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In den Iran. Zu Fuß. Ohne Pass. (eBook)

Auf der Suche nach meiner Mutter
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491197-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In den Iran. Zu Fuß. Ohne Pass. -  Mehdi Maturi,  Kerstin Greiner
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Sein Leben lang dachte Mehdi Maturi, seine Mutter sei tot. Als er erfährt, dass er kurz nach seiner Geburt vom Vater nach Deutschland entführt wurde und sie noch lebt, will er sie unbedingt kennenlernen. Doch die beiden trennen über 4.000 Kilometer und acht Länder. Und damit nicht genug: Mehdi darf nicht legal zu ihr in den Iran reisen. Also schmiedet er einen verrückten Plan. Er macht sich mit seinem Wanderrucksack auf den Weg von Stuttgart nach Teheran und folgt der Flüchtlingsroute in die entgegengesetzte Richtung, über Gebirge und Flüsse, auf Schmuggelwegen und Schotterpisten, durch Schnee und Geröll. Er hat keine Ahnung, wie hart der Weg werden wird und wie er wieder zurückkommen soll. Für ihn zählt nur eins: das Lächeln seiner Mutter. »Ich habe kaum jemandem erzählt, was ich vorhatte. Ich wollte nicht, dass sich jemand sorgt. Oder mich aufhält.« Mehdi Maturi

Mehdi Maturi wurde als vier Monate alter Säugling von seinem iranischen Vater nach Deutschland entführt und wuchs in Schwäbisch Hall auf. Seit seinem neunzehnten Lebensjahr arbeitet er als Eventmanager für Clubs und Musikveranstaltungen in München, Berlin und Ibiza. Als er mit Mitte zwanzig erfuhr, dass seine Mutter noch lebt, gab er alles, um sie endlich kennenzulernen.  

Mehdi Maturi wurde als vier Monate alter Säugling von seinem iranischen Vater nach Deutschland entführt und wuchs in Schwäbisch Hall auf. Seit seinem neunzehnten Lebensjahr arbeitet er als Eventmanager für Clubs und Musikveranstaltungen in München, Berlin und Ibiza. Als er mit Mitte zwanzig erfuhr, dass seine Mutter noch lebt, gab er alles, um sie endlich kennenzulernen.   Kerstin Greiner hat Mehdi Maturi auf seiner Rückreise vom Iran nach Deutschland per Telefon und WhatsApp begleitet. Sie ist Redakteurin beim SZ-Magazin. Ihre Reportagen wurden unter anderem mit dem Deutschen Journalistenpreis, dem Deutschen Sozialpreis und dem Emma-Journalistinnenpreis ausgezeichnet.  

Wahre Geschichte, spannend erzählt.

Spannend und berührend: Dieses Buch zeigt, dass die besten Geschichten das Leben schreibt.

Klare Leseempfehlung

Ein mutiger Mann mit einer wundervollen Geschichte! Unbedingt lesen!

1 In Deutschland: Stuttgart, Januar 2018


Nachtsichtgerät, wasserfeste Stirnlampe, GPS-Empfänger, Laptop, Smartwatch mit GPS-Funktion, Smartphone, Powerbank, Kopfhörer. Spiegelreflexkamera, Solar-Lade-Panel, Kompass. Sturmstreichhölzer, Jagdmesser. Multifunktionsjacke, Strickjacke, Thermoshirt, Thermo-Kapuzensweatshirt, Thermohose, Jeans. Zwei T-Shirts.

Damenbinden, extra saugfähig. Ich würde mich viele Tage nicht waschen können, so viel wusste ich. Aber verlottert wollte ich auf dieser Route auch nicht aussehen oder stinken, sonst würde ich aufgegriffen werden. Bei denen, die besonders verwahrlost aussahen, schöpften sie Verdacht – auch das wusste ich. Darum die Damenbinden. Die würde ich mir unter die Achseln kleben und wegwerfen, wenn sie nassgeschwitzt waren. So könnte es funktionieren, war ich mir sicher.

Zwei lange Unterhosen. Zwei Paar Skisocken, drei Paar normale Socken. Sieben Boxershorts. Zwei Paar Handschuhe. Doc-Martensstiefel, Air-Max-Turnschuhe. Gelsohlen, Fellsohlen, Blasenpflaster. Sonnenbrille, Mütze. Rucksack mit Regenschutz, wasserfester Beutel. Aufblasbare Isomatte, Schlafsack für extreme Niedrigtemperaturen. Parfüm, Elektrorasierer, neunzig weiche Tageskontaktlinsen, ein paar weiche Monatslinsen, Kontaktlinsenlösung, Zahnbürste, Zahnpasta, Feuchttücher. Erste-Hilfe-Set. Wiederbefüllbare Trinkflasche, Energieriegel.

Eine Plastikplane, sechs Heringe und Seile zum Spannen für die Plane. Ein Zelt wäre zu schwer gewesen. Ich hatte zwar schon eins gekauft, aber wegen den Stangen wäre es ziemlich unhandlich für jemanden, der sich schnell bewegen, vielleicht rennen, fliehen musste.

Nur ein Buch: Wie man Freunde gewinnt von Dale Carnegie. Ich hatte es mal gelesen und fand die Tipps gut, wie man Leute überzeugt, einem zu helfen. Oder wie man Konflikten aus dem Weg geht.

Und drei Armbanduhren. Zum Bestechen. Falls ich Hilfe brauchen würde. Oder ich mich freikaufen müsste. Was wusste ich schon zu diesem Zeitpunkt? Auf jeden Fall schienen mir diese drei Uhren eine gute Idee; dazu 580 Euro in bar und mein Pass, der mir auf dieser Reise nicht viel helfen würde.

 

Ich saß auf dem Boden in der Wohnung meines Jugendfreundes Olek in Stuttgart, bei dem ich die letzten Wochen untergeschlüpft war, hatte alles um mich herum ausgebreitet, was ich auf meine Reise mitnehmen wollte. Drei Mal nacheinander hatte ich ausgesondert. Pullis weg, eine Lederjacke, Hosen, alles zu viel. Dann saß ich vor dieser letzten Auswahl und fühlte mich gut vorbereitet. Das war es. Ich fühlte mich gewappnet, mit allen Wassern gewaschen, ein bisschen wie dieser Typ aus der Serie Ausgesetzt in der Wildnis auf DMAX, ein ehemaliger Soldat, der sich durch Regenwälder und Sümpfe kämpfen muss. Im Sommerferienlager hatte ich als Kind den Umgang mit dem Kompass gelernt, auch das Schnitzen und wie man eine Hütte baut. Eigentlich konnte doch gar nichts mehr schiefgehen, dachte ich. Ich wäre so gut wie im Iran. Im Nachhinein war das natürlich vollkommen blauäugig. Ungefähr so, als würde es genügen, ein gutes Paar Turnschuhe zu kaufen, schon kannst du einen Marathon laufen. Aber das wusste ich an diesem Tag noch nicht.

Mein Plan war, von Stuttgart nach Teheran der Flüchtlingsroute in die entgegengesetzte Richtung zu folgen, mehr als 4000 Kilometer, durch neun Länder, zwei Klimazonen, über Gebirge und Flüsse, Schmugglerwege, Schotterpisten, Trampelpfade, durch Gestrüpp und Geröll, Schnee und Eis. Ich hatte über die Satellitenbilder von Google Maps eine Route ausgewählt, die ich plausibel fand: in der Europäischen Union hoffte ich, noch fliegen zu können – über Wien in die am weitest östlich gelegene griechische Stadt mit Flughafen, Alexandroupoli. Von dort würde ich loslaufen und über den Evros-Fluss schwimmen, der die griechisch-türkische Grenze bildet. Danach müsste ich mich einmal durch die Türkei und über ein Gebirge in den Iran kämpfen.

Ich hatte mich auf den Weg, nicht auf das Risiko konzentriert: Ich verdrängte, dass ich beraubt, verschleppt, verprügelt, verletzt, krank, in Gefängnissen verschwinden, von Grenzern misshandelt oder erschossen werden könnte. Die einzige echte Hürde schien mir in diesem Januar nur der eiskalte und reißende Fluss zu sein. Der Rest würde sich zeigen.

 

Vom Deutschland illegal in den Iran – dafür packte ich meine Sachen. Weil ich endlich meine Mutter finden wollte. Fast mein ganzes Leben hatte ich geglaubt, sie sei tot. Das hatte mein Vater immer behauptet. Zu Fuß war er Ende der 1980er Jahre vor dem Regime aus dem Iran geflüchtet, meine Geschwister an der Hand, eineinhalb und zweieinhalb Jahre, ich auf seinem Arm, vier Monate alt. 1988 kamen wir in Deutschland an. Unsere Mutter habe uns immer vernachlässigt, erzählte unser Vater: »Sie hat euch allein in ein Zimmer mit vollen Windeln und rotzigen Nasen gesperrt, ihr wart ihr eine Last. Sie war eine Rabenmutter! Am liebsten hätte sie euch auf der Straße ausgesetzt. Die Scharia-Polizei hat sie ins Gefängnis geworfen, wo sie starb.«

Wenn mein Vater über unsere Mutter sprach, dann nur schlecht. Wie wussten nicht mal, wie sie hieß. Ich glaube, ich habe meinen Vater zum letzten Mal nach meiner Mutter gefragt, als ich sechs Jahre alt war. Er war ein Tyrann, der unangefochtene Obermufti der Familie. Er erzog uns mit eiserner Faust. Man fuhr besser, wenn man ihn nicht auf unsere Mutter ansprach.

Der Tag, der Jahrzehnte später mein Leben verändern sollte, begann wie jeder andere. Am Morgen des 22. Februar 2010 klappte ich in meiner Fünfer-WG in München wie jeden Tag meinen Laptop auf. Ich hatte über Facebook eine Mail bekommen, von einem Absender, den ich nicht kannte – von einem Mahan Kharzi.

Er schrieb, er sei der Bruder meiner Mutter und sie suche seit dem plötzlichen Verschwinden ihrer drei Kinder 1988 seit über zwei Jahrzehnten sehnsüchtig nach ihnen; deren Verschleppung sei die grausame Rache eines Despoten an seiner Ehefrau, die sich trennen wollte. Seine Schwester hätte seitdem nie aufgehört, uns zu suchen, lebe aber allein, ohne Zugang zu Internet oder Computern. Sie habe nie wieder geheiratet und war noch nie im Ausland. Eigentlich würde unser Nachname anders geschrieben, deswegen habe er uns immer unter anderen Schreibweisen gesucht, Matauri, Matouri, Matoori, Matauori. Jetzt aber glaube er, uns endlich gefunden zu haben.

Ich war wie versteinert. Geschockt. Verwirrt. Ich wusste nicht, was ich mit der Mail anfangen sollte. Als ich mich wieder gesammelt hatte, antwortete ich:

Ihre Nachricht überrascht mich. Ich habe andere Informationen über meine Mutter. Sie sind der Bruder meiner Mutter? Das heißt: Mein Onkel, oder?

Er schrieb, ja, er sei mein Onkel und Ende der achtziger Jahre aus dem Iran nach Deutschland emigriert, lebe in Köln. Meine Mutter aber wohne im Iran und versuche seit Jahrzehnten ihre entführten Kinder zu finden. Jetzt, mit Hilfe von Facebook, sei es endlich gelungen: Sie würde sich nichts sehnlicher wünschen, als ihre Kinder zu sehen. Ich erfuhr zum ersten Mal ihren Namen: Nada Kharzi.

Das Verhältnis zu meinem Vater war zu dieser Zeit schon so zerrüttet, dass ich ihn nicht fragen wollte. Man stellt einen Despoten nicht zur Rede und überführt ihn einer Lüge. Damals, 2010, hatte er auch schon Leukämie, Lungenembolien und einige Schlaganfälle hinter sich. Er lebte zurückgezogen und allein in einer Wohnung in Stuttgart. Ich vermied den Kontakt zu ihm. Als ich ihn, ein paar Wochen später, doch zur Rede stellte, herrschte er mich an, die Familie meiner Mutter seien Lügner und schlechte Menschen.

Nach der Nachricht meines angeblichen Onkels rief ich jedoch meine Geschwister Biana und Attila an. »Hast du auch diese Mail bekommen?«, fragte ich meine Schwester Biana. »Ja, und ich habe diesem Mann geantwortet, er soll uns in Ruhe lassen.« Zu groß war der Hass auf die Rabenmutter.

»Aber sie lebt!«

»Für mich ist sie gestorben, wie für unseren Vater auch.«

Mein Bruder Attila meinte nur, er habe nicht geantwortet und auch kein Interesse, Weiteres zu erfahren, er wollte nichts mehr mit meinem Vater zu tun haben, er hatte mit ihm gebrochen.

 

Nach diesem Tag im Februar, als die Mail kam, schrieb ich noch ein paarmal mit meinem Onkel hin und her – bis ich wusste, dass die Geschichte wirklich stimmte: Wir waren als Kleinkinder ohne das Wissen unserer Mutter verschleppt worden. Denn mein Onkel schickte mir ein Foto meiner Mutter, auf dem sie in ihren Dreißigern war: Meine Schwester sieht der Frau auf dem Foto wie aus dem Gesicht geschnitten aus.

Trotzdem vergingen sieben volle Jahre, bis ich etwas unternahm. Ich haderte, zögerte, und obwohl ich oft nachts wach lag, versuchte ich das alles zu verdrängen. Aber ich konnte mir gut vorstellen, dass mein Vater nicht nur über den Tod meiner Mutter gelogen hatte, sondern auch über ihren Charakter.

Als mein Vater 2014 unter ungeklärten Umständen starb, nahm er seine Lügen mit ins Grab. Er war in seiner Wohnung erstochen worden, vielleicht von einem Bekannten: Die Polizei suchte nach einem flüchtigen Afghanen oder Iraker, mit dem er noch gesehen wurde, konnte die Tat aber nie aufklären. Vielleicht hatte mein Vater seine Lügen einem Menschen zu viel aufgetischt; wir wissen es bis heute nicht.

Nach seinem Tod wollte ich wie mein Bruder mit meinem Vater und meinen iranischen Wurzeln abschließen, nur...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2020
Zusatzinfo 1 s/w-Abbildung
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuer • Bewusst leben • Deutschland • Entführung • Familie • Flucht • Gefahr • Griechenland • Heimat • Illegal • Iran • Lächeln • Mutter • Muttertag • Schlepper • Schwimmen • SPIEGEL-Bestseller • Suche • Teheran • Wandern • Wurzeln • Zu Fuß
ISBN-10 3-10-491197-5 / 3104911975
ISBN-13 978-3-10-491197-7 / 9783104911977
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