Das Licht der Erleuchtung: Visionen eines modernen keltischen Sehers (eBook)
240 Seiten
Aquamarin Verlag
978-3-96861-254-6 (ISBN)
Eine Kultfigur im englischsprachigen Ausland, die zur Zeit eine Renaissance feiert, hierzulande jedoch nur Wenigen bekannt, ist der Ire George William Russell (1867-1935) mit dem Pseudonym “AE”. Er war ein myriadenfaches Genie. Theosoph, Mystiker, Maler, Dichter und Förderer u.a. von James Joyce, Journalist und landwirtschaftlicher Reformer. Letzteres nicht vom Schreibtisch aus, sondern indem er sich zu den verarmten Bauern begab und ihnen bei der Gründung von Kreditgenossenschaften half.
Sylvia Botheroyds Edition und Übersetzung von Russells spiritueller Autobiographie, Candle of Vision (1918), Das Licht der Erleuchtung, ist das einzige ins Deutsche übersetzte Werk von Russell.
Das Licht der Erleuchtung ist Russells persönlichstes Buch; es ist das sorgfältig zusammengestellte Logbuch seiner Entdeckungsreisen in die Welt des Geistes.
Wie sein außergewöhnlicher Verfasser, verdient es gerade in unserer Zeit, in der eine sichere Geisteshaltung, Mut und reine Schönheit so rar geworden sind, in weiten Kreisen der deutschsprachigen Welt bekannt zu werden. Das Licht der Erleuchtung ist ein wohltuendes Werk, denn hier sind Werk und der dahinterstehende Mensch von ein und derselben Wahrhaftigkeit.
Rückblick
Ich war den ganzen Tag unterwegs gewesen und war müde, vermochte jedoch nicht, mich am Herdfeuer des Cottage auf dem Hügel auszuruhen. Mein Herz schlug mit zu großer Erregung. Nach einem Jahr in der Stadt kam ich mir wie ein Kind vor, das sich ungehörigerweise den lieben langen Tag herumgetrieben hat und bei Einbruch der Dunkelheit ängstlich und reumütig heimkommt und gern wüsste, ob es die Mutter aufnimmt, bereit, ihm zu verzeihen oder nicht. Würde unser aller Mutter mich wieder als eines ihrer Kinder aufnehmen? Würden die Winde mit ihren schweifenden Stimmen wie vormals die Verkünder ihrer Liebe sein? Oder würde ich mich unter den Bergen, den dunkeln Tälern und glänzenden Seen wie ein Ausgestoßener fühlen? Sollte mir ihr Segen zuteil werden, wusste ich, auf welche Art dies geschehen würde. Mit geschlossenen Augen würde ich zwischen den Felsbrocken sitzen, demütig wartend, wie man in den Vorzimmern der Mächtigen wartet, und falls mich die Unsichtbaren zum Gefährten erkoren, so würden sie den Anfang machen mit einem sanften Herhauchen von Vertraulichem, sich an mich heranschleichend mit einem Anflug von Zuneigung, wie Kinder, die sich an das gesenkte Haupt heranstehlen und plötzlich Zärtlichkeiten ins Ohr flüstern, bevor dieses den Schritt überhaupt wahrnehmen kann. So stahl ich mich denn aus dem Cottage und über die dunklen Hügelrücken dorthin, wo die Steine lagen, setzte mich nieder und ließ die Frische der Nacht den feurigen Staub in meinem Gehirn kühlen und zur Ruhe bringen. Bebend erwartete ich die leiseste Berührung, den schüchternsten Hauch der Ewigkeit in meiner Seele, das Zeichen des Willkommens und der Vergebung. Ich wusste, dass es kommen würde. So sehr konnte ich nicht begehren, was nicht im Grunde mein Eigen war; was uns gehört, können wir nicht verlieren. Begehren ist verkappte Identität. Die Dunkelheit zog mich himmelan. Vom Hügel verlor sich die Ebene drunten, unermesslich und unbestimmt geworden, stille und fern. Mir kam es vor, als sei ich allein mit der Unendlichkeit, und schließlich vollzog sich das Verschmelzen der göttlichen Finsternis mit meinem inneren Leben, worum ich gebetet hatte. Ja, noch gehörte ich, wie bescheiden auch immer, zum himmlischen Haushalt. Ich war nicht ausgestoßen. Noch immer, obzwar von einem Fädchen, so fein wie dasjenige, woran eine Spinne von den Dachbalken hängt, hing mein Wesen von der Wohnstätte der Ewigkeit. Ich sehnte mich danach, die Hügel zu umarmen und Küsse auf die Lippen des Seraphen Wind zu drücken. Ich spürte die Fröhlichkeit der Kindheit durch Müdigkeit und Alter hochschießen, denn mit dem ewig Jungen in Berührung zu treten, bedeutet, die Kindlichkeit des Geistes zu besitzen, welche dieser erlangen muss, bevor er, vom Magier des Schönen geformt, das Haus der Vielen Wohnungen betreten kann.7
Ich war nicht immer so vertraut mit der Natur. Ich sah in der Kindheit nie ein Licht, das im Mannesalter zum gewöhnlichen Tageslicht verblasste, glaube auch nicht, dass die Kindheit diesem Wesen näher ist als das Alter. Wäre dem so, was hätte der Geist nach dem Vergehen der Jugend noch zu hoffen? In meiner Knabenzeit war ich mir keines Himmels um mich herum bewusst. Ich wohnte in der Stadt, und die Berge, von denen mir Hilfe kommen sollte, waren nur ein ferner Schwall von Bläue am Horizont. Doch zogen sie mich an, und wie die Jahre vergingen und die Beine länger wurden, geriet ich immer näher, bis ich mich endlich eines Tages am grünen Hügelhang wiederfand. Ich spielte dann mit anderen Knaben, aber Jahre sollten noch vergehen, bis mir die vertrauten Plätze erneut fremd wurden und die Berge von feurigen Gestalten bevölkert, Ehrfurcht gebietend wie Sinai.
Während das Kind noch in seiner Mutter Arm liegt, wird es von ihr ernährt, weiß jedoch nicht, dass eine Mutter es füttert. Später erst weiß es, in wessen Schoß es gelegen. So wie die Mutter den Körper nährt, so nährt die Hoheitsvolle Mutter die Seele. Es gibt jedoch nur wenige, die Ehrfurcht bezeugen, wem sie gebührt, und das deshalb, weil diese gütige Gottheit die Launen ihrer Kinder mit Nachsicht duldet. Bei einigen verleiht sie deren eigenen Gedanken Leben. Anderen schenkt sie die Sichtweise ihres eignen Herzens. Gerade von diesen Letzten lieben sie einige in aller Stille und wagen nicht, von der Hoheit zu sprechen, die zu ihnen niederlächelt, während andere, voll Stolz verblendet, denken: »Dies ist meine eigene Vision.«
Ich betrug mich lange Zeit wie die Letzteren. Ich war sechzehn oder siebzehn, der nachlässigste und unvollkommenste aller Jungen, dessen Leben bereits jene Begehren des Körpers und des Herzens verdunkelten, womit wir so bald lernen, unsere Jugend zu beflecken, als ich gewahr wurde, wie sich ein geheimnisvolles Leben in meinem Leben zu regen begann. Rückblickend finde ich nichts in meinen Freundschaften, nichts in meiner Lektüre, was dies ausgelöst haben könnte. Es war, so glaubte ich, aus mir selbst erzeugt. Ich fing an, mich über mich selbst zu wundern, denn wanderte ich auf Landstraßen dahin, begannen mich starke und leidenschaftliche Imaginationen einer anderen Welt und inneren Natur zu überwältigen. Sie waren wie Fremde, die plötzlich in ein Haus eindringen, den Türhüter beiseiteschieben und sich nicht abwimmeln lassen. Bald war mir klar, dass sie die rechtmäßigen Besitzer und Erben des Körperhauses waren und der Torhüter nur ein auf Zeit damit Betrauter war, der seine Pflichten vernachlässigt hatte und Anspruch auf Besitz geltend machte. Der Junge von vorher war ein Fremder. Er versteckte sich, als der Pilger der Ewigkeit seinen Wohnsitz in seinem Haus aufschlug. Jedes Mal jedoch, wenn der wahre Besitzer abwesend war, tauchte der gerissene Kerl wieder auf und gab sich wieder als Herr und Meister aus.
Jenes Wesen von einem fernen Land, das vom Haus Besitz ergriff, hob an, in einer schwer übersetzbaren Sprache zu sprechen. Mich quälten die begrenzten Möglichkeiten zur Verständigung. Wusste ich doch, dass sich irgendwo in meiner Nähe Gefährten befanden, die zu mir sprachen, aber ich konnte nicht ausmachen, was sie sagten. Wie ich am Abend die vom Duft des Geißblattes erfüllten Strässchen hinunterging, die Sinne empfangsbereit für eine im nächsten Augenblick stattfindende Enthüllung, fühlte ich, dass mir dabei Wesen aus der wahren Heimat des Menschen zusahen. Sie schienen jedem Einzelnen von uns zu sagen: »Bald erwachen sie; bald kommen sie wieder zu uns zurück«, und für einen Moment schien mir fast, als vermischte ich mich mit ihrer Ewigkeit. Die farbüberhauchte Luft leuchtete vor mir mit erfassbarer Bedeutung wie ein Angesicht, eine Stimme. Die sichtbare Welt wurde wie ein Wandteppich, den der Luftzug von hinten fasste und bewegte. Ich wusste, dass ich mich, wenn er sich nur einen Augenblick höbe, im Paradies befinden würde. Jegliche Form auf diesem Wandteppich schien das Werk der Götter. Jegliche Blume war ein Wort, ein Gedanke. Das Gras war Rede; die Bäume waren Rede; die Gewässer waren Rede; die Winde waren Rede. Sie waren das Heer der Stimme, das zum Sieg und der Herrschaft über den Geist vorwärts marschierte; und ich lauschte mit meinem ganzen Wesen, und dann verblassten diese Erscheinungen wieder, und ich war der unbedeutende, unglückliche Junge wie zuvor. So dürfte sich der gefühlt haben, der dem Propheten gedient und miterlebt hatte, wie er im feurigen Wagen gen Himmel fuhr; nach diesem Heimgang gab es auf der Welt kein Licht und keine Gewissheit mehr.
Ich gab mich über diese Erscheinungen keinen Täuschungen hin und bezeichnete sie in meinen Träumen ganz richtig, denn wie ich damals meine ersten Verse schrieb, von denen ich immer noch annehme, dass es Gedichte sind, sagte ich von der Erde, dass wir und alle Dinge ihre Träume seien.
Sie liegt versunken im göttlichen Traum.
Wie ihre Fülle an Schönheit zieht hin,
Das begeisterte Herz sie bescheint,
Welches sie wie im Spiegel bricht.
Erde, deren Träume wir sind und auch sie
Mit ihres weiten Herzens Heiterkeit erfüllt,
Alles was Menschenmund zu bekennen vermag
Oder der vom Morgen befeuerte Sänger singt.
So ist jedoch nun einmal die menschliche Natur, dass ich weiterhin eitel blieb, als gehörte diese Vision mir, und ich benahm mich wie einer, der auf die Schatzkammer eines Königs stößt und mit den Schätzen umgeht, als wären sie seine eigenen. Wir mögen ja tatsächlich persönliche Weisheit besitzen, aber von der visionären geistigen Kraft lässt sich genauso wenig als von der »unseren« sprechen, als man vom Sonnenaufgang sagen kann: »Diese Pracht gehört mir.« Durch einen plötzlichen Anfall solcher Selbstgefälligkeit mitten in einem Gesicht wurde ich oft davon abgeschnitten, und es ging mir im Handumdrehen wie jenen Kriegern der irischen Sage, die auf ein vornehmes Haus stießen, dort schmausten und zechten und sich zum Schlafen niederlegten, sich beim Erwachen jedoch am kahlen Hügelhang wiederfanden, wobei der Faed Fia8 das Herrenhaus wieder verbarg. Obwohl die Vorstellungskraft ganz richtig erfasste, dass diese Schönheit nicht mir gehörte, und sie mit ihrem himmlischen Namen ansprach, blieb mein Herz noch einige Jahre weiterhin stolz, denn in dem Maß, wie das schöne Erlebnis ins Gedächtnis einsank, so schien es zum persönlichen Besitz zu werden. Ich sagte: »Das stelle ich mir vor«, wenn ich demütig hätte sagen sollen: »Der Vorhang wurde etwas gehoben, damit ich sehen durfte.« Aber der Tag sollte kommen, an dem ich mit aller Konsequenz erfahren sollte, was für ein Wesen mich genährt, und mich verzückt und toll werden ließ, wie ein Liebender,...
Erscheint lt. Verlag | 2.7.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
ISBN-10 | 3-96861-254-X / 396861254X |
ISBN-13 | 978-3-96861-254-6 / 9783968612546 |
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