Arabern getötet worden waren). Sie bekamen Dutzende von Antwortbriefen, sogar einen aus Lincoln in Nebraska. Es war eine lebhafte Angelegenheit, als gut zwei Dutzend aufgeregte und ordentlich gekämmte Kleinkinder, eines im Matrosenanzug, sich um die Eltern des ersten Yechiam drängten und zum Andenken ein Foto gemacht wurde. Das waren die Kinder des zionistischen Traums. Viele waren die erste im Land geborene Generation; ihre Eltern stammten zumeist von woanders her, vor allem aus Osteuropa. Zwei Väter kamen aus der Türkei, eine Mutter aus Deutschland. Ein Anwalt war darunter und eine Hausfrau, ein Klempner und eine Sekretärin, ein Maschinenbauingenieur, ein Fahrer und ein Ladenbesitzer. Ein Vater war Regierungsbeamter, andere Eltern hatten in Galiläa einen moschav gegründet, eine Gemeinschaftssiedlung, und betrieben Landwirtschaft. Einige dienten als Offiziere in den israelischen Streitkräften (Israel Defense Forces, IDF). Die meisten identifizierten sich mit dem israelischen Establishment und lasen Davar, die Zeitung, die die Positionen der sozialdemokratischen Partei Mapai vertrat, die mit David Ben Gurion an der Spitze die Macht hatte. Die kleinen Yechiams würden schon bald Davar Le-Yeladim lesen, die wöchentliche Kinderausgabe der Zeitung. Ihre Eltern konnten mit einiger Sicherheit Glück und Wohlstand für ihre Kinder erwarten. Außerdem durften sie hoffen, dass ihre Söhne ein besseres Leben führen würden als sie selbst, in einer hebräischen, säkularen und sicheren Umgebung: Sie würden nicht mehr verfolgt werden. Die Kinder wussten, dass sie nach einem Helden benannt waren, und manche wuchsen mit dem Gefühl auf, dass der Name ihnen eine patriotische Pflicht auferlegte.5 Die Yechiams liefen noch mit Windeln herum, da wurde ihr Name bereits in eine große politische Auseinandersetzung hineingezogen. Am 29. November 1947 schlug die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Teilung Palästinas in zwei Staaten, einen jüdischen und einen arabischen, vor. Die Mehrheit der Juden in Palästina stimmte damals der Entscheidung zu, viele sogar begeistert, doch einige widersetzten sich ihr, weil sie die staatliche Kontrolle über ganz Erez Israel wünschten. Die Opposition veröffentlichte ein Manifest, in dem es hieß: »Wir werden einen Staat haben – aber Yechiam wird außen vor bleiben.« Denn nach dem Teilungsplan sollte der Kibbuz Yechiam dem arabischen Staatsgebiet zufallen. Die Zeitung Ha’aretz bemerkte, das Grab König Davids auf dem Zionsberg in Jerusalem läge ebenfalls außerhalb der Staatsgrenze, Yechiam befände sich also in würdiger Gesellschaft. Jerusalem sollte laut Teilungsplan als separate Einheit internationaler Aufsicht unterstellt werden. Ende 1947 kam es zum Krieg. Er mündete in die Gründung des Staates Israel, dessen Territorium Yechiam ebenso einschloss wie Westjerusalem und andere Gebiete, die laut Teilungsplan nicht dazugehören sollten. Josef Weitz war überzeugt, dass das zionistische Projekt nur dann Erfolg haben konnte, wenn die arabische Bevölkerung aus Palästina entfernt wurde. Während des Krieges und danach beteiligte er sich an der Deportation von Arabern aus den Gebieten, die die Armee besetzt hatte, hinderte Flüchtlinge an der Rückkehr und siedelte Araber zwangsweise innerhalb des Staates an einen anderen Ort um. In den fünfziger Jahren war er maßgeblich an dem Versuch beteiligt, israelische Araber zur Auswanderung zu ermutigen. Bis an sein Lebensende war er ein überzeugter Anhänger des »Transfers«. 1949 wurden die Bedingungen des Waffenstillstands festgelegt und die Grenzen auf der Karte mit einer grünen Linie markiert. Das Westjordanland und Ostjerusalem standen jetzt unter der Herrschaft des Haschemitischen Königreichs Jordanien. Der Ölberg lag ebenfalls außerhalb des israelischen Gebiets, und Josef Weitz konnte das Grab seines Sohnes nicht mehr besuchen. Der Gaza-Streifen wurde Ägypten unterstellt. Viele Israelis weigerten sich, den zionistischen Traum aufzugeben, und hofften auf den Tag, an dem sich der Staat Israel an beiden Ufern des Jordans erstreckte. Einige Politiker, darunter Ben-Gurion, und manche Generäle schlossen Militäraktionen zur Ausdehnung des Staatsgebiets über die Grüne Linie hinaus nicht aus. Doch die Mehrheit der Israelis hielt eine Änderung des Grenzverlaufs nicht für sehr wahrscheinlich, und Israel erklärte wiederholt, dass es Frieden auf der Grundlage der jetzigen Situation wünsche. Die meisten Israelis gingen allerdings auch davon aus, dass sie noch nicht den letzten Krieg erlebt hatten. Zwar erwarteten sie ein Aufflammen der Kämpfe nicht notwendigerweise in naher Zukunft, aber die meisten waren der Meinung, dass die Araber ihren Traum von der Zerstörung Israels noch nicht aufgegeben hatten und dass die Israelis ihnen nichts anzubieten hatten, um sie zur Anerkennung des Staates und zum Friedensschluss zu bewegen. Bis Anfang 1966 glaubten sie jedoch, dass die Zeit für Israel arbeite, und gingen davon aus, dass die Araber sich mit der Realität abfinden würden, weil Israel stärker wurde.

Übersetzer Helmut Dierlamm, Hans Freundl, Enrico Heinemann
Sprache deutsch
Maße 150 x 227 mm
Gewicht 1103 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Schlagworte 6-Tage-Krieg • Israel, Sechs-Tage-Krieg
ISBN-10 3-88680-767-3 / 3886807673
ISBN-13 978-3-88680-767-3 / 9783886807673
Zustand Neuware
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